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Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak Sonderheft Ukraine-Krieg

Editorial

Von ak-Redaktion

Als die russische Armee am 24. Februar in die Ukraine einfiel, war der Schock groß. Auf einen neuen Krieg in Europa mit Potenzial zum internationalen – vielleicht mit Atomwaffen ausgetragenen – Großkrieg war kaum jemand vorbereitet. Für Millionen Menschen in der Ukraine war die Invasion eine unmittelbare Katastrophe. Sie mussten fliehen oder leben nun in Angst vor Raketenangriffen und Besatzung. In Europa gingen Hunderttausende auf die Straße, auch in Russland gab es Proteste, die jedoch schnell niedergeschlagen wurden. Die Bundesregierung legte das größte Aufrüstungspaket der deutschen Nachkriegsgeschichte auf; »der Westen« setzte die umfangreichsten Wirtschaftssanktionen in Gang, die je gegen ein Land verhängt wurden, und schickte Waffen in die Ukraine; die Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Energieträgern aus Russland wurde vom Thema für Spezialist*innen zur täglichen Nachrichtenmeldung.

Für die Linke läutete der Angriff eine Phase großer Verwirrung ein. Zunächst forderte er das Imperialismusverständnis heraus: Was tun, wenn nicht die USA oder die Nato-Staaten der Aggressor sind, sondern ein erklärter Gegner des westlichen Imperiums? Was heißt es für internationalistische Politik, wenn Linke in der Ukraine wie in Russland den militärischen Widerstand gegen die Invasion gutheißen oder sogar Waffen fordern, die die Nato-Staaten nur zu gerne liefern? Was ist die Aufgabe der Linken, wenn das wirtschaftliche Ringen des Westens mit Russland nicht nur die russische Wirtschaft trifft, sondern auch hierzulande zu rasant steigenden Preisen führt – oder zur Verschärfung der globalen Ernährungskrise?

In ak suchen wir seit Februar Antworten auf diese Fragen. Dabei war eine Herausforderung, dass wir uns in den Debatten der osteuropäischen Linken bislang kaum auskannten, eine Wissenslücke, die wir mit vielen Linken in Westeuropa teilen. Für unsere Märzausgabe, die erste ak-Ausgabe nach Beginn des Krieges, haben wir einige Leitplanken für die Berichterstattung formuliert:

»Erstens: Das Entsetzen darüber, dass es ›heute wieder‹ Krieg gibt, ist geheuchelt. Scheinheilig ist es, EU und Nato als Friedensprojekte rehabilitieren zu wollen. Doch der Verweis darauf ersetzt nicht die Auseinandersetzung damit, welche Rolle Russland in Osteuropa, Zentralasien oder in Nord- oder Westafrika spielt und welche Interessen dort auch mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden. Zweitens: Wir sehen es als eine der dringendsten Aufgaben für Linke in Deutschland an, dagegen aktiv zu werden, dass dieses Land zu neuer militärischer Macht kommt, dagegen, dass im Windschatten dieses Krieges Nationalismus und Militarismus erstarken, dass ein erinnerungspolitischer Schlussstrich gezogen wird, wie ihn die AfD nie erreichen wird. Ein mächtiges Deutschland hat noch nie etwas Gutes über die Welt gebracht. Dabei ist die ›Geburt des neuen Deutschlands‹ (Die Welt) als Teil einer ›Souverän-Werdung‹ der EU zu begreifen, zu der konsequenterweise auch jener Rassismus gehört, der in den vergangenen Jahren Tausende Menschen vor den Toren der EU das Leben gekostet hat.

Drittens: Es kommt jetzt darauf an, den drohenden Sozialabbau, den mit der Militarisierung verbundenen Klassenkampf von oben, die Beschneidung von Arbeiter*innenrechten sowie die Superausbeutung von nach Deutschland geflüchteten Ukrainer*innen zu verhindern. Viertens und besonders wichtig: Wir sehen es als Aufgabe von Linken, besonders als linke Zeitung, Genoss*innen aus der Ukraine und Osteuropa ein Forum zu geben und uns mit ihren Forderungen auseinanderzusetzen, die der Krieg ihnen aufzwingt – auch wenn sie unsere politischen Positionen herausfordern. Unsere Unterstützung brauchen zudem dringend diejenigen Genoss*innen, die in Russland unter widrigsten Bedingungen gegen den Krieg auf die Straße gehen und sich organisieren.«

Mit diesen Überlegungen im Hinterkopf haben wir in den letzten Monaten gearbeitet. Sie waren auch ein Grund dafür, dass ak-Redakteur*innen im Mai an einer internationalen Delegationsreise zu ukrainischen Linken nach Lwiw teilgenommen haben. Den Bericht hierüber aus ak 682 dokumentieren wir zum Einstieg ins Heft, weil er unsere Suche nach Antworten Stand Mai 2022 gut zusammenfasst. Auf den daran anschließenden Seiten finden sich Stimmen aus der russischen Antikriegsbewegung, Beiträge zur russischen und ukrainischen Geschichte, Auseinandersetzungen mit deutscher Aufrüstung und Vergangenheitspolitik im Windschatten des Krieges und Beiträge zur Diskussion über einen neuen Internationalismus von unten. Natürlich haben es auch viele lesenswerte Artikel und Diskussionsbeiträge nicht in dieses Sonderheft geschafft. Ihr findet sie weiterhin auf www.akweb.de. Wir wünschen eine anregende Lektüre.