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MfG, eure fdGO

Schön wär’s, wenn es die AfD nicht gäbe – doch Linke müssen sich mehr einfallen lassen, als ein Verbot der Partei zu fordern

Von Michèle Winkler

Kann die AfD so gestoppt werden? Foto: Matthias Berg

Ein Verbot der AfD sei nicht nur möglich, sondern auch politisch notwendig – so argumentiert die im Juni 2024 gestartete Kampagne »Menschenwürde verteidigen – AfD-Verbot jetzt!« Getragen wird die Kampagne von Engagierten aus der Zivilgesellschaft, Jurist*innen, Sozialarbeiter*innen, gewerkschaftlich Aktiven, Klimabewegten, langjährigen oder ganz frisch antifaschistisch Aktiven, die die Vertreter*innen der Bundesregierung, des Bundestags und des Bundesrats nun auffordern, den Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen.

Man sei sich bewusst, dass ein Verbot nicht zum Verschwinden der Positionen der AfD in der Gesellschaft führe, aber die organisatorische Struktur der Partei zerschlagen und ihr die finanzielle Unterstützung entziehen könne. Die zentrale und nachvollziehbare Hoffnung der Aktiven ist demnach, dass durch den Wegfall der Parteienstruktur und -finanzierung der AfD eine ökonomische und damit organisatorische Schwächung sowie ein Zwang zur Reorganisierung rechter Kräfte eintreten könne.

Als weitere erhoffte Folgen listet das Bündnis, dass ein Verbot der AfD die Legitimität nehmen könne, die sie aus demokratischen Wahlerfolgen ziehe. Zudem könne es »verhindern, dass zentrale Verfassungsgrundsätze außer Kraft gesetzt werden und die Relativierung von Grundrechten und Verfassungsprinzipien weiter voranschreitet«. Darüber hinaus könne ein Verbotsverfahren die Kooperation in Kommunen und Landtagen unterbinden und »die Brandmauer wieder aufbauen«. Das sind hehre Ziele. Zeit, sich zu fragen, was es mit der »wehrhaften Demokratie« auf sich hat.

Das Parteiverbot

Eine Verbotskampagne muss zwangsläufig an staatliche Stellen appellieren, da nur Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat befugt sind, einen Verbotsantrag an das Bundesverfassungsgericht zu stellen. Ein Verbot nach Artikel 21 Abs. 2 GG muss auf der verfassungsgerichtlichen Feststellung basieren, dass die Partei »nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden«. Zudem muss das Bundesverfassungsgericht »eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung« erkennen sowie ein Erreichen dieser Ziele durch die Partei für nicht komplett aussichtslos halten.

Der zentrale Begriff ist dabei die freiheitlich demokratische Grundordnung (fdGO). Als dieser 1949 in Artikel 18 zur Grundrechtsverwirkung und Artikel 21 zum Parteienverbot in das Grundgesetz aufgenommen wurde, war er inhaltlich noch weitgehend unbestimmt. Doch schon damals wurde er in den Dienst der Idee einer »wehrhaften Demokratie« gestellt. Diese zielt nicht auf tatsächlichen Demokratieschutz oder gar Demokratieentwicklung, sondern auf den Schutz des bürgerlichen Staates vor inneren und äußeren Feinden. Die wehrhafte Demokratie, ebenso wie ihre zentralen Begrifflichkeiten fdGO, Totalitarismus und Extremismus, müssen als Staatsschutzinstrumente begriffen werden. Sie geht von einem autoritären und illiberalen Verständnis von Demokratie aus, das dem Individuum mit Misstrauen begegnet und es anhand sicherheitspolitischer Feindbilder überprüft. Dieses Demokratieverständnis kennt keine radikalen Demokratisierungsperspektiven, sondern erachtet ein Zuviel an Deliberation und Mitbestimmung in den Händen des Einzelnen oder zivilgesellschaftlicher Institutionen als bedrohlich.

Renazifizierung und historische Mythen

Anders als heute oft behauptet, diente das Konzept der wehrhaften Demokratie auch nicht zuvorderst dazu, die BRD vor einem Rückfall in den Faschismus zu bewahren. Vielmehr wurde in der gerade gegründeten BRD der Kommunismus zum zentralen Feindbild erklärt. Erst recht ist die Behauptung, das Grundgesetz sei antifaschistisch ausgerichtet, historisch unhaltbar, auch wenn sich Versatzstücke sozialistischer und antifaschistischer Ideen darin finden mögen. Maximilian Fuhrmann und Sarah Schulz arbeiten in ihrem 2021 erschienenen Buch »Strammstehen vor der Demokratie« akribisch heraus, dass das Konzept der wehrhaften Demokratie zum einen ideengeschichtliche Kontinuitäten zu den konservativen Eliten der Weimarer Republik aufweist, die gewichtigen Anteil daran hatten, die Weimarer Demokratie durch autoritäre Maßnahmen zu beschädigen und den Nazis an die Macht zu verhelfen. Zum anderen wurden eben diese Ideen in den Jahren 1948/49 wieder hegemonial und bestimmten die geschichtliche Deutung des Übergangs in den Nationalsozialismus.

In der konservativ-autoritären Lesart der Geschichte wurde die Weimarer Republik als zu liberal und wehrlos gegenüber ihren Feinden von links und rechts beschrieben. In diesen Deutungen bleiben zahlreiche Aspekte außen vor: die Demokratieskepsis der Weimarer Konservativen, die daraus resultierende Einschränkung der politischen Grundrechte durch eine zunehmend autoritäre Gesetzgebung und Stärkung der Exekutivgewalt, die Kommunist*innenverfolgung und politische Justiz sowie die finanzielle Unterstützung der NSDAP durch das Großbürgertum.

Bis heute wird zudem fälschlich von einer legalen Machtübernahme durch die Nazis gesprochen. Deren Herrschaft wurde allerdings erreicht und gefestigt durch konservativen Opportunismus und durch Verfassungsbruch, Gewalt und Verfolgung der politischen Gegner*innen. Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wurden innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Notverordnungen erlassen, die die Macht auf die Reichsregierung konzentrierten und gesetzmäßige Schranken bei der Verfolgung politischer Gegner*innen aufhoben. Die bekannteste davon ist die Reichstagsbrandverordnung, die den dauerhaften Ausnahmezustand legitimierte. Sie setzte politische Grundrechte außer Kraft und unterstellte alle Polizeibehörden direkt dem NSDAP-Innenminister Frick. Auch führte sie die Todesstrafe für Hochverrat und Brandstiftung ein. Zusammen mit der Abschaffung des Rückwirkungsverbots, womit auch für länger vergangene Taten die Todesstrafe verhängt werden konnte, diente sie als Basis für die Ausschaltung sämtlicher Opposition und sicherte so die Herrschaft der Nazis ab.

Schließlich entmachtete das Ermächtigungsgesetz das Parlament, konzentrierte sämtliche Gesetzgebungskompetenzen auf die Reichsregierung und etablierte somit die NS-Diktatur. Dieter Deiseroth legte 2008 in »Die Legalitäts-Legende. Vom Reichstagsbrand zum NS-Regime« dar, dass sowohl das Zustandekommen als auch der Inhalt des Ermächtigungsgesetzes verfassungswidrig waren. Die KPD- und SPD-Abgeordneten wurden von der SA bedroht, teils verhaftet, zur Flucht gezwungen, nicht zur Abstimmung geladen oder an der Abstimmung gehindert. Die angebliche legale Machtübernahme ist eine Legende.

Diese historischen Verzerrungen wurden durch die spätestens ab 1950 einsetzende Renazifizierung verstärkt. Über 53.000 der 55.000 von den Alliierten als NS-belastet entlassenen Beamten wurden wieder in den Staatsdienst aufgenommen. So waren Stellen in Verwaltungen, Universitäten und insbesondere Sicherheitsbehörden schon in den 1950er-Jahren wieder vorwiegend von alten NS-Eliten besetzt. Vor dem Hintergrund des Antikommunismus konnten sie nicht nur an ihrer eigenen diskursiven und materiellen Selbstentlastung von den NS-Verbrechen mitwirken, sondern auch die Staatsschutzideen der wehrhaften Demokratie maßgeblich gestalten und antikommunistisch ausrichten. In den Institutionen der wehrhaften Demokratie, den Verfassungsschutzbehörden, dem Bundesjustiz- und Innenministerium, herrschten laut Fuhrmann/Schulz eine »rechte Hegemonie und rechtsoffene Staatsschutzpolitik«.

Antikommunismus als Staatsräson

Das Ergebnis war die frühe Staatsräson des Antitotalitarismus, der zwar auch die politische Rechte bekämpfte, wenn sie sich positiv auf den Nationalsozialismus bezog – wer dies unterließ, konnte jedoch selbst mit belastender NS-Vergangenheit problemlos und ungestört im neuen Staat Karriere machen. Vorrangig aber wurden die inneren Staatsfeinde in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und weiteren kommunistischen Organisationen verortet. Die wehrhafte Demokratie brachte das 1951 neu gestaltete politische Strafrecht gegen sie in Anschlag. Besonders der neu geschaffene Straftatbestand der Staatsgefährdung, der Individuen »staatsgefährdende Absichten« nachzuweisen versuchte, wurde zur massenhaften Kommunist*innenverfolgung genutzt. Die Begründungen, mit denen Personen nach diesem Straftatbestand als staatsgefährdend eingeschätzt wurden, stützten sich auf sogenannte Verfassungsgrundsätze. Diese bestanden aus einer Auswahl der verfassungsmäßigen Funktionsprinzipien des neuen Staates, etwa die Unabhängigkeit der Gerichte und der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft.

Allerdings blieben die Grundrechte in diesen Verfassungsprinzipien außen vor. Wem also attestiert wurde, einen der sogenannten Verfassungsgrundsätze, eine Auswahl an verfassungsmäßigen Funktionsprinzipien des neuen Staates, abschaffen zu wollen, wurde als staatsgefährdend verurteilt. Dafür konnte schon das Verteilen von Flugblättern ausreichen. Im 1952 beschlossenen Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP), einer Nachfolgepartei der NSDAP, übernahm das Bundesverfassungsgericht diese Verfassungsgrundsätze des politischen Strafrechts, ergänzte sie um einen Bezug zu den Menschenrechten und erklärte sie zum Kerninhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

In der vier Jahre später folgenden Verbotsentscheidung gegen die KPD machte das BVerfG Ausführungen zur »streitbaren Demokratie«, ein oft zur wehrhaften Demokratie synonym genutzter Begriff. Das Gericht schrieb dem Grundgesetz »gewisse Grundprinzipien der Staatsgestaltung« zu, die, »wenn sie einmal auf demokratische Weise gebilligt sind, als absolute Werte anerkannt und deshalb entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt werden sollen«. Das Grundgesetz habe »bewusst den Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung unternommen«. Das oberste Gericht stellte hier gerade nicht die politischen und sozialen Grundrechte als unantastbar fest, sondern sprach von Grundprinzipien der Staatsgestaltung und Staatsordnung. Es wird deutlich: Im Zentrum der wehrhaften Demokratie und der fdGO steht nicht etwa der Demokratieschutz oder gar der Schutz der Grund- und Menschenrechte, sondern der Schutz des Staates.

Alte Staatsschutzdoktrin

Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die antikommunistische Strafverfolgung wurde ab 1968 gelockert, die politische Verfolgung verlagerte sich auf andere Sphären. So sollte etwa das Beamtentum mithilfe des Radikalenbeschlusses von 1972 vor dem »Marsch durch die Institutionen« der Kommunist*innen bewahrt werden. Als das Bundesverfassungsgericht diese Praxis der Berufsverbote 1975 für verfassungskonform erklärte, bejahte es gleichzeitig die Zuständigkeit des Inlandsgeheimdienstes und damit der Exekutive, Einschätzungen über die Verfassungsfeindlichkeit von Individuen und Organisationen zu treffen. Die Grenze verläuft bis heute so: die Verfassungsschutzbehörden stellen Einschätzungen über die »verfassungsfeindlichen Bestrebungen« an; dem Bundesverfassungsgericht obliegt es, die Verfassungswidrigkeit festzustellen.

Mitte der 1970er Jahre wurde der Begriff des Totalitarismus durch den des Extremismus abgelöst, mit dem fortan die Verfassungsfeindlichkeit bestimmt werden sollte. Extremismus war weitaus flexibler auf neue soziale Bewegungen anpassbar und diente nunmehr als zentrales Instrument zur Bestimmung der »Feinde der Demokratie«. Auch ein Zuviel an Demokratie, Gleichheit oder Sozialstaat kann in der VS-Logik als extremistisch gelten. Prominente aktuelle Beispiele dafür sind die Nennungen von Klimaaktivist*innen, von polizeikritischen, abolitionistischen Initiativen oder Kampagnen zur Vergesellschaftung von Wohnraum in Verfassungsschutzberichten. Gleichzeitig werden mithilfe eines staatsschützerisch verkürzten Verständnisses von Rechtsextremismus rechte Gewalt und rechter Terror relativiert, verleugnet und durch Zahlungen an V-Leute finanziell gestützt. Trotz der mitunter tödlichen Auswirkungen dieser Praxis, trotz breiter sozialwissenschaftlicher Zurückweisung sowie umfassender demokratietheoretischer und antifaschistischer Kritiken am Extremismuskonzept konnte sich dieses immer weiter verankern und ist heute hegemonial.

Folgen und Risiken des Bezugs auf die fdGO

Das ist die Basis, auf der die gesamte AfD-Verbotsdebatte aufsetzt. Die Risiken, die damit einhergehen, sind offensichtlich. Mit einem positiven Bezug auf die fdGO kauft man sich das verkürzte und autoritäre Demokratieverständnis ebenso mit ein wie das Extremismuskonzept und die von den Inlandsgeheimdiensten geprägte Grenzziehung zwischen Demokratie und Verfassungsfeindlichkeit. Zudem bezieht man sich auf eine konservative und revisionistische Deutung der Machtergreifung der Nazis, was auch dazu führen kann, im Hier und Jetzt die falschen Prioritäten gegen den fortschreitenden Autoritarismus und Faschismus zu setzen. Das führt zur Ausrichtung antifaschistischer Politik an Staatsschutzkategorien, zum diskursiven Einschwenken antifaschistischer Botschaften auf geheimdienstlichen Anti-Extremismus. Dass dies keine unbegründeten Befürchtungen sind, zeigt der schon einige Jahre andauernde nahezu vollständige Ersatz des Begriffes Antifaschismus durch einen »Kampf gegen Rechtsextremismus«.

Mit einem positiven Bezug auf die fdGO kauft man sich das verkürzte und autoritäre Demokratieverständnis ebenso mit ein wie das Extremismuskonzept.

Bedauerlicherweise argumentieren auch viele Sprecher*innen der Kampagne »AfD-Verbot Jetzt!« in der Hauptsache mit fdGO-Anrufungen, teils auch unter positiver Bezugnahme auf den Verfassungsschutz und seine Quellensammlung. Das ist schade, denn die maßgeblich beteiligten Gruppen könnten anhand ihres Wissens und ihrer Kompetenzen inhaltlich aus dem Vollen schöpfen. Mit oberflächlichem Campaigning und der Anrufung der Antragsberechtigten wird dieser Kampf aber nicht zu führen sein. Im Gegenteil: Antifaschistische Politik wird bis zur Unkenntlichkeit verflacht; die Sicherheitsbehörden und ihre Narrative gewinnen unabhängig von einem erfolgreichen oder scheiternden Verbotsverfahren an Legitimität.

Das ist ein Fehler, denn wenn die Linke ihre Kritik an Repression, autoritären Maßnahmen und Geheimdiensten aufgibt, dann steht deren fortschreitender Gewalt nichts mehr im Wege. Dass sich staatliche Gewalt zuverlässig gegen emanzipatorische Bewegungen richtet, hat sich über die Jahrzehnte als Konstante erwiesen. Mitten in den Vielfachkrisen der Gegenwart, für deren Bewältigung alles infrage gestellt und verändert werden muss, müssen sich Antifaschist*innen einmal mehr an die Worte von Esther Bejarano erinnern: »Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.« Niemals.

Michèle Winkler

ist politische Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie.