Das Fanal von Hoyerswerda
Die pogromartige Vertreibung von Migrant*innen aus der Stadt im September 1991 hat Heidenau und Pegida erst möglich gemacht
Von Marcel Hartwig
Hoyerswerda, Mitte September 1991: Im Fernsehen flackerten die Bilder von unsanierten Plattenbauten, vor denen rechte Schläger und Anwohner*innen ihrem rassistischen Hass auf »Ausländer«, wie es damals hieß, freien Lauf ließen. Die Wiedervereinigung zog eine nationalistische Stimmung im Land nach sich, die nicht erst mit den Ereignissen im September 1991 Formen rassistisch motivierter Massengewalt begann. Bereits zwischen 1990 und 1991 war die Zahl der rassistisch und rechtsextrem motivierten Angriffe und Brandanschläge auf Migrant*innen rasant angestiegen. Die Woche der rassistischen Gewaltexzesse des September 1991 in Hoyerswerda stellte jedoch eine neue Qualität rechter und rassistischer Gewalt dar. Diese war dadurch gekennzeichnet, dass sich hier ein Muster rassistischer Mobilisierung bildete, welches in den folgenden Jahren und letztlich bis heute politisch wirkungsmächtig ist. Das in Hoyerswerda wirkende Zusammenspiel militanter Neonazis mit normalen Bürger*innen im Aufbau eines lokal ausgeübten rassistisch motivierten politischen Drucks, die offene Billigung, Unterstützung und Beteiligung von Anwohner*innen und Bürger*innen an den Angriffen; all das war es, was die Woche rechter Gewalt in Hoyerswerda zum Exempel rechter Massengewalt der 1990er Jahre machte. Dieses Muster sollte in Rostock-Lichtenhagen 1992 ebenso eine Fortsetzung finden wie in Heidenau 2015. Mehr noch: Ohne das Fanal von Hoyerswerda 1991 und nachfolgenden Mobilisierungen der frühen 1990er Jahre wären die »Nein zum Heim«-Kampagnen von NPD und Neonazis nach 2013/14 und auch die Pegida nicht möglich gewesen. Die rassistisch motivierte Massengewalt der frühen 1990er Jahre legte den Grundstein für wiederkehrende rassistische Mobilisierungen auf der Straße und die damit einhergehende Gewalt.
Keine Grenzen, keine Konsequenzen
Damals in Hoyerswerda hatte sich die Polizei als unfähig und unwillig erwiesen, der Gewalt wirksam Einhalt zu gebieten und die Täter zu stellen. Im Gegenteil: Immer wieder kam es zu Szenen, in denen die Polizei zurückwich, und vom rassistischen Mob abgedrängt wurde. Als die Migrant*innen in Bussen aus der Stadt weggefahren wurden, standen Neonazis und Bürger*innen am Straßenrand und applaudierten. Ein Mann sagte damals sinngemäß in eine Fernsehkamera: Wenn es nicht möglich sei, die Migrant*innen mit friedlichen Protesten zu vertreiben, müsse es mit Gewalt gehen.
Aus der Anwesenheit organisierter Neonazis, u.a. der Deutschen Alternative (DA), bei den Pogromtagen von Hoyerswerda schlossen Beobachter*innen, diese hätten steuernden Einfluss auf den Gang der Ereignisse genommen. Zwar hatten nach damaligen Recherchen des Antifaschistischen Infoblatts Berlin (AIB) führende Akteure der DA an den Angriffen auf Migrant*innen in Hoyerswerda teilgenommen, doch die Gewaltdynamik vor Ort ergab sich aus dem eskalierenden Verhalten der rechten Skinheads und der Bürger*innen. Diese waren auf eine wie auch immer geartete Steuerung des rassistischen Mobs nicht angewiesen. Dass die Deutsche Alternative im November 1991 ihren Landesparteitag in Hoyerswerda abhielt, wird dennoch kein Zufall gewesen sein. Langfristig jedoch gelang es den westdeutsch geprägten neonazistischen Kleinorganisationen nicht, das vorhandene Potenzial rechter ostdeutscher Gewaltakteure an sich zu binden. In einer Zeit, in der jeden Abend auf den Straßen nahezu schrankenlose Gewalt gegen Migrant*innen und politische Gegner*innen ausgeübt wurde, war der Bedarf an Parteiprogrammen und langatmigen Parteisitzungen gering.
Nach einer Woche der Gewalt hatten der sächsische Staat und die Polizei vor dem rassistischen Mob kapituliert.
Nach einer Woche der Gewalt hatten der sächsische Staat und die Polizei vor dem rassistischen Mob kapituliert. Die Evakuierung der betroffenen Migrant*innen aus Hoyerswerda wurde in der im Entstehen begriffenen extrem rechten Jugendkultur der 1990er Jahre als Signal des Aufbruchs verstanden. Über die konkrete Situation in Hoyerswerda und ihre extrem rechten Gewaltakteure hinaus, war für die militante extreme Rechte nach Hoyerswerda klar: Der Staat weicht vor der sich formierenden rassistischen Gewalt zurück und will den rassistischen Gewaltexzessen vorerst keine Grenzen setzen. Vor allem in Ostdeutschland versagten Polizei und Justiz darin, rechte Gewalttäter*innen einer adäquaten Strafverfolgung zuzuführen. Die Täter*innen und ihr Umfeld hatten von Polizei und Justiz wenig bis nichts zu befürchten. Die nach Hoyerswerda einsetzende Welle rassistischer Gewalt sozialisierte eine ganze Generation rechter Jugendlicher, von denen nicht wenige später Aktivist*innen der Kameradschaftsszene wurden. Hoyerswerda wurde in der extremen Rechten darüber hinaus zum Synonym für eine Bewegung von rechts, die zumindest in Ostdeutschland auf der Straße die Grund- und Freiheitsrechte für alle nicht-rechten Menschen außer Kraft setzte.
Asyldebatte als Erfolg des rassistischen Mobs
Zum zeitgeschichtlichen Kontext der Ereignisse in Hoyerswerda gehört die damalige gesellschaftliche Debatte um die Änderung des bundesdeutschen Asylrechts. Seit der Asyldebatte des Jahres 1986 und dem nachfolgenden Aufstieg der Republikaner in den Jahren 1987/88 in Westdeutschland hatte es aus rechtskonservativen und extrem rechten Milieus immer wieder rassistische Kampagnen gegeben, die auf eine Einschränkung des Asylrechts zielten. Die SPD verweigerte dem zu diesem Zeitpunkt jedoch aus gutem Grund die Zustimmung, galt das Asylrecht doch als eine wesentliche Lehre aus der NS-Herrschaft. Die Gewaltexzesse von Hoyerswerda nahmen CDU/CSU zum Anlass, die SPD unter Druck zu setzen, einer Änderung und damit weitgehenden Einschränkung des Asylrechts zuzustimmen. Nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen gab die SPD-Führung ihren Widerstand gegen die Asylrechtsänderung auf. Auch dies war ein Erfolg rassistischer Kampagnen der extremen Rechten.
Antifa-Strategien
Für die antifaschistische Bewegung begann nach Hoyerswerda die Debatte, wie rassistische Mobilisierungen zu verhindern oder zu beenden seien. Bereits die antifaschistische Demonstration in Hoyerswerda kurz nach der Woche rechter Gewalt in der Stadt hatte die engen Grenzen dieses Mittels anlassbezogener, direkter Intervention vor Ort gezeigt. Ein massives Polizeiaufgebot aus Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei) und sächsischen Beamt*innen behinderte die Anreise und die Demonstration. Angesichts der Massivität der Gewalt und der beschränkten Möglichkeiten, Betroffenen rassistischer Gewalt im Rahmen einer Demonstration Solidarität zukommen zu lassen, wurde nach Möglichkeiten der langfristigen, anlassunabhängigen Unterstützung jener Menschen vor Ort gesucht, die sich der rechten Alltagskultur entgegenstellten. In den nächsten Jahren zeigte sich: Nicht erst durch die Ereignisse in Hoyerswerda, aber befördert durch sie, verließen viele Menschen, die sich gegen eine rechte Hegemonie engagierten, die ländlichen und kleinstädtischen Regionen Ostdeutschlands. Denen, die geblieben sind und sich der extremen Rechten entgegenstellen ist Hoyerswerda 1991 bis heute eine Chiffre für den Exzess rechter Gewalt am Beginn der 1990er Jahre geblieben.
Hoyerswerda
Hoyerswerda war nicht irgendeine Stadt der DDR. Unter der Leitung des Architekten Richard Paulick wurde die Stadt als Zentrum der Braunkohleindustrie der DDR ab Anfang der 1960er Jahre baulich erweitert und umstrukturiert. Sie wurde das industrielle Zentrum der auf Braunkohle basierenden Energiestrategie der DDR. Hier wurde nach Eisenhüttenstadt die Architektur eines sozialistischen Städtebaus umgesetzt. Die Zahl der Einwohner*innen Hoyerswerdas stieg zu DDR-Zeiten auf 70.000 an. Innerhalb weniger Jahre wurde aus einer Kleinstadt im Braunkohlerevier eine sozialistische Stadt.
Mit welchen Schwierigkeiten und Widersprüchen der Bau der neuen Stadt verbunden war, beschrieb Brigitte Reimann in ihrem damals sehr bekannten Buch »Ankunft im Alltag« und in »Franziska Linkerhand«, das die Konflikte um den Aufbau einer sozialistischen Stadt aus der Perspektive einer jungen Architektin beschreibt. In ihren nachgelassenen Tagebüchern schildert Reimann den Alltag in Hoyerswerda zwischen dem emanzipatorischen Aufbruch ihrer Generation und den Erfahrungen mit Bürokratie und Dogmatismus in der DDR. Reimann hatte mit ihrem zeitweiligen Lebenspartner, dem Schriftsteller Siegfried Pietschmann, selbst zwischen 1960 und 1968 in Hoyerswerda gelebt und im Energiekombinat »Schwarze Pumpe« gearbeitet. Ebenfalls eng mit Hoyerswerda verknüpft ist das Leben und das Werk des ostdeutschen Liedermachers Gerhard Gundermann. Hier wirkte er mit seiner Singegruppe »Brigade Feuerstein« und erlebte jene Konflikte mit der SED, die zu seinem Ausschluss aus der Partei führten. Zahlreiche Texte Gundermanns schöpfen aus der Alltags- und Erfahrungswelt der Menschen, die in Hoyerswerda lebten und arbeiteten. Nach der Wende erlebte Hoyerswerda einen enormen Niedergang, der durch die Umstrukturierung der Braunkohleindustrie bedingt war. Arbeitslosigkeit und Abwanderung prägten die Entwicklung der Stadt.