Ist das schon der Klima-Faschismus?
Was uns aktuell als Rechtsrutsch um die Ohren fliegt, ist keine vorübergehende Erscheinung – linke Antworten stehen vor zwei Problemen
Von Lasse Thiele
Der Klimawandel als links-grüne Erfindung zur Tarnung eines kommunistischen Umsturzplans? Wenngleich über Kanäle wie die Neue Zürcher Zeitung oder das Magazin The European rechte Verschwörungserzählungen über die Klimakrise längst in den konservativen Mainstream eingesickert sind, ahnen auch die meisten Konservativen, dass wir uns mitten in der Ära realer Anpassungskämpfe an die Erderhitzung befinden. In diesen Anpassungskämpfen konkurrieren solidarische Antworten auf die Klimakrise mit ausgrenzenden. Das ist ein unterschätzter Hintergrund und Antrieb dafür, dass weite Teile des bürgerlichen Lagers sich nach ganz rechts orientieren.
Wie im Titelthema der letzten ak erörtert, findet die entscheidende Verschiebung gerade im liberal-konservativen Milieu statt. Dort waren chauvinistische Haltungen immer verbreitet. Doch sie ließen sich lange Zeit eher beiläufig pflegen, während die Wachstumsgesellschaft solche aggressiven Impulse einigermaßen neutralisierte: Solange das bürgerliche Wohlstandsideal für viele in Deutschland gesichert schien, war es kein großes Problem, sich auch politisch liberal zu geben. Der Modus der »pragmatischen Entnazifizierung« in den Nachkriegsjahrzehnten basierte nicht zuletzt auf diesem Wohlstandskitt, der die Mehrheit der Milieus, aus denen sich einst die NS-Basis rekrutierte, innerhalb eines bürgerlichen Rahmens zu halten half. Trotz sinkender Wachstumsraten blieb das liberale bürgerliche Selbstbild auch in der neoliberalen Ära weitgehend intakt – vor allem wegen des relativen Erfolges der bürgerlichen Klassen in den gesellschaftlichen Verteilungskämpfen dieser Zeit.
Wo Privilegien bedroht sind, schlägt der Liberalismus um ins Autoritäre bis Faschistische.
Historisch kommt nun einiges zusammen, um diese Ära zu begraben: Ausgerechnet jetzt, da immer offensichtlicher wird, wie sehr westliche Mittel- und Oberschichten auf Kosten anderer leben und damit schon jetzt die Kapazitäten des Planeten sprengen, während Mittelschichten anderswo gerade erst rasant wachsen, melden marginalisierte Gruppen Teilhabeansprüche an. Die Versprechen des Liberalismus waren nie für alle realisierbar, aber in Zeiten schwindender ökologischer Handlungsspielräume wird die bloße Idee der Chancengleichheit zunehmend unerträglich für die einstigen Liberalen.
Die Klimakrise konfrontiert den Liberalismus gleichzeitig mit seinen inneren Widersprüchen und seinem widersprüchlichen Naturverhältnis. Dass die ökonomische Konkurrenz etwa aus China die Kräfteverhältnisse am Weltmarkt längst gedreht hat, erhöht den Druck, die Verteilungskämpfe in und um Europa umso brutaler zu führen. Insofern haben der Rechtsschwenk liberal-konservativer politischer Milieus und das Bröckeln der »Brandmauer« nach ganz rechts sehr handfeste materielle Grundlagen – darunter auch, aber nicht nur, ökologische.
Abwehr und Verdrängung
So stürzt der Liberalismus in eine Repräsentationskrise. Sein Versprechen – soziale Stabilität bei immer weiter gesteigerter Prosperität – wirkt immer hohler. Zwei Reaktionen sind zu beobachten: erstens die aggressive Statusverteidigung mittels Abwehr der Teilhabeansprüche Marginalisierter. Die Instrumente dieser egoistisch-zweckrationalen Reaktion reichen vom Ausbau der Festung Europa und rassistischer Polizeigewalt über Austeritätspolitik und offene Armenverachtung bis zu Antifeminismus und Queerfeindlichkeit. Wo Privilegien bedroht sind, schlägt der Liberalismus um ins Autoritäre bis Faschistische.
Diese Brutalität gerät mit dem liberalen bürgerlichen Selbstbild in Konflikt. Sie (und die Klimakrise selbst) sind zu unangenehm, um sich ehrlich damit zu konfrontieren, zumal die Welt absehbar auch für diejenigen ungemütlicher wird, die in den Verteilungskämpfen Oberwasser behalten. Insofern folgen zweitens »irrationale« Erscheinungsformen des Widerstands nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. So werden explizite Klimaleugnung und Pseudowissenschaft wieder salonfähig, der Statuskonsum der Sportwagenraser zur Essenz der Zivilisation erhoben, im besten Fall gibt man sich grünen Technikillusionen hin – der eben noch verlachten Wissenschaft wird schon was einfallen. Wenn das alles nichts hilft, geht es mahnenden Wissenschaftler*innen oder »zivilisationsbrechenden« Klimakleber*innen an den Kragen. All das dient dazu, den brutaler geführten Verteilungskampf zu legitimieren, ist aber insofern irrational, als es für viele Beteiligte langfristig nach hinten losgehen wird. Die nächste Flut mag sie noch nicht treffen, die übernächste vielleicht schon. Doch hier gewinnt die Verdrängung.
Natürlich pflegen auch die linken bis liberalen Varianten der bundesbürgerlichen Gemütlichkeit, die in luxuskommunistischen, linkssozialdemokratischen oder grün-kapitalistischen Strömungen aufscheinen, ihre eigenen Verdrängungsmechanismen. Kapitalistische Verhältnisse stehen der notwendigen Transformation ebenso entgegen wie die technischen und mentalen Infrastrukturen, die sie hervorbringen und in denen sich – auch explizit antikapitalistische – Teile der Linken eingerichtet haben. Ein bisschen Klimaschutz hier, ein bisschen sozialer Ausgleich dort löst die Klimakrise ebensowenig wie CO2-Bepreisung oder grüne Wundertechnologien. Individuelle Wohlstandssteigerung ist nur noch auf Kosten anderer möglich – die Rechten wissen immerhin, welche Mittel dazu nötig sind. Auch das in der Klimabewegung verbreitete Festhalten an dem aussichtslosen Versuch, durch das Aufzählen wissenschaftlicher Erkenntnisse und evidenter Klimakatastrophen gegen die Verdrängung anzukommen, wirkt mittlerweile selbst wie eine Verdrängungsleistung.
Wie dem Rechtsrutsch begegnen?
Die antifaschistische und klimabewegte Linke steht vor zwei miteinander verknüpften Fragen: was sie den egoistisch-rationalen Abwehrreflexen entgegensetzt, die den Rechtsrutsch antreiben, und wie sie die Verdrängungsmechanismen aufbrechen kann, die dem langfristigen Eigeninteresse der Verdrängenden zuwiderlaufen.
Zur ersten Frage hat die Linke einige Vorschläge im Angebot: den Ausbau kollektiver öffentlicher Infrastrukturen wie Gesundheitsversorgung oder Nahverkehr, bezahlbares Wohnen, Arbeitszeitverkürzung. Alles »eigentlich« im Interesse der Mehrheit in Deutschland, weit ins rutschende bürgerliche Lager hinein; alles Wege, sowohl Emissionen zu reduzieren als auch in Zeiten schon unabwendbarer ökologischer Krisen solidarisch zusammenzuleben. Doch ungelöst bleibt die Frage, wie die Verdrängung überhaupt erst aufzubrechen wäre, um mit irgendeinem Programm durchzudringen.
Weder sind dabei Klimaaufklärung und Organisierung Gegensätze noch führt das eine automatisch zum anderen. Entscheidend wäre die richtige Kombination. Demokratisch-sozialistische Strömungen wie das Jacobin-Umfeld suchen, als Gegenpol zur drastischen Aufklärungsarbeit, wie sie die Letzte Generation praktiziert, immer noch Anschlussfähigkeit, indem sie in puncto Klimakrise den Ball flach halten und »den Leuten nicht zu viel zumuten«. Dabei erscheint im Gegenteil die harte Konfrontation mit der Realität als Voraussetzung, um über positive kollektive Perspektiven auf »öffentlichen Luxus« nachzudenken, die auch einem internationalistischen Anspruch gerecht werden. Nur dass die Konfrontation augenscheinlich nicht über bloße Rhetorik oder Wissenschaftskommunikation funktioniert, sondern eine noch zu entwickelnde, erlebbare Praxis braucht, die gleichzeitig Hoffnung auf konkrete Verbesserungen im Alltag vermittelt.
Transformatives Community Organizing, das schon sichtbare lokale Klimafolgen einbezieht und solidarische Antworten sucht, könnte Teil einer solchen Strategie sein. In der Stadt- und Verkehrspolitik könnte so die viel zitierte »verbindende Klassenpolitik« entstehen. Daran arbeiten bereits Initiativen an vielen Orten, die zum Beispiel einen kostenlosen Nahverkehr und weniger Stadtraum für Autos fordern – und so mit einer klassenpolitischen Forderung Menschen als Pendler*innen, aber auch als Stadtbewohner*innen und Betroffene der Klimakrise ansprechen und organisieren. Die Baustelle bleibt jedoch groß, vor allem, wenn es über das Lokale hinausgehen soll.
Und dann ist da ja noch der rationale Widerstand, der auf die nüchtern erkannte Sachlage schlicht nach chauvinistischen Prinzipien reagiert. Die Hoffnung derjenigen, die sich am stärksten an die gemütliche Normalität des BRD-Bürgertums klammern, mit brutaler Abschottungspolitik noch 20 für sie okaye Jahre rauszuholen, ist nicht völlig unbegründet. Sich diese Haltung mithilfe diverser Ressentiments so lange schönzureden, bis sie halbwegs mit den Überresten des liberalen Selbstbilds zusammenpasst, ist durchaus ein zweckrationaler Akt.
Solange sich die objektiven Voraussetzungen für die neue rechte Hegemonie, die Strahlkraft bis in die Linke hinein besitzt, weiter zuspitzen, ist deren Ende nicht absehbar. Sie wäre wohl selbst bei außergewöhnlichem Erfolg der oben angedeuteten Gegenstrategien nur langsam aufweichbar. So gerät die Klimabewegung mit dem Rechtsrutsch zwangsläufig ebenfalls in die Defensive, wo ihr die Orientierung schwerfällt. Umso wichtiger wird es in Zeiten der Anpassungskämpfe, von anderen antifaschistischen Initiativen etwas über Defensivarbeit und langfristige Zielsetzungen zu lernen. Schließlich ist alle (linke) Klimapolitik letztlich Mittel zum (antifaschistischen) Zweck: ein menschenwürdiges Leben für alle.