Das faulste Virus aller Zeiten? Corona bei der Arbeit (Teil 2)
Selda (Friseurin) und Alina (Bauleiterin)
Protokolle: Carina Book
Man weiß inzwischen eine Menge darüber, wie und wo man sich mit Corona infizieren kann. Nur über einen großen Bereich des Lebens herrscht Schweigen, und Daten sind kaum zu finden: die Arbeitswelt. In der Reihe »Corona bei der Arbeit« dokumentieren wir kurze Berichte und Stimmen aus dem Arbeitsalltag unter Corona. Wenn ihr auch über eure Erfahrungen berichten wollt, schreibt uns: redaktion@akweb.de
Ich habe das Gefühl, dass mir das Recht auf die Angst vor der Krankheit von meinem Chef genommen wird.
Selda
Selda*, 30 Jahre, Friseurin:
Als wir nach dem ersten Lockdown wieder im Friseursalon arbeiten durften, waren wir erstmal froh, weil das Kurzarbeitergeld natürlich vorne und hinten nicht gereicht hat. Bei den niedrigen Löhnen, die Friseurinnen bekommen, kann man sich das vielleicht vorstellen. Das Kurzarbeitergeld ist grade genug, um meine Miete zu bezahlen. Ich musste meinen Vater um Unterstützung bitten, was sehr unangenehm ist als erwachsener Mensch. Die Mehrheit meiner Kolleginnen hat während des Lockdowns schwarz gearbeitet, weil das Geld nicht gelangt hat – das ist jetzt im zweiten Lockdown auch nicht anders. Trotzdem habe ich mich gefreut, als der zweite Lockdown beschlossen wurde, weil das für mich bedeutet hat, dass ich mich jetzt endlich selbst schützen kann.
Wie groß das Problem mit meinem Chef ist, hat sich erst nach dem ersten Lockdown gezeigt: Mein Chef sieht Corona nicht als ernstzunehmende Krankheit an. Er ist davon überzeugt, dass er nicht daran erkranken wird. Manchmal redet er sogar von »natürlicher Selektion« und davon, dass es ja ohnehin zu viele Menschen auf der Welt gäbe. Auch einige Kolleginnen nehmen Corona nicht ernst oder sind sogar Corona-Leugnerinnen. Wenn die im Aufenthaltsraum ohne Masken herumlaufen, bin ich dem einfach ausgeliefert. Mit meinem Chef kann ich darüber jedenfalls nicht sprechen. Er ist der Meinung, dass die Wahrscheinlichkeit sich anzustecken sowieso quasi null wäre und dass die Maßnahmen nicht gerechtfertigt seien. Egal, ob wir einen Schnupfen haben oder sogar auf ein Corona-Testergebnis warten: Er will uns auf der Arbeit sehen. Das ist grob fahrlässig. Schließlich arbeiten wir total nah an den Menschen, die zu uns kommen − mitunter mehrere Stunden dicht an dicht. Oft sind es auch ältere Leute. Das spielt mein Chef alles herunter. Ich habe das Gefühl, dass mir das Recht auf die Angst vor der Krankheit von ihm genommen wird.
Das absurde ist, dass er scheinbar das Gefühl hat, dass er mit am meisten leidet, obwohl er ja wahnsinnig viel Unterstützung vom Staat bekommen hat. Mein Chef, der so privilegiert ist, stellt sich als Opfer dar. Kann ja sein, dass er frustriert ist oder es ihm schlecht geht mit der Situation − das geht ja allen so. Aber er tut so, als sei seine Existenz bedroht, während es gleichzeitig so viele Menschen gibt, die wirklich existenzgefährdet leben. Deswegen habe ich auch den ZeroCovid-Aufruf unterschrieben, obwohl ich mich dabei auch gefragt habe, ob bei einem richtigen Shutdown nicht auch Menschen auf der Strecke bleiben. Klar, der Aufruf sagt, dass es nur solidarisch geht. Aber was heißt das konkret? Was ist mit den Leuten, die auf der Straße leben und auf Spenden angewiesen sind? Wenn alle zu Hause sind, haben die gar nichts mehr. Dafür bräuchte es dann auch ein riesiges Hilfspaket, vielleicht sogar Hilfsstationen. Und in denen müssen dann ja auch wieder Menschen arbeiten. Oder was ist mit denen, die in toxischen Verhältnissen leben und gezwungen sind, unter solchen Bedinungen zu Hause zu bleiben?
Andersherum kann ich mir aber auch vorstellen, dass alle viel stärker leiden, wenn sich der jetzige Zustand noch ein, zwei Jahre hinzieht. Ich denke, es ist wahrscheinlich besser, wenn man einmal richtig zu macht, aber das kann nur gehen, wenn alle mit ins Boot geholt werden und wirklich niemand zurückbleibt.
* Name geändert
Am Ende waren vier von elf Arbeitern mit Corona infiziert.
Alina
Alina*, 33 Jahre, Bauleiterin:
Ich bin Bauleiterin in einer großen Baufirma. Statt Homeoffice heißt es bei mir: Baustelleneinsatz. Seit Februar 2020 habe ich verschiedene Baustellen betreut und konnte nie im Homeoffice Arbeiten. Zum einen hätte ich das auch unfair gegenüber meinem Baustellenteam gefunden, das trotz Corona uneingeschränkt Arbeiten musste, und zum anderen wurde die Option Homeoffice von meinem Vorgesetzten belächelt. Ich sei schließlich die ganze Zeit an der frischen Luft, und so schlimm sei dieses Coronavirus nun auch nicht. Ich solle mich nicht verrückt machen.
Nach wenigen Wochen kam die Einsicht, dass Corona eventuell doch ein ernstes Thema sein könnte. Daraufhin folgten aus den verschiedensten Abteilungen des Konzerns Betriebsvereinbarungen, die nicht umsetzbar waren. Interessanterweise hätte ich nach jeder einzelnen Betriebsvereinbarung die Baustelle dicht machen müssen, da ich beispielsweise kein Desinfektionsmittel zur Verfügung stellen konnte – das war im März 2020 nämlich größtenteils ausverkauft. Von oben kam aber weiterhin die Anweisung: »Nein, Sie dürfen die Baustelle nicht schließen.« Auch auf Auftraggeberseite war man bemüht, den Betrieb aufrechtzuerhalten.
Ich fragte nach einem genauen Konzept zur Einhaltung der Hygienevorschriften. Wieder bekam ich Konzepte zugeschickt, die ich nicht umsetzen konnte: Die Arbeiter sollen während der Arbeit einen Abstand von mindestens zwei Metern halten. Der Graben, in dem mein Team von vier Mann arbeiten musste, war aber insgesamt nur zwei mal zwei Meter groß. Ich fragte nach, wie ich die Abstandsregelung einhalten soll. Der Sicherheits- und Gesundheitskoordinator des Auftraggebers kam dann mit Sprüchen wie »Die sollen arbeiten und nicht kuscheln! Zudem sind die nur an der frischen Luft, da kann nichts passieren«. Als ich fragte, ob ich das schriftlich bekomme, dass die Abstandsregelung gemäß seiner Aussage nicht gilt, da man ja nur durchs Kuscheln und nicht durchs Arbeiten einem Infektionsrisiko ausgesetzt ist, kam nur Schweigen.
Neben dem Druck, den Fertigstellungstermin einzuhalten, gab es auch ein Schreiben vom Bauindustrie Verband an die Bundesminister Seehofer und Scheuer mit dem Betreff »Keine Baustellenstopps in Deutschland«. In dem Brief wird zuerst ein halbseidenes Bekenntnis abgelegt, dass die Gesundheit der Bevölkerung natürlich an erster Stelle stünde, danach heißt es dann: »Gerade die Baustellen in Deutschland, auf denen ein monatliches Umsatzvolumen von rund 12 Mrd. Euro erwirtschaftet wird, stellen aktuell eine gute Stütze der Wirtschaft dar.«
Ich fragte mich, ist mein Team kein Teil der Bevölkerung? Oder ist mein Team in dieser Logik der Teil der Bevölkerung, den wir opfern können, weil die Wirtschaft sonst leidet? Auf der nächsten Baustelle, wurde versucht bessere Hygienekonzepte zu entwickeln. Es war aber klar, dass diese Konzepte nur darauf ausgerichtet waren, einen Baustellenstopp zu verhindern, nicht darauf, die Mitarbeiter wirklich zu schützen. Insgesamt wurde man zwar mit Konzepten bombardiert, ich hatte aber das Gefühl, dass sich die jeweiligen Abteilungen nur selbst absichern wollten, nach dem Motto »Ich habe meine Arbeit getan«. Letztlich wurden die Teams auf der Baustelle allein gelassen. Als Bauleiterin ist es ebenfalls meine Verantwortung, mein Team gesund und sicher nach Hause zu schicken, was aber unter diesen Umständen fast unmöglich war. Auf der letzten Baustelle waren am Ende vier von elf Arbeitern Corona-positiv und haben somit auch ihre Familien angesteckt. Die Reaktionen in meinem Betrieb waren schockierend: »Die können sich auch beim Einkaufen oder im privaten Umfeld angesteckt haben«, wurde gesagt, um sich von der Verantwortung frei zu machen und die »Schuld« bei den Arbeitern zu suchen. Oder fast noch heftiger: »Hättest du keine Tests verordnet, hättest du keinen Corona-Fall gehabt.«
* Name geändert