Vom Arbeitskampf zum klimagerechten Systemwechsel
Warum Klimabewegung und Gewerkschaften gemeinsam für eine antikapitalistische Perspektive kämpfen sollten
Von Elisa Hüller und Benjamin Körner
Wer in den letzten Wochen die Tarifrunde zum kommunalen ÖPNV verfolgt hat, konnte beobachten, wie Klimaaktivist*innen sich mit den streikenden Bus- und Bahnfahrer*innen solidarisierten. Gemeinsam wurden bessere Arbeitsbedingungen als Beitrag für eine klimagerechte Verkehrswende gefordert. Doch diese Eintracht ist keine Selbstverständlichkeit, wie die konflikthafte Auseinandersetzung um den Kohleausstieg zeigt. Während die Klimabewegung konsequent den Kohleausstieg fordert, stritten die Beschäftigten und allen voran die Industriegewerkschaft BCE erbittert für den Erhalt der bestehenden Arbeitsplätze.
In der lang vorbereiteten aktuellen Tarifauseinandersetzung will ver.di für die rund 87.000 Beschäftigten im kommunalen Nahverkehr einen bundesweiten Rahmentarifvertrag abschließen, da bisher nur – zum Teil stark unterschiedliche – Tarifverträge auf Länderebene bestehen. Nachdem sich der Arbeitgeberverband Verhandlungen verweigerte, rief ver.di zu mehreren Warnstreiks auf, die mit hoher Beteiligung durchgeführt wurden. In vielen Städten zeigten sich auch Aktivist*innen von Fridays for Future solidarisch mit den streikenden Beschäftigten und besuchten deren Streikposten.
Die Beispiele Kohle wie ÖPNV zeigen, dass es für eine Linke mit dem Anspruch, die verschiedenen Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung in einer antikapitalistischen Perspektive zu verbinden, nicht ausreicht, sich mit der Frage der praktischen Zusammenarbeit zu beschäftigen. Sie sollte sich auch den theoretischen und strategischen Grundlagen für einen »climate turn« der Gewerkschaftsbewegung und einen »labour turn« der Klimabewegung zuwenden. Wie kann es gelingen, im gemeinsamen Kampf die Macht aufzubauen, die es braucht, um den notwendigen Systemwechsel durchzusetzen? Wie kann gemeinsame Handlungsfähigkeit von Gewerkschafts- und Klimaaktivist*innen bei Protesten, Arbeitskämpfen, Blockaden und Streiks gefördert werden?
Kapitalismus führt in die Klimakatastrophe
Ausgangspunkt dafür ist die Frage nach den ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Es ist festzustellen, dass trotz globaler Vielfachkrise das herrschende System so stabil scheint, dass selbst eine große Klimabewegung wie in der Bundesrepublik keine substanziellen Erfolge erreichen konnte. Die Politik ändert sich kaum und dient weiter den Interessen der durchsetzungsstärksten Fraktionen des Kapitals. Ähnlich sieht es für die Klasse der Lohnabhängigen aus: Trotz der Zunahme von Arbeitskämpfen wurde die Dominanz der Sozialpartnerschaft im Gewerkschaftsapparat nicht gebrochen und die Umverteilung von Unten nach Oben nicht gestoppt. Im Kapitalismus bestimmt letztlich die Profitorientierung, was unter welchen Bedingungen produziert und verteilt wird und nicht soziale Bedürfnisse oder ökologische Notwendigkeiten. Einen »grünen Kapitalismus« kann es deshalb ebenso wenig geben wie einen »gerechten Lohn«. Die Lösung der sozialen wie auch der ökologischen Frage setzt daher die Überwindung des Kapitalismus voraus.
Diese Aufgabe können wir nicht lösen, wenn wir uns auf die Spielregeln des herrschenden Systems einlassen. Das Handeln des bestehenden Staates ist von den Profitinteressen des Kapitals dominiert, seine Institutionen und Gesetze sind gemacht, damit die Ausbeutungsverhältnisse bleiben, wie sie sind. Die Vorstellung, den notwendigen Systemwechsel durch Kooperation mit den herrschenden Institutionen zu erreichen, ist eine Illusion. Politische und technische Konzepte für ein sozial und ökologisch verträgliches Wirtschaften gibt es schon. Es mangelt uns jedoch an Durchsetzungsfähigkeit, diese Konzepte umzusetzen, weil sie den Profitinteressen entgegenstehen. Die Durchsetzung von Klimagerechtigkeit und besseren Arbeitsbedingungen ist also eine Frage der Machtverhältnisse in den permanent stattfindenden Klassenauseinandersetzungen.
Voneinander lernen und zusammen kämpfen
Wollen wir das kapitalistische System überwinden, brauchen wir eine eigene Machtbasis. Diese liegt in der massenhaften Organisierung von Menschen, die gemeinsam gegen Ausbeutung und Umweltzerstörung kämpfen. Diese Organisierung muss ein Raum der Selbstermächtigung sein, in dem nicht Stellvertretungspolitik praktiziert wird, sondern viele Menschen kollektiv und solidarisch in Konfrontation Gegenmacht aufbauen.
Durch ihre Stellung im Produktionsprozess haben die Lohnabhängigen mit Streiks die Möglichkeit, die Kapitalverwertung zu stoppen. Sie sind es, die die Produktion faktisch kontrollieren und auch das notwendige Wissen haben, anders zu produzieren. Diese Produktionsmacht muss genutzt werden, um die (Eigentums-)Verhältnisse kapitalistischer Wirtschaft anzugreifen. Wenn Streiks nicht nur im Sinne des staatlich geregelten Streikrechts verstanden werden, sondern auch als politische Streiks bis hin zum Generalstreik, dann haben sie das Potenzial, das kapitalistische System zu überwinden.
Einen »grünen Kapitalismus« kann es deshalb ebenso wenig geben wie einen »gerechten Lohn«.
Für diese Perspektive müssen beide Bewegungen voneinander lernen, sich aufeinander einlassen und Ansatzpunkte für Kooperationen finden. Wir sollten gemeinsame Interessen in den Vordergrund stellen und, dort wo es möglich ist, gemeinsame Kämpfe führen. Die Klimabewegung wird dann stärker, weil durch Streiks höherer Druck auf Konzerne und staatliche Institutionen ausgeübt und so auch politische Forderungen durchgesetzt werden können. Arbeitskämpfe werden erfolgreicher, wenn sie nicht isoliert geführt werden, sondern andere gesellschaftliche Bewegungen und deren aktivistisches Potenzial einbeziehen. Die gegenseitige Unterstützung muss vor allem in konkreten Kämpfen stattfinden (und nicht nur auf diskursiver Ebene) und von der Basis der Bewegungen ausgehen (und nicht auf die jeweiligen Führungen fokussieren).
Diese Kooperation ist in vielen Bereichen alles andere als einfach. Tatsächlich gibt es innerhalb der kapitalistischen Zwänge den Gegensatz zwischen Klimaschutz und Arbeitsplatzsicherheit, der sich je nach Branche unterschiedlich ausdrückt. Für das Kapital macht es nämlich keinen Unterschied, wie der Profit erwirtschaftet wird und ob dabei Arbeitsplätze und damit ökonomische Existenzgrundlagen verschwinden. Solange die Profitorientierung einen ökologischen Umbau bestimmt, gibt es keine soziale Sicherheit für die Beschäftigten. Über die Grenzen des Kapitalismus hinaus gedacht bedeutet ein ökologischer Umbau jedoch trotz Reduzierung von stofflichem und energetischem Umsatz die Möglichkeit, mehr Lebensqualität für alle zu erreichen. Unsere politische Praxis muss daher eine Klassenpolitik sein, die vorhandene Spaltungen überwindet, gemeinsame Interessen in den Vordergrund stellt und zugleich in der Lage ist, Unterschiede und vorerst bestehende Gegensätze auszuhalten.
Arbeitskämpfe, ökologischer Umbau und Utopie
Wie kommen wir von Arbeitskämpfen hin zu einem klimagerechten Systemwechsel? In der Praxis gilt es, an Alltagskämpfen und -bewusstsein der breiten Masse der Lohnabhängigen anzuknüpfen, also sie in ihren Arbeitskämpfen zu unterstützen. Diese Kämpfe lassen sich mit Forderungen eines radikalen ökologischen Umbaus verknüpfen. Sollen die Auseinandersetzungen das Potenzial haben, zu einer klimagerechten Gesellschaft ohne Klassen, Ausbeutung und Unterdrückung zu führen, müssen sie mit der konkreten Utopie einer besseren Gesellschaft verbunden sein. Die Kämpfenden müssen eine Vorstellung davon haben, wie sie ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen demokratisch und solidarisch gestalten können, wie ihr Leben ohne den kapitalistischen Profitzwang aussehen würde.
All diese abstrakteren Fragen werden schon in den kommenden Monaten konkret: Die deutsche Automobilindustrie befindet sich in einer rasanten Krise. Bereits jetzt ist ein massiver Stellenabbau in den großen Konzernen und der Zulieferindustrie angekündigt, der Hunderttausende betreffen könnte. Klar ist, dass weder marktgetriebener Produktionsrückgang noch konservierende Strategien wie die Umstellung auf das E-Auto einer ökologischen Verkehrswende förderlich sind. Es braucht die Konversion zur Produktion ökologischer Verkehrsträger bei gleichzeitiger einkommenssichernder Beschäftigungsgarantie. Sowohl für die Beschäftigten der Autoindustrie als auch für die Klimabewegung wird es nur in einem Offensivkampf, in dem die Eigentumsfrage aufgeworfen wird, gelingen, ihre Interessen durchzusetzen. Gerade hier wird es entscheidend sein, ob es gelingt, aufeinander zuzugehen und gemeinsame Strategien zu entwickeln.