analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 712 | Geschichte

Kommunismus und Karneval

Claudia Jones machte die US-Linke feministischer und die karibische Kultur in London bekannt

Von Paul Dziedzic und Johannes Tesfai

Claudia Jones spricht vor einem Publikum in ein Mikrofon. Im Hintergrund die amerikanische Flagge.
Claudia Jones scheute nicht die Konfrontation mit dem Establishment der Kommunistischen Partei. Foto: People’s World Arhive

Die meisten Besucher*innen der National Portrait Gallery wollen Shakespeare sehen. In dem altehrwürdigen Londoner Museum hängt aber auch ein Bild von Claudia Jones. Dort sitzt sie vor einer Schreibmaschine, das Ohr am Telefon. Neben ihr liegt eine Ausgabe der West Indian Gazette, der ersten großen Schwarzen Zeitung des Vereinigten Königreichs, ihrer Zeitung. Doch wie wurde die Schwarze Kommunistin und Feministin Teil des britischen Nationalinventars?

Geboren 1915 als Kolonialsubjekt unter britischer Herrschaft auf Trinidad, schien es sehr unwahrscheinlich, dass Jones einmal in die Geschichtsbücher eingehen würde. Als sie neun Jahre alt war, wanderten ihre Eltern mit ihr in die USA aus. Aus einer armen und vor allem Schwarzen Familie kommend, blieb ihr höhere Bildung verwehrt. Sie arbeitete im New Yorker Stadtteil Harlem in einer Wäscherei. Der Fall der Scottsboro Boys, neun Schwarze Jugendliche, über die in den USA in einer Art Schauprozess die Todesstrafe verhängt, aber später wieder aufgehoben wurde, und der Angriff des faschistischen Italiens auf Abessinien (ak 690) politisierten die junge Schwarze Arbeiterin. Sie wurde Mitglied der Communist Party USA (CPUSA) und deren Jugendorganisation Young Communist League (YCL). Schnell machte sie sich einen Namen in der Partei. Sie organisierte Kundgebungen und fing an, für die Parteipresse zu schreiben. Beim Daily Worker, der Tageszeitung der CPUSA, wurde sie 1937 Redakteurin.

Neue Zielgruppe

In der kommunistischen Bewegung der USA wurde sie zu einer der wenigen, die Sexismus und Rassismus in der linken Politik mitdachten. In ihrer Position als Leiterin des Frauenausschusses der CPUSA war sie bemüht, die Lage der Schwarzen in das Zentrum der Parteiarbeit zu rücken. 1949 veröffentlichte sie einen bis heute bemerkenswerten Aufsatz in der Theoriezeitschrift der kommunistischen, Public Affairs. In dem Aufsatz argumentierte sie, dass Schwarze Frauen in den USA besonders unterdrückt waren: Von Repression durch die rassistischen Jim-Crow-Gesetze bedroht, zur Hausarbeit in der Familie verpflichtet und als Teil des Niedriglohn-Proletariats in Armut gehalten. Jones’ Aufsatz analysierte schon damals die verhängnisvolle Unterdrückung Schwarzer Arbeiter*innen, die mit dem Begriff Intersektionalität vierzig Jahre später Einzug in die politischen Bewegungen und Sozialwissenschaften hielt.

Jones’ Lösung war eine Politik, die die Schwarzen Frauen als Zielgruppe der Kommunist*innen in den USA ausmachte. Vor allem stritt sie dafür, dass die CPUSA Schwarze Frauen als Aktivistinnen und zukünftige Kaderinnen umwarb, deshalb griff sie das weiße, männliche Establishment der Partei scharf an. Zwischen 1947 und 1952 reiste sie quer durch die USA, rekrutierte neue Mitglieder und verband Feminismus und Friedenspolitik, mobilisierte insbesondere gegen den Koreakrieg.

Jones’ Lösung war eine Politik, die Schwarze Frauen als Zielgruppe der Kommunist*innen ausmachte.

Mit auf Tour waren die Sicherheitsbehörden, die es während der antikommunistischen Repressionen Anfang der 1950er Jahre besonders auf Mitglieder der CPUSA abgesehen hatten. Zwischen 1951 und 1955 wurde Jones dreimal festgenommen. Es gibt ein Bild aus dieser Zeit, das sie mit drei Genossinnen hinten in einem Polizeitransporter zeigt und wie sie unbeeindruckt vom Prozedere kämpferisch in die Kamera lächeln. 1955 wurde Jones für ihre Rede »Internationaler Frauentag und der Kampf für den Frieden« vom 8. März 1950 zu neun Monaten Haft verurteilt.

Nach ihrer Entlassung wurde sie, die aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei keine US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, nach Großbritannien abgeschoben. Eine Abschiebung in ihr Geburtsland Trinidad und Tobago war zuvor gescheitert, der britische Gouverneur der Kolonie vermutete in ihr eine Unruhestifterin. Nach dem Verfahren sagte sie: »Ich wurde abgeschoben, weil ich mich gegen die rassistische Diskriminierung von 16 Millionen Schwarzen Amerikaner*innen wehrte, mich für die Beseitigung dieser Missstände und für die Einheit von schwarzen und weißen Arbeiter*innen einsetzte.« Und: »Weil ich auf die Verfolgung von Lynchmördern drängte, statt von Kommunist*innen.«

Jones zog in einer Zeit nach Großbritannien, als die ersten Schwarzen Arbeiter*innen aus der Karibik angeworben wurden. Sie sollten die britische Wirtschaft ankurbeln, Londons durch den Zweiten Weltkrieg zerbombte Infrastruktur wieder aufbauen und im staatlichen Gesundheitsdienst National Health Service (NHS) arbeiten. Die britische Gesellschaft hieß die Migrant*innen nicht willkommen. Sie wohnten in desolaten Vierteln, wo sonst niemand wohnen wollte und zahlten überdurchschnittlich hohe Mieten.

Kultur gegen Rassismus

Die Arbeiter*innen aus der Karibik teilten zwar die Erfahrung unter Kolonialherrschaft geboren zu sein, doch eine organisierte Schwarze Community oder antirassistische politische Diskurse gab es Anfang der 1950er Jahre in London noch nicht. Das änderte vor allem die West Indian Gazette, eine Zeitung, die Claudia Jones 1958 in Brixton gründete. Die Kommunistin und ihre Mitstreiter*innen skandalisierten den Rassismus und die Ausbeutung im Nachkriegs-England, genauso bot das Blatt eine linke und antikoloniale Gegenöffentlichkeit zu weltpolitischen Themen. Es berichtete über die kubanische Revolution, aber auch über die Gewalt der südafrikanischen Apartheid. Die Redaktion entwickelte sich außerdem zu einem wichtigen Anlaufpunkt: Viele Migrant*innen wendeten sich dort hin, um Hilfe im Umgang mit Behörden zu erhalten.

Die Arbeit an der Zeitung machte Jones zu einer öffentlichen Figur. Prominente Politiker*innen aus der Karibik wie der spätere Premierminister Jamaikas, Norman Manley, oder der Historiker und spätere Präsident von Trinidad und Tobago, Eric Williams, gingen bei ihr ein und aus. Sie galt als Stimme der karibischen Community in London.

1958 eskalierte die rassistische Gewalt in London. Im Stadtteil Notting Hill griff ein weißer Mob über mehrere Tage Wohnungen von Schwarzen Arbeiter*innen an. Ein Jahr später wurde der karibische Tischler Kelso Cochrane auf offener Straße von Rassisten erstochen. Jones versuchte, aus der schutzlosen Community in London eine wehrhafte Gemeinschaft zu machen. Sie und einige andere Aktivist*innen veranstalteten im Jahr des Mordes in einer Halle am Londoner Hauptbahnhof den ersten karibischen Karneval des Vereinigten Königreichs. Mit großem Erfolg. Später wechselte der Umzug auf die Straße und änderte seinen Namen: als »Notting Hill Carneval« findet er bis heute im ehemaligen Viertel der karibischen Migrant*innen statt. Wenngleich weniger politisch als in seinen Anfängen, ist daraus heute das zweitgrößte Straßenfest der Welt geworden. Der Notting Hill Carneval ist aus London nicht mehr wegzudenken und mit dessen Image in der Welt eng verknüpft. Durch dieses Fest ist Jones bis heute im Vereinigten Königreich bekannt.

Karneval und West Indian Gazette ließen die karibische Community zusammenwachsen. Ihre Forderungen wurden politischer. Die Auseinandersetzungen um Rassismus, etwa in den 1980er Jahren in Brixton, wurden von Aktivist*innen immer konfrontativ und links stehend geführt. (ak 670)

Jones blieb dabei stets Teil der kommunistischen Bewegung, auch wenn sich ihr Schwerpunkt zum Antirassismus hin verschob. Aber auch in London war sie direkt nach ihrer Ankunft in die Communist Party of Great Britain (CPGB) eingetreten. Ihre Verdienste in den roten Jahrzehnten honorierte die britische Partei. Auf dem Highgate Cemetry liegt Karl Marx begraben. Das eigentliche Grab ist eine unscheinbare Grabplatte, doch die Partei ließ 1954 einen regelrechten Klotz als neues Grabmal errichten. Bis heute besuchen Linke aus aller Welt das pompöse Grab des Begründers des Kommunismus. Als Jones 1964 starb, entschied die CPGB, dass sie links von Marx bestattet werden sollte. Ihre Politik des Feminismus und Antirassismus war in der kommunistischen Bewegung angekommen.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 58 Euro, Sozialpreis 38 Euro) liest du jeden Monat auf 32 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Du kannst ak mit einem Förderabo unterstützen.