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Stadt der Bomben und Blumen

Drei Frauengenerationen in einem Barcelona der Umbrüche: Der katalanische Klassiker »Die Frauen vom Café Núria« von Montserrat Roig erscheint erstmals auf Deutsch

Von Isabella Caldart

Eine lesende Person aus Bronze sitzt auf dem Rand eines Brunnens.
Der Plaça de Montserrat Roig in Santa Coloma de Gramenet. Foto: Enfo / Wikimedia , CC BY-SA 4.0 Deed

1992 gilt gemeinhin als das Jahr, in dem sich Barcelona der Welt zuwandte und zu jener Stadt wurde, die wir kennen: hübsch, kosmopolitisch, überrannt von Tourist*innen. Es war das Jahr der Olympischen Sommerspiele; zuvor hatte man die Stadt gründlich aufpoliert und transformiert, unter anderem die Strandpromenade gebaut. Politisch macht Barcelona heute nur noch von sich sprechen, wenn der Katalonien-Konflikt mal wieder hochkocht. 

Dass die Stadt schon ganz andere, weitaus aufreibendere Zeiten erlebt hat, davon erzählt Montserrat Roig (1946-1991) in »Die Frauen vom Café Núria«. Dieser moderne Klassiker, im katalanischen Original 1972 veröffentlicht und jetzt erstmals auf Deutsch übersetzt, skizziert drei Generationen an Frauen, die Barcelona zu Zeiten der Umbrüche, Unruhen und Umstürze erleben.

Mundeta, ein Spitzname für Ramona, werden diese drei Frauen, Großmutter, Mutter und Tochter, genannt, deren Geschichte abwechselnd erzählt wird. Dass sie denselben Namen tragen, weist auf ein sich durchziehendes Thema in Roigs Roman hin: Auch wenn sich die Umstände für Frauen im Laufe der Jahrzehnte verbessern – die erste Mundeta lebt um die Jahrhundertwende, ihre Tochter zur Zeit der Spanischen Republik und des darauffolgenden Bürgerkriegs in den 1930er Jahren, die letzte ist Studentin Ende der 1960er Jahre – und auch wenn sie sich kleine Freiheiten erkämpft haben, sind alle drei Teil ihrer beengten Umgebung und einer restriktiven Gesellschaft.

Patriarchale Zwänge in Krieg und Diktatur

Diese beengte Umgebung zeigt sich vor allem in ihrem Verhältnis zu Barcelona, einer Stadt, zu der alle drei eine Hassliebe pflegen. Die jüngste Mundeta führt ein selbstbestimmteres Leben als ihre Mutter und Großmutter, kann sich in den Straßen frei bewegen und zumindest teilweise politisch engagieren. Und sie hat ungezwungeneren Sex, aber auch sie ist noch zu jener Zeit zum Ende der Diktatur patriarchalen Zwängen unterworfen. Barcelona ist somit nicht nur ein Möglichkeitsraum für sie, sondern auch eine Art Gefängnis: »Sie brannte darauf, ihrer Welt zu entfliehen, wollte raus aus dieser nebelverhangenen, grauen, schmutzigen Stadt (…) sie musste fliehen, um die Welt als einen vor ihr ausgebreiteten Fächer voller Möglichkeiten zu sehen.« Sie ist weniger als die anderen Mundetas ans Häusliche gebunden (ihrer Großmutter wurde sogar das Lesen verboten, »das Einzige, was mir ein bisschen Spaß macht«, damit sie sich einer »jungen Dame« gemäß verhalte), auf ihr lasten dennoch Rollenerwartungen. »Du bist alt und zugleich ein Kind, aber nie eine erwachsene Frau«, spottet Jordi, einer der Wortführer der Studierendenbewegung, mit dem sie eine Liaison hat.

Barcelona fungiert nicht nur als topographischer, sondern auch als metaphorischer Raum, der die Politisierung und Emanzipierung der Frauen, die in ihm wohnen, bestärkt oder verhindert.

Anders als ihre Tochter ist die Mutter nicht nur gefangen in ihrem bürgerlichen Leben, sie ist vor allem eine apolitische Frau. Weder das Ausrufen der Republik 1931 nach Jahren der Diktatur unter Primo de Rivera interessiert sie, noch scheint sie der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) sonderlich zu betreffen. Das ändert sich erst, als Barcelona im März 1938 bei Luftangriffen bombardiert wird. Die junge Frau macht sich auf den Weg durch zerstörte Straßenzüge, um ihren verschwundenen Mann zu suchen. Dieser Tag, der die eigentliche Handlung rahmt, ist geschildert in Mundetas einfachen Worten, etwa so, als würde sie eine Anekdote erzählen, und erinnert nicht zufällig an den berühmtesten katalanischen Roman »Auf der Plaça del Diamant« von Mercè Rodoreda (1962), der ebenfalls die Zeit zwischen Republik, Bürgerkrieg und Diktatur aus der Sicht einer zunächst naiven jungen Frau erzählt.

Fast schon paradox, dass Mundeta ausgerechnet in diesem Moment der Trümmer und des Todes ein Gefühl von Freiheit empfindet, weil sie sich gänzlich unbeobachtet bewegen kann. Ihre Suche endet in einer Leichenhalle, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem Anarchisten spricht, der sie wenigstens temporär aus ihrem bürgerlichen Alltag reißt und ihr ein Gefühl für ihre Position in der Welt gibt.

Die Stadt als metaphorischer Raum

»Die Frauen vom Café Núria« erzählt von Barcelona im Strudel der politischen Zeiten, zwischen zwei Diktaturen, Krieg und Republik, und davon, wie die Stadt bis zum Ende der Franco-Diktatur (1939-1975) immer nur eine Stadt der Männer war. Sie fungiert somit nicht nur als topographischer, sondern auch als metaphorischer Raum, der die Politisierung und Emanzipierung der Frauen, die in ihm wohnen, bestärkt oder verhindert. Doch trotz der vielen grauen Häuserwände sehen alle Mundetas auch die Schönheit im Detail, oft in Pflanzen und Blumen. Die »mittlere« Mundeta erkennt sogar Barcelona und seine Bewohner*innen darin, »alle vereint in einer beschwingten Mischung aus Glückseligkeit und Resignation«, die Stadt kam ihr »wie eine prachtvolle, geradezu kosmopolitische Blume vor«, die »mehr noch als eine Stadt, das Versprechen einer Stadt« war. Und mit ihr zumindest das Versprechen nach einem freieren Leben, ob nun erfüllt oder nicht.

Es ist schön, dass Kunstmann eine so wichtige Autorin der katalanischen Literatur wiederentdeckt hat. Auch mehr als 50 Jahre nach der Erstpublikation liest sich »Die Frauen vom Café Núria« nicht veraltet. Eine Herausforderung ist die Lektüre stellenweise dennoch, weil Roigs Roman eine gewisse Kenntnis von spanischer und katalanischer Geschichte voraussetzt. Er ist auch ohne dieses Wissen gut verständlich – die patriarchalen Strukturen sind ja universell –, es werden aber die Namen mehrerer Politiker und Revolutionäre erwähnt, die historischen Ereignisse mehr angedeutet als auserzählt, ohne deren Kenntnis dem Text eine tiefere Ebene fehlt. Schade, dass der Kunstmann Verlag hier auf ein Glossar verzichtet hat. »Café Núria« ist Teil einer Trilogie, die anderen beiden Bände, »Zeit der Kirschen« (1977) und »Die violette Stunde« (1980), bereits auf Deutsch veröffentlicht, sind als Neuübersetzungen im Herbst und Frühjahr 2025 geplant – vielleicht diese dann mit Anhang.

Isabella Caldart

ist freie Journalistin und Literaturvermittlerin. Zuletzt erschien von ihr »Nirvana. 100 Seiten« im Reclam Verlag.

Montserrat Roig: Die Frauen vom Café Núria. Antje Kunstmann Verlag, München 2024. 224 Seiten, 24 EUR.