Wo steht Deutsche Wohnen & Co enteignen ein Jahr nach dem Volksentscheid?
Von Kalle Kunkel
Der 26. September 2021 war historisch. Erstmals stimmte in Deutschland eine Mehrheit für die Vergesellschaftung großer, profitorientierter Immobilienkonzerne. Zwar sind auch nach einem Jahr die Immobilienkonzerne nicht in demokratisches Eigentum überführt. Trotzdem hat der Entscheid viel in Bewegung gesetzt.
Die erfolgreiche Abstimmung hat wesentlich dazu beigetragen, die wohnungspolitische Debatte zu verändern. Forderungen zur Regulierung werden laut, die noch vor wenigen Jahren als radikal abgetan worden wären: Mietendeckel, Marktbeschränkungen für Spekulant*innen, zuletzt die Forderung des IG-BAU-Vorsitzenden, eine Sperrminorität bei den großen Wohnungskonzernen zu erwerben, um sie auf eine soziale Geschäftspraxis zu verpflichten. Es zeigt sich: Auch für die realpolitischsten Reformen braucht es die Drohung, dass die Eigentumsverhältnisse selbst neu verhandelt werden könnten. Zum Erfolg von Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE) gehört auch, dass sich die Vergesellschaftungsperspektive inzwischen mit Hamburg enteignet und RWE enteignen geographisch wie thematisch ausweitet.
Doch DWE war keine »Diskursintervention«. DWE will den Wandel auf dem Berliner Wohnungsmarkt und darüber hinaus durchsetzen. Dafür ist es wichtig, sich auf eine lange Auseinandersetzung einzustellen. Die Berliner Politik hat den politischen Konflikt zunächst vertagt. Durch die Einsetzung einer sogenannten Expert*innenkommission soll das Thema verrechtlicht und aus der politischen Arena herausgehalten werden.
DWE hat sich nach ausführlicher Beratung dafür entschieden, drei eigene Expert*innen in die Kommission zu entsenden. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass mit diesen drei Expert*innen ein positives Votum durch die Mehrheit der Kommission möglich ist – wenn auch nicht garantiert. Seitdem fährt die Kampagne eine Dreifachstrategie: 1. die eigenen Strukturen erhalten und darauf vorbereiten, wieder in die Offensive zu gehen, wenn die Verzögerung durch die Kommission beendet ist. Hierzu gehört auch, dass die Initiative in engem Kontakt steht mit konkreten Kämpfen der Mieter*innen, die tagtäglich stattfinden. DWE ist es gelungen, dass auch ein Jahr nach dem Entscheid weiterhin in jedem Berliner Bezirk Kiezteams aktiv sind. Allerdings sind diese Kerngruppen nach dem Mobilisierungshoch des letzten Jahres mal mehr mal weniger groß. Die normalen Konjunkturen eines Bewegungszyklus verbinden sich hier mit dem Problem, eine schlagkräftige Antwort auf die Verzögerungstaktik des Senats zu entwickeln. 2. die Wohnungskrise und die Perspektive der Vergesellschaftung weiter in der Öffentlichkeit und im Bewusstsein der Berliner*innen halten; 3. die Kommission eng inhaltlich begleiten. Ziel ist hier zum einen, sich nicht durch die Arbeit der Kommission den Takt vorgeben zu lassen. Zum anderen aber die Vorgänge in der Kommission politisch skandalisieren zu können, wenn erkennbar gegen den Willen der Mehrheit der Berliner*innen gearbeitet wird.
Die ganze Auseinandersetzung findet in einem politisch dynamischen Umfeld statt. Die Inflation, die für Mieter*innen zu einem massiven Anstieg der Warmmiete führen kann, sorgt für eine Zuspitzung auf dem Wohnungsmarkt. Die höheren Zinsen sorgen dafür, dass die Immobilienkonzerne auch ihre kläglichen Neubaupläne, die schon immer am Bedarf vorbei gingen, auf Eis legen. Damit krachen die angeblichen Lösungen der Bauen-bauen-bauen-Fraktion zusammen wie ein Kartenhaus. Franziska Giffeys roter Teppich für die Immobilienlobby in Form des Neubaubündnisses entpuppt sich erwartungsgemäß als Luftnummer. In diesem Umfeld wird die Parteibasis der SPD immer nervöser. Überraschend hat ein Parteitag der Berliner SPD im Juni sich gegen wütenden Protest des zuständigen Senators Andreas Geisel (auch SPD) für eine Umsetzung des Volksentscheids ausgesprochen.
Was als Zermürbungstaktik gegenüber der mietenpolitischen Bewegung geplant war, fällt nun auf Giffey und Co. zurück. Ihre »Lösungen« erweisen sich als Hochstapelei. Vor diesem Hintergrund wächst der Druck für eine echte Lösung: die Vergesellschaftung. In dieser Gemengelage finden wegen massiver Wahlpannen voraussichtlich im Frühjahr 2023 Neuwahlen statt. Hier werden sich die politisch Verantwortlichen für ihren undemokratischen Umgang mit dem Volksentscheid rechtfertigen müssen. Die Forderung nach Vergesellschaftung wird in diesem Wahlkampf ganz oben auf der Agenda stehen. Für DWE besteht die Aufgabe darin, dies zu einer Abstimmung über den bisherigen Umgang der Senats mit dem demokratischen Votum der Berliner*innen zu machen.