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25 Jahre Transgender Day of Remembrance

Am 20. November erinnern Aktivist*innen weltweit an Opfer transfeindlicher Gewalt. Der Kampf für Selbstbestimmung und Gerechtigkeit sollte nicht nur Sache der Betroffenen sein

Von Quinn Fuchs

Eine leuchtende Stabkerze vor einer Mauer, an der unter anderem eine Trans-Pride-Flagge hängt.
Der Transgender Day of Remembrance ist auch für Nicht-Betroffene ein Anlass, um über solidarische Handlungsmöglichkeiten zu reflektieren. Foto: Ted Eytan / Flickr, CC BY-SA 2.0

Nach den Ermordungen der Schwarzen trans* Frauen Chanelle Picket und Rita Hester in den USA Mitte der 1990er-Jahre initiierten Gwendolyn Ann Smith, Nancy Nangeroni und Jahaira de Alto den Transgender Day of Remembrance. Am 20. November wird dieser Gedenktag für die Opfer von Transfeindlichkeit zum 25. Mal begangen. Der Tag macht auf transfeindliche Gewalt aufmerksam und schließt an die Transgender Awareness Week an. Gemeinschaftlich an die Verstorbenen zu erinnern und sich den Ursachen ihrer Tode bewusst zu sein, ist ein politischer Akt. Denn Gewalttaten an trans* Menschen sind keine Einzelfälle, sondern Teil des patriarchalen Systems.

Am 20. November wird den Verstorbenen gedacht, doch die Gewalt beginnt nicht erst bei physischen Angriffen. Diskriminierende Gesetze und Strukturen, oder tägliche Mikroaggressionen, also Formen von Gewalt, die trans* Personen jeden Tag erleben oder zumindest befürchten müssen, wie die Verwendung der falschen Pronomen oder des falschen Namens, die Aberkennung des eigenen Geschlechts, die Pathologisierung der Geschlechtsidentität und schlechtere Bedingungen am Arbeitsplatz oder in verschiedensten Gemeinschaften, gehen der physischen Gewalt meist voraus. Solch ein Dauerzustand an täglichen Diskriminierungen führt zu chronischem Stress, erhöhten Fallzahlen psychischer Erkrankungen und allgemein schlechteren Lebensbedingungen für trans* Menschen. Diese Faktoren sorgen für eine erhöhte Suizidrate unter trans* Personen, weshalb Organisationen zum Gedenktag auch Suizide auflisten.

Die Zahlen für den Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 2023 und dem 30. September 2024 belaufen sich laut der offiziellen Webseite des »Transgender Day of Remembrance« insgesamt auf 411 Todesfälle weltweit. In Deutschland werden derartige Statistiken unter dem Themenfeld »Geschlechtliche Diversität« im Rahmen von Hasskriminalität seit dem Jahr 2021 geführt. Laut Zahlen des Bundesinnenministeriums (BMI) kam es 2022 zu 417 dokumentierten Fällen, davon 82 Gewalttaten, Tendenz steigend.

Ausgrenzung und Mehrfachdiskriminierung

Die Dunkelziffern sind für alle Quellen schwierig abzuschätzen, häufig wegen mangelnder Berichterstattung, nicht angezeigter Gewalttaten oder unzugänglichen Unterstützungsangeboten für Betroffene. Die Polizei oder auch Frauenhäuser schließen trans* Menschen aus und erkennen ihre Identität und Erfahrungen nicht an. Die Institutionen werden somit zum Teil der Gewalt und setzen diese fort.

Auffallend ist bereits im Rahmen der spärlichen Datenlage, dass mehrfach diskriminierte Menschen häufiger Gewalt erfahren. Sie erleben die jeweiligen Unterdrückungsformen nicht separat voneinander, vielmehr ergeben sich aus der Kombination weitere Formen der Diskriminierung. Laut der Organisation »Trans Murder Monitoring« waren 2023 94 Prozent der weltweit durch transfeindliche Gewalt Verstorbenen transfeminine Personen, 80 Prozent waren von Rassismus betroffen, die Hälfte waren Sexarbeiter*innen. Mehrfach diskriminierte trans* Menschen sind selbst in der queeren Community nicht zwingend sicher, denn auch dort kann Gewalt, egal welcher Form, reproduziert werden.

Es ist schmerzhaft, weiterzukämpfen. Aber notwendig, damit an verstorbene trans* Personen erinnert wird und um solidarisch gegen Transfeindlichkeit einzustehen.

Die hohe Zahl betroffener transfemininer Menschen lässt sich durch Transmisogynie erklären. Dieser Begriff beschreibt die spezifische Diskriminierung, die transweibliche Personen erfahren. Erschwertes Passing, also als trans* Frau auch als Frau gelesen zu werden, mangelnde Übernahme geschlechtsangleichender Maßnahmen durch Krankenkassen, dadurch entstehende erhöhte private Kosten, diskriminierende Verhältnisse an Arbeitsplätzen und bei Bewerbungsgesprächen, sowie eine höhere psychische Belastung im Alltag sind nur einige Beispiele, in denen sich Transfeindlichkeit, Sexismus, Klassismus und Ableismus zu spezifischer Transmisogynie verschränken. Dies erklärt die transweibliche Rapperin und Autorin FaulenzA in ihrem Buch »Support your sisters not your cisters« ausführlich.

Trauern ist politisch

In Deutschland wurde für das letzte Jahr kein Mord oder Suizid auf der Website des »Trans Day of Remembrance« verzeichnet. Für 2022 und 2021 jeweils zwei, darunter Malte C., der 2022 durch einen Angriff beim CSD in Münster starb. Obwohl Deutschland für queere Menschen als eines der sichersten Länder der Welt gilt, gibt es auch hier transfeindliche Gewalt. Das neue Selbstbestimmungsgesetz schließt intersektionale Diskriminierungen ebenfalls nicht mit ein. Verweise auf das Hausrecht ermöglichen es Veranstaltenden, trans* Personen auch nach der Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes nach eigenem Ermessen rauszuschmeißen. Ein Schleichweg, der unter anderem rechtfertigt, trans* Frauen aus sogenannten Frauenräumen auszuschließen und dementsprechend transmisogynen Handlungen weiterhin eine legale Grundlage gibt. Zusätzlich ermöglicht das Selbstbestimmungsgesetz Asylsuchenden nicht, zeitnah ihren Namen oder Personenstand zu ändern, wodurch geflüchtete trans* Menschen zusätzlich diskriminiert werden. Ganz abgesehen von den generellen bürokratischen Hürden, inklusive Warte- und Bedenkzeiten, die zeigen, dass der deutsche Staat trans* und/oder nicht-binären Menschen immer noch nicht die Definitionsmacht über das eigene (soziale) Geschlecht zugesteht. In den großen Umbrüchen dieser Zeit muss ebenfalls betont werden, dass trans* Menschen eine vulnerable Gruppe darstellen, die von etwaigen Krisen, unter anderem Kriegen, Umweltkatastrophen oder rechter Politik, stärker betroffen sind.

Weltweit werden am 20. November Menschen zusammenkommen, um den Opfern transfeindlicher Gewalt zu gedenken, besonders denen des letzten Jahres. Zu trauern ist politisch, insbesondere wenn queere Menschen sich versammeln, gedenken, Zeit und Räume einfordern. Die Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen werden zu Orten der gegenseitigen Unterstützung und Solidarität. Dieser Gedenktag ist unangenehm – für die Community und die Dominanzgesellschaft. Er adressiert Transfeindlichkeit, Rassismus, Diskriminierung von Sexarbeiter*innen, Sexismus, Klassismus, Ableismus und Transmisogynie. Er rattert Namenslisten runter und erweitert die Tabellen um Spalten, die im nächsten Jahr befüllt werden.

Es ist unumgänglich, sich der eigenen Betroffenheiten bewusst zu werden, denn Diskriminierung ist nicht allein das Problem der jeweils marginalisierten Gruppe. Die Verantwortung für stattfindende Diskriminierung liegt bei der gesamten Gesellschaft, auch und insbesondere den Menschen, die diese Diskriminierung nicht selbst erfahren. Der Gedenktag für die Opfer von Transfeindlichkeit ist ein guter Anlass, um sich Gedanken über das eigene solidarische Handeln zu machen, sowohl für privilegiertere trans* und queere Personen als auch für cis Menschen, die nicht betroffen sind. Es ist schmerzhaft, weiterzukämpfen, aber notwendig: Damit an verstorbene trans* Personen erinnert wird, damit trans* Menschen die Sicherheit haben, dass an sie erinnert wird, und um gemeinsam, als trans*, nicht-binäre und queere Menschen, zusammen mit Allies, solidarisch gegen Transfeindlichkeit einzustehen. Am Gedenktag für die Opfer von Transfeindlichkeit kann das bedeuten, Kerzen anzuzünden, Todesanzeigen in den Händen zu halten und kollektiv zu trauern.

Quinn Fuchs

(Pronomen: hen) schreibt queer und aktivistisch.

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