Militante in Maleranzügen
Das Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen zielt in Richtung Klimabewegung – das freut RWE und Co.
Von Antifa AK Köln
Sie vergleichen die SS mit der Antifa?«, wird der CDU-Innenminister Nordrhein-Westfalens, Herbert Reul im Mai dieses Jahres von Journalist*innen der Rheinischen Post (RP) gefragt. Anlass sind Reuls Erläuterungen zur Debatte um ein landeseigenes Versammlungsgesetz, das der Innenminister lieber heute als morgen durch das Parlament bringen würde. Nach dem Polizeigesetz (PolG NRW) holt die von Armin Laschet geführte Landesregierung damit zum nächsten großen Schlag in Sachen »staatliche Eingriffsbefugnisse stärken« aus.
Der Entwurf hat es sowohl juristisch als auch politisch in sich. Auch wenn es der Landesregierung offiziell zuvörderst darum geht, rechte Aufmärsche zu erschweren, ist das Gesetzesvorhaben auch dazu geeignet, linke Proteste und Aktionen zu kriminalisieren und zu unterbinden – und das ist auch so gewollt. Besonders hart könnte es die Klimagerechtigkeitsbewegung treffen, die im Bergbauland NRW eine tragende Rolle bei linken Mobilisierungen spielt. Das zeigt sich auch mit Blick auf das im Entwurf aufgeführte Militanzverbot, auf das die RP-Journalist*innen Reul angesprochen hatten. Neben dem Aspekt der »gleichförmigen Kleidung«, so erläutert der Innenminister, ginge es beim Militanzverbot auch um »einschüchterndes Auftreten«, das verhindert werden müsse. »Wie früher bei der SS oder der SA oder heute bei Neonazis… Eine ähnliche Wirkung kann übrigens auch vom schwarzen Block bei der Antifa ausgehen. In diesen Fällen müssen die Polizisten eingreifen können.«
Dass sich diese Logik auch auf das Tragen der charakteristischen Maleranzüge von Ende Gelände anwenden lässt, die bei Aktionen zivilen Ungehorsams nicht nur einen gewissen Schutz vor staatlicher Repression bieten, sondern auch eine Art Markenzeichen dieses Teils der Klimabewegung sind – daran besteht kaum ein Zweifel. Mit seinem SS und SA-Vergleich machte Reul jedenfalls unmissverständlich deutlich, dass sich alle Bewegungen, die solche Stilmittel nutzen, eines einschüchternden Auftretens verdächtig machen und dass es für ihn keine Unterschiede bei der Legitimität von politischem Protest gibt.
NRW ist nicht das erste Bundesland, das von der 2006 auf die Länderebene übertragenen Gesetzeskompetenz beim Versammlungsrecht gebraucht macht: Auch Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Bayern haben sich einen eigenen Rechtsrahmen geschaffen, in Bayern begleitet von heftigen Protesten linker und zivilgesellschaftlicher Gruppen. Nun zieht die Landesregierung in NRW nach und profiliert sich dabei als Hardliner bei polizeilichen Eingriffsrechten und Verbotsmöglichkeiten.
E-Autos und Pappstrohhalme
Der Entwurf zum neuen Versammlungsgesetz spricht dieselbe Sprache wie die landeseigenen Polizeigesetze, die vor einigen Jahren in vielen deutschen Bundesländern verabschiedet wurden: Dem Staat geht es in Zeiten zunehmender sozialer Konflikte am Wirtschaftsstandort Deutschland vor allem darum, die kapitalistische Verkehrsordnung aufrecht zu erhalten. Gerade die radikalen Teile der Klimabewegung zielen mit ihren Aktionen darauf, eben diese Verkehrsordnung zu stören, indem sie kritische Infrastrukturen lahmlegen, aber auch grundsätzlich die Frage nach der Produktion und Reproduktion einer Gesellschaft jenseits des fossilen und automobilen Kapitalismus stellen. Sie halten das Potpourri aus E-Autos, Veggieday und Pappstrohhalmen schlicht nicht für eine adäquate Krisenlösungsstrategie.
Das geplante Versammlungsgesetz ist so gesehen auch ein Geschenk der schwarz-gelben Landesregierung an das fossile Kapital, denn es ermöglicht, den Aktionsformen der radikalen Klimabewegung einen Riegel vorzuschieben. »Das Versammlungsgesetz ist ein Mittel, um die Teile der Klimabewegung zu stoppen, die nicht für grünen Öko-Kapitalismus einstehen, sondern die die Widersprüche der Verhältnisse angreifen«, brachte es der Ende-Gelände-Ableger in Münster auf den Punkt.
Auch antifaschistische Mobilisierungen oder offensivere Arbeitskampfmaßnahmen könnten mit dem Gesetz verhindert werden.
Aber nicht nur die Klimabewegung sieht sich durch den Gesetzentwurf pauschal kriminalisiert und in ihren Aktionsmöglichkeiten massiv eingeschränkt. Auch für viele andere linke Mobilisierungen wäre das sogenannte Störungsverbot, mit dem sogar symbolische Blockadeversuche verboten werden sollen, ein großes Problem. Denn illegal wären zukünftig nicht nur die Durchführung, sondern schon die Vorbereitungen von Aktions-, Blockade- und Demotrainings in NRW. Klimaproteste, antifaschistische Mobilisierungen oder offensivere Arbeitskampfmaßnahmen könnten damit verhindert werden.
Das Gesetz zielt aber nicht nur auf die Verhinderung besonders öffentlichkeitswirksamer Protestformen, sondern auch auf die Illegalisierung bestimmter Protestorte: Autobahnen, Bahngleise, Betriebs- und Tagebaugelände sowie logistische Infrastruktur würden künftig als Zielpunkte legalen Protestes nicht mehr in Frage kommen, selbst wenn sie einen klaren inhaltlichen Bezug zum politischen Anlass aufweisen. Und der Gesetzentwurf sieht noch mehr vor: bürokratische Schikanen für Anmelder*innen und Ordner*innen, die Ausweitung drakonischer Bußgeld- und Haftstrafen bei Verstößen und eine in dieser Form noch nie dagewesene Ausweitung polizeilicher Befugnisse im Rahmen von Demonstrationen.
Druck auf die Straße bringen
Seit einiger Zeit gibt es in NRW breiten Widerstand gegen das geplante Gesetz, der nicht wirkungslos blieb: Die parlamentarische Mehrheit hinter dem Entwurf steht mittlerweile auf wackligen Beinen. Mit dazu bei trug auch ein brutaler Polizeieinsatz gegen eine Demo im Juni dieses Jahres in Düsseldorf, bei der mehrere Tausend Menschen gegen die Gesetzinitiative protestiert hatten. Getragen wurde die Demo von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis, in dem sich autonome Gruppen mit Akteuren der Klimabewegung, Gewerkschaften, migrantischen Organisationen, Fußballfans, Bürgerrechtler*innen und Jurist*innen zusammengeschlossen haben. Das eskalative Vorgehen der Polizei, die mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen Demonstrierende und gegen Pressevertreter*innen vorging und auch minderjährige Teilnehmende stundenlang kesselte, sorgte bundesweit für Aufsehen. Offenbar sah sich die Polizei schon vor Verabschiedung des Gesetzes legitimiert, den ihr unerwünschten Protest zu unterbinden. Selbst die mitregierende FDP ging daraufhin zum ursprünglich schwarz-gelben Gesetzesvorhaben auf Distanz.
Dass die CDU-geführte Landesregierung das Projekt dennoch mit großem Druck vorantreibt, ist kein Zufall. Im zweiten Corona-Jahr und damit in einer Zeit, in der linke Bewegungen ohnehin viel an Handlungsspielraum eingebüßt haben, konnte Innenminister Reul damit rechnen, dass sich der gesellschaftliche Widerstand in Grenzen halten würde. Ein Aufschub des umstrittenen Projektes in Richtung der Landtagswahlen im Frühling nächsten Jahres könnte sich für den Innenminister allerdings noch als Problem erweisen. Das Gesetzesvorhaben wird im Kohlebergbauland NRW von einer kritischen Öffentlichkeit als Geschenk an RWE und Co. wahrgenommen, zielt es doch offensichtlich vor allem auf die stärker und radikaler werdende Klimabewegung. Die mitregierende FDP, selbsternannte Bürgerrechtspartei, die auch mit Klimaschutzforderungen bei der Bundestagswahl zulegen konnte, könnte ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen, wenn sie den Entwurf mitträgt. Das könnte ihr bei der Landtagswahl auf die Füße fallen. Auch die angeschlagene CDU in NRW gerät angesichts der industriefreundlichen Ausrichtung des Gesetzes zunehmend in Erklärungsnot. Das bietet zumindest die Chance, das Gesetz in entscheidenden Punkten abzuschwächen. Dafür braucht es weiter Druck von der Straße.