Frau sein und frei sein
In Britney Spears’ Biografie »The Woman in Me« erzählt die Sängerin von ihrem Leben und einer Leidensgeschichte, die sie in vielen Nuancen mit anderen Frauen teilt
Von Nadia Shehadeh
Sie sind nicht nur Kassenschlager, sondern mittlerweile auch Lieblinge der Popkultur-Rezension: Celebrity-Memoiren, die versprechen, dass jetzt »endlich mal alles« erzählt wird. »Tell all«-Biografien haben seit einigen Jahren Hochkonjunktur, ganz egal ob als Buch, als Doku oder als sorgfältig kuratierte Social-Media-Konfessionen. In einem Zeitalter, in dem man den Eindruck hat, vermeintlich alles über jede*n im Internet erfahren zu können, scheinen die vermarktbaren Lebensgeschichten von Prominenten nur die plausible Erweiterung dieses Schaulaufens zu sein: Der Trend zum ungefilterten Erzählen von Geschichten und Begebenheiten geht Hand in Hand mit der Dominanz sozialer Medien. Vorbei sind die Zeiten der unzugänglichen, geheimnisvollen A-Promis, über die man nur etwas aus der Boulevardpresse erfahren konnte. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen die öffentliche Wahrnehmung von Stars und Sternchen weitgehend von den Launen der Paparazzi bestimmt wurde. Social-Media-Plattformen versprechen einen direkten Zugang zu Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und ihrem Leben, das früher hermetisch geschützt schien – der private Alltag von Idolen scheint immer nur einen Wisch entfernt.
Fast schon konsequent ist dann auch die Überzeugung, dass Authentizität (oder zumindest die Darstellung davon) der Schlüssel zur Gewinnung eines treuen Publikums sei. Was aber vor allem unter Authentizität verstanden wird: Das Offenbaren privatester Momente und das Schildern von persönlichen Abgründen und schmerzhaften Erlebnissen. Dieser Wandel wiederum trifft auf den Sachverhalt, dass sich nun seit einigen Jahren mit den zerstörerischen Folgen der Boulevardkultur der letzten zwei, drei oder sogar vier Jahrzehnte auseinandergesetzt wird. Vor allem durch eine Neubewertung der frauenfeindlichen Narrative, die in den letzten zwei Jahrzehnten um prominente Frauen gesponnen wurden, soll nun vermeintlich im großen Stil mit diesen aufgeräumt werden.
Eineinhalb Jahrzehnte unter »Vormundschaft«
Britney Spears nimmt seit Jahren – nach eigenen Angaben oft auch unfreiwillig – viel Raum ein in dieser Ära, die vorgaukelt, eine popkulturelle Zeitenwende zu sein, in der Sexismus und mediales Mobbing ein Relikt alter Zeiten ist. Die US-Sängerin, die in jungen Jahren weltbekannt wurde und seit ihren Zwanzigern dann fast eineinhalb Jahrzehnte unter einer suspekten »Vormundschaft« stand, ist das Paradebeispiel dafür, wie sehr man daran interessiert ist, zur Wiedergutmachung auch die »eigenen Narrative«™ prominenter Frauen anhören zu wollen und so zur Richtigstellung und vor allem Buße beizutragen. Insbesondere Fanbewegungen im Internet, die jahrelang unter dem Hashtag Free Britney firmierten, brachten den Star zurück in das Bewusstsein der Öffentlichkeit – und die an Gossip interessierte Weltbevölkerung auf den Trichter, dass da eventuell was ganz gewaltig schief lief im Leben von Spears, das vielleicht gar nicht mehr so richtig ihr eigenes war.
Zuvor hatte man Spears jahrelang gar nicht mehr so richtig auf den Schirm gehabt. Man wusste, dass sie in Las Vegas einige Jahre eine eigene Show bespielte und danach noch ein bisschen zum Touren unterwegs war, aber das, was den Pop-Radar zwischendurch am meisten bewegte, war der harmlose aber oft süß-kuriose Feed ihres Instagram-Accounts. Ab 2020 dann, in der Pandemie-Hochzeit, erreichte auch die #FreeBritney-Bewegung ihren Höhepunkt, und 2021 erreichte Spears die Aufhebung der Vormundschaft.
Dementsprechend sorgten die Memoiren von Spears schon vor Erscheinen für viel Furore. Ende Oktober erschien nun »The Woman in Me« und avancierte direkt zum Kassenschlager. Die Geschichte von Spears könnte direkt mehrere Bücher füllen: Es geht um eine unerwünschte Tochter, die in eine arme Familie mit unter anderem einem alkoholabhängigen Vater hineingeboren wurde, und die die meiste Zeit ihrer Kindheit zugunsten ihrer älteren Brüder ignoriert wurde.
Erst, als man ihr musikalisches Talent erkannte und sie zum erfolgreichen Kinder- und Teeniestar hochputschte, gab es ein bisschen Anerkennung und Aufmerksamkeit. Aber hier ist die Geschichte natürlich nicht zu Ende, und es gibt wie alle Welt weiß auch kein Happy End: Ihr eigenes Leben wird schnell zum Alptraum für die junge Pop-Sängerin. Als Eier legende Wollmilchsau wird sie von Familie, Industrie und ihrem sozialen Umfeld (genauer gesagt: Männern) benutzt, ausgenutzt und missbräuchlich behandelt. Als sie verständlicherweise darunter psychisch zusammenbricht, wird das perfide als Gelegenheit genutzt, um sie unter besagte Vormundschaft zu stellen und u.a. über ein Jahrzehnt lang gegen ihren Willen mit Medikamenten zu behandeln und zu isolieren. Zur Arbeit im Pop-Business schickt man sie aber weiter gern, um sie finanziell auszunutzen.
Spears, das wird deutlich, wird von ihren Nächsten jahrelang wie eine Weihnachtsgans ausgenommen – ein feierliches Leben ist für sie allerdings nicht vorgesehen. Physisch, psychisch und finanziell wird sie missbraucht, ihr jegliche Autonomie versagt – erschreckenderweise in einem Gefüge, in dem sehr viele Menschen daran beteiligt gewesen sein müssen, sich an dem Produkt Spears zu bereichern und dieses regelmäßig in die Welt rollen zu lassen.
»Eine von uns«
Noch erschreckender aber ist, dass sich genau diese Lebensgeschichte wie etwas liest, das so und in vielen Nuancen anderen Frauen genauso zustoßen kann – nur in anderer Gehaltsklasse und fernab der Weltöffentlichkeit. Egoistische und unloyale Expartner, existentielle Nöte, beruflicher Stress, Sorge um das Sorgerecht für die eigenen Kinder, zur »Hysterikerin« erklärt werden, wenn der Druck zu groß wird: Es gibt viele Stellen in den Spears-Memoiren, an denen man erkennt, das vieles von dem, was Spears widerfahren ist, keine wilden Kuriositäten sind, sondern Ungerechtigkeiten, die viele Frauen betreffen können. Hinzu kommen die Schäden, die die ständige und oft auch grausame Medienberichterstattung über die Jahre anrichteten.
Dadurch, dass »The Woman in Me« sich stellenweise wie ein Tagebuch liest, das nur die wichtigsten Episoden eines ereignisreichen und insgesamt traurigen Lebens anreißt, fühlt man sich der Figur Spears noch näher: Sie ist »eine von uns«, die aber aufgrund ihres Sonderstatus als Star nochmal schwerer daran zu knapsen hatte, in dieser misogynen Welt erwachsen und eigenständig werden zu dürfen. An keiner Stelle fragt man sich, warum Spears trotz ihrer Kontakte, ihres Talents und ihres Reichtums nicht die Agency hatte, sich aus den unterdrückenden Fängen, denen sie so lange ausgesetzt war, zu befreien: Auf dieser Welt zu sein, wo man als Frau oder weiblich gelesene Person nicht für sich selbst, sondern in erster Linie für andere existieren soll, ist quasi ein sexistisches Universalschicksal.
Wie viele solcher Einblicke müssen Frauen liefern, um als Opfer sexistischer Strukturen ernstgenommen zu werden?
Und hier kommt aber auch das schale Geschmäckle wieder auf. Spears, deren Karriere als Sängerin immer wieder mit Klatsch und Tratsch überschattet wurde, hat liefern müssen, was man von ihr erwartet: Aufrichtige und mitreißende Memoiren, die die Leser*innen begierig verschlingen können, um zu erfahren, wie die Triade aus patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, Kapitalismus und männlichem Besitz- und Anspruchsdenken mal wieder fast das Leben einer Frau komplett zerstört hätten. Die Vermächtnisse dieser popkulturellen Biografie-Erzählungen werfen natürlich wesentliche Fragen darüber auf, wie wir als Gesellschaft Frauen im Rampenlicht sowohl konstruiert als auch konsumiert haben.
Neue Erwartungshaltungen
Gleichzeitig aber wird somit eine neue Erwartungshaltung genährt: dass man Frauen, die sich in der Öffentlichkeit bewegen, abverlangen kann, ihr Innerstes nach außen zu kehren. Dennoch, wer sich einen guten Überblick über den Sexismus moderner Gesellschaften ab Beginn der 1990er Jahre bis heute verschaffen möchte, ist gut bedient, einfach einen Blick in die Memoiren weiblicher Prominenter der letzten Jahre zu werfen. Die Frage ist nur: Wie viele solcher Einblicke müssen Frauen liefern, um als Opfer sexistischer Strukturen ernstgenommen zu werden?
Dass sich die Zeiten mitnichten geändert haben, kann man ebenfalls anmäkeln: Zwar beteuert man immer wieder die Wichtigkeit des #metoo-Zeitalters und wähnt sich in besseren Zeiten, aber globale Angriffe auf prominente Frauen wie Amber Heard haben in den letzten Jahren gezeigt, dass zwar heute einiges anders, aber immer noch ekelhaft sexistisch ist. Das Gute ist jedoch: Man weiß, dass Spears schon so viel durchgemacht hat, dass sie wahrscheinlich auch verkraften wird, dass Menschen sich weiterhin an ihrer traurigen Geschichte ergötzen werden. Dass sie auf mediale und öffentliche Reue nicht angewiesen ist, hat sie mehrfach betont – und nun einfach das Business zu ihren Bedingungen weiter angekurbelt. Und allein das ist der größte Triumph.