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Der schnellste Weg aus der Küche

Silvia Federici über Hausarbeit, Generalstreiks, Identitätspolitik und die Deindustrialisierung von Detroit

Interview: Hannah Schultes

Silvia Federici vor einem Bücherregal
Silvia Federici kritisiert die Gegenüberstellung von »Identitätspolitik« und »Klassenpolitik«: »Ich denke, dass diese künstliche Teilung wirklich missversteht, was in unserer Gesellschaft geschieht.« Foto: Marta Jara (eldiario.es) / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 ES

In den 1970er Jahren stritt sie mit Frauen wie Mariarosa Dalla Costa und Selma James in einer internationalen Kampagne für »Lohn für Hausarbeit«. Heute interessiert sich Silvia Federici für eine Politik, die sich zwischen »the wage and the common« – zwischen Kämpfen um Lohn und dem Aufbau von Gemeingütern – bewegt. In den letzten Jahren wurden ihre Bücher breit rezipiert – Feminist_innen und Linke interessieren sich verstärkt für die Frage des Zusammenhangs von Kapitalismus und Patriarchat.

Wie erklärst du dir die große Resonanz deiner Arbeit und deiner Bücher in linken Bewegungen?

Silvia Federici: Ein Grund für das Interesse war sicherlich mein Buch »Caliban und die Hexe«. Es liefert einen Bezugsrahmen, um die Position von Frauen im Kapitalismus zu verstehen, zumindest historisch. (1) Positiv überrascht hat mich das erneute Interesse an der Forderung nach Lohn für Hausarbeit und der Organisierungsarbeit, die ich und andere Frauen in der gleichnamigen Kampagne in den 1970er Jahren gemacht haben. Für dieses Interesse gibt es mehrere Gründe. Zum einen gibt es eine wachsende Erkenntnis, dass die anderen Strategien, die weite Teile der feministischen Bewegung in den 1970er Jahren verfolgten, ihre Versprechen nicht gehalten haben.

Die Strategie, die Position der Frauen durch Lohnarbeit zu verändern, hat sicherlich nicht zu der Art von Emanzipation geführt, die viele Feministinnen vor Augen hatten. Viele sind ernüchtert davon, dass die feministische Bewegung gerade aufgrund dieser Strategie für Kooptierung anfällig geworden ist. Das Streben nach außerhäuslicher Arbeit wurde benutzt, um Frauenarbeit für den Neoliberalismus nutzbar zu machen. Es geht deshalb heute um die Wege, die nicht gegangen wurden. Es gibt eine Reproduktionskrise, Verelendung, Sozialabbau. Einer der Wege, über die das Interesse an der Kampagne Lohn für Hausarbeit reaktiviert wurde, waren die Debatten um das Grundeinkommen.

Unbezahlte Arbeit gibt es heute vermehrt auch in anderen Bereichen, zum Beispiel Bildung. Studenten machen heutzutage eine Menge an unbezahlter Arbeit. Diese Veränderungen der Lage der Frauen und der Bedingungen, die viele junge Menschen vorfinden, haben dazu geführt, dass es ein neues Interesse gibt an einer Frage, die auf die Vergangenheit beschränkt zu sein schien.

Silvia Federici

ist emeritierte Professorin für politische Philosophie und International Studies der Hofstra University und langjährige feministische Aktivistin und Autorin zahlreicher Essays zu feministischer Theorie, Frauen und Globalisierung und feministischen Kämpfen. Sie lebt in New York City.

Lohn für Hausarbeit war damals eine sehr kontroverse Forderung. Warum war das so?

Sie wurde ziemlich missverstanden. Es ist eine lange Geschichte – mir war es immer ein Rätsel, dass so viele Frauen Lohn für Hausarbeit ablehnend gegenüber standen. Uns wurde vorgeworfen, wir wollten die Frauen im Haus institutionalisieren. Andere warfen uns vor, wir würden monetäre Beziehungen in eine der wenigen Kapitalismus-freien Bereiche des Lebens einführen wollen. Auf der einen Seite also diese Idealisierung von Familie, Liebe etc., und auf der anderen Seite der Vorwurf, dass dies eine gewerkschaftliche Forderung sei, die Frauen zu einem Leben in der Küche verdammt. Der subversive Charakter der Forderung blieb unverstanden: Es war die Weigerung, dem Kapital auf unsere Kosten bei der Akkumulation zu helfen, ein ungerechtes System mit Gratisarbeit zu unterstützen. Der Titel eines Textes von mir lautete damals »Löhne gegen Hausarbeit«. Es war also ein Kampf gegen unbezahlte Arbeit, nicht dafür, mehr Hausarbeit zu verrichten. Wir wollten klar machen: Das ist nicht natürlich, das ist Arbeit, also müsst ihr das bezahlen. Das war aus unserer Sicht der schnellste Weg aus der Küche, der schnellste Weg, die Vergeschlechtlichung dieser Arbeit zu beenden.

Der Kontext dieser Forderung war außerdem eine Bewegung in den USA, die sich nicht Lohn für Hausarbeit nannte, sondern Welfare Mothers Movement: Frauen, die für Familienbeihilfe kämpften. (2) Wir unterstützten sie mit unserem Kampf, indem wir sagten: »Das sind keine Almosen.« Diese Mütter, die von staatlicher Wohlfahrt abhängig waren, forderten Geld, weil sie der Meinung waren: »Jede Mutter ist eine arbeitende Mutter, nicht nur die, die außerhalb ihres Zuhauses arbeiten.« Den Kritikerinnen der Lohn für Hausarbeits-Forderung entgegneten wir, dass wir aufgrund unseres Mangels an Möglichkeiten sowieso im Haus institutionalisiert waren. Wenn Frauen keine Ressourcen haben, bleiben sie notgedrungen bei Männern.

Die Vorstellung, dass die Familie ein machtfreier Raum ist – absurd. Die Familie ist eine der am stärksten regulierten Sphären des gesellschaftlichen Lebens. Die Idee, dass Lohnarbeit ein Weg zur Emanzipation sein kann – das war eine wirklich kurzsichtige Vorstellung davon, was Kapitalismus ist. Wir sagten: »Wenn Frauen außerhalb des Hauses zur Arbeit gehen, tun sie das aus einer noch schwächeren Position heraus als Männer, markiert als die, die umsonst arbeiten.«

Viele Linke unterstützen heute die Forderung nach einem Grundeinkommen, sind aber sehr kritisch gegenüber der Forderung nach Lohn für Hausarbeit.

Ich höre immer wieder, vor allem von Männern: »Das Gute am Grundeinkommen ist, dass es Einkommen von Arbeit entkoppelt.« Und wenn du Lohn für beziehungsweise gegen Hausarbeit forderst, feierst du angeblich die Arbeit. So viel Heuchelei und auch Unvermögen, zu verstehen, was es heißt, eine Strategie, eine Forderung zu haben. Sie wollen Arbeit vom Einkommen trennen, aber wie sind denn die Machtverhältnisse? Der erste, der einen Vorschlag für ein Grundeinkommen vorlegte, war übrigens Milton Friedman, der Vater des Neoliberalismus. Die Idee war: Lass uns den Armen einen kleinen Gehaltsscheck schicken, dann kann die Regierung aufhören, die Reproduktion der Arbeitskräfte zu subventionieren und alle Leistungen streichen. Es gibt viele Feministinnen, die im Grundeinkommen auch Lohn für Hausarbeit sehen, ein Einkommen, das unsere Reproduktion unterstützt. Nur wollen sie es nicht Lohn für Hausarbeit nennen, weil sie befürchten, dass dadurch das Bild der Frau als Hausfrau bestätigt wird.

Lohn von Arbeit zu entkoppeln – das klingt sehr schön, aber haben wir wirklich die Macht, das zu tun? Ich habe gesehen, was die Kapitalistenklasse und der Staat in den USA der 1960er und 1970er Jahren mit den Frauen, die von staatlichen Leistungen abhängig waren, gemacht haben. Weil sie mehr Sozialleistungen forderten, gab es eine erstaunlich bösartige Kampagne, die diese Frauen als Parasiten darstellte. Sie würden Kinder auf dem Rücken der Arbeiterklasse in die Welt setzen – und dafür auch noch Geld fordern. Die feministische Bewegung hat sie nicht unterstützt. Aber wir haben natürlich gesagt: »Diese Arbeit ist Arbeit, hier wird die nächste Generation großgezogen« und so weiter. Diese Frauen, vor allem Schwarze Frauen, wurden dämonisiert und gedemütigt. Es war ein Angriff auf alle Frauen, denn Kinder großzuziehen wurde als Nicht-Arbeit dargestellt: »Man tut es für seine Familie, die Gesellschaft hat von dieser Arbeit nichts.« Das ist eine totale Lüge.

Bei jüngeren Beispielen feministischer Mobilisierung wie den Protesten in Polen, Argentinien und den Women’s Marches im Januar fällt auf, dass in allen die Idee, Reproduktionsarbeit zurückzuhalten, zu streiken eine Rolle gespielt hat. In der linken Diskussion um die Women’s Marches gab es allerdings auch den Einwand, dass das kein »echter« Streik war. Warum ist der Streik wieder Bestandteil von feministischen Kämpfen geworden, und welche Probleme gibt es damit?

Der Kontext ist entscheidend. Der Streik in Argentinien wurde Anfang Oktober 2016 ausgerufen, als sich Frauen während ihres jährlichen Treffens in der Stadt Rosario versammelten und von der Ermordung einer 16-Jährigen in Mar del Plata erfuhren. Sie riefen einen Streik aus. Dahinter stand keine elaborierte Strategie, es war eine spontane Entscheidung. Die Idee war einfach: Genug! Frauen machen jetzt erst mal gar nichts mehr.

Weil der Aufruf erfolgreich war, gab es dann eine bewusste Entscheidung, das auszudehnen. Viele gingen in Buenos Aires und in anderen Teilen Lateinamerikas auf die Straße, auch in New York. Es war eine erklärte Ablehnung, die gegenwärtige Situation zu akzeptieren angesichts von so viel Gewalt gegen Frauen. Im Zuge des Streiks kam es zu interessanten Diskussionen über die Frage: Wie interpretieren wir den Streik? Insbesondere einen Reproduktionsstreik, der natürlich ganz anders sein muss als herkömmliche Streiks.

Das Verhältnis von Frauen zum Streik hat eine lange Geschichte. In den 1970er Jahren sagten wir: Es hat nie einen Generalstreik gegeben. Wenn Männer davon sprechen, weisen wir darauf hin, dass Frauen immer weiter gearbeitet haben. In Bezug auf einen Frauenstreik ist es offensichtlich nicht möglich, wirklich einen Generalstreik durchzuführen, ganz sicher nicht für eine längere Zeit. Denn die Arbeit der Reproduktion hat seine eigene Logik: Es gibt Menschen, die von dir abhängig sind. Aber es gab vielerlei Arten, einen Streik zu interpretieren in dem Sinne: »Ok, heute fangen wir an, eine Grenze zu setzen. Es ist ein Tag, den wir mit anderen Frauen verbringen, an dem wir uns organisieren, um unser Leben zu verändern.« Also haben wir das sehr breit gefasst.

Im Herbst 1975 riefen Feministinnen einen Streik in Island aus. Eine große Mehrheit der Frauen in Island beteiligte sich, vor allem in Reykjavík. Im vergangenen Sommer traf ich eine der Organisatorinnen. Ich fragte sie, wie sie es gemacht haben – für uns war das damals ein Mysterium. Sie wollten zeigen, dass sich ohne Frauen nichts bewegt, und brachten die Stadt zum Stillstand. Ihre Antwort war: »Island ist klein und sehr homogen, die Menschen sind im Kontakt miteinander, und in vielen Nachbarschaften gab es Frauenräte.« Es gab also eine Geschichte von Frauenorganisierung in Island, sodass es ziemlich einfach war, einen Streik zu organisieren.

Derzeit gibt es in den USA, aber auch in Deutschland in der Linken eine Debatte über die linke Agenda. »Identitätspolitik« und »Klassenpolitik« werden in der Debatte als zwei unterschiedliche politische Programme einander gegenüber gestellt. Dabei wird oft von einer kulturalistischen Linken auf der einen Seite und einer ökonomistischen auf der anderen ausgegangen. Wie siehst du diese Debatte?

Ich lehne beides ab. Ich denke, dass diese künstliche Teilung wirklich missversteht, was in unserer Gesellschaft geschieht. Die Trennung zwischen Politik und Wirtschaft und Kultur ist eine künstliche. In manchen Teilen der Linken gibt es eine Tendenz – die hoffentlich verschwinden wird –, Bewegungen wie die Frauenbewegung oder die ökologische Bewegung als kulturelle Bewegungen zu betrachten. Das ist eine Bankrotterklärung, ein völliges Missverständnis der Art und Weise, wie im Kapitalismus unterschiedliche Positionen innerhalb der Organisation der Arbeit geschaffen wurden.

Man kann in einer Gesellschaft, die in einer sehr hierarchischen Weise konstruiert ist, nicht als geschlechtsloses, altersloses, race-loses universelles abstraktes Subjekt kämpfen. Wenn nicht von diesen unterschiedlichen Erfahrungen und Formen der Ausbeutung aus der eigenen Position heraus gesprochen wird, dann wird nicht über die Gesamtheit kapitalistischer Ausbeutung gesprochen. Die Idee, dass es auf der einen Seite Kultur gibt und auf der anderen die reale Sache, ist Teil einer sehr paläomarxistischen, steinzeitlichen Konzeption von Ausbeutung und Akkumulation. Im Grunde sieht diese Konzeption Akkumulation immer noch vor allem in der Fabrik und alles andere ist »kulturell«. Genau das lehnte unsere Bewegung ab.

Ich bin besorgt, wenn man von Identität als etwas Kulturellem spricht, sich aber eigentlich auf eine spezifische Position in der kapitalistischen Arbeitsorganisation bezieht, also eigentlich eine spezifische Form der Ausbeutung meint. Wenn Frauen nicht als Frauen gekämpft hätten, hätte es die Analysen zu Sexualität, wie Sexualität und die Geschlechterverhältnisse zu einem Instrument der Akkumulation geworden sind, nicht gegeben. Es war unbekannt, solange Frauen in männlich dominierten Organisationen gearbeitet haben und das universelle Subjekt akzeptierten, das ein männliches ist. Es gab ein ganzes Feld von Ausbeutung – die Besonderheit der Ausbeutung des weiblichen Körpers, weibliche Sexualität, Fortpflanzung –, über das nie gesprochen worden wäre.

Was folgt daraus?

Also, wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir von Identitätspolitik sprechen. Was meinen wir damit eigentlich? Natürlich bin ich sehr kritisch, wenn beispielsweise die Vereinten Nationen eine Politik der Identität verfolgen: Frauenrechte, indigene Rechte – sie schaffen kleine Reservate, jedes bekommt ein eigenes Pflaster, ein paar Rechte. Das ist etwas Anderes. Aber wenn wir über spezifische Formen der Ausbeutung sprechen, dann sehen wir Kontinuität ebenso wie mögliche Allianzen, und wo wir Hierarchien und Spaltungen überwinden müssen. Wie kannst du die kapitalistische Trennung zwischen Frauen und Männern angreifen oder zwischen Weiß und Schwarz, wenn du diese Positionen nicht benennst? Wenn du es nicht benennst, wie kämpfst du dann gegen Rassismus – während man so tut, als würde es ein universelles Subjekt geben.

In Deutschland wird die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland oft dafür kritisiert, dass sie Frauen auf die Rolle als Mütter und Hausfrauen reduzieren will. Liberale und Linke verteidigen das Recht der Frauen, nicht auf diese Rolle reduziert zu werden. Was würdest du darauf antworten?

Ich würde beides zurückweisen. Viele Leute denken, es sei aufregend, außerhalb des Hauses zu arbeiten. Was nicht gesehen wird, ist, dass viele Frauen in einem Leben voll nicht endender Arbeit gefangen sind – ohne Zeit für Erholung oder andere Dinge. Der Kampf um Kinderbetreuung drehte sich beispielsweise immer darum, dass die Mutter zur Arbeit gehen kann. Es ging nie darum, dass sie zu einer politischen Versammlung oder tanzen gehen kann. Es ist klar, dass Hausarbeit im Kapitalismus nicht gut ist, sondern Schufterei, einengend, isolierend. Es gibt keine Ressourcen. Aber das trifft auch auf viele Jobs außerhalb des Hauses zu.

Viele Feministinnen haben die Hausarbeits-Definition der Kapitalistenklasse übernommen. Wie viele Jobs gibt es für Frauen, die wirklich spannend sind? Es gibt diese Vorstellung, dass Lohnarbeit im Unterschied zu Hausarbeit bedeutet, ein Sozialleben zu haben. Das stimmt nicht. Manche Frauen erledigen Büroarbeiten, bei denen sie alleine in einem fensterlosen Raum sitzen. Aber der Punkt ist nicht, dass Hausarbeit gut ist, sondern dass es Arbeit ist. Dass Frauen also bereits jede Menge arbeiten – nur eben unbezahlt. Es ist wie mit den Studenten heute: Sie sollen unbezahlte Arbeit in Form von Praktika verrichten. Jetzt gibt es eine Bewegung von Studenten, die Löhne für Praktika fordern. Heißt das, dass Praktika aufregend sind? Nein, aber wenn du sie machen musst, solltest du auch dafür bezahlt werden. Sonst steigern sie so die Ausbeutungsrate deiner Arbeit. Solange du umsonst arbeitest, werden sie immer weiter von dir fordern, mehr zu arbeiten.

Wir brauchen nicht die rechten Parteien, die die Hausfrau verherrlichen. Frauen sind bereits institutionalisiert: Millionen von ihnen sind gefangen in Hausarbeit. Junge Leute, die diese Welt verändern wollen, sollten einige Zeit in einem Krankenhaus verbringen oder sich die Leben von Frauen ansehen, die sich um kranke Kinder oder alte Leute kümmern. In den geriatrischen Krankenhäusern befindet sich neben jedem Bett eines Mannes eine Ehefrau oder eine Schwester, die sich kümmert, weil es nicht genügend Krankenpflegepersonal gibt. Warum ist das so, warum gibt es keine bessere Infrastruktur? Nun ja, Frauen stellen sie umsonst bereit. Warum sollte die Regierung oder das Kapital Geld in Dienstleistungen investieren, wenn so viele Frauen sie umsonst erbringen? Diese Frage wird nie gestellt. Die Alternative dazu ist, dass du dir einen Job suchst – und dann gibst du deinen Lohn dafür aus, eine Frau aus Bangladesch anzustellen. Niemand denkt an diese Frauen, oder?

Die industrielle Produktion ist zu großen Teilen in den globalen Süden verlegt worden. Im globalen Norden, so heißt es, wachsen nur noch der Konsum und der Dienstleistungssektor. Linke hier unterstützen hiesige Arbeitskämpfe, wehren sich gegen den Sozialabbau und den Ressourcenentzug. Wie sieht unter diesen Umständen eine globale Perspektive auf diese Kämpfe aus?

Das Globale findet sich überall im Lokalen. In Deutschland leben nun viele Menschen aus Syrien. Aber auch die Kriege, an denen der deutsche Staat beteiligt ist, verstärken diesen Zusammenhang. In den USA ist es vollkommen unmöglich, politische Arbeit ohne Kenntnisse in Spanisch oder einer anderen Sprache zu machen. Die Politik der USA zu denken, ohne den Süden, ohne Mexiko zu denken, ist nicht möglich. Einwanderung ist Teil des alltäglichen Lebens.

Warum waren sie denn in der Lage, die Vereinigten Staaten zu deindustrialisieren? Der Prozess der Deindustrialisierung hat sehr viele Menschen zur Arbeitslosigkeit verdammt oder in den Selbstmord getrieben. Einen Mann von 55 Jahren, der seine Arbeit verloren hatte, wollte niemand mehr beschäftigen – viele haben sich zu Tode getrunken. Die jungen Leute verließen Detroit, die Älteren starben. Der Globalisierungsprozess beginnt mit der Massenverarmung im globalen Süden. Also beruht die Enteignung von Detroit auf der Enteignung der Menschen in Mexiko. Es wäre nicht möglich gewesen, die Fabriken von Detroit über die Grenze zu bewegen, wenn nicht zuerst die Leute in Mexiko enteignet worden wären – von den Institutionen, die von den Vereinigten Staaten unterstützt werden: der IWF, die WTO, die Weltbank.

Die Verlagerung der Industrie war nur möglich, weil durch die Politik der Weltbank und des IWF Millionen von Menschen in Mexiko völlig verarmt waren. Das gilt auch für Europa. Die Einheimischen sollten gegen die Weltbank und den IWF kämpfen, nicht gegen die Geflüchteten. Die Menschen verlassen ihre Länder, weil sie von der deutschen Regierung, von der EU enteignet werden. Es ist die Aufgabe der Leute in der Bewegung, das sichtbar zu machen.

Hannah Schultes

Hannah Schultes war Redakteurin bei ak.

Anmerkungen:
1) Federici interpretiert in »Caliban und die Hexe« ausgehend von den Bauernaufständen des späten Mittelalters den Kapitalismus als Antwort auf die antifeudalen Befreiungskämpfe. Um diese zu stoppen, sei ein generalisierter Angriff gegen Frauen nötig gewesen, deren Höhepunkt die Hexenverbrennungen waren. (ak 580)
2) 1966 ging aus dem Welfare Mothers Movement die National Welfare Rights Organization (NWRO) hervor, die bis 1975 existierte. Ihre Mitglieder wollten eine Ausweitung des Bundesprogramms »Aid to Families with Dependent Children« (AFDC) erstreiten, die 70 Prozent aller staatlichen Wohlfahrtsleistungen ausmachten.