Worst-Case-Szenario
Welche Gegenstrategien braucht es bei einer Landesregierung mit AfD-Beteiligung? ak hat bei verschiedenen Initiativen und Organisationen nachgefragt
Von Sebastian Bähr
Als nach 28 Tagen die Amtszeit des thüringischen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) endete, atmeten viele auf. Die erste Landesregierung, die im Februar 2020 dank der Stimmen von CDU, FDP und AfD gebildet wurde, war Geschichte – auch die vielfältigen Proteste hatten zu diesem Ergebnis beigetragen. Zahlreiche Antifaschist*innen ahnten jedoch bereits damals, dass dieser Zustand nicht ewig anhalten würde. Die Wahl von Kemmerich war für die AfD und ihre Freunde auch ein Testballon. Das Ziel: Erfahrung sammeln für den nächsten Anlauf. Vor den diesjährigen Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September gibt es nun zwar immer wieder Erklärungen verschiedener Parteispitzen, mit der AfD nicht zusammenzuarbeiten – bei vielen bleibt jedoch Skepsis. Zu sehr ist die »Brandmauer« gegen rechts längst ein »Schweizer Käse« geworden, vor allem auf kommunaler Ebene.
Im Angesicht dieser Ungewissheit mehren sich nun Beiträge, die die »Resilienz« demokratischer Institutionen und der Zivilgesellschaft stärken wollen – und dafür auch düstere Szenarien ausmalen. Jüngst hatte etwa eine Gruppe von Verfassungsrechtler*innen rund um den Juristen und Chefredakteur des »Verfassungsblogs«, Maximilian Steinbeis, im »Thüringenprojekt« untersucht, wie die AfD im Freistaat die staatlichen Strukturen untergraben könnte. Darauf aufbauend wurden sieben Handlungsempfehlungen zur Prävention an die Politik gegeben. Der Politikwissenschaftler, Journalist und Mitarbeiter des Portals »FragDenStaat«, Arne Semsrott, wiederum veröffentlichte Anfang Juni das Buch »Machtübernahme«. Dort nimmt er ebenfalls das Szenario einer Machtergreifung von Faschist*innen als Ausgangspunkt, um verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ihre jeweiligen Widerstandsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Gewerkschaften, Beamt*innentum, Justiz, Medien, Unternehmen und die Zivilgesellschaft sieht er dabei als entscheidende Akteure. Den Funktionär*innen der großen Gewerkschaften empfiehlt er gegenüber ak, »sich von ihrem Kuschelkurs zu verabschieden und sich auf politische Streiks und als letztes Mittel auch den Generalstreik vorzubereiten«. Linken Organisationen empfiehlt Semsrott, »einen klaren und gegebenenfalls auch populistischen Kurs zu fahren: große, anschlussfähige Visionen zu formulieren und damit das derzeitige Visionsmonopol der AfD zu brechen«.
Um die Debatte über antifaschistische Gegenstrategien zu erweitern, hat auch ak bei verschiedenen Initiativen, Organisationen und Gruppen nachgefragt. Wie gehen sie mit der Gefahr von rechts um?
Rote Hilfe
Die Rote Hilfe betont gegenüber ak, dass man sich bei etwaigen Angriffen juristisch und politisch verteidigen und seine Aufgabe fortführen werde: »Unsere Hauptaufgabe ist die Unterstützung der von Repression betroffenen Aktivist*innen – darin sehen wir auch unsere Rolle für ein entsprechendes Szenario eines Rechtsrucks nach den Landtagswahlen«, erklärt Anja Sommerfeld aus dem Bundesvorstand der Solidaritätsorganisation. Wichtig sei es ebenso, mit vielen Akteur*innen einen starken politischen Gegenpol zu bilden – »vor allem im Fall von verschärfter Repression«. Sommer bekräftigt: »Für solch ein gemeinsames Vorgehen müsste sich auf das gemeinsame politische Ziel konzentriert und diese Annäherung auch durchgehalten werden.« Dazu würde auch gehören, Spaltungsversuche von staatlicher Seite konsequent abzuwehren. »Diese politische Auseinandersetzung wird über Jahre stattfinden, mit einer kurzlebigen Kampagne ist es nicht getan.«
Polylux
Das Netzwerk Polylux unterstützt in Ostdeutschland Vereine, Initiativen und Projekte der kritischen Zivilgesellschaft vor Ort und finanziell durch Fördermitgliedschaften. Dies wolle man auch weiterführen: »Das Ziel von Polylux wird in diesem Szenario – genau wie bisher – darin liegen, die aktiven Leute von vor Ort im Osten nicht allein zu lassen«, teilt die Initiative mit. Der Druck auf Engagierte würde bei einer Regierungsbeteiligung der AfD nochmal zunehmen, so die Einschätzung: Dies könne auf persönlicher Ebene verbale wie physische Angriffe oder Jobverlust bedeuten und auf politischer Ebene gestrichene Finanzierung oder politisch motivierte Angriffe mithilfe der Verwaltung. »Hier kann die unabhängige, nicht-staatliche Finanzierung und Unterstützung durch Polylux hoffentlich Lücken schließen und es einfacher machen, zu bleiben und weiterzumachen.«
Das Ziel der gesamtgesellschaftlichen Linken müsse laut Polylux sein, der zunehmend drohenden Vereinzelung von Projekten und Aktiven entgegenzuwirken. Dafür brauche es eine tiefergehende Vernetzung und Solidaritätsstruktur der Projekte vom Land untereinander, und auch mit der Linken aus der Stadt. »Gespräche auf Augenhöhe mit den Aktiven vor Ort, die auf eine langfristige Unterstützung und Austausch abzielen«, seien entscheidend. Ein Mensch aus dem Polylux-Netzwerk fügte diesem Statement noch hinzu, einige »würden wegen der Belastung weinen«. Es brauche daher auch »Konzepte für Care-Arbeit« sowie »ernsthafte Gespräche über Sicherheit und Auswandern«.
VVN-BdA
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten erklärte, dass es im Falle einer AfD-Regierungsbeteiligung »breite antifaschistische Bündnisse und Solidarität unter den demokratischen Kräften« brauche. Die eigene Arbeit werde man fortführen: »Sollte die AfD an der Regierung sein, müssten wir mit größerer Repression rechnen, aber wir würden genauso weitermachen und unsere Arbeit noch intensivieren: Proteste gegen die AfD und ihre Politik organisieren und Betroffenen zur Seite stehen«, sagt Hannah Geiger vom VVN-BdA. Da davon auszugehen sei, dass es zu noch mehr Angriffen auf Erinnerungsorte kommen würde, werde man sich auch verstärkt für den Schutz der Gedenkstätten stark machen. »Wir werden uns gegen die erwartbaren Angriffe auf die Erinnerung auch weiterhin durch Aufklärung, Gedenkveranstaltungen und Mahnwachen wehren.«
Aus der gesellschaftlichen Linken und von allen anderen demokratischen Kräften müsste in solch einem Szenario laut der VVN-BdA ein »großer Aufschrei« kommen. »Eine Regierungsbeteiligung der AfD wäre ein Bruch und müsste genauso beantwortet werden – antifaschistischer Streik, massenhafte Proteste, ziviler Ungehorsam – das alles ist für uns möglich und wünschenswert«, sagt Geiger. In einem Szenario, in dem die AfD in einem der Ost-Bundesländer in die Regierungsbeteiligung kommt, müsse man weiterhin die Solidarität mit den dortigen Antifaschist*innen ausbauen und »eventuell einen Repressions-Hilfefonds einrichten«.
Samuel Signer von der VVN-BdA-Gruppe im brandenburgischen Märkisch-Oderland weist zudem auf die Bedeutung der kommunalen Ebene hin: »Bereits jetzt skandalisieren wir die Zusammenarbeit mit Faschist*innen auf kommunaler Ebene. Unter einer AfD-Regierung wird diese wohl noch zunehmen«, sagt der Antifaschist. »Um einer fortschreitenden Normalisierung entgegenzuwirken, müssen wir solche Kooperationen weiter im Auge haben und skandalisieren, auch wenn es durch Sachzwänge schwieriger wird – und diejenigen mit einer kritischen Haltung besonders unterstützen.« Signer geht auch auf die grundsätzliche Rolle der VVN-BdA ein: »Es ist wichtig, dass die VVN-BdA in solch einem Szenario zu einem Sprachrohr für die marginalisierten Gruppen wird, die von Repression und Verfolgung besonders betroffen sind.« Das bedeute auch, dass man sich als Organisation diesen neuen Gruppen noch mehr öffnen und sich auch etwa für queere Organisationen oder Frauenhäuser einsetzen müsse.
Queeres Brandenburg
»Wenn es entgegen der Erwartung zu einer Koalition unter Beteiligung der AfD kommt, kann dies den vollständigen Zusammenbruch der zivilgesellschaftlichen Strukturen – und insbesondere der Strukturen, die von Landesförderungen abhängig sind – bedeuten«, erklärt Jirka Witschak von der Landeskoordinierungsstelle der Initiative Queeres Brandenburg. Der Trägerverein von Queeres Brandenburg, Katte, sei jedoch mit allen demokratischen Parteien vernetzt, so dass man Lösungen für schwierige Situationen finden werde: »Wir haben den Vorteil, dass ein großer Teil der notwendigen Förderungen von verschiedenen Geber*innen auf kommunaler, Landes- sowie Bundesebene kommt – der Fördermittelmix gibt uns Unabhängigkeit.« Doch auch hier brauche es Verlässlichkeit: »Aus unserer Sicht ist der Bund vielmehr gefordert, seine Versprechungen, insbesondere zum Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie, mit einer finanziellen Ausstattung zu untermauern«, so Witschak. Genau das habe das Bundesfamilienministerium in der aktuellen Legislatur versäumt.
GEW und IG Metall
Von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft heißt es, dass man mögliche Vorkehrungen und demokratische Gegenstrategien für eventuelle Worst-Case-Szenarien diskutiere. Dies umfasse »beispielsweise Mittelstreichungen für Demokratiebildungsprojekte sowie mögliche Blockaden notwendiger bildungspolitischer Vorhaben in der Kultusministerkonferenz und den einzelnen Ländern«.
Auch bei der IG Metall spricht man über solche Perspektiven. Die Gewerkschaft verweist gegenüber ak auf ihr bereits geleistetes Engagement für Demokratie in den Betrieben und in der Gesellschaft. »Mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket unterstützen wir diese Aktivitäten dauerhaft«, teilt sie mit. Die IG Metall erwarte zudem insbesondere von der Politik eine deutliche Aufstockung der Mittel für demokratiefördernde Projekte und Programme, auch das Demokratiefördergesetz müsse endlich kommen. »Dabei ist zu gewährleisten, dass – ohne die föderalen Ebenen des Staates zwingend zu umgehen – Gelder für Demokratieförderung auf regionaler und lokaler Ebene auch gegen den Willen autoritärer Landes- oder Kommunalbehörden vergeben werden können«, heißt es von der Gewerkschaft. Die Metaller*innen fordern ebenso eine in der betrieblichen Mitbestimmung verankerte Demokratiezeit beziehungsweise Demokratiestunde. »Selbstbestimmung, Erfahrungen von Selbstwirksamkeit, demokratische Beteiligung – das sind konkrete Erfahrungen, die in mitbestimmten Betrieben gemacht werden können«, so die IG Metall. »Das ist ein wirksames Antidot gegen rechtsextreme Einstellungen.«
Die Linke
»Wenn es tatsächlich zu einer Regierungsbeteiligung der AfD kommen wird oder die Gefahr besteht, kann nur ein gesellschaftlicher Schulterschluss aller demokratischen Kräfte helfen, die dies ablehnen«, sagt die Linke-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige aus Brandenburg. Als Partei Die Linke könne man darin eingebettet sein, vielleicht auch vorangehen. »Aber allein werden wir weder im Parlament noch auf der Straße in der Lage sein, ausreichend Druck zu schaffen.«
Eine erste Aufgabe sei der Erhalt der parlamentarischen Oppositionsrechte. »Leider war die aktuelle Koalition nicht bereit, diese zu stärken – was die Rechte kleiner Fraktionen angeht, gab es sogar Rückschritte«, so Johlige. Man wisse, dass die AfD versuchen werde, Justiz und demokratische Institutionen zu schwächen – eine Anpassung der Verfassung und entsprechender Gesetze zum Schutz habe die aktuelle Regierung ebenso versäumt. »Insofern wird nur der Versuch des Erhalts der demokratischen Rechte und der Unabhängigkeit der Justiz als Strategie möglich sein«, sagt Johlige. Der Schwerpunkt der parlamentarischen Arbeit müsse entsprechend auf die Kontrolle der Regierung ausgerichtet werden. Darüber hinaus brauche es auch eine Absicherung der zivilgesellschaftlichen Strukturen durch den Bund. »Das wird aufgefangen werden müssen.«
Die sächsische Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz betont darüber hinaus die Bedeutung der Kontinuität der Linken-Arbeit: »Wir setzen uns weiter etwa für demokratische Bildungsarbeit und Demokratieprojekte ein, aber auch für die Entwaffnung von Neonazis und ordentliche Strafprozesse und Verfahren gegen extreme Rechte.« Generell sei ebenso wichtig, dass das antifaschistische Engagement auflebe wie zu Beginn des Jahres. »Dafür braucht es jedoch Zusammenhalt: Aktuell ist die gesellschaftliche Linke sehr zerstritten, und thematisch scheint vieles wichtiger als der Umgang mit der AfD«, sagt Köditz.
Wie kann unter schwieriger werdenden Verhältnissen Solidarität gelebt und weiterhin Druck für gesellschaftliche Veränderung aufgebaut werden?
Die unterschiedlichen Beiträge machen klar, dass alle Organisationen vorhaben, ihre Aufgaben auch in einem Worst-Case-Szenario fortzusetzen. In der Ressourcenfrage demokratischer und zivilgesellschaftlicher Strukturen zeigt sich derweil ein wunder Punkt. Einerseits eine verlässliche Finanzierung durch den Bund zu erkämpfen und parallel unabhängige Finanzierungsmöglichkeiten aufzubauen, ist gemessen an den aktuellen Kräfteverhältnissen kein leichtes Unterfangen.
Ein weiterer oft genannter Aspekt betrifft die Notwendigkeit tragfester, breiter demokratischer Bündnisse. Nicht nur die heftigen außenpolitischen Debatten dieser Tage werden solch eine Zusammenarbeit nicht immer einfach machen. Es bleibt die zentrale Frage: Wie kann unter schwieriger werdenden Verhältnissen Solidarität gelebt und weiterhin Druck für gesellschaftliche Veränderung aufgebaut werden? Solange noch größere Spielräume existieren, lohnt es sich, darüber nachzudenken.
Der Artikel ist zuerst im Sonderheft Brandstifter erschienen.