Adel verpflichtet
Von Moritz Assall
Anfang Juni 1847 befasste sich Friedrich Engels in einem Beitrag für die »Deutsche-Brüsseler-Zeitung« mit dem Untergang des Adels. Es könne, schrieb er, »keinem verständigen Menschen zweifelhaft sein, dass das absolute Königtum in Deutschland (…), auch unter dem Namen ›väterliche Regierung‹ bekannt, trotz allen Sträubens und aller geharnischten Thronreden für immer abgedankt habe«. Engels sah den Sturz des Adels als Muster für kommende gesellschaftliche Veränderungen, nämlich den Klassenkampf. Voller Zuversicht schrieb er, dessen Ausgang könne »nicht zweifelhaft sein«, denn »die Bourgeoisie wird und muss vor dem Proletariat ebenso zu Boden sinken, wie die Aristokratie von der Mittelklasse den Todesstoß erhalten hat«, kurz: »Der Sieg der arbeitenden Klasse macht aller Klassen- und Kastenherrschaft für immer ein Ende.«
Es ist wie es ist: Das hat nicht so ganz hingehauen bislang. Nicht nur die Klassengesellschaft besteht nach wie vor, sogar den Adel gibt es noch – zumindest nach Ansicht vieler Adeliger. In einer jüngeren Entscheidung des Amtsgerichts München wurde über die Klage einer jungen Adeligen aus Baden-Württemberg befunden: Die Adelige hatte sich an eine Partnervermittlung gewandt und einen Partnerschaftsvermittlungsvertrag geschlossen. Sie verpflichtete sich zur Zahlung von 5.000 Euro, dafür wurde ihr zugesichert, im Laufe von drei Monaten mehrere auf ihre Wünsche zugeschnittene »Partner-Exposés« zu präsentieren. Und so kam es dann auch: Sie zahlte und ihr wurden sechs Männer präsentiert, immerhin mit dreien von ihnen kam es zu einem Treffen.
So richtig scheint es aber nicht gefunkt zu haben, denn statt ihrer Liebe erklärte die süddeutsche Adelige die Anfechtung, die Kündigung und den Widerruf des Vertrages. Vor Gericht führte sie aus: Die Leistung der beklagten Vermittlungsagentur sei schlicht unbrauchbar gewesen. Die präsentierten Männer waren eindeutig nicht exklusiv genug. Ihr seien zum Beispiel »ein Arzt, ein Apotheker, ein Makler und ein PC-Instandsetzer« empfohlen worden, dies seien »lediglich Herren aus einer gutbürgerlichen Schicht«, die nicht wie beworben der Exklusivität der »gehobenen Gesellschaftsschicht« entsprächen. B-Ware statt Traumprinzen, amouröser Todesstoß durch Mittelklasse! Nur so ein paar lottrige Ärzte und Apotheker, wer soll sich da bitte verlieben? Und es kam sogar noch schlimmer. Einen der vorgeschlagenen Männer musste sie sogar ablehnen, weil ihr seine Nationalität nicht gefiel und seine Eltern – Schockschwerenot – Arbeiter*innen waren. Richtige Arbeiter*innen, aus dem Arbeiter*innenmilieu, so mit Ware Arbeitskraft ans Kapital verkaufen, echter Schmuddelkind-Alarm also! Klarer Fall: Mangel im Rechtssinne, Schlechtleistung, Vertragsbruch, vielleicht auch eine arglistige Täuschung. Und könnte es nicht sogar sittenwidrig sein, ihr so einen Malocherzögling andrehen zu wollen?
Auch dies wurde vom Amtsgericht München geprüft, allerdings mit aus Sicht der adligen Klägerin ungünstigem Ergebnis, denn ihre Klage wurde abgewiesen. Beim »PC-Instandsetzer« war sich das Gericht soziographisch wohl nicht so ganz sicher und das Arbeiter*innenkind, gut, naja. Aber »zumindest zwei der vorgeschlagenen Männer waren Akademiker (Arzt, Apotheker), dies entspricht einer gehobenen und gut verdienenden Gesellschaftsschicht« stellte es im Urteil nüchtern fest. Mehr Exklusivität sei vertraglich nicht geschuldet gewesen. Also kein Mangel, keine Schlechtleistung und keine Rückzahlungsansprüche. Die adlige Klägerin, die beruflich laut Urteil unter anderem »einen Bestand an eigenen Immobilien« verwaltet, wird der Verlust des Geldes wohl nicht so hart getroffen haben. Den als Mittelklasse verschmähten Männern mag ein Aphorismus von Adorno vielleicht Trost spenden. In der Minima Moralia schrieb er: »Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.« Oder ein Gerichtsverfahren wegen Schlechtleistung.