Wie kann in Corona-Zeiten Solidarität organisiert werden?
Erfahrungen aus der Spargelernte und dem Krankenhaus, der Mieterbewegung, der Proteste gegen das Grenzregime und der Queer Community
Von Magda Albrecht, Anna Dotti, Dîlan Karacadağ, Alina Lyapina, Nina und Richard Ulrich
Zu Beginn der Corona-Pandemie ging eine Welle der Solidarität durchs Land, in kurzer Zeit entstanden zahlreiche Unterstützungsnetzwerke. Viele Ideen, wie die Lage der Beschäftigten in den sogenannten systemrelevanten Berufen verbessert werden könnte, machten die Runde – und auch Hoffnung darauf, dies werde durch die Corona-Krise erleichtert, verbreitete sich. Was ist aus den Initiativen und Vorschlägen geworden? Wie geht es Bewegungen, die schon vor Corona aktiv waren und nun umdisponieren mussten? Wir haben Menschen aus verschiedenen Bereichen um ihre Einschätzung gebeten und gefragt: Was hat in den vergangenen Wochen gut funktioniert, welche Konzepte haben sich bewährt – und was hat nicht so gut geklappt wie erhofft?
Mieterorganisierung ohne Treffen?
In der Starthilfe AG der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen bemühen wir uns darum, Mieter*innen der großen Immobilienkonzerne zu organisieren, damit handlungsfähige Mietergemeinschaften entstehen. Ein wichtiger Bestandteil unserer Aktivitäten, die Haustürgespräche, sind durch die Kontaktbeschränkungen derzeit nicht möglich.
Auch uns hat die Pandemie kalt erwischt, und wir können die Folgen für Mieter*innen, aber auch für unsere Arbeit noch kaum abschätzen. Wir haben deshalb eine Online-Umfrage gestartet, um überhaupt herauszufinden, welche Probleme durch die Corona-Maßnahmen entstanden sind. Die Umfrage läuft noch, unser erster Eindruck ist, dass sich die Probleme nicht gravierend verändert haben. Wo es vorher hohe Mieten gab oder die Umlagen von Modernisierungskosten, sind sie weiter ein Problem. Der verbesserte Kündigungsschutz federt ein paar Härten ab. Aber viele Leute haben Angst, dass das Kurzarbeitergeld früher oder später nicht mehr für die Miete reicht; wir hören auch von Schwierigkeiten, in beengten Wohnverhältnissen Home-Office zu machen oder den Schulunterricht der Kinder zu bewältigen. Hausverwaltungen sind schlecht erreichbar, Umzüge kaum möglich etc.
Ein großes Problem ist, dass Treffen derzeit nicht stattfinden können. In Häusern, die schon gut organisiert sind, ist das nicht so schlimm, weil die sich Alternativen ausdenken können. Zum Beispiel haben Mieter*innen eines Wohnblocks in Kreuzberg eine Unterschriftensammlung organisiert, indem sie sich immer mal ein paar Stunden in den Hof gesetzt haben und ihre Sammlung per Aushang angekündigt haben. Aber in Häusern, die noch nicht organisiert sind, schlafen Organisierungsversuche jetzt schneller ein oder liegen auf Eis.
Wir haben uns bei anderen Initiativen umgehört, welche Erfahrungen sie gemacht haben. Es zeigt sich, dass Hausverantwortliche, die mit der Initiative in Kontakt sind, eine super sinnvolle Struktur sind, um Informationen weiterzugeben oder Dinge wie Unterschriftensammlungen zu koordinieren. Auch Facebook- und Telegram-Gruppen sind nicht unwichtig, um Informationen und Tipps zu zirkulieren und die Zeit ohne echte Treffen zu überbrücken, aber bei weitem nicht so relevant, wie wir am Anfang dachten.
Im Wedding bekommt die Initiative Hände weg vom Wedding es meiner Meinung nach gut hin, trotz Corona sichtbar zu bleiben, indem sie Transparente aus den Fenstern hängen oder auch mit Plakaten und Sprühaktionen im Stadtteil für Sichtbarkeit gesorgt haben und trotzdem auf die Straßen gehen (mit Sicherheitsvorkehrungen versteht sich). Auch wir als Deutsche Wohnen & Co enteignen machen weiter mit Straßenprotest – dagegen, dass unser Volksentscheid verschleppt wird. Gerade jetzt zeigt sich ja, dass Enteignung und Vergesellschaftung die besten Mittel gegen solche Mietproblematiken sind.
Queere Selbsthilfe
Als die queeren Clubs, Bars und Anlaufstellen Mitte März schlossen, wurden die Barkeeper*innen, Reinigungskräfte oder Türsteher*innen in Kurzarbeit geschickt, Künstler*innen und Sexarbeiter*innen verloren ihre Aufträge. Binnen weniger Tage schossen die Crowdfundings und Hilferufe wie Pilze aus dem Boden.
Ein großes Theater mag ein paar Monate ohne Einnahmen auskommen und kann sich auf staatliche Hilfen verlassen. Für einen queeren Club oder ein selbstorganisiertes Café gilt das nicht. Jede Woche ohne Einnahmen ist existenziell bedrohlich. Tritt der schlimmste Fall ein, gehen nicht irgendwelche Orte verloren, sondern jene, in denen Queers »unter sich« tanzen, lachen, weinen oder knutschen können.
Queere Communities sind seit jeher durch Selbsthilfe geprägt, auch weil vom Staat keine Unterstützung kommt.
Magda Albrecht
Schnell etablierten sich community-interne Unterstützungsnetzwerke, wie zum Beispiel die Vermittlung von Mahlzeiten oder Einkaufshilfen vom queeren Kunsthaus Karada House in Berlin oder des Community Relief Cologne. In Berlin haben drei Aktivist*innen über den Messengerdienst Telegram einen Mietrettungsfond eingerichtet, der sich an Menschen richtet, die keinen Anspruch auf staatliche Hilfen haben und aktuell ihre Miete oder Krankenversicherung nicht zahlen können. Auch Direct Support Leipzig verteilt unbürokratisch Geld um. Die genannten Projekte richten sich besonders an Queers aus mehrfachdiskriminierten Gruppen, die durchs Raster der staatlichen Hilfen fallen bzw. keine zwei Wochen auf Zuschüsse warten können, wenn der Kühlschrank jetzt leer ist. Dutzenden Menschen konnte so geholfen werden. Aber auch hier wird deutlich: Ohne Internetanschluss geht es kaum.
Queere Communities sind seit jeher durch Selbsthilfe geprägt, auch weil der Staat hier selten seiner Verantwortung nachkommt. Wir spenden an Magazine, deren Werbeeinnahmen wegfallen, organisieren online Lesungen, Selbsthilfegruppen und Solikonzerte oder nähen Regenbogenmasken. Dass Einzelpersonen mit Spenden staatliche Aufgaben übernehmen, sehen wir als Linke kritisch. Der Druck auf die Politik muss sich erhöhen – gleichzeitig können wir Menschen, die gerade akut in Not sind, nicht allein lassen.
Arbeitskampf auf dem Spargelhof
Weite Teile der hiesigen Lebensmittelproduktion sind abhängig von ausländischen Saisonarbeiter*innen, größtenteils aus Osteuropa, die für niedrige Löhne Gemüse ernten oder Tiere zerlegen und oft in beengten Unterkünften leben müssen. Ende März, mit Beginn der Reisebeschränkungen, ging die Angst bei deutschen Spargelbauern um, dass sie mit einheimischem Personal nicht genügend weiße Stengel aus dem Boden und in die Supermärkte bekommen könnten. Anfang April erhörte die Bundesregierung die Klagen und ließ Tausende »Erntehelfer*innen« aus Polen, Rumänien oder Bulgarien einfliegen, obwohl die Grenzen ja eigentlich geschlossen waren. Inzwischen häufen sich Berichte über Erntearbeiter*innen, die aus Ärger über Lohnabzüge und fehlenden Infektionsschutz die Arbeit verweigern.
In einer Sendung von Report Mainz berichteten rumänische Arbeiter*innen auf einem Hof im Spreewald, dass ihnen die Flugkosten in Rechnung gestellt wurden; außerdem wurde durch Akkordvorgaben der Mindestlohn ausgehebelt: »Wir merkten schon nach wenigen Tagen, dass wir nur Schulden hatten und kein Geld bekamen. Dann haben wir uns geweigert weiterzuarbeiten.« Wegen Lohnprellung, schimmeligem Essen und miesen Unterkünften traten am 15. Mai 150 rumänische Erntearbeiter*innen beim Spargelhof Ritter in Bornheim (NRW) in den Streik.
Akkordlohn, betrügerische Verträge oder hohe Abzüge für Unterkünfte waren auch früher schon ein Problem. Aber dieses Jahr sind weniger Erntehelfer*innen in Deutschland als sonst. »Die Marktmacht liegt bei den Arbeitern«, klagte am 10. Mai die FAZ – und präsentierte einen herzzerreißenden Bericht über einen Gemüsehof bei Darmstadt, dessen rumänische Erntearbeiter*innen sich nichts hätten sagen lassen. Als es Streit gab, fuhr ein Bus eines Spargelhofs aus Thüringen vor und holte die Arbeiter*innen ab. »Die Vermutung liegt nahe, dass die Helfer mit höheren Löhnen oder geringeren Abzügen für Unterkunft und Verpflegung gelockt wurden und deshalb den Streit vom Zaun gebrochen haben.« Und das, obwohl sie sogar Mindestlohn zahle (von dem natürlich Unterkunft und Verpflegung bezahlt werden müssten), wie die enttäuschte Hofbesitzerin Anja Hamm gegenüber der FAZ bekannt gibt.
Wir merkten schon nach wenigen Tagen, dass wir kein Geld bekamen. Dann haben wir uns geweigert weiterzuarbeiten.
Rumänischer Arbeiter in Report Mainz
Auch wenn solche Beispiele zeigen, dass Arbeiter*innen sich durchaus zu wehren wissen, bleibt längerfristige Organisierung schwierig, auch weil viele nur wenige Monaten in Deutschland sind. Das Projekt Faire Mobilität des DGB, das osteuropäische Arbeiter*innen berät, berichtet, dass es wegen der Corona-Beschränkungen schwieriger sei, persönlichen Kontakt aufzunehmen. Allerdings sei der Informationsbedarf groß: Die Website, die über Arbeitsrecht und Corona aufklärt, verzeichnet laut Dominique John vom Faire-Mobilität-Projekt fünf Mal so viele Aufrufe wie sonst, auch die mehrsprachige Hotline sei regelrecht »überrannt worden«. (JOA)
Das DGB-Projekt Faire Mobilität war leider nicht zu erreichen, deshalb ist dieser Text kein Bericht aus erster Hand.
Forderungen aus dem Klinikbetrieb
Ich bin Intensivpfleger am Uniklinikum Frankfurt auf einer neurochirurgischen Intensivstation. Wir haben am Klinikum eine recht aktive ver.di-Betriebsgruppe, und seit etwa einem Jahr haben wir die bundesweit von vielen Beschäftigen erhobene Forderung nach besserer Personalausstattung aufgegriffen.
Durch die Corona-Pandemie waren wir zunächst wie paralysiert, es gab in den ersten Wochen keine Treffen. Wir waren allerdings in telefonischem Kontakt, haben uns aus unseren Bereichen berichtet und sind zu der Einschätzung gelangt, dass dringend etwas getan werden muss. Uns allen ist klar, dass die Pandemie im Krankenhausbereich Probleme offenlegt und verschärft, die schon seit 15 Jahren durch die Einführung des Fallpauschalensystems bestehen.
Wir haben beschlossen, spezifische Corona-Forderungen aufzustellen, die aber auch über die Pandemie hinaus Gültigkeit besitzen: Aufwertung der Gesundheitsberufe, 500 Euro monatlich zusätzlich, besseren Gesundheitsschutz, immer ausreichende Schutzkleidung sowie Freizeitausgleich für die Corona-Krise. Wir haben eine Onlinepetition gestartet und darüberhinaus ermöglicht, dass die Klinikbeschäftigten auf Listen vor Ort, also auf Station, unterschreiben können. Insgesamt haben wir so über 2.000 Unterschriften für unsere Forderungen gesammelt, etwa 1.700 davon kamen von Klinikbeschäftigten, vor allem Pflegekräften und Beschäftigten der versorgungsnahen Bereiche.
Am 30. April haben wir die Unterschriften in Wiesbaden den zuständigen Ministern oder besser gesagt ihren Staatssekretären übergeben. Wir haben uns direkt an das Land Hessen gewandt, weil das Uniklinikum über den Aufsichtsrat vom Land gelenkt wird.
Bei der Übergabe gab es viele wohlwollende Worte, aber bisher gab es keine weitere Reaktion von dieser Seite auf unsere Forderungen. Positiv zu vermerken ist, dass die Linksfraktion im Hessischen Landtag unsere Forderungen aufgegriffen und daraus einen Antrag für die systemrelevanten Berufe in Hessen gemacht hat. Das wird demnächst im Landtag beraten. Wir bereiten für Anfang Juni außerdem eine kleine Demonstration von Pflegekräften in Frankfurt vor.
Bin ich optimistisch? Es ist diffizil. Einerseits ist allen klar, seit öffentlich von systemrelevanten Berufen gesprochen wird, dass wir eine Aufwertung verdient haben. Andererseits sieht es ganz so aus, als würde sich diese Auseinandersetzung noch länger hinziehen und kompliziert werden.
Geflüchtete und Wohnungslose in Hotels
Kein Recht auf Privatsphäre haben die Flüchtlinge in den Massenunterkünften. Sie können keinen Abstand halten: Die verordneten Maßnahmen des Hamburger Senats, um die Corona-Pandemie einzudämmen, sind für die Bewohner*innen solcher Einrichtungen nicht umzusetzen. Stattdessen wohnen Geflüchtete in Zwangsunterbringungen, in denen sich bis zu sechs Menschen ein Schlafzimmer teilen. Ungefähr 30 Personen nutzen zusammen eine Küche und zwei Bäder.
Unter solchen Umständen leben auch die etwa 400 Bewohner*innen der Unterkunft am Albert-Einstein-Ring im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld, in der es bereits einen Corona-Fall gab. »Meine Eltern sind beide krank. Ich mach mir Sorgen um ihr Leben«, stand auf dem Schild eines 12-Jährigen aus dem Iran, als er am 7. Mai in der Hamburger Innenstadt mit Dutzenden Aktivist*innen und anderen Geflüchteten aus der Bahrenfelder Einrichtung demonstrierte. Dort wohnt der Jugendliche zusammen mit seinem Vater, einem Diabetiker, und seiner Mutter, die sich noch nicht von einer Operation erholt hat. Menschen mit Vorerkrankungen sowie Ältere gehören zu Corona-Risikogruppen, trotzdem leben sie in den Massenunterkünften.
»Das Infektionsrisiko in solchen Unterkünften beträgt 20 Prozent, schätzt der verantwortliche Träger« – erklärt ein Aktivist des Hamburger Flüchtlingsrates. »Trotzdem lassen die Behörden 31.000 Menschen so leben. Das ist verantwortungslos!«
Eine konkrete Alternative wurde schon Anfang April der Sozialbehörde von den vielen Initiator*innen und Unterstützer*innen der Kampagne »Open the Hotels«, unter anderem der Flüchtlingsberatungsstelle Café Exil, der Gruppe Lampedusa in Hamburg, das Medibüro und der Verein Asmara’s World, vorgeschlagen.
Die Idee ist einfach: Geflüchteten aus den Massenunterkünften sowie Wohnungslosen sollen leere Hotelräume und ungenutzte Wohnungen angeboten werden – in Hamburg gibt es circa 2.600 davon. Ende April hatte die Sozialbehörde den Vorschlag abgelehnt. Nun fragt sich eine Aktivistin: »Wie lange wollen wir warten? Bis wir Tote haben, die wir verhindern können?«. Eine Antwort von Behördenseite ist nicht in Sicht, einiges steht aber schon fest: Die Netzwerkarbeit der Kampagne geht weiter.
Gemeinsame Trauer in Hanau
In Hanau ist Anfang Mai ein Gedenkraum für die neun Todesopfer des rassistischen Angriffs am 19. Februar eröffnet worden. Der von der Initiative 19. Februar eingerichtete Raum am Heumarkt, gegenüber dem ersten Tatort des Massakers, soll als Gedenkort und Begegnungsstätte für die Hinterbliebenen und ihren Kampf für Gerechtigkeit dienen. Ich war bei der Eröffnung dabei und möchte ein paar meiner Eindrücke festhalten.
»Dieser Raum muss bleiben, die Namen der Opfer dürfen nicht vergessen werden«, sagte Serpil Temiz, die Mutter des ermordeten Ferhat Unvar. Am Schaufenster des Gedenkorts hingen Fotos von Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Hamza Kurtovic, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.
»140 m2 gegen das Vergessen« ist das Motto des Raumes. Am Tag der Eröffnung hieß das zugleich: maximal 15 Personen. Doch Kontaktsperre spielte eine untergeordnete Rolle, vor allem ging es um das Miteinander. Mehrere Male mussten Gäste abwechselnd rausgehen. Zwar waren nur 15 Personen erlaubt, doch mindestens dreimal so viele Menschen waren vor Ort. Die Corona-Pandemie war nicht das Gesprächsthema, sondern der Kampf gegen Rassismus.
Die Atmosphäre am Tag der Eröffnung war emotional, viele begrüßten sich mit einer Umarmung, weinten miteinander, hielten sich an den Händen. Die Mütter von Said, Vili Viorel und Gökhan, die nebeneinander saßen, haben zwar keine gemeinsame Sprache, aber teilen ihren Schmerz miteinander.
Auch die Polizei ließ sich blicken: kaltblütig, unempathisch und diskriminierend. Ich habe Hamzas Vater Armin Kurtovic gehört, wie er sagte: »Sowohl ich als auch mein Sohn sind in Deutschland geboren. Wir sind trotzdem immer als Menschen zweiter Klasse behandelt worden.« Die Erwartungen an die neue Gedenkstätte sind: gegenseitige Unterstützung, Kampf gegen Rassismus. Verbindend ist auch die Forderung nach einer lückenlosen Aufklärung. Es soll ein Raum sein, in dem sich die angehörigen Familien und Freunde verstanden fühlen.
Leave no one behind
Bislang war das primäre Thema der Seebrücke-Bewegung das Mittelmeer, aber aktuell liegt unser Fokus auf Griechenland. Wir führen die Kampagne leave no one behind (lasst niemanden zurück) zur Evakuierung der griechischen Lager. Unsere Forderung ist, dass die Geflüchteten sofort nach Deutschland gebracht werden. 140 deutsche Kommunen und mehrere Bundesländer sind aufnahmebereit, Deutschland ist das Land mit der größten Aufnahmebereitschaft und den größten Aufnahmekapazitäten in Europa. Doch die Bundesregierung blockiert nach wie vor die Aufnahme, die Corona-Pandemie bietet ihr eine neue Ausrede, um nicht zu handeln.
Am 5. April hatten wir deshalb einen bundesweiten Aktionstag anberaumt unter dem Motto: Wir hinterlassen Spuren. Wir hatten bei der Anmeldung angekündigt, dass wir verantwortungsvoll protestieren und alle Schutzmaßnahmen einhalten würden. Dennoch wurden die Proteste verboten, obgleich die Versammlungsfreiheit ganz klar auch in Corona-Zeiten gelten muss. Das Verbot hatte mit Infektionsschutz nichts mehr zu tun, sondern war ein Versuch, legitimen Protest zu unterbinden. Trotz solcher Repressionen ist es uns gelungen, unser Thema publik zu machen und auf die Tagesordnung zu setzen.
Die Seebrücke-Lokalgruppen improvisieren ständig mit neuen Aktionskonzepten.
Alina Lyapina
Mittlerweile haben sich unsere Lokalgruppen der neuen Lage angepasst und improvisieren ständig mit neuen Aktionskonzepten wie zum Beispiel, viele kleine dezentrale Kundgebungen in einer Stadt durchzuführen statt einer großen Massenaktion. Unsere Einschätzung ist, dass die Behörden inzwischen nicht mehr so eifrig dabei sind, Protest pauschal zu verbieten.
An der ablehnenden Haltung der Regierungskoalition bezüglich unserer Forderung hat sich indes nichts geändert. Die SPD blockiert Landesaufnahmen in Berlin und Thüringen, wo sie mit an der Regierung ist, wir versuchen im Moment verstärkt, dagegen etwas zu tun. Es wird im Mai einen weiteren Aktionstag geben unter dem Motto: 47 ist nicht genug – weil bisher nur 47 Kinder evakuiert wurden.
Mein Eindruck ist, dass unsere Forderung in Bezug auf die griechischen Inseln auf breite Zustimmung in der Gesellschaft stößt. Die Kampagne leave no one behind wird mittlerweile nicht nur von der Seebrücke unterstützt, sondern auch von anderen politischen Kräften. Unsere Basis konnte während der Corona-Zeit tatsächlich ausgebaut werden, Mobilisierungsschwierigkeiten haben wir überhaupt nicht, im Gegenteil.