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Zwei in eins?

Im Nahostkonflikt halten viele an der Zweistaatenlösung fest – dabei wurden schon immer Alternativen formuliert

Von Johannes Tesfai

Drei Männer, die beiden linken mit Hemd, der rechte in Uniform und Kufiya gehen gemeinsam, der in der Mitte legt seine Hände auf die Schultern der anderen. Im Hintergrund Wald.
Die Verhandlungen hatten immer nur ein Ziel: zwei Staaten. PLO-Chef Jassir Arafat, Israels Premier Ehud Barak mit Bill Clinton im Jahr 2000 im Camp David. Foto: gemeinfrei

Norwegen, Spanien und Irland betraten im Mai dieses Jahres Neuland. Als erste Staaten aus Nord- und Westeuropa erkannten die drei Länder Palästina als Staat an. 140 andere Staaten, zumeist aus dem Globalen Süden, hatten das zuvor schon gemacht. Dessen ungeachtet scheint nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 und dem folgenden Krieg im Gazastreifen ein unabhängiges Palästina unwahrscheinlicher als je zuvor. Die Zweistaatenlösung wird zwar von vielen Ländern, darunter Deutschland, nach wie vor offiziell als Ziel formuliert, sie ist bis heute die beliebteste Option für den Nahen Osten auf dem diplomatischen Parkett, doch ihre Umsetzung ist utopisch geworden. Und wie sieht es mit den Alternativen aus? Viele scheinen nahezu in Vergessenheit geraten. Dabei gab es in der Geschichte des sogenannten Nahostkonflikts immer wieder Konzepte und Überlegungen, um seine Befriedung zu erreichen – auch jenseits der Zweistaatenlösung.

Bereits als Palästina Teil des Osmanischen Reiches war, wanderten immer mehr Juden*Jüdinnen aus Europa dorthin aus. Sie flohen vor dem in Europa herrschenden Antisemitismus und/oder waren von der Idee des Zionismus begeistert, der eine Besiedlung des Landes versprach. Nach dem Ende des Osmanischen Reiches verwaltete die britische Kolonialmacht das Gebiet als Mandat des Völkerbundes; aufgrund der Shoah wuchs die Zahl der jüdischen Einwander*innen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie und arabisch-nationalistische Gruppen gerieten zunehmend mit dem britischen Militär, aber auch untereinander in Konflikt. Seitdem stehen sich eine zionistische Nationalbewegung und eine arabische Unabhängigkeitsbewegung gegenüber. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und auch aufgrund dieser politischen Spannungen beantragte die britische Kolonialmacht bei den Vereinten Nationen ein Ende ihres Mandats. Daraufhin erarbeiteten die UN einen Teilungsplan. Er ist bis heute eine vielzitierte Landkarte, mit der politisch über mögliche Lösungen des Konflikts diskutiert wird.


Zu oft geht es um religiöse Teilhabe, zu wenig um Bürger *innenrechte, Zugang zu Land oder Fragen der Gewalt.

Die zionistische Bewegung schuf 1948 schnell Fakten und rief den Staat Israel aus, im Zuge dieser Staatsgründung wurden bis zu 700.000 Palästinenser*innen vertrieben. Sie flohen in die heutigen sogenannten Palästinensergebiete oder die Nachbarstaaten. Der heutige Gazastreifen geriet unter ägyptische Kontrolle, während das Westjordanland von Jordanien besetzt und annektiert wurde. In diesen Gebieten blieb eine palästinensische Bevölkerung zurück. Zugleich verblieben einige Palästinenser*innen auf israelischem Staatsgebiet.

Besatzungsmacht

Der Sechstagekrieg im Juni 1967 veränderte die Karte des Nahen Ostens nachhaltig. Israel wurde zur Besatzungsmacht, als der Gazastreifen und das Westjordanland unter seine Kontrolle fielen. Die globale Revolte um 1968 machte auch vor der umkämpften Region nicht Halt. Eine Gruppe, Matzpen, meldete sich bereits kurz vor dem Krieg zu Wort. Sie bestand aus jungen Israelis, die sich als antizionistisch verstanden und damit nicht Teil des breiten gesellschaftlichen Konsenses in Israel waren. In ihrem Pamphlet rief Matzpen zu einer linken Wende in der israelischen Arbeiter*innenschaft auf, gleichzeitig suchten sie den Schulterschluss mit der arabischen Arbeiter*innenklasse und verteufelten die arabischen Staatschefs ebenso wie die israelische Führung. Ihr Text wurde von einer arabischen Gruppe mitverfasst, die nach eigenen Angaben klandestin von Jordanien aus arbeitete. Das Programm von Matzpen war eine Einstaatenlösung, bei der das gesamte Gebiet von Israel und Palästina in einen sozialistischen Staat überführt werden sollte. Die jüdische Bevölkerung sollte als autochthone Bevölkerung akzeptiert und Teil einer arabischen Aufstandsbewegung werden, die dieses Ziel verwirklichen sollte.

Mit der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) verband Matzpen eine inhaltliche Übereinstimmung: Die DFLP suchte im Gegensatz zu anderen palästinensischen Gruppen nach eigenen Angaben das Bündnis mit der israelischen Arbeiter*innenklasse und sie trat auch in regen Austausch mit Matzpen, beispielsweise über die sozialistische Einstaatenlösung. Im Unterschied zu anderen palästinensischen Gruppen verurteilte die DFLP die Praxis der Flugzeugentführungen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), von der sie sich 1969 abgespalten hatte. Bei einigen Aktionen nahm die DFLP allerdings selbst Geiseln. Auch bei dem Massaker am 7. Oktober war der bewaffnete Arm der DFLP aufseiten der Hamas dabei.

Matzpen hingegen löste sich im Laufe der 1980er Jahre auf; 1987 begann die Erste Intifada. Für die Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) kam dieser Aufstand sehr unerwartet. Die PLO versammelte damals alle relevanten Gruppen der palästinensischen Politik hinter sich und gilt bis heute als ihr internationales Sprachrohr. 1988 rief der PLO-Anführer Jassir Arafat den palästinensischen Staat aus. Implizit erkannte die PLO damit Israel an, weil die gewünschte Grenze sich auf den UN-Teilungsplan berief und in der Unabhängigkeitserklärung Bezüge zu mehreren UN-Resolutionen zu finden waren, die eine Zweistaatenlösung anmahnten. Das israelische Militär zog jedoch nicht aus den besetzten Gebieten ab. Zudem wurden immer mehr Siedlungen errichtet, eine Praxis, die die israelische Regierung ab 1967 duldete oder beförderte.

Weg von zwei Staaten

Im Jahr 2000 brach die Zweite Intifada aus. Sie war im Gegensatz zum eher unorganisierten Aufstand der Ersten Intifada weitaus blutiger. Die islamistische Hamas dominierte sie mit ihren Selbstmordattentaten. Bekannte Politiker aus den palästinensischen Gebieten und Israel versuchten sich in dieser Zeit auf private Initiative hin an einem Entwurf für eine Lösung des Nahostkonflikts. Die sogenannte Genfer Initiative blieb dabei in der Logik der Zweistaatenlösung gefangen. Der Vorschlag sah einen demilitarisierten palästinensischen Rumpfstaat vor, dem vor allem polizeiliche Aufgaben zustanden. Der Entwurf folgte damit weitestgehend jenem Konzept, unter dem das Westjordanland heute de facto beherrscht wird: Die palästinensische Autonomiebehörde übernimmt polizeiliche Funktionen, während das Gebiet von der israelischen Armee durch Militärrecht verwaltet wird. Jerusalem nimmt viel Raum in dem Entwurf der Genfer Initiative ein. Zionismus und palästinensischer Nationalismus beanspruchen jeweils die Stadt als ihre Hauptstadt und der UN-Teilungsplan sah eine geteilte Hauptstadt vor. Der arabische Ostteil ist aber seit 1967 von Israel besetzt und annektiert. Die Genfer Initiative suchte vor allem in religiösen Fragen einen Kompromiss. Zwar sind die Zugänge zu den religiösen Stätten ein Streitpunkt in dem Konflikt und Jerusalem ein zentraler Ort für die drei monotheistischen Religionen. Aber die Initiative zeigt durch ihre Schwerpunktsetzung auch die Schwäche der internationalen Nahostdiskussion: Zu oft geht es um religiöse Teilhabe, zu wenig um Bürger*innenrechte, Zugang zu Land oder Fragen der Gewalt.

2003 versuchte der US-amerikanische Historiker Tony Judt, die Option eines binationalen Staates in einem vielbeachteten Artikel nochmal auf den Tisch zu bringen. Er argumentierte, dass es zu viele Siedlungen gebe und ohne ihre schwer durchsetzbare Räumung eine Zweistaatenlösung nicht umsetzbar wäre. Sein Text atmete den damaligen Zeitgeist, denn er konstatierte ein Zeitalter des Postnationalismus, in dem die Idee des Nationalstaates ein überholtes Konzept sei. Der berühmte israelische Friedensaktivist Uri Avnery bezweifelte die politische Durchsetzbarkeit einer israelisch-palästinensischen Einstaatenlösung. Ein zentrales Argument von Avnery war, dass eine sofortige Umsetzung dieses Konzepts »ein Besatzungsregime unter anderen Vorzeichen darstellen« würde. Etwa, weil die palästinensische Bevölkerung wirtschaftlich weitaus schlechter gestellt als die israelische und, so Avnery, ein binationaler Staat mit gleichbleibenden Institutionen dieses Verhältnis zementieren würde.

Ein Konzept, das auf den ersten Blick zwischen der Ein- und Zweistaatenlösung angesiedelt ist, ist die Holy Land Confederation von 2022. Die Initiator*innen, eine palästinensische Juristin und ein ehemaliger israelischer Justizminister, kannten sich schon von den Verhandlungen zur Genfer Initiative. Im Papier der Holy Land Confederation soll zwar ein palästinensischer Staat ausgerufen werden, aber eng an Israel gebunden bleiben. Die Verfasser*innen zielen vor allem auf offene Grenzen zwischen beiden Staaten. Sie wollen damit das Problem der vielen Siedlungen in den derzeit besetzten Gebieten lösen. Die Siedler*innen könnten bleiben, wenn sie sich einer palästinensischen Regierung unterordnen. Diese Konföderation ist aber nicht auf Dauer angelegt, sie dient »als Vermittlerin für die Zweistaatenlösung«. Freizügigkeit und Bürger*innenrechte auf beiden Seiten der Grenze wären damit zeitlich begrenzt.

Während die Gründer*innen der Holy Land Confederation aus den politischen Institutionen kommen, ist Omri Boehm zu einem öffentlichen Intellektuellen geworden. Er präsentierte 2020 seinen Ansatz der Republik Haifa. Der Philosoph wählte die Stadt in Nordisrael als Bild für eine Vision, weil dort die Integration von arabischer und jüdischer Bevölkerung am meisten fortgeschritten ist. Für sein Konzept bedient er sich bei Menachem Begin, dem ersten rechtszionistischen Ministerpräsidenten Israels. Entgegen seiner politischen Positionierung legte Begin der Knesset in den 1970er Jahren einen Plan vor, wie der Konflikt um die besetzten Gebiete und die palästinensische Selbstbestimmung beigelegt werden könnte. Dieser Plan entstand vor allem auf Druck von Ägypten und den USA. Er sah vor, dass Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten, die Israel weiter verwalten sollte, entweder einen israelischen oder jordanischen Pass beantragen dürften. Die Lösung ist hier eine Einstaatenlösung, die aber mit dem Prinzip des jüdischen Charakters des israelischen Staates bricht. Der Plan wurde 1977 von der Knesset zwar angenommen, aber nie wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Es wäre auch fraglich, wie gut eine Gleichberechtigung der Palästinenser*innen funktionieren würde, da die bereits bestehende arabische Minderheit mit israelischem Pass als benachteiligt gilt.

A Land for All

Omri Boehm nahm jedenfalls die Idee der Freizügigkeit in veränderter Form auf und spricht in seiner Republik Haifa von einer Konföderation zwischen Israel und Palästina. Dabei sollen die Staaten eine gemeinsame Verfassung haben und die Bürger*innen im gesamten Gebiet arbeiten, leben und Land kaufen können. Trotz getrennter Regierungen soll ein Lenkungsausschuss Einwanderung und Freizügigkeit regeln.

Mit einem ähnlichen Konzept trat bereits 2012 die Initiative A Land for All, damals unter dem Namen »Zwei Staaten eine Heimat«, an die Öffentlichkeit. Das Programm ist dem von Boehm sehr ähnlich, es sieht ebenfalls eine Konföderation der Staaten Israel und Palästina vor. A Land for All widmen sich aber gesondert dem Punkt der arabischen Community mit israelischem Pass, nach ihren Vorstellungen soll diese Gruppe einen geschützten Minderheitenstatus im konföderierten Staat haben. A Land for All kommt aus der Zivilgesellschaft und hat eine besondere Zusammensetzung für eine Organisation aus der Region: Sie besteht aus Palästinenser*innen, israelischen Friendensaktivist*innen, aber auch ultraorthodoxen Juden*Jüdinnen und Siedler*innen. So ist es kein Wunder, dass der Erhalt der Siedlungen Teil des Programms ist, wenn auch unter einem neuen palästinensischen Staat.

Die Zweistaatenlösung ist allein schon aufgrund des fortgeschrittenen Siedlungsbaus an eine geografische Grenze gestoßen. Nachdem der nördliche Gazastreifen durch den Krieg fast menschenleer gemacht wurde, schicken sich Siedler*innen an, mit Unterstützung des rechtsextremen Ministers Itamar Ben-Gvir neue Pläne im Gazastreifen zu schmieden.

In der jüdischen Community in den USA kommt es indes langsam zu einem Perspektivwechsel. Zuvor hatten viele in der Gemeinschaft eine Zweistaatenlösung unterstützt. Mit J Street drängt nun eine Gruppe aus der Community an die Öffentlichkeit, die sowohl die Besatzung kritisiert als auch mittlerweile ein Konföderationsmodell als beste Lösung für den Nahostkonflikt ansieht. Ihr Vorsitzender Jeremy Ben-Ami sagte kürzlich gegenüber einem israelischen Magazin: »Mit den traditionellen Konzepten kommen wir nicht weiter.«

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.

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