Setz alles auf Rot!
Schon vor 40 Jahren wurde der Hamburger Hafen zum Casino – Erinnerungen an die Betriebsbesetzung der HDW-Werft
Von Laura Six
Unser Hafen – nicht euer Casino!« – unter diesem Motto versammelten sich am 19. September 2023 rund 2.500 Beschäftigte der Hamburger Hafen und Logistik AG, kurz HHLA, in der Hamburger Speicherstadt, um ein Zeichen gegen die (Teil-)Privatisierung des Hafenunternehmens und dessen Teilverkauf an die weltweit größte Reederei MSC zu setzen. In einem Leser*innenbrief im Hamburger Abendblatt von 20. September 2023 fühlt sich Andreas Müller-Goldenstedt an die Proteste der HDW-Beschäftigten vor 40 Jahren erinnert. Er selbst war damals als einer der Streikführenden damals in die Auseinandersetzungen um die Schließung der Werft involviert. Der Ort, an dem heute der HHLA-Containerterminal Rosshafen steht, war damals Schauplatz eines der spektakulärsten Arbeitskämpfe: die Betriebsbesetzung der HDW im Jahr 1983, die sich im September zum 40. Mal jährte.
Die Howaldtwerke-Deutsche-Werft AG (HDW) entstand infolge der sogenannten »Werftenkrise« aus einem Zusammenschluss der beiden Hamburger Werften Howaldtwerke Hamburg AG und Deutsche Werft mit der Kieler Howaldtswerke AG. Bereits im Vorfeld der Fusion hatte die Hansestadt Hamburg für veränderte Eigentumsverhältnisse gesorgt und ihre Anteile an den Howaldtswerken Hamburg an die staatseigene Salzgitter AG übergeben. Nach der Fusion zur HDW hielten die Salzgitter AG 75 Prozent und das Land Schleswig-Holstein 25 Prozent Eigentum an der Werft. Infolgedessen kam es zu einer Umstrukturierung des Unternehmens und einer Neuausrichtung des Produktionsprozesses. Unter dem Konkurrenzdruck der Niedriglohnproduktion in Ostasien hieß das neue Mantra für die Hamburger Werften vor allem die Automatisierung von Produktionsprozessen, Spezialisierung und Stellenabbau. Von Investitionen in die aufkommende Containerschifffahrt schien man sich unter dem Druck der internationalen Konkurrenz zunächst neues Wachstum für den Industriezweig zu versprechen.
Vor dem Hintergrund entschied sich auch die Geschäftsführung der HDW Mitte der 1970er Jahre dazu, mehrere 100 Millionen DM in den Ausbau eines Großdocks für Tanker am Standort in Kiel zu investieren. Angesichts der ausbrechenden Ölkrise und der Weltwirtschaftskrise entpuppte sich dieses Vorhaben jedoch als Fehlinvestition. Statt Wachstumsversprechen lautete die neue Parole nun »Gesundschrumpfen«. Dies betraf auch die drei Standorte in Hamburg. Der Betrieb der beiden Werke Finkenwerder und Reiherstieg sollten in das Werk am Rosshafen eingegliedert und die beiden Standorte geschlossen werden. Im Zuge des Eingliederungsprozesses des Werks Finkenwerder verloren im Jahr 1974 insgesamt 3.000 Beschäftigte ihre Arbeit. Mit Abwicklung des Werk Reiherstieg folgten im Jahr 1979 weitere 700 Entlassungen. Doch dabei blieb es nicht.
Nachts in der Werft
Das sogenannte Sanierungskonzept »Werftkonzept ’83« aus dem Jahr 1983 sah eine weitere Verringerung der HDW-Belegschaft um 2.400 Personen vor. Die Umstrukturierungspläne, die u.a. die Einstellung des Schiffneubaus umfassten, bedeuteten erhebliche Einschnitte bei Löhnen und Sozialleistungen für die Beschäftigten. Die Empörung der Belegschaft war groß. Denn »von den anstehenden Maßnahmen und Massenentlassungen haben die Belegschaft und der Betriebsrat aus der BILD-Zeitung und dem Norddeutschen Rundfunk erfahren«, erinnert sich der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Holger Mahler. In Reaktion darauf veranstalteten die Beschäftigten eine große Demonstration durch die Hamburger Innenstadt und bestreikten fünf Tage lang den Betrieb. Die darauffolgenden Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung über einen Interessenausgleich blieben jedoch erfolglos. Als der Vorstand dem Betriebsrat im September 1983 die Entlassungslisten vorlegte, flammte der Protest erneut auf. Die sogenannten »HDW- und MAN-Frauen« veranstalteten einen dreitägigen Hungerstreik an den Landungsbrücken. Zeitgleich rief der Betriebsrat zu einer außerordentlichen Betriebsversammlung auf. Infolgedessen entstand am 12. September 1983 eine spontane Arbeitsniederlegung und es kam erneut zu einer großen Demonstration. In der Fortsetzung der Betriebsversammlung am Nachmittag stimmte die Belegschaft bei nur wenigen Enthaltungen für eine Betriebsbesetzung. Neun Tage lang bestreikten und besetzten die Arbeiter*innen ihre Werft. Bis zu 300 von ihnen waren jede Nacht in der Werft anwesend. Dass die Besetzung nicht vom Streikrecht gedeckt war, führte nicht zuletzt zu Konflikten mit der zuständigen Gewerkschaft IG Metall.
In der Hamburger Zivilgesellschaft hingegen erfreute sich die Besetzung großer Solidarität, und auch in der bundesweiten Öffentlichkeit erfuhr die Besetzung große Aufmerksamkeit: neben Geldspenden, um die illegale Betriebsbesetzung zu finanzieren, und der Versorgung mit Getränken und Essen gab es auch ein spontanes Solidaritätskonzert der Sänger Hannes Wader und Wolf Biermann in der werfteigenen Kantine, in der einige Beschäftigte ihr Lager aufgeschlagen hatten. Andere Betriebe des Hamburger Hafens legten aus Solidarität mit der Besetzung für mehrere Stunden die Arbeit nieder. Auch der Blick der ebenfalls von der Schließung betroffenen Kolleg*innen von der Bremer Werft AG Weser richtete sich auf die Besetzung in Hamburg, bis sie am 19. September 1983 schließlich selbst ihren Betrieb besetzten.
Andere Betriebe des Hamburger Hafens legten aus Solidarität mit der Besetzung für mehrere Stunden die Arbeit nieder.
All das änderte jedoch nichts daran, dass sich der Aufsichtsrat der HDW einen Tag später, am 20. September, in Salzgitter traf und nach sehr langen Diskussionen seine Zustimmung für die Umsetzung des Sanierungsplans und damit auch zu der Entlassung von 1.354 Arbeiter*innen gab. Seit erstmaligem Vorlegen des Konzepts im März hatten bereits 700 Beschäftigte unter erheblichem Druck die Werft »freiwillig« verlassen.
Der Vorstand des Unternehmens drohte den Besetzer*innen mit fristloser Kündigung, die eine Sperrfrist beim Arbeitsamt zur Folge hätte, ebenso mit dem Verlust des Sozialplans, einer Räumung durch die Polizei sowie migrantischen Arbeiter*innen mit der Abschiebung. Unter dem Druck der Repression schien die weitere Betriebsbesetzung unsicher. Während des Abstimmungsvorgangs, der sich an dem Tag zum ersten Mal in geheimer Abstimmung vollzog, zeichnete sich ab, dass eine Mehrheit der Belegschaft gegen die weitere Besetzung stimmen würde. Auffällig war wohl, dass an dem Tag andere Arbeiter*innen und Angestellte, auch die aus den eher vorstandsnäheren Verwaltungsbereichen, anwesend waren.
Rien ne va plus
Nach dem Ende der Besetzung ließ die Kündigung der 1.354 Beschäftigten nicht lange auf sich warten. Und entgegen dem Versprechen des Vorstandes, jedenfalls die verbleibenden Arbeitsplätze zu sichern, zeichnete sich langsam ein Ende des Werftbetriebs ab. Nicht zuletzt unter dem politischen Einfluss der Eigentümer wurde das Werk Ross im Jahr 1985 aus dem Werftverbund ausgegliedert und in ein Tochterunternehmen der HDW, die HDW-Werft & Maschinenbau GmbH, umgewandelt. Anschließend wurde es samt der verbliebenen 2.000 Beschäftigten an Blohm & Voss verkauft. Infolge des Übernahmeprozesses kam es zu weiterem Personalabbau. Ab Januar 1986 wurde Kurzarbeit angemeldet, bis der Betrieb im Jahr 1988 gänzlich stillgelegt wurde. Das Gelände wurde kurz darauf an die HHLA veräußert.
Heute erinnert sich der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Holger Mahler: »Unser Motto war immer: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Und die Kollegen, die beim Streik dabei gewesen sind, sagen heute immer noch, wie froh sie sind, dabei gewesen zu sein«. Für Mahler war der Kampf trotz Schließung der Werft kein verlorener, denn ohne den breiten Protest wäre es nicht möglich gewesen, in den Verhandlungen mit dem Bund einen Interessenausgleich und Sozialplan erfolgreich durchzusetzen.
Auch wenn es im Fall HHLA-MSC heute bisher noch nicht um den Abbau von Stellen geht – für die Beschäftigten war die Demonstration in der Speicherstadt nur der Anfang ihres Protests. Die Erinnerung an die Proteste vor 40 Jahren bietet möglicherweise Anregungen, mit welchen Aktionsformen der Konflikt weiter begleitet werden könnte. Anders als damals kann sich der sozialdemokratische Bürgermeister der Hansestadt heute nicht mehr mit dem Verweis auf den Bund und das Land Schleswig-Holstein aus der Verantwortung ziehen.