Auch Held*innen müssen Miete zahlen
In den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst geht es um mehr als höhere Löhne
Von Daniel und Lisa
Vieles deutet darauf hin, dass es sich bei den aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst um eine Schlüsselauseinandersetzung in den heraufziehenden Verteilungskämpfen um die Finanzierung der Krisenkosten handelt. Ihre politische Bedeutung geht jedoch über eine bloße Umverteilung von Geldern hinaus, denn diese Tarifrunde ist auch ein feministischer Kampf: Sie betrifft wichtige Bereiche des öffentlich verwalteten gesellschaftlichen Reproduktionssektors. Viele Beschäftigte sind Frauen in weiblich konnotierten Berufsfeldern – wie Erzieher*innen und Pfleger*innen. Es geht somit auch um die materielle Aufwertung von Care-Arbeit und darum, das Bild der »sich aufopfernden Krankenschwester« zu dekonstruieren.
Zu Beginn der Pandemie noch als Superheld*innen beklatscht und zugleich von einer massiven Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen betroffen, drohen Pflegekräfte nun längerfristig zu den Krisenverlierer*innen zu werden. Der Superheld*innendiskurs ist anerkennend gemeint, suggeriert jedoch, dass Pfleger*innen übermenschliche Kräfte hätten und dass es ihre Berufung sei, unter widrigsten Umständen Wunder zu vollbringen. Aber gute Pflege braucht gute Arbeitsbedingungen, und auch Superheld*innen müssen Miete zahlen.
Tarifrunden im öffentlichen Dienst sind normalerweise ritualisierte Veranstaltungen: Nach eher symbolischen Warnstreiks einigen sich Bund und Kommunen mit der Gewerkschaft ver.di auf Lohnsteigerungen im einstelligen Prozentbereich. Dass es diesmal anders werden würde, kündigte sich an, als die Gegenseite das Angebot von ver.di ausschlug, die Tarifrunde aufgrund der Pandemie zu verschieben. Die Vereinigung Kommunaler Arbeitgeber (VKA) tritt nun als Hardliner auf und verlangt eine Nullrunde sowie eine lange Laufzeit des neuen Tarifvertrages. Ihr Kalkül scheint zum einen darin zu bestehen, den Kriseneinbruch zu nutzen, um die Gewerkschaft ver.di zu Zugeständnissen auf Kosten der Beschäftigten zu bewegen.
Zum anderen versucht die VKA, die Streikbereitschaft der Beschäftigten selbst durch einen Appell an ihr Berufsethos zu schwächen, indem die Erbringung von Fürsorge unter unzumutbaren Arbeitsbedingungen gerade in Krisenzeiten als alternativlos verklärt wird. Die Bedürfnisse der Sorgearbeitenden werden gegen die der Patient*innen ausgespielt. In der öffentlichen Berichterstattung zur Tarifrunde gibt es inzwischen zwar das nahezu einhellige Bekenntnis zur Systemrelevanz von Care-Berufen, die Forderungen der Streikenden allerdings werden allzu oft heruntergespielt oder ganz delegitimiert. Streik in Krisen- und Pandemiezeiten – also, das ist ja eindeutig verantwortungslos!
Schon vor der Krise kriselte es
Verschwiegen wird in dieser Erzählung jedoch, dass schon vor Corona die neoliberalen Umgestaltungen und die Sparpolitik in weiten Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, zu niedrigen Löhnen und hoher Arbeitsdichte geführt haben. Am permanenten Kostendruck, der insbesondere beim Personal zu Einsparungen führte, entbrannte in den letzten Jahren eine Streikbewegung an den Krankenhäusern, die durch die Pandemie zwar kurzfristig ausgebremst, jedoch nicht gestoppt wurde. Hieß es vor ein paar Jahren noch »Krankenschwestern streiken nicht«, sind es jetzt selbstbewusste Krankenpfleger*innen, die den Arbeitgebern und ihrer Forderung nach einer Nullrunde entgegentreten. Bereits während des Lockdowns organisierten sich die Berliner Krankenhausbeschäftigten und legten dem Senat einen »Corona-Krankenhauspakt« vor, in dem sie unter anderem ausreichend Schutzausrüstung, mehr Personal, die Rückführung von outgesourcten Tochterunternehmen und eine andere Krankenhausfinanzierung forderten.
Die Gewerkschaft ver.di setzt deshalb in der laufenden Tarifrunde des öffentlichen Dienstes besonders auf die Beschäftigten an den Krankenhäusern. Es gibt einen eigenen Gesundheitstisch bei den Verhandlungen, der zusätzlich zu den für alle geforderten 4,8 Prozent mehr Lohn einen Zuschlag und Zulagen für Pflegekräfte verhandeln soll. Der erste bundesweite Warnstreik am 29. und 30. September 2020 konzentrierte sich auf die Krankenhäuser. In Berlin traten 400 Krankenhausbeschäftigte der Charité- und Vivantes-Kliniken in den Ausstand, begleitet von Einschüchterungsversuchen der Klinikleitungen und einer heftigen Auseinandersetzung um die Notdienstvereinbarung, die das Streikrecht der Beschäftigten und gleichzeitig die Patient*innensicherheit gewährleistet. Vivantes unterschrieb eine Notdienstvereinbarung, die es jedoch nur einem Teil der Streikwilligen ermöglichte, ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Die Charité verweigerte eine Einigung.
Fürsorge in den Mittelpunkt stellen
Nach ihrer Motivation befragt, machen viele Streikende deutlich, dass es in dieser Tarifrunde für sie um eine materielle Aufwertung und Wertschätzung ihrer Arbeit geht. Ihnen ist dabei die gesamtgesellschaftliche Bedeutung ihres Kampfes sehr bewusst. Sie wollen nicht mehr die aufopferungsvollen Lückenbüßer*innen spielen, während Milliarden Euro an die Lufthansa fließen. Als radikale Linke sollten wir diese Tarifrunde ebenso als einen gesellschaftlichen Konflikt begreifen und als eine Chance, ein Gesellschaftsbild zu entwerfen, für das wir streiten: eine Gesellschaft, die Fürsorge in den Mittelpunkt stellt und seine soziale Infrastruktur ausreichend finanziert. Es handelt sich nicht nur um einen Abwehrkampf im Rahmen der Verteilung der Krisenkosten, auch wenn die Angriffe auf die Warnstreiks deutlich machen, dass die Ausgangsbedingungen für diesen Konflikt nicht einfach sind.
Aber anders als 2007 hat der Diskurs um »systemrelevante« Berufe und das Klatschen auf den Balkonen zumindest einen kleinen Anker gegen die sogenannte Alternativlosigkeit gelegt. Wir haben es den erfolgreichen Kämpfen der letzten Jahre zu verdanken, dass es überhaupt zu einem Konflikt kommt und ver.di eine Nullrunde – und damit den Einstieg in die nächste Runde Austeritätspolitik – nicht einfach akzeptiert. Auch dass der Widerspruch zwischen Dankbarkeit und materieller Anerkennung so deutlich zutage tritt, ist ein Erfolg der vergangenen Kämpfe von Krankenhausbeschäftigten. Es ist unsere Aufgabe als radikale Linke, genau in diese Widersprüche zu intervenieren und uns mit den Beschäftigten aktiv zu solidarisieren.