Mit Plan durch die Klimakrise
Die Vorreiter des Computersozialismus Paul Cockshott und Allin Cottrell berücksichtigen nun ökologische Probleme, bleiben aber zentralistisch
Von Philip Broistedt und Christian Hofmann
Die Klimakrise und die Veränderungen in der Konfiguration des Erdsystems schreiten mit einer solchen Geschwindigkeit voran, dass die Idee einer schrittweisen Transformation auf Grundlage des Marktes keine Option mehr ist. Dass es mindestens gewisser Formen von Planung bedarf, ist augenscheinlich und mittlerweile zum festen Bestandteil des Diskurses über die Klimakrise geworden. Eine radikale Linke müsste die Herausforderung annehmen und beharrlich darauf verweisen, dass Kapitalverhältnis und Profitmaximierung in einem prinzipiellen Widerspruch zu einem rational geregelten Stoffwechsel mit der Natur stehen. Im Gegensatz zu bürgerlich beschränkten Überlegungen zu einer grünen Transformation (ein bisschen Planung, die den Markt ergänzt oder steuert) müsste man das Übel bei der Wurzel packen und die Warenproduktion überwinden. Denn bereits in der Wertform – Gebrauchswert/Tauschwert – steckt das grundsätzliche Dilemma des Akkumulationszwangs.
Statt blinden Marktgesetzen: Assoziierte Produzent*innen müssen sich Produktionsmittel aneignen und ihr eigene Arbeit (Erzeugnisse) bewusst planen. Soweit besteht im Wesentlichen Einigkeit in der ak-Artikelserie zur Planwirtschaft. Aber selbst dann ist noch wenig darüber gesagt, wie diese Planung genau aussehen könnte – in welcher Form und mit welchem Inhalt – geschweige denn, mit welchen genauen Methoden und Verfahren. Auch dies ist in der ak-Reihe deutlich geworden. Im angelsächsischen Raum haben sich diesbezüglich W. P. Cockshott und A. Cottrell (CC) einen Namen gemacht. Ihr Buch »Alternativen aus dem Rechner« wurde 1996 erstmals auf Deutsch publiziert, 2022 erschien die dritte Auflage. Ihr Verdienst ist es, beharrlich und konsequent auf die Entwicklung der Produktivkräfte – gerade die digitale Revolution – hinzuweisen und die damit verbundenen, deutlich verbesserten technischen Möglichkeiten für gesellschaftliche Planung betont zu haben.
Auch dass CC in ihren Planungsentwürfen zunächst die gesellschaftliche Arbeit fest im Blick hatten, war durchaus beachtlich. So konnten sie zumindest eine Rechengröße für eine Produktion jenseits des Wertverhältnisses angeben, wenn auch nicht immer ganz klar war, ob es sich in ihren Gedankenexperimenten eigentlich noch um Lohnarbeit handeln sollte. Kritikwürdig an CC war hingegen, dass sie gedanklich nie von Planungsmodellen des Realsozialismus wegkamen. Es war stets eine reine Top-Down-Planung. Ihnen schwebte ein zentraler Plan vor, der alles regeln sollte. Dies war die nie erreichte – und vermutlich niemals erreichbare – Traumvorstellung sowjetischer Planungsbehörden. Dank verbesserter Computertechnologie sollte dies nun Wirklichkeit werden, könnte man CC pointiert zusammenfassen. Zugutehalten muss man ihnen dabei aber, dass sie diese Zentralplanung stets mit demokratischen Formen verbinden wollten.
Die drei Autoren bleiben tief in einer bürgerlichen Gedankenwelt gefangen.
Spielte die Ökologie bei CC bisher bestenfalls eine Nebenrolle, so ändert sich dies mit ihrem neusten Buch: »Economic Planning in an Age of Climate Crisis« erschien letztes Jahr, und es gibt einen dritten Autor: J.P. Dapprich (CC wird CCD). Zunächst setzen sich die Autoren grundsätzlich mit Klima und Klimawandel auseinander. Sowohl physikalische Begebenheiten als auch die düsteren Prognosen für die nähere Zukunft werden dargestellt. Es ist eine sehr gute und komprimierte Zusammenfassung mit wenig Neuem für Expert*innen.
Abschied von der Arbeitszeitrechnung
Weiterhin geht es um den Kampf gegen den Klimawandel. Zunächst werden die aus Sicht der Autoren notwendigen strukturellen Veränderungen auf einer technisch/physikalischen Ebene skizziert (»structural change in the mode of material production«). Weitere Abschnitte gehen der Frage nach, inwieweit Planung(smodelle) bereits unter kapitalistischen Bedingungen – »mixed economy« – von Vorteil sein könnten. Erst die letzten Kapitel und der Anhang handeln dann von der von CCD eigentlich favorisierten kompletten wirtschaftlichen Planung.
CCD entwerfen eine Planwirtschaft, die die Organisation und Planung einer Ökonomie – am Beispiel von Europa – in einem zentralen Modell erfasst. Dabei stützen sie sich insbesondere auf den Mathematiker Leonid Witaljewitsch Kantorovich, einen der Begründer der linearen Programmierung, sowie den Ökonomen Wassily Leontief und seine Methode der Input-Output-Tabellen. Zwei Methoden, derer sich übrigens auch die bürgerliche Wirtschaftslehre bedient. Im Vergleich mit ihren früheren Publikationen sind die Methoden durchaus weiter entwickelt, erfordern dafür aber auch mehr mathematisches Verständnis. Die neuen Berechnungsmethoden sind in ihren Annahmen so zentral geworden, dass sie sich von der Arbeitszeitrechnung mehr oder weniger verabschiedet haben und nur noch mit physikalischen Einheiten planen wollen. Zu diesen »physikalischen Einheiten« gehört dann allerdings auch die Arbeitskraft.
Ausgangspunkt der Planung sind die zu erfüllenden Bedürfnisse. Im Prinzip gilt es, für jedes Produkt die Outputmenge zu beschreiben und den Bedarf an Ressourcen (Input) in Form von Rohstoffen, Vorprodukten, Werkzeugen, Maschinen sowie Arbeit(szeit). Von den Endprodukten ausgehend, gehen sie über alle Zwischenprodukte zu den Rohstoffen. Am Ende werden die Zusammenhänge der ganzen Wirtschaft und ihrer Produktionszweige im Modell dargestellt. Es ergibt sich, dass jeder einzelne Produktionsschritt dafür mathematisch erfasst werden muss. Dabei müssen stets die Voraussetzungen beachtet werden, d.h. die vorhandenen Produktionsmittel und ihr Verschleiß sowie die vorhandene Arbeitskraft. Auch die Knappheit von Gütern, etwa bestimmter Rohstoffe, die nur in einem bestimmten Umfang vorhanden sind, gehört hierhin. Und genau, wie all diese Voraussetzungen modelliert werden, lassen sich nun auch Treibhausgasemissionen mit modellieren. Sie können in den Rechenmodellen etwa auf bestimmte jährliche Kontingente begrenzt werden, wenn man die Emissionen der verschiedenen Produktionsverfahren kennt.
Mit den mathematischen Methoden und der linearen Programmierung (genaugenommen eine Optimierung) lässt sich dann ein Plan erstellen, der das Optimum – das sich durchaus unterschiedlich definieren lässt – aus den Gegebenheiten herausholt. Im besten Fall kann es den geplanten Output liefern. Und diese Rechenoperationen lassen sich dann für aufeinanderfolgende Zeitperioden fortschreiben. Auch Akkumulation und – soweit bekannt – technischer Fortschritt könnten dabei mit einkalkuliert werden. Die so berechneten und festgelegten Pläne wären dann die Produktionsanweisungen, die in den einzelnen Betrieben umgesetzt werden müssten. Dies wäre zumindest die logische Konsequenz aus den früheren Publikationen der Autoren.
Top-Down-Planung
Weiterhin interessant für ökologische Planungsdiskussion ist, dass CCD ein Preismodell zugrunde legen, welches die Preise (für den Endkonsum) nicht nur auf der Basis der in allen Produkten steckenden Arbeitszeit, sondern allgemeiner auf Basis von Opportunitätskosten bestimmt. Diese werden direkt aus dem Planmodell errechnet. So sollen Preise gebildet werden, die auch Knappheit von Rohstoffen und Umwelteinflüsse beinhalten und so die Nachfrage regulieren.
So interessant einige Erwägungen, die mathematischen Berechnungsmodelle und die im Anhang vorgestellten Softwaretools auch sein mögen – auf der Meta-Ebene hinkt es gewaltig. Wie allem bisher dargestellten unschwer zu entnehmen ist, kann der vorgestellte Plan – genau wie in allen bisherigen Publikationen – nur rein zentralistisch sein. Es bleibt bei einer Top-down-Planung. Von oben entworfen, durchgerechnet und nach unten zur Ausführung weitergereicht. Auch wenn dieser zentrale Plan demokratisch diskutiert und beschlossen wird; als rein zentralistischer Plan kann er lokale Entscheidungen – die nicht nur ökonomischer Art sein müssen – nicht abbilden.
Mehr noch: Der Plan kann lokale Entscheidungen schwer akzeptieren, wenn sie der kalkulierten Optimierung widersprechen. Es ist zwar richtig, dass gerade Erderhitzung und Energieversorgung gegen eine ausschließlich dezentrale Planung sprechen. Selbst ohne diese gigantischen Herausforderungen würden bereits ein Bahn- oder ein Computernetz gegen reine dezentrale Organisation sprechen. Aber anstatt eine Vermittlung von zentralen und dezentralen Planungsmomenten ins Auge zu fassen, bleiben die Autoren bei reiner Administration. Bei aller Notwendigkeit von zentralen Entscheidungen und gewissen Formen zentraler Koordination der Umsetzung lässt die mathematisch-algorithmische Methode den politischen Prozess, die Selbstorganisation und -initiative komplett außen vor. Eine komplexe Wirtschaft, die sich schnell grundlegend verändern muss, braucht sicherlich auch Planungsmomente und Sphären, die nicht vor der Tür oder dem Vorteil des einzelnen Betriebes Halt machen. Aber ebenso braucht es Eigeninitiative vor Ort.
Es ist auch ein Trugschluss, dass sich alles Wissen formalisieren lässt und dann einfach in einen Computer gesteckt werden kann. Zwar sind viele Fertigungsprozesse heute formalisiert und elektronisch beschrieben – aber längst nicht alle. Vieles hängt von Individuen ab. Nicht alle Produkte sind Serienprodukte, das heißt sie werden erst während der Planausführung definiert und entwickelt. Das nötige perfekte Wissen der Zentrale, von dem CCD ausgehen, kann es so gar nicht geben.
Rein technische Gedankenwelt
Das CCD ausschließlich von der Zentrale aus denken können, macht sich im ganzen Buch bemerkbar. Die Dekarbonisierung bleibt in ihrer Gedankenwelt eine rein technische Herausforderung. Bloß die Elektrizität, die Wärmeversorgung für Industrie und Haushalte sowie der Transport müssten ihrer Ansicht nach durch nicht-fossile Energiegewinnung abgedeckt werden. Neben der Windenergie (Offshore und Onshore) soll bezeichnenderweise die Kernenergie in beträchtlicher Weise genutzt und sogar ausgebaut werden. Dass in vielen Ländern – und dort auch in der jeweiligen politischen Linken – durchaus positiver über Kernenergie diskutiert wird als in Deutschland, lässt sich nur unschwer leugnen. Dass die Atomkraft aber im gesamten Buch ohne jegliche Kritik einfach als zukunftsträchtige Energie gehandelt wird, darf trotzdem erstaunen.
Es ist ein Trugschluss, dass sich alles Wissen formalisieren lässt und dann einfach in einen Computer gesteckt werden kann.
Aber selbst wenn wir die Frage der Kernenergie großzügig ausklammern und einmal davon ausgehen, dass die notwendige Energie im Planungsmodell von CCD allein über Windkraft gewonnen werden soll, sehen wir, wie tief die drei Autoren auch ansonsten in einer bürgerlichen Gedankenwelt gefangen bleiben.
Die Gesellschaft und ihre Bedürfnisse können oder wollen sie sich letztlich nur so vorstellen, wie sie ihnen heute gegenübertreten. Ansonsten ist es schwer zu erklären, warum sie an keiner Stelle der Frage nachgehen, wo es jenseits der Profitlogik Potenzial gibt, Energie einzusparen: ob Werbeindustrie, Recyclingverfahren, Wegfall kompensatorischer Ersatzbefriedigungen oder Luxus der Reichen. Es geht auch um neue Formen von Konsum und nicht nur einen Um-, sondern auch einen Rückbau ganzer Industrien. Energiereduktion können die Autoren sich aber lediglich durch Effizienzsteigerungen, allenfalls durch Substitution von Materialien vorstellen.
Bei aller Kritik an den gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen – der Ausgangspunkt der Konzeption ist korrekt. Die Dekarbonisierung ist ohne ein gewaltiges Programm zum Auf- und Ausbau von erneuerbaren Energien aller Art, Wärmenetzen und -pumpen etc. nicht zu haben. Der Markt kann und wird dieses Aufbauwerk in der notwendigen Eile nicht leisten, weil die Profitraten dies nicht hergeben und der Zeithorizont viel zu knapp ist. Es gilt deshalb auf Planung zu setzen. Das CCD Planung nicht nur als abstraktes Schlagwort setzen, sondern sich ernsthafte Gedanken um Planungsmodelle machen, ist begrüßenswert. Partiell könnte man ihre Rechenmodelle der Planungsoptimierung aufgreifen und überlegen, in welchen Entitäten oder auf welche Produktionssphären sie anwendbar sein könnten. Gleiches gilt für ihre Überlegungen, knappe Ressourcen oder Verschmutzungen zu kalkulieren.
Ihre Gesamtkonzeption dagegen bleibt höchst problematisch. CCD wollen den Markt durch einen starken Staat steuern oder im Idealfall ersetzen. Ihr großes Vorbild bleibt allem Anschein nach der sowjetische Staat, der in den 1930er Jahren die nachholende Industrialisierung mit brachialer Gewalt und unvorstellbarem menschlichen Leiden durchpeitschte. Als Zwischenschritt liebäugeln sie mit einem starken bürgerlichen Staat, der – Beispiel Großbritannien – im Zweiten Weltkrieg oder in den 1950er Jahren mit atomaren Aufbauprogrammen eine aus ihrer Sicht erstrebenswerte Effizienz erreichte.
Was die reinen Zahlen des wirtschaftlichen Wachstums angeht, sind die Leistungen, die in den genannten Zeiten erreicht wurden, sicherlich beachtlich. Aber selbst wenn wir einmal außer Acht lassen würden, dass diese Perioden für eine emanzipatorische Perspektive denkbar schlechte Vorbildfunktionen hergeben, müsste man doch die Frage stellen, was jeweils der Hintergrund der spezifischen Situation war. Welche Gesellschaften, Klassen, Klassenkräfte und Konstellationen brachten sie unter welchen speziellen Bedingungen hervor? Derzeit zumindest spricht wenig dafür, dass der bürgerliche Staat unabhängig von der – wenn nicht sogar gegen die – Gesellschaftsformation antritt, welche er repräsentiert, um der Klimakrise entgegenzuwirken. Eine ökosozialistische Programmatik sollte den Staat in die Pflicht nehmen und bestenfalls in gesellschaftlichen Kämpfen ausreizen und aufzeigen, wo dessen Handlungsgrenzen bestehen. Seine Hoffnungen dagegen sollte man weder auf rein technische Lösungen noch auf eine staatlich geplante (Kriegs-)wirtschaft setzen.
W. P. Cockshott, J. P. Dapprich, A. Cottrell: Economic Planning in an Age of Climate Crisis. Independently published 2022. 198 Seiten, 15 EUR. Eine Langfassung dieses Artikels erscheint zeitnah auf emanzipation.org.