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Warum sich die Initiative Bewegungslinke in der Linkspartei gründet
Der Klassenkampf von oben spaltet die Bevölkerung und hat gesellschaftliche Debatten provoziert, die in den letzten Jahren auch die Partei Die Linke ordentlich aufgemischt haben. Die traditionellen innerparteilichen Bündnisse kamen dabei unter die Räder, neue haben sich gebildet: Selbst für viele Mitglieder der Partei waren die Konflikte unverständlich, für externe Beobachter*innen dürfte es manchmal noch unübersichtlicher gewesen sein. Die Konflikte der letzten Jahre haben Gräben hinterlassen, die sich nicht über Nacht zuschütten lassen. Zentrale strategische Fragen schwelen noch immer in der Linken und müssen – bei allem Respekt vor der notwendigen Pluralität einer so großen Organisation – beantwortet werden, wenn die Partei ein überzeugendes, einheitliches Bild nach außen abgeben will. Wir haben uns als Initiative in der Linkspartei (und offen auch für Nicht-Parteimitglieder) zusammengeschlossen, weil wir glauben, dass die Antworten und die daraus folgende Ausrichtung über den Erfolg oder Misserfolg des gesamten Parteiprojekts entscheiden werden.
Die Klimakrise stellt uns dabei vor eine neue Herausforderung. Es geht nicht mehr nur darum, wie gerecht oder ungerecht Reichtum und Teilhabe verteilt sind, sondern auch darum, ob die Menschheit als Ganzes überleben wird. Der Klimawandel richtet bereits irreversible Schäden an und wird absehbar weite Teile der Erdoberfläche unbewohnbar machen. Die Partei Die Linke und die radikale, außerparlamentarische Linke eint die Einsicht, dass zur Lösung der Klimakrise der Kapitalismus gänzlich untauglich und ein Systemwechsel notwendig ist. Unsere einzige Chance ist die Perspektive eines solidarischen Wirtschaftssystems, das auf ökologische Nachhaltigkeit und sozialistische Demokratie anstatt auf Profitlogik privater Konzerne setzt. Nie waren die Aufgaben größer und der Ausblick aufs Scheitern verheerender in der Geschichte der linken Bewegungen als heute.
Der Partei Die Linke kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: Sie hat über 60.000 Mitglieder, ist in verschiedenen Parlamenten vertreten und verfügt über eine öffentliche Präsenz, die von den bürgerlichen Medienkonzernen zumindest nicht ignoriert werden kann. Um in den zu erwartenden (Klassen-)Kämpfen der nächsten Jahre eine relevante Akteurin sein zu können, muss sie sich verändern. Während ein Teil der Partei gern die Uhr zum Sozialstaat der 1970er Jahre zurückdrehen und allein auf die soziale Frage setzen will, orientiert ein anderer Teil auf Regierungsbeteiligung im Bund, vernachlässigt aus unserer Sicht aber die realen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Manche wollen gar beides und werben für ein entkerntes, eigentlich klassisch sozialdemokratisches Programm, um die SPD ersetzen zu können. Das wirkt dann eben auch wie eine etwas linkere Variante des »Hauptsache Regierens«, welches schon die SPD in die Superkrise gestürzt hat. Achtung Spoiler: Keine dieser Optionen halten wir für einen adäquaten Ausweg aus der gesellschaftlichen Krise, in der wir stecken.
Solidarität und verbindende Klassenpolitik
Wir halten vielmehr eine moderne, verbindende Klassenpolitik für den Schlüssel. Die Arbeiterklasse hat sich trotz vieler Kontinuitäten in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Immer mehr Menschen studieren, um den Anforderungen an hochqualifizierte Arbeitskräfte gerecht zu werden. Gleichzeitig hat die Beschäftigung im Dienstleistungsbereich erheblich zugenommen, also im Handel und Verkehr, in der Pflege, im Gesundheitssektor, im Erziehungs- und Bildungswesen. Gerade dort arbeiten wiederum überdurchschnittlich viele Frauen und Migrant*innen. Die Arbeiterklasse ist also migrantischer und weiblicher geworden und muss daher – auch kulturell – anders angesprochen werden. Die ständige Fokussierung auf den weißen männlichen Facharbeiter wird dem nicht gerecht.
Gleichzeitig ist die Arbeiterklasse zutiefst gespalten. Durch sexistische und rassistische Diskriminierung, Spaltungen innerhalb eines Betriebs in Kernbelegschaften, Leiharbeiter*innen und Werkvertragsnehmer*innen, in Erwerbslose und Beschäftigte, werden unzählige gesellschaftliche Spaltungslinien erneuert und von der Kapitalseite weiter vertieft.
Während Spaltung der Klasse Normalzustand im Kapitalismus ist, muss es Aufgabe linker Politik sein, Verbindungen zu schaffen und gemeinsame Interessen und Anknüpfungspunkte zu finden. Eine Hierarchisierung sozialer Kämpfe oder einen konstruierten Gegensatz zwischen Identitäts- und Klassenpolitik halten wir für grundfalsch. Feministische Kämpfe, Lohnkämpfe, Kämpfe von LGBTIQ*, Proteste gegen die AfD, für Seenotrettung oder Klimagerechtigkeit können zusammengebracht werden. Dabei geht es sowohl um Löhne und Arbeitsbedingungen, um hohe Mieten, schlechte Gesundheitsversorgung und maroden ÖPNV, als auch um Fragen der Lebensweise, um kulturelle, ökologische und demokratische Interessen, die häufig miteinander verwoben sind. Einen Anknüpfungspunkt dafür bietet die anstehende Tarifrunde im Nahverkehr, bei der wir uns an der Seite der Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen und unsere Vorstellungen einer sozialen Verkehrswende einbringen werden. Mobilität und öffentlicher Nahverkehr bieten Gesprächsstoff in der Stadt und auf dem Land, bringen die Interessen der Beschäftigten, der Pendler*innen und der Klimabewegten zusammen und können somit zu einem exemplarischen Beispiel verbindender Klassenpolitik werden.
Das geht nur über verbindende Forderungen, gemeinsame Kämpfe, Solidarität und Klassenpolitik im Alltag. Wir wollen uns der schwierigen Frage stellen, wie eine auf den Aufbau von Klassenmacht zielende Politik, die rassistische und sexistische Unterdrückung bekämpft und nicht an nationalen Grenzen halt macht, nicht nur gedacht, sondern auch praktisch umgesetzt werden kann. Dafür brauchen wir eine Partei, die durch Organizing und Kampagnen vor Ort, in Betrieben, Nachbarschaften, Schulen und Universitäten mit Aktiven in- und außerhalb der Partei daran mitwirkt, gemeinsame Interessen zu organisieren und durchzusetzen. Die Kämpfe um den Mietendeckel haben gezeigt, wie Politik im Interesse der Mehrheit auch gegen heftig artikulierte Kapitalinteressen im Zusammenspiel von außerparlamentarischen Bewegungen und Partei möglich sein kann.
Der Parlamentarisierung etwas entgegensetzen
Als Bewegungslinke sehen wir die einzige Chance auf radikale gesellschaftliche Veränderungen daher in der systematischen Stärkung jener Kräfte, die der Kapitallogik etwas entgegensetzen können. Dafür braucht es starke soziale Bewegungen und Gewerkschaften, progressive Bündnisse und eine kämpferische Bevölkerung, die sich für ihre Interessen organisiert. Die Linke muss Motor und Katalysator solcher Prozesse sein. Ohne öffentlichen Druck, ohne starke Bewegungen von unten, kann es keine Politik gegen das Kapital geben. Wenn die Menschen nicht anfangen, sich ganz unmittelbar für ihre eigenen Interessen einzusetzen, Konflikte mit Unternehmen und Staat auszufechten und sich dabei als bewusster Teil einer gesellschaftlichen Gruppe mit gemeinsamen Interessen zu begreifen, wird es kaum ein sozialistisches Projekt geben, das sich gesellschaftlich verankern und durchsetzungsfähig werden kann.
Das erfordert aber ein Parteiverständnis, das nicht in erster Linie auf Wahlen und parlamentarische Arbeit ausgerichtet ist. Es braucht mehr als nur ein paar Lippenbekenntnisse, um dem etwas entgegenzusetzen. Es braucht eine breite Diskussion darum, wie wir uns als Bewegungspartei aufstellen und der Parlamentarisierung entgegenwirken können. Ob eine Mandatszeitbegrenzung für Abgeordnete oder offene Abgeordnetenbüros, die als soziale Begegnungsorte funktionieren und auch Anlaufstellen für Initiativen und Vereine sind. Wir wollen darüber reden, wie Ressourcen von Abgeordneten kollektiviert und das Parlament als Bühne für außerparlamentarische Bewegungen genutzt werden können. Die vielen Zehntausend Parteimitglieder müssen den Takt vorgeben und nicht ein paar Dutzend Abgeordnete, die privilegierten Zugriff auf mediale Berichterstattung und einen Fraktionsapparat haben (das gilt mitunter auch für die Landes- und kommunalen Ebenen). Wir müssen uns fragen, wie wir mehr Bewegung auf der Straße und mehr Aktivitäten an der Basis anstelle von Sitzungssozialismus praktizieren können. Nicht unsere guten Programme und Analysen werden die Welt verändern, sondern Basisbewegungen sind die Herzkammern von Veränderung. Die Arbeit in der Partei wird dabei nur dann für Menschen attraktiv sein, wenn wir eine Kultur etablieren, die zum Mitmachen einlädt. Die Räume schafft, zu lernen: theoretisch wie praktisch, aus Fehlern ebenso wie aus Erfolgen. Wo Erfahrungen aus konkreten Kämpfen gemeinsam ausgewertet werden.
Die Bewegungslinke will eine solche Politik in der Linkspartei stärken. Nach den beiden Ratschlägen im April 2018 in Berlin und im Juni dieses Jahres in Düsseldorf wollen wir uns nun formal als bundesweiter Zusammenschluss in der Partei konstituieren. Wir laden alle ein, sich bei der Gründung am 14. und 15. Dezember in Berlin und danach einzubringen und mitzumischen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.