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Links-Rechts-Crossover?

Seit der Wagenknecht-Schwarzer-Demo wird über eine Querfront spekuliert – eine historische Annäherung klärt, inwiefern der Begriff brauchbar ist

Von Marcel Hartwig

Arbeitet Sahra Wagenknecht an einer Querfront? Foto: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen/Flickr , CC BY-SA 2.0

Es herrscht Verwirrung: Eine Vielzahl von Interaktionen mit der extremen Rechten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, werden unter dem Begriff der Querfront subsummiert. Diese reichen von gemeinsamen Abstimmungen anderer Parteien mit der AfD bis hin zur Teilnahme von extrem rechten Akteur*innen an Demonstrationen. Zeit, sich zu fragen, was der Begriff Querfront eigentlich bedeutet.

Der historische Versuch zur Bildung einer die politischen Lager übergreifenden Querfront ist dadurch zu charakterisieren, dass einander feindlich gegenüberstehende politische Strömungen partiell ihre ursprünglichen Standpunkte verließen, sich inhaltlich aufeinander zubewegten und ein gemeinsames politisches Projekt ausloteten, woraus eine Synthese zuvor unvereinbarer politischer Projekte entstehen sollte.

Im Jahr 1932 steuerte die Weimarer Republik auf ihre finale Krise zu. Das Erstarken der Nationalsozialist*innen ließ andere antirepublikanische Akteur*innen der extremen Rechten nach rechtsautoritären Ausgängen aus der Demokratie suchen, ohne Adolf Hitler an die Macht zu bringen. In der Führung der Reichswehr um Reichswehrminister Minister Kurt von Schleicher und des sich um die Zeitschrift Die Tat gruppierenden Tat-Kreises wurde konzeptionell darauf hingearbeitet, die Gewerkschaften und Teile der Sozialdemokratie in den Umbau von Staat und Gesellschaft zu einer Militärdiktatur mit Massenbasis, einem autoritär formierten Volksgemeinschaftsstaat einzubeziehen. Reichswehr, Tat-Kreis und der sogenannte »linke Flügel« der NSDAP suchten hierzu Kontakt zum Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB).

Im Juli 1932 kam es zu einem Gespräch zwischen Gregor Strasser und Teilen der ADGB-Führung, bei dem um die Integration der Arbeiter*innenklasse in einen neu verfassten autoritären Staat gerungen wurde. Zugleich hatte sich die KPD mit ihrem Parteiprogramm von 1928 dem Nationalismus der Zeit angenähert und warb ihrerseits um das im Zuge der Krise der Jahre 1929 proletarisierte reaktionäre Kleinbürgertum.

Dass das Planspiel, die Weimarer Republik zu einem autoritären Staat ohne Hitler umzubauen, nicht realisiert wurde, lag am wachsenden Erfolg der NSDAP und der letztlich auf der politischen Linken nicht vorhandenen Bereitschaft zur Kooperation mit den heterogenen Fraktionen der präfaschistischen, antirepublikanischen Weimarer Rechten.

In Bezug auf die historische Situation der Endphase der Weimarer Republik sprach der Historiker Axel Schildt davon, dass es den Planspielen der konservativen Elite von einer Querfront zu jedem Zeitpunkt an einer realen politischen Basis gefehlt habe. Von einer eigenständigen politischen Konzeption könne keine Rede sein. (1) Dass eine politische Links-Rechts-Synthese die antimaterialistische Revision des Marxismus zur Voraussetzung hatte und sich daraus der Kern faschistischer Ideologie und Bewegungen am Beginn des 20. Jahrhunderts bildete, hat der im Sommer 2020 verstorbene israelische Historiker Zeev Sternhell in seinen Arbeiten dargelegt, von denen einige auf Deutsch vorliegen. (2)

Tödliche Umarmung

Eine andere Frage ist, ob gegenwärtige Akteur*innen der extremen Rechten ein Interesse an der Bildung einer Querfront im beschriebenen Sinne haben – also bereit sind, sich inhaltlich einer anderen politischen Strömung punktuell anzunähern. Ausweislich der Schriften rechter Ideologieproduzent*innen hat man dort kein Interesse an einer Querfront. (3) Die Verfasstheit der politischen Linken wird als so schwach eingeschätzt, dass es eine Querfront mit dem Ziel der Stärkung der eigenen Position nicht braucht.

Beobachtbar ist hingegen ein anderer Vorgang. Das Angebot des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke an Sahra Wagenknecht (Die Linke), in seine Partei zu wechseln, kann als Versuch verstanden werden, Teile der politischen Linken aus dieser herauszulösen und für die eigene Partei zu gewinnen. Dass es hierfür inhaltlicher Schnittmengen bedarf, liegt auf der Hand. Diese sind im Falle Wagenknechts in ihren links-nationalistischen und migrationsfeindlichen Positionen zu finden.

Doch so sehr einige Positionen Wagenknechts in der extremen Rechten auf Applaus stoßen, so sehr treffen sie dort auf Skepsis. Dieser Teil der extremen Rechten hegt zu Recht den Verdacht, Wagenknechts Ziel sei es, der AfD ihr Wähler*innenklientel abspenstig zu machen. Im Kern geht es der extremen Rechten darum, unter Beibehaltung ihrer politischen Agenda rhetorische Brücken nach links zu bauen.

Im Kern geht es der extremen Rechten darum, unter Beibehaltung ihrer politischen Agenda rhetorische Brücken nach links zu bauen.

In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn die AfD sich als Friedenspartei in Szene setzt, Friedenskundgebungen organisiert und sich einer pazifistischen Rhetorik bedient, weil dies derzeit den Nerv eines Teils ihrer Wähler*innen trifft. Ein Blick in die Programmatik von AfD und Junge Alternative genügt, um zu sehen, wofür die Partei steht: nationalistische Mobilisierung, Militarisierung und Aufrüstung. Wer die Texte zum Krieg Russlands gegen die Ukraine aus der AfD und deren Umfeld liest, findet sich im Spiegelkabinett der Geopolitik der Großmächte wieder, in dem die Souveränitätslehre Carl Schmitts wichtiger ist als das Schicksal der Menschen in diesem Krieg.

Extrem rechte Performance

Ein gemeinsames Stimmverhalten anderer Parteien mit der AfD in Kommunalparlamenten speist sich in der Regel nicht aus einer inhaltlichen Übereinstimmung mit der politischen Agenda der AfD, wie in diesen Fällen vor Ort immer wieder argumentiert wird. Hier gehe es um lokale Personalpolitik oder eine kommunalpolitische Detailfrage. Ein Beispiel ist die Abwahl des Bürgermeisters der thüringischen Kleinstadt Hildburghausen: Das von der Linkspartei gestellte Stadtoberhaupt wurde mit den Stimmen von SPD und AfD aus dem Amt gekegelt. Die Wirkung solch eines Abstimmungsverhaltens ist fatal. Die Normalisierung der AfD und ihrer Positionen im parlamentarischen Raum bleibt nicht ohne gesellschaftliche Wirkung. Sie verschafft der AfD eine breitere Resonanz, als ihr aufgrund ihres Wahlergebnisses zukommt. Umso mehr, wo es um eine Zustimmung zu Anträgen der AfD in Landtagen geht. Aus der Geschichte des Aufstiegs der österreichischen FPÖ gilt es zu lernen, dass die Normalisierung rechter Inhalte und des Handelns ihres politischen Personals, und sei es auf einem vermeintlichen politischen Nebenschauplatz, diese aufwertet.

Die Anpassungsfähigkeit der politischen Performance der extremen Rechten kennt wenig Grenzen. Dass sie sich nicht scheut, sich Inhalte und Formen anderer Parteien und Bewegungen anzueignen, umzuwerten, und in ihren Kontexten anzuwenden lässt sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in vielerlei Gestalt nachweisen. Die extreme Rechte betreibt eine Piraterie linker Ideen und Formen, ohne sich deren inhaltliches Wesen zu eigen zu machen. Diese Entwendungen von rechts sind so alt wie die faschistische Bewegung an sich.

Im gegenwärtigen Diskurs ist der Begriff der Querfront eine leere Hülle, die untauglich ist, um zu beschreiben, dass im Zuge einer Militarisierung der medialen Debatte um den Krieg in der Ukraine eine politische Repräsentationslücke entsteht, die nun ausgerechnet Wagenknecht und Schwarzer auszufüllen versuchen.

Entscheidend für die Beurteilung, ob eine Querfront entsteht, ist nicht, ob an einer Demonstration Akteur*innen der extremen Rechten teilnehmen, sondern ob dort eine politische Interaktion entsteht, aus der die extreme Rechte für ihre politische Agenda Nutzen zu ziehen vermag und die Linke dafür essenzielle Inhalte aufgibt.

Sowohl in der extremen Rechten als auch in der politikwissenschaftlichen Extremismusforschung gibt es die Erwartung, eine Verschärfung der derzeitigen multiplen Krisen werde zu neuen politischen Rechts-Links-Crossovers führen. Daran ist zutreffend, dass sich in Krisen Bewegungen zu Wort melden, die scheinbar emanzipatorische Ziele mit regressiv-autoritären Inhalten und Mitteln verfolgen.

Während die Rechten hoffen, ihre inhaltlichen Angebote um vermeintlich linke Inhalte anreichern zu können, sehen die Extremismusforscher*innen ihre Hufeisen-These bestätigt. Dagegen hilft ein differenziertes historisch-politisches Bewusstsein und die Kunst der Unterscheidung der Geister.

Marcel Hartwig

lebt in Leipzig und Halle. Er ist in der Jugendarbeit tätig.

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