Polizeikontrolle unter Palmen
St. Pauli streitet über die Nutzung eines erkämpften Parks
Von Florian Kasiske
Es ist ein milder Wintersonntag. 300 Menschen haben sich im Park mit Blick auf die Elbe und Hafenkräne für ein Fotoshooting versammelt. Zwischen zwei meterhohen Metallpalmen ist ein Banner gespannt: »Still Loving Park Fiction«. Zu dem Event hatte das Park Fiction Komitee eingeladen, das sich seit 25 Jahren um die Gestaltung und den Alltag auf dem beliebten Platz im Hamburger Stadtteil St. Pauli kümmert. Anlass dafür war ein Beschluss der Bezirksversammlung Altona und die darauf folgende mediale Berichterstattung. Der Bezirk beschrieb die Situation im Park in dramatischen Worten: »Gruppen von Touristen mischen sich dort mit Partyvolk und Drogenabhängigen. Es findet dort eine 24/7 Dauernutzung des Parks und dauerhafte Beschallung der Anwohner statt.« Die Hamburger Morgenpost stellte die kleine Grünfläche als »Ort der Gewalt« dar, der sich für viele Anwohner*innen zu einer »No-Go-Area« entwickelt habe.
Für Empörung im Viertel sorgten auch einige der in dem Beschluss geforderten Maßnahmen: Diese beinhalten nicht nur die Einrichtung einer Sozialarbeiter*innenstelle und häufigere Toilettenreinigung (was aber von der Sozialbehörde und der Stadtreinigung abgelehnt wurde), sondern auch Hinweisschilder mit Verhaltensregeln und die Aufforderung an die Bezirksamtsleiterin in Kontakt »mit dem Ordnungsamt und der Polizei zu treten, und mögliche Kontrollen und weitere Maßnahmen in die Wege zu leiten.« Den Beschluss hatte eine bis dahin nicht in Erscheinung getretene Anwohner*inneninitiative mit dem Namen »Lärm im Park« (1) angeregt.
Es gibt wohl wenige Orte in Hamburg, wo der Ruf nach mehr Polizeistreifen so viele Menschen im wahrsten Sinne des Wortes auf die Palme bringen kann, wie das ein Hektar große Areal zwischen St. Pauli-Kirche und Elbufer. Der Park wurde in den 1990er und frühen Nullerjahren von Anwohner*innen durchgesetzt – gegen die Pläne des Hamburger Senats, an der Stelle Büroklötze zu bauen. Dabei konnten Initiativen aus dem Viertel zeigen, dass die Gestaltung öffentlicher Räume am besten geht, wenn sie nicht stadtteilfremden Expert*innen überlassen wird. Das Mittel dafür war die kollektive Wunschproduktion: Mit Tools wie Knetmodellen oder tragbaren Planungsstudios entstand aus den Ideen und Wünschen der Nachbar*innenschaft das ungewöhnliche Arrangement des Parks. Eine Methode, die zu einem international anerkannten Modell für glaubwürdige Partizipation geworden ist.
Ein reines Nachbarschaftsareal ist Park Fiction aber längst nicht mehr: In der warmen Jahreszeit locken die Metallpalmen und der Elbblick Gruppen von Tourist*innen. Auch Jugendliche und junge Erwachsene aus anderen Teilen der Stadt eignen sich den Park als Treffpunkt gerne an. Für direkte Anwohner*innen wird das zum Problem, wenn Bluetoothboxen und besoffenes Gegröle ihnen den Schlaf rauben und der geballte Sexismus alkoholisierter Männergruppen vom Kiez in den Park schwappt. Ist Park Fiction deswegen ein »Angst-Ort«, wie es die Mopo behauptet? »Klar sind hier im Sommer auch viele Touris, aber für mich ist der Park vor allem ein Ort, wo ich mit meiner Tochter entspannt rumhängen kann und Freund*innen treffe«, sagt eine Anwohnerin. Als bedrohlich empfinde sie die Situation nie. Für eine angespannte Stimmung sorgt dagegen die Dauerpräsenz der Polizei: Seit Jahren soll die »Task Force Drogen« den Verkauf im Bereich der Hafenstraßenhäuser unterbinden, mit dem Ergebnis, dass Dealer*innen in die Umgebung ausweichen müssen. Rassistische Polizeikontrollen gehören im Park Fiction zum Alltag. In der Pandemie hat der Hamburger Senat an vielen Orten in St. Pauli Alkoholverbote eingeführt. Im Park Fiction führt das dazu, dass nun noch weitere Polizeieinheiten patrouillieren. Und dass, wer mit Freund*innen im Park Bier trinkt, nun Geldbußen riskiert.
Für das Park Fiction-Komitee ist der Gang zum Bezirksamt ebenso wie der Beschluss, der dabei rausgekommen ist, ein Angriff auf das, was den Park ausmache: »Trotz der Fülle und trotz der Nähe zum rauhen Pflaster der Reeperbahn regeln sich hier noch immer erstaunlich viele Probleme selbst. Diese informelle Kultur des Selbermachens ist der eigentliche Kern von Park Fiction, als politisches Projekt, als Planungsprozess und als Alltagskultur« schreiben sie in einem offenen Brief an den Bezirk. (2) »Nach unserer Einschätzung laufen ordnungspolitische Maßnahmen ins Leere, weil sie die selbstregulativen Kräfte schwächen: Wenn die Polizei eingegriffen hat, ist es für zivilgesellschaftliche Problemlösungen zu spät.« Während tagsüber viel zu viel Polizei im Park sei, komme sie Nachts im Akutfall nicht, kritisiert das Komitee.
Eine Erhöhung der Polizeipräsenz wurde von der Anwohner*inneninitiative gegenüber dem Bezirk explizit gefordert. Der Fokus sollte dabei auf der Einhaltung der Lärmvorschriften liegen. Allerdings ist die Forderung innerhalb der Initiative umstritten. In einem Brief an das Hamburger Recht-auf-Stadt-Netzwerk erklären Mitglieder der Initiative: »Soweit sich die Beschlüsse der Bezirksversammlung auf die Verstärkung der Polizeipräsenz beziehen, halten wir das für untauglich, die Probleme zu lösen. Im Gegenteil: Mehr Polizei führt auch zu mehr Stress im Park.« Sabine Stövesandvon der Anwohner*inneninitiative sagt: »Der Beschluss ist unglücklich formuliert worden: Es geht uns darum, dass die Polizei kommt, wenn Situationen Nachts im Park eskalieren. Denn bis jetzt gibt es leider keine solidarische Nachbarschaftsgruppe und keine professionellen Konfliktschlichter als Alternative.«
In den sozialen Medien wurde den Park-Anwohner*innen vorgeworfen, Gentrifizierer zu sein. Jede*r im Stadtteil kennt Geschichten über gutverdienende neue Nachbar*innen, die unbedingt im angesagten St. Pauli wohnen wollen, aber die Polizei rufen, sobald aus der Kneipe gegenüber zu laute Musik kommt. Der Vorwurf übersieht allerdings: Auch alteingesessene St. Paulianer*innen, und dazu gehören die meisten Aktiven in der Anwohner*inneninitiative, leiden unter dem Lärm. Seit den Nullerjahren hat sich die »Partyzone« in St. Pauli ausgeweitet. Vom Schanzenviertel bis zur Hafenkante sind mittlerweile viele Straßen zu Orten des Nachtlebens geworden, in die sich vorher nur vereinzelt Betrunkene hineinverirrten. Das hängt auch damit zusammen, dass mit der Expansion der Billigflieger der Städtetourismus enorm zugenommen hat. Gleichzeitig hat die Gentrifizierung innerstädtische Viertel zu hippen Orten gemacht, ranzige Eckkneipen sind Sofa-Bars gewichen.
An immer neue Orte scheuchte die Polizei im Frühjahr und Sommer 2021 Jugendliche, die nach einem entbehrungsreichen Lockdown-Winter endlich feiern wollten.
Die seit einigen Jahren etablierte Kultur des Cornerns versucht der Hamburger Senat dagegen zu domestizieren, weil sich Anwohner*innen und Kneipentreibende darüber beschweren. Die Verbreitung von Bluetoothboxen verstärkt die Konflikte mit Menschen, deren Schlafzimmer an den Cornerhotspots liegen. Die Debatte um Trinkverbote im öffentlichen Raum und Beschränkungen der Verkaufszeiten von Kiosken wurde schon vor Corona geführt und es gibt Überlegungen, diese Maßnahmen auch nach der Pandemie weiter laufen zu lassen. Die beiden Corona-Sommer haben die repressive Regulierung der Nutzung von Parks, Plätzen und Brachen auf neue Spitzen getrieben. An immer neue Orte scheuchte die Polizei im Frühjahr und Sommer 2021 Jugendliche, die nach einem entbehrungsreichen Lockdown-Winter endlich feiern wollten. Trotz niedriger Inzidenz und geringem Infektionsrisiko draußen beendeten die Sicherheitsbehörden jedes Wochenende Partys auch an Orten wie dem Heiligengeistfeld, wo keine Nachbar*innen gestört wurden. Diese Vertreibung hatte einen Anteil daran, dass es im Park Fiction noch voller wurde.
Möglicherweise ließe sich die Situation im Park Fiction auch einfach entzerren: Zwischen Landungsbrücken und Fischmarkt befindet sich am Elbufer eine Betonfläche, die über eine Fußgängerbrücke mit dem Park verbunden ist und an den meisten Tagen im Jahr nur von Spaziergänger*innen genutzt wird. Nachdem die Grünen mit dem Vorschlag, dort einen Park zu errichten, in den Bürgerschaftswahlkampf gestartet waren, beschloss das Komitee, die Planung selbst in die Hand zu nehmen. Unter dem Motto »Die Füße in die Elbe strecken« entwickelten über 600 Menschen mit dem Methodenset der kollektiven Wunschproduktion Ideen.
Allerdings gibt es auch über dieses Projekt Streit. Die neue Anwohner*inneninitiative ist nicht überzeugt, dass mit dem Vorschlag das Lärmproblem wirklich gelöst werden kann – und kritisiert, dass es vor der Wunschproduktion keine Diskussion im Stadtteil darüber gab, wie die Situation am Park eingeschätzt wird und ob auf der Fläche überhaupt ein neuer Park entstehen soll. »Die Wunschproduktion stellt ja ganz grundsätzlich die Frage, was ein Gelände in Zukunft können muss. So wie wir das organisieren, kommen da ganz neue Themen zu Tage. Unsere Diskussionen finden im öffentlichen Raum statt und bilden die Unterschiedlichkeit des Stadtteils viel besser ab als formelle Zusammenkünfte mit auf Lärm verengtem Fokus«, sagt dagegen Margit Czenki vom Park Fiction Komitee.
Wenn Anwohner*innen unter Lärm leiden, sollte es dann nicht selbstverständlich sein, dass sich linke Stadtteilaktivist*innen dieses Themas annehmen? Das Problem sind die Fallstricke. Werden diese nicht reflektiert, kann es passieren, dass man die Geister nicht mehr loswird, die man rief. Die Gefahr ist groß, rechte Narrative zu befördern über »gefährliche Orte« in der Stadt und »gefährliche Gruppen«, für die es eine stärkere polizeiliche Regulierung des öffentlichen Raumes braucht. Erst recht, wenn man diese selber einfordert.
In St. Pauli hat sich seit vielen Jahren eine Kultur etabliert, Konflikte zivilgesellschaftlich und informell zu lösen – z.B. über Absprachen mit Dealer*innen, wo gedealt wird und wo nicht. Solche Arrangements werden durch Interventionen von außen gefährdet. Wenn Gespräche mit der Politik geführt werden, sollte so ein Schritt vorher im Stadtteil diskutiert werden. Statt dabei einzig die Interessen einiger Anwohner*innen zu artikulieren, müssen auch die Leute gefragt werden, die den Park nutzen und von denen einige den Lärm verursachen. Es gibt ein Recht auf Schlaf. Aber es gibt auch ein Recht auf Party und ein Recht auf Aneignung städtischer Räume. Letztere wurden schon vor der Corona-Pandemie immer stärker eingeschränkt, unter anderem als Ergebnis ordnungspolitischer Diskurse und des zunehmenden Verwertungsdrucks auf städtische Flächen.
Wie geht es im Park Fiction weiter? Um die Probleme im Park anzugehen, lädt das Komitee im Frühjahr zu einem Ideen-Picknick. Es bleibt zu hoffen, dass es damit gelingt, die Spaltung zu überwinden und Ideen zu entwickeln, die über den Park hinausstrahlen.
Anmerkungen:
1) Die Initiative nennt sich mittlerweile »Auf gute Nachbarschaft«.
2) www.park-fiction.net