Die Ost-Grünen
Die neuen Vorsitzenden der Linkspartei sollten keine Hoffnungen bei Aktivist*innen wecken
Von Johannes Tesfai
Wenn sich bei der Linkspartei das Führungspersonal ändert, wünschen sich viele linke Aktivist*innen einen Kurswechsel. Dadurch, so die Hoffnung, könnten Forderungen von der Straße in Gesetze gegossen werden. Mit Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow ist ein junges Duo als Parteivorsitzende gewählt worden. Die taz bringt die beiden gegen den Reformerflügel innerhalb der Partei in Stellung. Zumindest die Möglichkeit einer linkeren Politik und eine Annäherung an die Bewegungslinke der Straßen und Plena scheint also nichts im Wege zu stehen.
Aber gerade die Wahl von Hennig-Wellsow sollte stutzig machen. Ist sie doch langjähriges Mitglied der Thüringer Linkspartei und eine wichtige politische Figur im Regierungspragmatismus von Ministerpräsident Bodo Ramelow.
Nah an den Forderungen von Seebrücke und anderen Initiativen für ein Ende des europäischen Grenzregimes gibt sich die neue Parteivorsitzende im Interview mit dem gewollt hippen und investigativen Onlineformat »Jung & Naiv« und spricht frei heraus: »Ich bin für offene Grenzen.« Ganz auf Wahlkampf geeicht, verschweigt die Thüringer Politikerin, dass gerade ihr Bundesland auch unter der Linkspartei ein besonders grausames Beispiel für das mörderische Grenzregime vor der eigenen Haustür ist. Die Stadt Erfurt hat seit Beginn der Pandemie fünfmal so viele Abschiebungen durchgeführt wie vor Ausbruch des Corona-Virus, wie der Flüchtlingsrat Thüringen kürzlich vermeldete. Bundesweit hat die Pandemie dafür gesorgt, dass es immer weniger Abschiebungen gab.
Die Stadt Erfurt hat seit Beginn der Pandemie fünfmal so viele Abschiebungen durchgeführt wie vor Ausbruch des Corona-Virus.
Die neue Vorsitzende der LINKEN steht innerhalb der Partei für einen harten Kurs in Richtung Regierungsbeteiligung auch auf Bundesebene. Ihre politische Heimat, die Thüringer Linkspartei, bemüht sich zwar um ein linkes Wording, wie es im Mediensprech heißt. Ihr pragmatischer Kurs erinnert aber eher an die Jahre der kalten Sanierung des Berliner Landeshaushalts mit Beteiligung der Linkspartei, ohne die heute keine Kampagne mit dem Namen »Deutsche Wohnen & Co enteignen!« nötig wäre.
Ein Argument für eine Regierungsbeteiligung linker Parteien ist oft, dass sie Bewegungsforderungen in Verwaltungshandeln umsetzen könnten. Die Realität ist dann meist doch eher business as usual. Die kleinen Stellschrauben, die die Pragmatiker*innen für sich reklamieren, werden meist nicht gefunden oder bewegt. Und es beginnt die immer gleiche Scharade, dass der Koalitionspartner nicht willens ist, dort mitzuspielen. Bei der ganzen Parlamentsarithmetik werden dann schnell die Slogans von den eigenen Plakaten der letzten Wahl vergessen. Denn es müssen ja neue gedruckt werden − nach der Wahl ist vor der Wahl.
Die Sprache der politischen Bewegungen braucht die Linkspartei wie die Luft zum Atmen. Denn was wäre ein Wahlkampf ohne kurze, knackige Sprüche über Antifaschismus und gegen Stadtteilaufwertung? Immerhin unterstützen die Parolen den Kampf um Öffentlichkeit in der parlamentarischen Aufmerksamkeitsökonomie. Die Grünen starteten auch mal als »Anti-Parteien-Partei« und bedienten sich der Ästhetik und Kultur der Linken aus den 1970er Jahren. Bei der Öko-Partei blieb am Ende nur der unbedingte Wille zum Regieren und eine Sozial- und Umweltpolitik, die selbst Margaret Thatcher glücklich gemacht hätte.
Mit einer Regierungsbeteiligung der Partei Die Linke werden in ferner Zukunft wieder alle Haltelinie linker Politik überschritten werden. Deshalb ist die Hoffnung mancher Linker auf den Straßen und in den Initiativen vergebens, die sie in die Pragmatiker*innen setzen. Die Zeile der Punkband Muff Potter möchte man ihnen schon jetzt ins Stammbuch schreiben: »Du hast nicht verloren, die anderen haben nur gewonnen.«