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|ak 685 | Kultur

Bretter, die die Revolution bedeuten

In den 1920er Jahren erobern proletarische Agitpropgruppen die Massen, und die KPD ändert ihre Einstellung zur Kunst

Von Carina Book

Die Nieter spielen die Szene »Gottgewollte Abhängigkeit« in Anlehnung an ein Gemälde des Künstlers George Grosz, dessen gesellschaftskritische Kunst sich gegen Wirtschaft, Politik, Militär und Klerus richtete. Foto: Ausstellungskatalog »vorwärts - und nicht vergessen«

Der beste Weg, den Rednern eine Zuhörerschaft zu organisieren, besteht in einem Auftritt der Theatergruppe die Nieter. Es ist eine ausgesprochen beliebte linke Theatergruppe unter der Leitung von Gerhard Hinze, einem hervorragenden Schauspieler. Seine Truppe kann Sachverhalte darstellerisch auf eine Art und Weise präsentieren, dass es vielen Leuten leichter fällt, die Geschehnisse in Deutschland zu verstehen«, erinnert sich Werner Stender, der wie seine Brüder schon als Jugendlicher in der Hamburger Arbeiterjugend organisiert und – am Aufbau antifaschistischer Widerstandsgruppen beteiligt war. (1)

In der KPD hatte man bis dato wenig von Kunst und Kultur gehalten. Die bereits seit Anfang der 1920er Jahre existierende »Proletarische Bühne« galt vielen als unproletarisch und massenfern. Doch nach dem Deutschlandbesuch der sowjetischen Agitpropgruppe Blaue Blusen im Oktober 1927 änderte sich die Einstellung zum Theater.

Dazu trug auch die programmatische Rede mit der Parole »Kunst ist Waffe« bei, die der Schriftsteller Friedrich Wolf im April 1928 vor dem Arbeiter-Theater-Bund hielt. Kunst um der Kunst Willen, lehnte er als »Kaviar fürs Volk« ab und stellte die Forderung an Künstler*innen, die gesellschaftlichen Widersprüche in den Mittelpunkt ihres Schaffens zu stellen.

Die Themen für die Kunst zum Zwecke des Klassenkampfes sollten fortan »Arbeitslosenheere, der Mütterselbstmorde und Abtreibungsparagrafen, der Wohnungsnot, Grubenunfälle« sein. Und das, so der Anspruch, jenseits von Plattitüden. Denn die proletarische Kunst könne nur dann Waffe sein, wenn sie mehr künstlerische Qualität anböte, als dass »Es lebe die Weltrevolution! gerufen oder die Internationale gesungen wird, wenn Lenin immer wieder persönlich auf der Bühne erscheint. Das ist höchstens eine ›Walze‹, die gerade den Arbeiter sehr bald langweilt.«

Allerorten gründeten sich proletarische Laientheatergruppen, die schon bald zu einem wichtigen Pfeiler kommunistischer Agitation wurden. Mehr als 300 Agitprop-Gruppen vereinten sich im Arbeiter-Theater-Bund, der unter der Leitung der KPD stand und der allein im Jahr 1929 mehr als 3.000 Aufführungen veranstaltete. Die neuen proletarischen Theatergruppen agierten ganz nach dem Vorbild der Blauen Blusen. Diese versuchten, mit ihrer Bühnenperformance eine Art lebendige Zeitung darzustellen.  

Zum Selbstverständnis des neuen proletarischen Theaters gehörte auch, mit den Spielregeln des traditionellen, bürgerlichen Theaters zu brechen.

Zum Selbstverständnis des neuen proletarischen Theaters gehörte auch, mit den Spielregeln des traditionellen, bürgerlichen Theaters zu brechen, eigene Ausdrucksformen zu entwickeln und über das proletarische Schmierentheater hinauszuwachsen.

Hans Käbnick, der selbst Mitglied der Hamburger Gruppe Die Nieter war und Texte für diese und die Proletarische Bühne verfasste, schrieb in der Hamburger Volkszeitung im Dezember 1928 über den neuen künstlerisch-proletarischen Impetus: »Die Nieter behandeln in kurzen, bildartig, skizzenhaft hingeworfenen ›Nummern‹ die verbunden werden durch das launige Geplauder eines Ansagers, aktuelle Tagesfragen aus den politischen Ereignissen, aus dem Alltagsleben der Werktätigen, aus dem Gewerkschafts-, Partei- und Aufklärungskampf. Sie wollen keine lange ›Entwicklung der Handlung‹ geben, keine dramatischen Dialoge und langatmigen Auftritte …«

Das erste Programm der Nieter enthielt »Nummern«, die sich um den Achtstundentag, den Abtreibungsverbotsparagrafen 218 und den Faschismus drehten. Im zweiten Programm der Nieter trugen die Szenen Titel wie »Der kommende Giftgaskrieg«, »Wohnungselend« oder »Der Hamburger Hafen erwacht«. Es wurde zwischen 1928 und 1930 in 122 Aufführungen etwa 80.000 Zuschauer*innen gezeigt. Die Vorstellungen fanden auch in Großbetrieben statt, sodass es den Nietern gelang tatsächlich auch eine breite Masse an Arbeitern zu erreichen. Allein an der Vorstellung bei Blohm & Voss nahmen 800 Arbeiter teil. (2)

Theater als Mittel gegen die Repression

Der Arbeiter-Theater-Bund fungierte dabei auch als eine Art Tarnorganisation zum Schutz vor Repression, wie sich der Hamburger Kommunist Ernst Stender erinnert: »Viele meiner neuen Freunde treffen sich im Hamburger Arbeitertheater, der dem von der KPD organisierten Arbeiter-Theater-Bund angehört. Für uns ist es eine ausgezeichnete Gelegenheit, uns auszutauschen, ohne dass Behörden unsere Organisation unterwandern oder uns daran hindern, über unser künftiges Vorgehen zu beraten. Franz Jacob gehörte zu den Führungskräften des Widerstands, der häufig an der Arbeiter-Theater-Gruppe beteiligt ist. Es gibt viele wie ihn.«

Die proletarischen Agitpropgruppen des Arbeiter-Theater-Bundes waren regelmäßig mit staatlicher Zensur konfrontiert. Doch gegen die massiven Behinderungen ihrer künstlerisch-subversiven Praxis war bald ein Kraut gewachsen: Die Bühnen, auf denen sie auftraten, waren aus Brettern und Stühlen improvisiert, was ihnen ermöglichte, blitzschnell zu verschwinden und andernorts mit ihrer Darbietung fortzufahren. Ihren letzten Auftritt hatten die Nieter Ende 1932 in Hamburg-Harburg. Bis dahin hatte sich die Gruppe um Spielverbote herumwinden können.

»Als wir ankamen, erklärte uns die Polizei, dass unser Auftritt verboten sei. Da habe ich mit dem betreffenden Polizeileutnant verhandelt und habe ihm Texte gezeigt: harmlosere Gedichte von Tucholsky und Weinert, den ›Roten Feuerwehrmann‹ von Weinert allerdings nicht. Dann sind wir so verblieben: Er wolle sich hinten links in den Saal stellen, die Vorstellung beobachten und den Arm heben. Wenn wir aufhören müssten … Als ich den ›Roten Feuerwehrmann‹ vortrug, habe ich natürlich nur nach rechts geblickt«, erinnert sich Carolus Bernitt, Mitglied der Nieter.

Und so endete der letzte Auftritt der Hamburger Agitpropgruppe mit einer Strophe aus dem Gedicht »Der rote Feuerwehrmann« von Erich Weinert: »Das Zuchthaus brennt! Es brennt die Kaserne! Sprengkapseln ran! Hier krachen Konzerne! Die Menschenschinder an die Laterne! Wir schlagen die alte Welt in Stücke! Und wenn die letzte Zwingburg fällt, dann rauf auf die Trümmer, und ran mit der Picke! Dann bauen wir uns eine neue Welt! Straße frei! Wer fängt hier an? Platz für den roten Feuerwehrmann!«

Anmerkungen:

1) Gertigstraße 56: Drei Brüder im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Hrsg.: Kinder des Widerstands Hamburg.

2) Vorwärts und nicht vergessen: Arbeiterkultur in Hamburg um 1930 : Materialien zur Geschichte der Weimarer Republik, Katalog zur Ausstellung der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.