Goldmedaille in Ausbeutung
Mit Streiks und Blockaden auf den Baustellen der Olympischen Spiele kämpfen die Sans-Papiers in Frankreich gegen die Illegalität
Interview: Lea Fauth
Im Vorfeld der Olympischen Spiele 2024, die diesen Sommer in Paris ausgetragen werden, gab es viel Ärger. Neben Planungspannen und einem befürchteten Wohn- und Verkehrschaos streiken und blockieren Sans-Papiers auf den Olympischen Baustellen. Sie fordern das ihnen zustehende Ende der Illegalität und der Ausbeutung.
Im Herbst 2023 hast du an einem Streik und der Besetzung einer Olympiabaustelle teilgenommen. Wie kam es dazu?
Mody Diawara: Um zu verstehen, was da passiert ist, muss man ein Stück weiter zurück in der Vergangenheit. Menschen, die hier in Frankreich als Papierlose arbeiten, können über den »Runderlass Valls« (nach dem Namen des früheren Innenministers Manuel Valls, Anm. d. Red.) regularisiert werden. Dieser Erlass besagt: Um legalisiert zu werden, muss man drei Jahre in Frankreich sein und 24 monatliche Lohnabrechnungen vorweisen können. Gleichzeitig sind wir offiziell gar nicht berechtigt zu arbeiten.
Mody Diawara
ist 38 Jahre alt und ebenfalls Papierloser. Er arbeitet vor allem auf Baustellen und setzt sich im Papierlosen-Kollektiv von Montreuil (CSP) für die Rechte von Arbeiter*innen ein. Den Kampf der Papierlosen in der Olympischen »Adidas Arena« hat er mitorganisiert – und führt ihn bis heute fort.
Wie geht man da vor?
Man arbeitet »unter Alias«. Man findet also jemanden, der in Frankreich schon legalisiert ist und arbeitet unter dessen Namen. Auf dem Papier sieht man dann, dass diese Person Jobs kumuliert, dass sie offiziell 16 oder 24 Stunden am Tag arbeitet. Die kumulierten Löhne von zwei oder drei Personen, die alle unter demselben Namen einer legalisierten Person arbeiten, werden natürlich besteuert. Das heißt, alle Papierlosen, die unter Alias arbeiten, zahlen auf diesem Weg auch ins System ein. Aber nur die eine legalisierte Person erhält daraus einen Anspruch auf Rente, Arbeitslosenversicherung usw. Die Regierung drängt uns mit ihren Forderungen nach 24 Lohnabrechnungen noch mehr in die Illegalität, als wir es ohnehin schon sind.
Was hat das alles mit den Olympischen Spielen zu tun?
Wir haben dann gedacht: Die Olympischen Spiele sind eine gute Gelegenheit, um auf das Problem aufmerksam zu machen – denn auf den olympischen Baustellen arbeiten sehr viele Papierlose. Die Medien haben Qatar vor der Fußball-WM viel kritisiert, aber hier passiert etwas Ähnliches. Die Idee, etwas zu tun, kam also vom Kollektiv Gilets Noirs, den Schwarzwesten.
Wie habt ihr euch für die Protestform des Streiks und der Besetzung entschieden?
Wir haben alle Papierlose angesprochen, die auf den Baustellen mit uns arbeiten. Manche sind danach von sich aus zu den Bündnistreffen der Papierlosen-Kollektive gekommen und haben gesagt: »Wir wollen streiken! Wir arbeiten auf den olympischen Baustellen und bekommen 50 bis 55 Euro am Tag. Das ist jenseits von Ausbeutung.« Wir Papierlose haben wegen unseres illegalen Aufenthaltsstatus aber auch alle Angst vor dem Streik.
Wie schafft man es, sich aus dieser marginalisierten Position heraus zu empowern?
Bei der Organisierung ging es mir viel darum, die anderen zu bestärken. Ich bin auf die Baustellen gegangen und habe gesagt: Auch wir haben ein Recht darauf. Streiken ist ein Recht – mit und ohne Papiere. Immer mehr Leute sind dann auch zu den Treffen gekommen. Da waren viele Kollektive und Gewerkschaften, die Beiträge wurden in alle Sprachen übersetzt. Das war sehr zeit- und energieintensiv, aber es hatte seine Wirkung. Wir haben uns dann auf ein Datum geeinigt, den 17. Oktober 2023, um die Baustellen der Adidas Arena an der Porte de la Chapelle zu besetzen. Ein paar Monate später sind wir mit über 150 Leuten auf die Baustelle gekommen – Papierlose und ihre Unterstützenden.
Wie lief das ab?
Wir sind um 7 Uhr morgens da gewesen, hatten Trommeln und Transparente. Gegen 9 Uhr trafen die Verantwortlichen ein. Als sie bestritten haben, dass sie Papierlose auf den Baustellen ausbeuten, haben wir einige von ihnen hergeholt. Da konnten sie es nicht mehr abstreiten. Wir haben dann eine kleine Delegation mit verschiedenen Vertretern der Kollektive und Gewerkschaften gemacht, um in die Verhandlung zu gehen. Da war ein Stellvertreter der Stadt Paris, die Vertreter der drei Sub-Unternehmen der Baustelle, und ein Vertreter des Haupt-Auftraggebers…
…. die milliardenschwere Firma Bouygues, die du namentlich nicht nennen darfst, nachdem du ein entsprechendes Papier unterschrieben hast.
Der Hauptauftraggeber hat keine Papierlosen bei sich angestellt, aber es ist offensichtlich, dass er sich der Subunternehmen bedient, um genau das über Umwege zu tun. Die Verhandlungen haben den ganzen Tag gedauert, weil die nicht nachgeben wollten. Wir haben Pausen gemacht, haben Leuten auf der Baustellenbesetzung berichtet und Rückmeldungen gesammelt, haben dann die Verhandlungen wieder aufgenommen. Die haben versucht, uns zu erdrücken und auszutricksen. Wir sind aber von unserer Forderung nicht abgewichen: Alle bei ihnen arbeitenden Papierlosen müssen legalisiert werden. Auch diejenigen, die in den drei Monaten davor angestellt waren und jetzt woanders arbeiteten. Mit dieser Dreimonatsregel haben wir noch ein paar mehr Angestellte von vorher mitgenommen, aber auch sichergestellt, dass niemand von der Einigung ausgenommen wird, weil er nach dem Streik plötzlich gefeuert wird. Insgesamt ging es also um die Legalisierung von 27 Bauarbeitern. Die Verantwortlichen haben das abgelehnt. Aber wir haben gesagt: Dann gehen wir von der Baustelle nicht runter. Viele Stunden später haben sie es schließlich akzeptiert, da war es ungefähr 20 Uhr. Wir haben auf ein Einigungsprotokoll mit Datum und Unterschrift bestanden.
Die haben versucht, uns auszutricksen, aber wir sind von unserer Forderung nicht abgewichen.
Mit dieser Einigung habt ihr die Baustelle schließlich verlassen. Ein Erfolg?
Ich glaube schon, dass es ein Erfolg war. Später haben sie allerdings die Herausgabe der notwendigen Unterlagen zur Legalisierung in die Länge gezogen. So läuft das nicht, haben wir dann gesagt. Wir sind im Dezember also wieder auf die Baustellen gekommen und haben gesagt: Ihr müsst euch an die Verpflichtungen halten, die ihr unterschrieben habt. Dann wurden die Unterlagen herausgegeben. Es geht Schritt für Schritt voran.
Aktuell scheitert die Legalisierung an den Polizeipräfekturen. Bis heute ist keiner der Papierlosen vom 17. Oktober vollständig legalisiert worden.
Ja, alles ist willkürlich. So, wie die Unterlagen in der Polizeipräfektur abgearbeitet bzw. nicht abgearbeitet werden – das ist völlige Willkür. Man bekommt keinen Termin für die Legalisierung, und es gibt auch keine Kriterien, nach denen man einen Termin bekommt.
Wie kommt es, dass du trotz ausreichend vorhandener Lohnabrechnungen noch nicht legalisiert wurdest?
Man braucht zusätzlich zu den Lohnabrechnungen bestimmte Papiere, die uns nur von den Arbeitgebern ausgehändigt werden, und die wollen das oft nicht. Wenn ein Arbeitgeber diese Unterlagen herausgibt und für die Legalisierung eines Papierlosen sorgt, muss er nämlich eine Steuer von mehreren Hundert Euro bezahlen. Wenn du 60 Papierlose bei dir angestellt hast, sind das Tausende Euro. Deshalb wollen die Arbeitgeber die Papierlosen nicht legalisieren. Manchmal geben sie einem die Unterlagen, und dann fehlt aber ein Dokument. Oder sie sagen: Du hast aber unter falschem Namen hier gearbeitet, das geht nicht. Irgendwas ist immer.
Man wird in die Illegalität gedrängt, eingeschüchtert und marginalisiert. Wie hast du den Mut gefunden, dich zur Wehr zu setzen?
Ich habe ja immer noch keinen legalen Aufenthaltsstatus, dabei bin ich seit sechs Jahren in Frankreich und arbeite ständig, zum Beispiel beim Ausbau der Metrolinie 14 am Flughafen von Orly. Da ich unter falschem Namen arbeite, zahle ich auch ins Renten- und Sozialsystem ein, aber umgekehrt habe ich kein Recht darauf, Arbeitslosengeld, Krankschreibung oder Urlaub in Anspruch zu nehmen. Als die Lockdowns während der Pandemie begannen, war die Situation für uns Papierlose unhaltbar. Wir hatten nicht nur Angst, das Virus zu bekommen, sondern man brauchte für jeden Schritt aus dem Haus ein Attest. Für uns sind diese Kontrollen auf der Straße ein Albtraum: Sobald du einen Polizisten vor dir siehst, denkst du: »Jetzt fragt er mich gleich nach dem Aufenthaltstitel.« Wir sind deshalb kaum raus gegangen, waren wie Gefängnisinsassen. Und hatten kein Einkommen, mussten uns bei anderen etwas leihen, es war unerträglich. Das war 2020, da bin ich zum Papierlosen-Kollektiv CSP in Montrueil gegangen, um für meine Rechte zu kämpfen.