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|ak 702 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

AGG-G’-Hopping

Von Moritz Assall

Intersektionalität ist die neue Gentrifizierung – zumindest wenn es darum geht, dass komplett unbekannte, komplizierte und zunächst unverständliche Begriffe auf einmal in Debatten auftauchen. Doch während das Wort Gentrifizierung mittlerweile wohl doch erstaunlich vielen Menschen geläufig ist, dürfte die Frage nach Intersektionalität in den Fußballstadien, Kinos oder Wurstbuden Deutschlands wohl eher fragende Blicke ernten.

Dabei hat Intersektionalität als Konzept auch schon einige Jahre auf dem Buckel. Ein zentrales Ereignis war dabei ein Gerichtsverfahren, nämlich das Verfahren »DeGraffeneid gegen General Motors«: 1976 klagten fünf Schwarze Frauen in St. Louis gegen General Motors, ihre ehemalige Arbeitgeberin. Was war geschehen? Bei General Motors hatte es, wie bei anderen Firmen auch, einen gruppenbezogenen Ablauf bei der Einstellung ihrer Arbeiter*innen gegeben. Als erste wurden weiße Männer eingestellt als letzte Schwarze Frauen. Als wiederum bei GM Arbeitsplätze gestrichen wurden, wurde vor allem den angestellten Schwarzen Frauen gekündigt, denn es galt »last hired, first fired«. Obwohl es also ganz offensichtlich kein Zufall war, dass ausgerechnet diese Gruppe so von Kündigungen betroffen war, wurde ihre Klage zurückgewiesen. Das Gericht argumentierte so: Eine rassistische Diskriminierung könne hier nicht vorliegen, denn es arbeiteten schließlich noch andere Schwarze Menschen bei General Motors – zwar Männer, aber Schwarz. Eine sexistische Diskriminierung wiederum könne auch nicht vorliegen, denn es arbeiten schließlich noch Frauen als Sekretärinnen bei GM – zwar weiß, aber Frauen. Eine Diskriminierung Schwarzer Frauen könne also nicht vorliegen, ganz logisch.

Die Juristin Kimberlé Crenshaw beschrieb die Diskriminierungserfahrung der Klägerinnen im Fall DeGraffenheit/GM als »intersection«, also als Kreuzung von Diskriminierungen, die zusammen etwas Neuartiges sei und erfand damit 1989 den Begriff der Intersektionalität. Die Klägerinnen wurden eben nicht als Schwarze oder Frauen marginalisiert – sondern spezifisch als Schwarze Frauen. Zwar ist mit dieser intersektionalen Erkenntnis noch nichts über die materiellen und strukturellen Ursachen dieser Diskriminierung gesagt, auch hat es offensichtlich blinde Stellen. Einen Mehrwert hat das Konzept, soweit man sich dieser Einschränkungen bewusst ist, aber finde ich trotzdem.

Auch im deutschen Recht hat das Konzept der Intersektionalität mittlerweile Eingang gefunden, nämlich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), umgangssprachlich meist Antidiskriminierungsgesetz genannt. Das AGG soll vor Diskriminierungen im Bereich der Lohnarbeit schützen. Seine Stärke hat das Gesetz dadurch, dass (etwas verkürzt gesagt) bei diskriminierendem Verhalten der Kapitalseite die Arbeitgeber*innen einen Schadensersatzanspruch erlangen. Über genau so ein Schadensersatzverfahren hatte kürzlich das Landesarbeitsgericht Hamm zu entscheiden. Ein Jurastudent hatte sich gezielt auf Stellen beworben, die diskriminierend im Sinne des AGG waren. Dabei suchte er speziell auf Ebay Kleinanzeigen, meist nach Stellen im Bereich des Sekretariats. Im vorliegenden Fall erhielt er auf seine Bewerbung keine Antwort; die Stelle wurde entsprechend der Ausschreibung mit einer Frau besetzt.

Der Jurastudent verklagte daraufhin die Firma, da er als Mann diskriminiert worden sei. Dabei kam raus, dass er (wie auch diverse andere) daraus ein Geschäftsmodell gemacht hatten, das sogenannte »AGG-Hopping«, marxistisch formuliert quasi AGG – G’. Der Kläger hatte sich massenhaft auf entsprechende Stellen beworben und bundesweit diverse Gerichtsverfahren angestrengt, wobei er sein Vorgehen immer weiter verfeinert hatte. Das LAG wies seine Klage ab, wobei es zentral auch damit argumentierte, dass er das AGG rechtsmissbräuchlich für den schnellen Euro instrumentalisiert habe. Um Schutz vor Diskriminierung sei es ihm zu keinem Zeitpunkt gegangen. Also ein gutes Urteil, weil einfach eine miese Masche? Oder nicht doch eher ein schlechtes, denn schließlich waren die betreffenden Ausschreibungen ja tatsächlich diskriminierend ausgestaltet, ohne dass dies nun Folgen hat? Irgendwie gibt es keine richtige Antwort. Es ist eine antidiskriminierungsrechtliche Dialektik des Grauens. Ausgefochten vor dem LAG Hamm.

Moritz Assall

ist Jurist und Kriminalsoziologe. Er arbeitet für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.