Arbeitskampf in den Gedenkstätten
Freie Mitarbeiter*innen an Erinnerungsorten haben eine hohe intrinsische Motivation – das wird ausgenutzt
Es ist das wohl berühmteste Zitat über die Bedeutung der Erinnerung an den Nationalsozialismus: »Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.« Zugeschrieben wird es wahlweise Primo Levi oder George Santayana, und es ist der Maßstab jeder antifaschistischen Erinnerungsarbeit.
Und es stimmt: Nur die Kenntnis über die Verbrechen des Nationalsozialismus, den Aufstieg der Nazis, das Bewusstsein darüber, dass die deutsche »Volksgemeinschaft« bei Weitem nicht so widerständig war, wie sie gerne von sich behauptet – all dieses Wissen brauchen wir. Während die letzten Jahrzehnte um die Anerkennung von Verantwortung und konkreten Erinnerungsorten gekämpft werden musste, scheint die deutsche »Vergangenheitsbewältigung« mittlerweile anerkannt und exportwürdig. Stets wird bei den regelmäßig auftretenden Konflikten um Antisemitismus und Rassismus auch ein Pflichtbesuch in den Gedenkstätten diskutiert. Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus erscheinen quasi als »Demokratisierungsfabriken«.
Das aktuellste Beispiel ist die wiederkehrende Betonung, wie das Erstarken rechter Strukturen und Diskurse durch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus – als Stichwort seien hier die NS-Vergleiche mit den aktuellen Pandemie-Maßnahmen genannt – verhindert oder abgemildert werden sollen. Dafür braucht es gut geschultes Personal, das sich diesen erstarkenden Tendenzen fundiert gegenüberstellen kann. An Gedenkstätten sind es die freiberuflichen Guides, die den Besuchenden eine Auseinandersetzung mit dem Ort ermöglichen. Und hier ergibt sich ein Problem: Es existiert ein Gefälle zwischen Anspruch an Geschichtsvermittlung in Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus und prekären Arbeitsbedingungen. Anders gesagt, es gibt eine Diskrepanz zwischen Anspruch an und die Umsetzung von Erinnerungsarbeit.
Wer bezahlt die Miete?
Verschiedene Gruppen in mehreren Städten machen darauf aufmerksam, welche große Bedeutung von politischer Seite der Erinnerungsarbeit beigemessen wird und welche nicht gerade kleinen Ansprüche an die geschichtsvermittelnden Personen gestellt werden. Denn eine angemessene Geschichtsvermittlung erfordert eine kontinuierliche Auffrischung des aktuellen Forschungsstandes und neue Vermittlungsmethoden. Dies wird den freien Mitarbeiter*innen jedoch in den seltensten Fällen als Honorar vergütet, sondern als (zusätzliches) Engagement vorausgesetzt.
Hinzu kommt: Die freien Mitarbeiter*innen werden trotz jahrelanger Praxiserfahrung in den meisten Fällen nicht konzeptionell an der Erarbeitung von Inhalten beteiligt. Wollen sie etwas an der Jobsituation ändern, wird nicht selten ihr eigener Idealismus als Argument gegen sie verwendet. Es wird eine intrinsische Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als Argument gegen ihre Forderungen verwendet, da diese wertzuschätzende Ressource durch Entlohnung sicher versiegen würde.
Die Kranken- und Pflegeversicherung nimmt Motivation nicht als Zahlungsmittel an.
Das Paradoxe daran ist: Diese Motivation haben wir! Wenn wir uns anschauen, wer an Gedenkstätten und Erinnerungsorten in Forschung und Vermittlung tätig ist, zeigt sich, dass diese Menschen oftmals seit vielen Jahren mit der Erinnerungsarbeit politisch verbunden sind. Verschiedene Ausbildungen wie Studium und Volontariate, erinnerungspolitischer Aktivismus und jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Thema bilden die Grundlage für die hohe Expertise in der Geschichtsvermittlung.
Aber davon lässt sich eben keine Miete zahlen und kein Einkauf an der Supermarktkasse. Auch die Kranken- und Pflegeversicherung nimmt Motivation nicht als Zahlungsmittel an. So müssen wir freien Mitarbeiter*innen unseren Alltag im anstrengenden Spagat des Prekariats verbringen. Zwischen befristeten Werkverträgen, Honorarverträgen, die im Falle einer Pandemie kein finanzielles Netz ermöglichen, zwischen Teilzeit und der nicht planbaren Hoffnung, auch nächste Woche Rundgänge und Führungen zugeteilt zu bekommen. Dies führt nicht erst seit der Corona-Pandemie – wenngleich durch sie enorm verschärft – dazu, dass durch die prekären Bedingungen Expertise verloren geht, weil die freien Mitarbeiter*innen sich andere Einnahmequellen suchen müssen.
Neue Projekte zur Erinnerungsarbeit hingegen sollen kostenreduzierend sein. Das sieht im Falle von Berlin beispielsweise so aus, dass durch eine Kulturprojekte GmbH die Mitarbeiter*innen aus den Museen schlicht outgesourct wurden. In denselben Museen und Gedenkstätten arbeiten Menschen bei ganz verschiedenen Institutionen und werden darüber gegeneinander ausgespielt.
Organisieren wir uns!
Aber es gibt Hoffnung: In verschiedenen Städten organisieren sich die freien Mitarbeiter*innen von Museen und Gedenkstätten gegen diese prekären Arbeitsbedingungen und gegen das Konkurrenzdenken. So haben sich in Berlin freie Mitarbeiter*innen aus dem Bereich der Geschichtsvermittlung im Netzwerk »Geschichte wird gemacht« zusammengeschlossen. In Hamburg haben die freien Kulturvermittler*innen (Muspaeds) und einige organisierte Guides aus Neuengamme zusammen mit der Gewerkschaft ver.di ein Treffen mit der Kulturbehörde sowie Museums- und Gedenkstättenleiter*innen im Hamburger Raum initiiert. Es soll um die Aushandlung eines »Hamburger Modells« für freie Mitarbeiter*innen gehen. Das »Hamburger Modell« steht für bessere Arbeitsbedingungen für freie Mitarbeiter*innen.
In Dachau konnte der Personalrat nach juristischer Drohung durchsetzen, dass über die Besetzung neuer pädagogischer Stellen gemeinsam mit Personen aus dem Personalrat entschieden wird. Und in Bremen organisieren wir uns am Denkort Bunker Valentin. Die Organisierung steht noch am Anfang, primäres Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen so einzurichten, dass die freien Mitarbeiter*innen davon leben können und die Arbeit planbar und verstetigt wird. Aber auch Forderungen nach mehr Transparenz und Beteiligung an Arbeits- und Erinnerungskonzepten gehören dazu.
Neben konkreten Schritten wie die Aufnahme in die Künstlersozialkasse (KSK) und eine entlastende Regelung zur Umsatzsteuer (die die freien Mitarbeiter*innen bisher selbst zahlen müssen, die Einrichtungen dagegen nicht), fordern die freien Mitarbeiter*innen auch, die bisherige Individualisierung aufzubrechen. Denn mehr Beteiligung und Mitspracherecht sind unerlässliche Bedingungen für eine wertschätzende und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Ein weiteres Ziel der Organisierung der freien Mitarbeiter*innen ist, sich dem freiberuflichen und gesellschaftlichen Konkurrenzdruck zu verweigern und als mehrstimmige Gruppe sichtbar zu werden. Und dies ist nicht nur eine Frage der Anerkennung oder der politischen Haltung. Vielmehr geht es darum, die Notwendigkeit eines neuen Verständnisses politischer Bildung aufzuzeigen, das sowohl nach Innen als auch nach Außen solidarisch und emanzipatorisch agiert. Davon profitiert die politische und historische Erinnerungsarbeit. Und diese brauchen wir für eine Gesellschaft ohne Konkurrenz, Leistungsdruck und verschiedene -ismen!