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|ak 668 | Feminismus

Auf euch ist kein Verlass

Ein Jahr nach Monis Rache sehen wir deutlich, dass FLINT sich selbst organisieren müssen

Von Bilke Schnibbe

»Richtige Männer sind Feministen«? Dieser Plakatspruch vom Women’s Alliance March 2019 in New York zeigt gut, was im Verhältnis von Männlichkeit und Feminismus – auch in Deutschlands linken Bewegungen – schief läuft. Foto: Terry Ballard /wikimedia , CC BY 2.0

Im Januar 2020 deckte eine NDR-Reportage von Patrizia Schlosser auf, dass auf dem linken Festival »Monis Rache« wiederholt Kameras auf den Dixi-Toiletten installiert und die Aufnahmen auf Pornowebseiten verkauft worden waren. Der Täter? Henning F., ein Mann aus Leipzig, der in einem linken Hausprojekt gewohnt hatte und in linke Strukturen eingebunden war. Henning türmte schon im Januar 2020 ins Ausland und entzog sich so den polizeilichen Ermittlungen, die deshalb mittlerweile eingestellt wurden. Einige weitere Fälle aus linken Kollektiven und Politgruppen wurden durch Betroffene und Unterstützer*innen bekannt. Auch im selbsternannten Hort des »Ferienkommunismus«, auf dem Fusionfestival, war es zu Aufnahmen in den Duschen gekommen.

In der radikalen Linken folgten die traditionellen Debatten zur Frage, wie mit sexueller Gewalt in »unseren« Strukturen umgegangen werden soll. Artikel wurden verfasst, Veranstaltungen und Vorträge wurden organisiert. Mehrere politische Gruppen schrieben Statements. Der Grundtenor all dieser Beiträge ist pessimistisch: Feministische Strukturen sind zu schwach aufgestellt, um wirklich Druck aufzubauen. Cis Männer (1) glänzen im Großen und Ganzen durch Nicht-Beteiligung. Betroffene erhalten in konkreten Fällen kaum Unterstützung. Auch in linken Gruppen werden meist Täter geschützt, Betroffene verlassen deshalb ihre Gruppen und linken Orte.

Es mangelt an Strategien im Umgang mit konkreten Fällen, weil das Thema in den meisten linken Zusammenhängen erst auf den Tisch kommt, wenn Übergriffe nicht mehr zu ignorieren sind. Dementsprechend gibt es keine kontinuierlichen Unterstützungsstrukturen und Handlungskonzepte, die präventiv wirken, sich weiterentwickeln und im Fall der Fälle dafür sorgen, dass Täter zur Verantwortung gezogen werden und Betroffene nicht alleine dastehen. Zusätzlich fehlen schlicht und ergreifend Personen, die im Fall von Übergriffen die Aushandlungen zwischen den Beteiligten aus einer feministisch-solidarischen Perspektive begleiten können. Die wenigen Gruppen und Einzelpersonen, die es gibt, halten meist nur kurze Zeit durch. Sowohl im Kleinen als auch im Großen mangelt es an Ressourcen.

Selbstorganisierung

Nach dem Bekanntwerden der Monis-Rache-Taten haben sich hunderte Betroffene zunächst über den Messenger-Dienst Telegram selbst organisiert. In mehreren Städten formierten sich Ortsgruppen, die Demos und Debatten organisierten. Daraus gründete sich zum Beispiel die Initiative My body is not your porn, welche aktuell einen »Hackathon« gegen sexuelle Gewalt auf Festivals veranstaltet. Kordel und Leo sind in der Initiative organisiert und sagen, dass es ihnen ein Anliegen war, den Protest gegen sexuelle Gewalt in diesem einen Fall auszuweiten. »Man sieht, dass vor allem Typen sich jetzt denken, dass da dieser eine ganz schlimme Mann ist. Das Problem ist aber eigentlich sehr viel größer! Wir haben deshalb schnell versucht, das Gesamtproblem in den Blick zu kriegen und uns nicht an diesem einen Täter abzuarbeiten«, sagt Kordel.

Wie bei vergangenen feministischen Anliegen, wurde auch im letzten Jahr die Forderung laut, dass cis Männer »Verantwortung übernehmen« und sich an politischen Kämpfen gegen sexuelle Gewalt beteiligen. Es gründeten sich daher auch Gruppen auf Telegram, in denen sich Männer selbst organisierten. In einem Gespräch mit einem der darin organisierten Männer wird deutlich, dass es auch in diesen Gruppen an einem Verständnis dafür mangelt, dass punktuelles Bekunden von Solidarität und die Unterstützung von Betroffenen bei ihren Demos nicht reichen. Tatsächlich wäre langfristiges Engagement nötig, das nicht nach wenigen Wochen wieder verpufft, um dem »Gesamtproblem« gerecht zu werden, wie sie es bei My body is not your porn nennen.

Sich mit sexueller Gewalt zu beschäftigen, Betroffene zu unterstützen, Prozesse zu begleiten, andere Männer zur Verantwortung zu ziehen, ist kräftezehrend. Das heißt auch für Männer, die sich engagieren, dass sie sich realistische Ziele setzen müssten, anstatt sich in Projekte zu stürzen, die sie (verständlicherweise) nicht lange durchhalten. Es bräuchte eben langlebige Strukturen und Arbeit, die nicht unbedingt auf Anhieb Früchte tragen wird. Gleichzeitig würde ein solches Engagement für cis Männer bedeuten, sich ihrer eigenen Sozialisation, ihrer eigenen Beteiligung an sexueller Gewalt zu stellen. Es bräuchte eine Selbstorganisierung von cis Männern, in der sie sich mit sexueller Anspruchshaltung, eigener Gewalttätigkeit und Aggression auseinandersetzen. Auch das ist keine neue Forderung. Forderungen nach einer solchen Selbstorganisierung von cis Männern wurden und werden aber im Großen und Ganzen nicht ernst genommen. Es gibt nach wie vor keine linke Männerbewegung, die die oben genannten Punkte umsetzen könnte. Das wäre aber dringend notwendig.

Hoch die Hände, Wochenende

Über Solidarität oder moralische Appelle funktioniert aktuell keine nennenswerte Organisierung linker Männer – Männer bleiben im Angesicht massiver sexueller Gewalt, wie sie im letzten Jahr in mehreren Fällen deutlich zu Tage trat, passiv. Das ist natürlich keine Neuigkeit, sondern etwas, dass Feminist*innen schon seit Jahrzehnten in Bezug auf alle möglichen feministischen Anliegen beobachten und kritisieren. Das letzte Jahr hat erneut gezeigt: Um gegen sexuelle Gewalt – präventiv oder im konkreten Fall – vorzugehen, ist auf Männer kein Verlass, und es sieht nicht so aus, als ließe sich das zeitnah ändern. Wie in jedem politischen Kampf stellt sich also die Frage: Wie erzwingen wir gegen diesen Widerstand, dass wir ernst genommen werden? Wie schaffen wir es, dass Ignoranz unangenehmer wird, als sich dem Thema zuzuwenden?

Im Falle von Monis Rache dient insbesondere die prinzipiell richtige Forderung, auf die Wünsche von Betroffenen zu hören, Männern dazu, sich aus der Verantwortung zu stehlen und passiv zu bleiben. Denn einige der hunderten Betroffenen wollen zwar, dass Männer sich mehr einbringen, andere sind misstrauisch und wollen keine Unterstützung von ihnen. Das ist eine Pattsituation, in der Männer es scheinbar nur falsch machen können. Das Problem wird allerdings nicht offen von organisierten Männergruppen thematisiert und bearbeitet. Die Pattsituation wird stattdessen als Argument für das Nicht-Verhalten vorgebracht, wenn es Kritik an der allgemeinen männlichen Untätigkeit gibt. Dieser Umstand muss von Feminist*innen deutlich kritisiert werden: Ja, die Situation ist uneindeutig und kompliziert. Männer sind aber aufgefordert, nicht gleich aufzugeben, wenn es schwierig oder unangenehm wird.

Solidarität mit Betroffenen heißt, dass man sich möglicherweise mit den cis-Männern in die Haare kriegt, die man liebt und von denen man geliebt werden will.

Die Passivität linker Männer in Bezug auf fast alle feministische Themen ist wie gesagt ein alter Bekannter. Gerade deshalb muss sich feministischer Aktivismus erneut und entschlossen davon abwenden, Männer freundlich zum Mitmachen zu motivieren. Wenn es Feminist*innen seit hundert Jahren nicht gelingt, Männer um feministische Themen zu organisieren, dann wird sich das auch durch Henning F., die Kameras auf der Fusion und noch hundert Fälle mehr nicht ändern. Feministischer Aktivismus muss das Thema sexuelle Gewalt immer wieder eigenständig auf die Tagesordnung setzen – auch und gerade, wenn es keine prominent sichtbaren Fälle gibt. Denn eigentlich wissen linke Männer, wie man sich organisiert. Es mangelt also nicht an der Fähigkeit, sondern an Druck.

Das heterosexuelle Dilemma

Um diesen Druck aufzubauen, müssen FLINT-Personen (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre und transgeschlechtliche Personen) ihre eigene Verwicklung in (insbesondere heterosexuellen, romantischen) Beziehungen mit cis Männern reflektieren. Die meisten Übergriffe passieren eben nicht, wie sie auf dem Monis-Rache-Festival passiert sind: durch einen fremden Täter, den die meisten Betroffenen und ihr Umfeld nicht kennen. Die meisten Taten passieren im Nahfeld, in romantischen und sexuellen Beziehungen. Und auch, wenn FLINT-Personen nicht direkt von Beziehungsgewalt betroffen sind, geht ihr feministischer Aktivismus im Fall von sexueller Gewalt »gegen« Männer, von denen sie (in unterschiedlichem Ausmaß) abhängig sind.

Im Nachgang von Monis Rache sehen wir, dass sich immer mehr Betroffene trauen, öffentlich von ihren Taten zu erzählen. Wenn diese begrüßenswerte Entwicklung weitergeht, können FLINT-Personen damit rechnen, dass auch in ihren Politgruppen, Stammkneipen, Freundeskreisen mit Tätern umgegangen werden muss. Sich im Vorhinein klar zu machen, dass man möglicherweise Federn lässt, wenn man sich mit Betroffenen solidarisiert, ist essentiell. Das heißt eben auch, dass man sich möglicherweise mit den cis Männern in die Haare kriegt, die man liebt und von denen man geliebt werden will. Und sei es nur, dass man seinen Partner nicht ständig damit konfrontieren möchte, dass er durch sein Desinteresse für feministische Themen unsolidarisch ist. FLINT-Personen, die mit Männern romantische Beziehungen führen oder führen wollen, haben das Problem, dass sie auf struktureller Ebene ein Stück weit ihre eigenen Beziehungen attackieren, wenn sie sich organisiert gegen Beziehungsgewalt einsetzen.

FLINT-Personen, die Männer begehren, sind für die Erfüllung ihrer emotionalen Bedürfnisse von ihnen abhängig. Also von eben jenen Leuten, die es unter Druck zu setzen gilt. Das bedeutet, dass Feminist*innen zeitweise aus strategischen Gründen von ihrem Begehren gegenüber Männern Abstand nehmen müssten. Diese Situation wird massiv erschwert, wenn zusätzlich finanzielle oder andere Abhängigkeiten zu cis Männern bestehen. Das heißt auch, dass nicht alle gleichermaßen frei wären, an einem solchen Aktivismus teilzunehmen. Neben dem Fokus auf politischen Druck gilt es daher auch, feministische Sorgestrukturen auszubauen.

Sich ent-wickeln

Es ist schwer, die eigene Sozialisation zu verlernen. Das ist eine Lehre, die Feminist*innen aus den Selbsterfahrungspraktiken der zweiten Welle der Frauenbewegung mitgenommen haben. Es kostet, sich zu entscheiden, nicht mehr an der eigenen Unterdrückung mitzuwirken. Das Ganze wird dadurch erschwert, dass die Gesellschaft Druck ausübt, in der festgelegten Geschlechterrolle zu bleiben. Diesen Druck spüren auch Männer, wobei diese natürlich in einer sehr viel komfortableren Situation sind. Ihnen wird in unserer Gesellschaft beigebracht, dass sie ein Recht auf Frauenkörper und Sex haben. Dieser patriarchale Grundsatz ist etwas, das Männer verinnerlichen – auch, wenn sie linksradikal sind und wissen, dass das »falsch« und »unmoralisch« ist. Alle cis Männer haben daher ein Interesse daran, sich nicht mit diesem Thema zu beschäftigen. Und sie können sich, anders als FLINT-Personen, nicht auf eine gemeinsame Unterdrückungserfahrung in Bezug auf ihre Männlichkeit berufen. Sich mit der eigenen Sozialisation beschäftigen heißt, erstmal einzusehen, dass man mit unfeministischen Männern nicht mehr wie vorher abkumpeln kann und dass FLINT-Personen einem gegenüber zu Recht skeptisch sind. Dieser Schritt ist schwer, und ohne Druck werden sich Männer nicht freiwillig organisiert in diese Richtung bewegen.

Frauen lernen hingegen die allgegenwärtige Bedrohung, die alltägliche Gefahr, Opfer eines Übergriffs zu werden, schon früh kennen. Sie lernen auch, dass genau das normal ist in unserer Gesellschaft. Ich kenne viele Frauen, die den kurzen Zeitraum sehr genau benennen können, in dem es begann, dass sie von Männern auf der Straße als Sexobjekte wahrgenommen wurden. Sich gegen sexuelle Gewalt und für Betroffene einzusetzen, bedeutet für Frauen und weiblich sozialisierte Personen daher auch, sich schmerzhaften Gefühlen zu stellen. Zum einen heißt es möglicherweise, dass plötzlich eigene Gewalterfahrungen hochkommen, die man vorher als »normal« oder »nicht so schlimm« abgespeichert hatte. Zum anderen bedeutet es, immer wieder aufs Brot geschmiert zu bekommen, in welcher erniedrigten Position man sich als Frau oder weiblich sozialisierte Person in unserer Gesellschaft befindet. Sich im wahrsten Sinne des Wortes zu ent-wickeln und politisch handlungsfähig zu sein, bedeutet auch für all diese Gefühle einen Umgang zu finden. Hier liegt auch die Antwort, warum manche Frauen vehement Täter verteidigen: Weil es weh tun würde einzusehen, wie allgegenwärtig sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft ist.

Bilke Schnibbe

war bis Oktober 2023 Redakteur*in bei ak.

Anmerkung:

1) Das Adjektiv »cis« bezeichnet Menschen, die sich mit der Geschlechtsidentität identifizieren, die sie bei ihrer Geburt zugewiesen bekommen haben. Das Gegenteil von cis ist trans.