Repressive Generaloffensive
In Frankreich drohen mehrere neue Gesetze, die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit einzuschränken
Von Bernard Schmid
Gérald Darmanin, seines Zeichens Innenminister unter Emmanuel Macron, beruft sich gerne bei seinen autoritär anmutenden Vorhaben auf die »tragenden Werte« der Französischen Republik. Im Juli und im September dieses Jahres kritisierte er die »Verwilderung (ensauvagement) eines Teils der Gesellschaft« – und benutzte dabei mit sauvages (»Wilde«) einen Begriff, der bis dahin kolonialrassistischen Diskursen vorbehalten war. Mitte August sprach er bei einem Einsatz in der ostfranzösischen Stadt Saint-Dizier infolge von Gewalttaten, in die Mitglieder der tschetschenischen Community verwickelt waren, davon, dass »die Polizei und die legitimen Sicherheitskräfte das Gesetz machen (font la loi)« und ihnen der Waffenbesitz vorbehalten bleiben müsse. Dass in einer Demokratie eben nicht die Polizei »das Gesetz macht«, wurde ihm von zahllosen kritischen Stimmen entgegengehalten – dies führte jedoch nicht zu einem Sinneswandel.
Anfang Dezember nun posaunte Darmanin in einem Interview hinaus, der Staat habe ein berechtigtes Interesse daran, »die politischen Meinungen und Aktivitäten« derer zu kennen, »die Parallelgesellschaften (oder) die Revolution predigen«. Damit reagierte er auf die wachsende Kritik an drei Regierungsdekreten vom 4. Dezember, die es den Polizeidiensten erlauben, Informationen über politische Haltungen, »gewerkschaftliche, weltanschauliche oder religiöse Zugehörigkeit« von Personen, »die geeignet sind, die öffentliche Sicherheit zu stören«, abzuspeichern. Dies wird es ab sofort ermöglichen, in Polizeidateien Nachrichten über Gesinnung und nicht allein über (vorgeblich oder tatsächlich) strafrechtlich relevantes Verhalten zu hinterlegen. Die dadurch ausgelöste Welle an Kritik prallte bislang an Darmanin und der hinter ihm stehenden Regierung unter Premierminister Jean Castex und Staatspräsident Macron weitgehend ab. Unter Macrons Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy musste 2008 ein vergleichbares Projekt in Gestalt der damals geplanten Datei EDWIGE noch zurückgezogen bzw. erheblich entschärft werden.
Kriminalisierung studentischer Besetzungen
Die drei Dekrete sind nur Bestandteil einer repressiven Generaloffensive, die mehrere Gesetzestexte umfasst. Dazu zählt auch eine Maßnahme, die im Artikel 20 des sich in Verabschiedung befindlichen Gesetzes zu Hochschule und Forschung, abgekürzt LPR, enthalten ist und dort in allerletzter Minute auf Initiative des Hochschulministeriums eingefügt wurde. Er sieht eine Möglichkeit der Kriminalisierung studentischer Besetzungen in Universitätsgebäuden mit einer Strafandrohung von bis zu drei Jahren Haft vor. Die zuständige Ministerin Frédérique Vidal beeilte sich zwar zu versichern, es gehe ausschließlich um das Eindringen universitätsfremder Personen in Hochschulräume, da die Formulierung des Artikels sich auf Individuen »ohne Aufenthaltsrecht auf dem Universitätsgelände« bezieht. Es genügt jedoch völlig, dass die Hausordnung etwa protestierenden Angestellten oder Studierenden im Falle eines Verlassens ihrer Unterrichtsräume den Aufenthalt untersagt – und schon können zukünftig sie unter die Strafbestimmung fallen. Proteste von Lehrenden und Studierenden fanden seit November statt, verhallten jedoch bislang.
Artikel 20 des sich in Verabschiedung befindlichen Gesetzes zu Hochschule und Forschung sieht eine Möglichkeit der Kriminalisierung studentischer Besetzungen in Universitätsgebäuden mit einer Strafandrohung von bis zu drei Jahren Haft vor.
Den stärksten Unmut ruft indes der umstrittene Entwurf für ein »Gesetz zur umfassenden Sicherheit« (Loi de sécurité globale) hervor. Am 28. November protestierten frankreichweit 133.000 laut Zahlen des Innenministeriums und laut Veranstalterangaben eine halbe Million Menschen (die Wahrheit dürfte ungefähr in der Mitte liegen) gegen den Entwurf. Erneute Proteste am 5. Dezember, die dieses Mal vorwiegend von Gewerkschaften ausgingen, fielen kleiner aus, doch weitere sollten nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe folgen.
Den Entwurf zu dem Text legten zunächst im September 2018 Abgeordnete der Regierungspartei La République en marche (LREM) vor, weshalb es sich formal um einen parlamentarischen Gesetzesvorschlag und nicht um ein Gesetzesvorhaben der Exekutive handelt. Doch das Innenministerium unter Gérald Darmanin ergänzte ihn dann ausführlich.
Auch von der EU-Kommission in Brüssel wurde inzwischen Kritik an dem autoritären Geist atmenden Gesetzentwurf geübt. »Journalisten müssen frei arbeiten können«, forderte am 23. November der Kommissionssprecher Christian Wigand gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP.
Am Vormittag desselben Tages hatte die frühere Feministin und jetzige Staatssekretärin im Innenministerium, Marlène Schiappa, eine repressiv gewendete einstige Vorzeige-Linksliberale, im Interview mit dem prominenten Radio- und Fernsehjournalisten Jean-Jacques Bourdin erklärt: Ja, es werde Strafverfolgungen gegen Journalisten geben, falls sie unerwünschte Aufnahmen von der Polizei zeigten: »Jeder kann auf der Grundlage der Gesetze Anzeige erstatten, die Richter entscheiden dann.« Bourdin hatte zuvor explizit gefragt, was passiere, wenn Aufnahmen veröffentlicht würden, »die ein Fehlverhalten eines Polizisten zeigen«. Die Aussage Schiappas widerspricht damit diametral der offiziellen Regierungslinie, der zufolge das künftige Gesetz gerade nicht Medienschaffende an ihrer Arbeit hindern, sondern lediglich böswilligen Veröffentlichungen von Nicht-Medienbeschäftigten einen Riegel vorschieben soll. Die Worte der Staatssekretärin wurden von kritischen Stimmen als Beleg für die Absichten der Exekutive gewertet.
Polizei kann Aufnahmen unterbinden
Es geht bei dem Gesetzentwurf darum, die Möglichkeiten einzuschränken, Handlungen und eventuell auch Übergriffe oder Gewalttätigkeiten der uniformierten Dienenden der Staatsmacht in Film oder Foto dokumentieren zu können. Sobald einzelne Personen in Uniform kenntlich werden, sei es durch ihr Gesicht oder auch andere Erkennungszeichen, droht nach Inkrafttreten des jetzt debattierten Gesetzes eine strafbare Handlung. So will es der Artikel 24 des Entwurfs.
Er fügt freilich die Bedingung hinzu, eine Verurteilung – zu einer Geldbuße oder Haft bis zu einem Jahr – sei dann möglich, wenn es die Absicht sei, durch die Personenidentifizierung eine Bedrohungslage für die einzelnen Staatsbediensteten zu schaffen. Zur Rechtfertigung führte Innenminister Darmanin im Parlament ein Extrembeispiel an: Im Juni 2016 war in Magnanville in der Nähe von Versailles ein Polizei-Ehepaar ermordet worden. Diesem islamistischen Mord ging allerdings keinerlei Medienveröffentlichung zu den beiden Opfern voraus, sondern eine Beschattung. Und diese fällt längst unter geltendes Strafrecht.
Das Neue durch die Schaffung eines eigenständigen Straftatbestands liegt darin, dass künftig Polizei und Gendarmerie bereits das Anfertigen von Foto- oder Filmaufnahmen, zum Beispiel bei Demonstrationen, als Vorbereitungshandlung erklären und dagegen einschreiten können. Dies zu ermöglichen dürfte auch das wahre Ziel der Gesetzesinitiative sein – den Forderungen der stärksten Polizeigewerkschaften entsprechend. Diese nehmen dabei zumindest billigend in Kauf, dass dadurch polizeiliche Gewalttaten verschleiert werden und unter der Decke bleiben können.