Vom Betriebshof zum Klimastreik
Anfang März streikten Klimabewegung und Beschäftigte im ÖPNV Seite an Seite
Von Franziska Heinisch und Julia Kaiser
Streik in der Schule, Uni und Betrieb, das ist unsere Antwort auf eure Politik.« Dieser Slogan erklingt seit Jahren auf den Klimastreiks von Fridays for Future. Am 3. März wurde er erstmals Wirklichkeit: Klimabewegung und ÖPNV-Beschäftigte führten ihre Streiks zusammen. In zahlreichen Städten besuchten Klimaaktivist*innen die Streikposten von ÖPNV-Beschäftigten und an den Klimastreiks nahmen ganze Blöcke von Bus- und Bahnfahrer*innen oder Werkstattbeschäftigten des ÖPNV teil.
Dass diese Allianz aus Beschäftigten und Klimaaktivist*innen für die herrschende Klasse durchaus ein Bedrohungspotenzial darstellt, verdeutlicht die Reaktion der Arbeitgeberseite. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA), denunzierte sie am Morgen des gemeinsamen Streiktages öffentlich als »eine gefährliche Grenzüberschreitung«. Ver.di vermische die Streiks im Rahmen der Tarifauseinandersetzung mit allgemeinpolitischen Anliegen und begebe sich dabei auf das Terrain des politischen Streiks. Zur Freude der Kampagnenaktiven trug dieser Vorwurf dazu bei, dass der Schulterschluss die Nachrichtenmeldungen an diesem Tag dominierte.
Der Kerngedanke der Allianz ist simpel. Die Verkehrswende ist eine der entscheidenden Stellschrauben im Kampf um sozial gerechten Klimaschutz. Doch für mehr kostengünstigen und flächendeckenden ÖPNV braucht es mehr Personal, und das wiederum wird es nur mit guten Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen geben. Das Kampagnenmotto »Wir fahren zusammen« steht für die Aktivist*innen für den gemeinsamen Kampf für eine soziale und ökologische Verkehrswende, kein Entweder-Oder.
Der Kampf gegen ein leeres Portemonnaie und der Kampf gegen das Ende der Welt gehören zusammen.
Um ihn zu gewinnen, müssen die Beschäftigten und die Klimabewegung ihre Machtressourcen miteinander kombinieren: Die Kolleg*innen im ÖPNV können mit ihrer Streikmacht die öffentliche Infrastruktur bedeutend stören und so notwendige Investitionen in den ÖPNV erzwingen. Die Klimabewegung kann ihre diskursiven Machtressourcen nutzen, um mit öffentlichen Aktionen und Statements Arbeitsniederlegungen im ÖPNV zu legitimieren und somit den politischen Druck für eine soziale und ökologische Verkehrswende zu erhöhen. Durch eine Ausrichtung auf Arbeitskämpfe lassen sich neue Machthebel und breitere gesellschaftliche Unterstützung für ökologische Anliegen erschließen.
Ergebnis jahrelanger Arbeit
Auf dem Papier erscheint eine Zusammenführung der Akteur*innen im Sinne einer ökologischen Klassenpolitik also naheliegend. Dass sie sich derzeit tatsächlich in Dutzenden Städten in Form von lebendigen Aktionsgruppen entfaltet, ist jedoch Ergebnis jahrelanger Arbeit. Bereits 2020 wurden erste Schritte in diese Richtung erprobt. In etwa 30 Städten unterstützten Klimaaktivist*innen die streikenden Beschäftigten in der Tarifauseinandersetzung im Nahverkehr, etwa durch Kundgebungen, Infostände oder am Streikposten. Gemeinsame Klimastreiks jedoch schienen 2020 noch unrealistisch. Die aktuelle Zusammenarbeit knüpft insofern an die bestehenden Erfahrungen an, doch erreicht bereits jetzt eine neue Qualität. Der 3. März war ein großer Schritt in Richtung eines Labour Turns der Bewegung einerseits und eines Climate Turns der Gewerkschaften andererseits.
In den vergangenen Monaten machten Klimaaktivist*innen und Beschäftigte wichtige Erfahrungen: Ihre Kräfte zu bündeln bedeutet, um gegenseitiges Verständnis, Vertrauen und eine gemeinsame Praxis zu ringen. Es stellen sich zahlreiche Fragen, wie: Um welche Uhrzeit machen wir ein Treffen, damit Menschen mit Schichtarbeit und Familie teilnehmen können? Wie geht man mit Ablehnung oder Rassismus am Betriebshof um? Wie überwindet man sich, Menschen aus ganz anderen Lebenswelten anzusprechen? Gelingt es jedoch, sich anzunähern und erste kleine Aktivenkreise zu formieren, können diese ausstrahlen und die Klima- wie Arbeiter*innenbewegung gleichermaßen prägen und revitalisieren.
Nach der ersten Kontaktaufnahme der Klimaaktivist*innen zu Betriebsräten, Gewerkschaftssekretär*innen oder Betriebsgruppen entwickelten die lokalen Bündnisse ab Herbst 2022 unterschiedliche Formate, um Solidarität zu organisieren. Durch bundesweite Austauschformate konnten andere Gruppen diese Aktionen beobachten und weiterentwickeln. In Leipzig beispielsweise holten Aktivist*innen in Postkartenform Unterstützungserklärungen von Fahrgästen ein und konfrontierten die Leipziger Politik mit den Anliegen der Beschäftigten. In Göttingen berichteten Beschäftigte im ÖPNV bei einer Stadtversammlung von ihren Arbeitsbedingungen und luden die Stadtbevölkerung ein, sich als Teil der aktuellen Tarifauseinandersetzung zu begreifen. Teilweise wirkten Aktivist*innen auch am Aufbau der Streikbereitschaft im Betrieb mit – für den 3. März und darüber hinaus.
Ausgangspunkte der Zusammenarbeit vor Ort waren also häufig erst einmal die unmittelbaren Anliegen der Beschäftigten: Viele Bus- und Bahnfahrer*innen begreifen sich nicht primär als Klimaschützer*innen. Sie machen sich Gedanken darum, ob sie sich einen Job, bei dem sie nur knapp über dem Mindestlohn verdienen, überhaupt noch leisten können. Oder sie überlegen, ihren Job zu verlassen, weil sie für viel zu wenig Anerkennung unter viel zu harten Bedingungen arbeiten. Konkrete Solidaritätserfahrungen ermöglichten, davon ausgehend Brücken zu schlagen – zwischen Schüler*innen, Studierenden und Busfahrer*innen, zwischen Betriebshof und Plenum, von der Sorge vor dem Ende des Monats zur Ohnmacht angesichts der eskalierenden Klimakrise.
Überwindung von Differenzen
Der Klimastreik in Köln ließ für einen Moment erahnen, welche Kraft der Zusammenarbeit von Klimabewegung und Beschäftigten innewohnt: Noch vor wenigen Monaten lehnten die Beschäftigten der Kölner Nahverkehrsbetriebe eine Zusammenarbeit ab, weil sie zu viele Differenzen mit der Klimabewegung sahen. Doch die Aktivist*innen vor Ort suchten weiter das Gespräch, sammelten Unterschriften von Menschen, die sich bereit erklärten, die Kolleg*innen in ihrem Kampf für mehr Lohn zu unterstützen, sie zeigten: Wir meinen es ernst. Bis die Beschäftigten wenige Tage vor dem 3. März entschieden, nun doch mit der Klimabewegung gemeinsam auf die Straße zu gehen. Als eine Klimaaktivistin die Bühne betritt, bilden Dutzende dieser in ver.di-Streikwesten gekleideten Kolleg*innen die erste Reihe der Auftaktkundgebung zum Klimastreik. Kraftvoll ruft sie in die Menge: »Seid ihr bereit, 2024 das ganze Land gemeinsam lahmzulegen?« Die Reaktion: Jubel, Pfiffe – ein deutliches »Ja«.
Allen Anwesenden ist an diesem Tag klar: Der Kampf gegen ein leeres Portemonnaie am Ende des Monats und der Kampf gegen das Ende der Welt gehören zusammen. Und beide lassen sich nur gemeinsam gewinnen. Dieses Band der Solidarität wurde sowohl durch die gemeinsamen Erfahrungen der letzten Wochen als auch durch Spaltungsversuche in den Medien oder durch die Arbeitgeber verstärkt.
Der März wird für die Beschäftigten im ÖPNV und ihre Forderung entscheidend sein. Deshalb wird die Kampagne noch intensiver und in mehr Städten Verbindungen aufbauen, um die Streiks zu stärken. Doch das erklärte Ziel der Kampagne geht weit über März hinaus: Die Tarifauseinandersetzung im Nahverkehr 2024 soll genutzt werden, um die notwendigen Investitionen in die Verkehrswende durchzusetzen. Bis dahin gilt es für die Klimabewegung auch, zurück an die Schulen und Unis zu kommen und die Dynamik von vor der Pandemie wieder aufzugreifen. Das Potenzial, große Schritte in Richtung Verkehrswende zu machen, ist jedenfalls groß, vielleicht größer als vor einigen Jahren.