Mehr Probleme oder mehr Sichtbarkeit?
Nach dem Attac-Urteil steht die Gemeinnützigkeit unter Beschuss - die Zahl der Aberkennungen könnte 2020 steigen
Eine Woche vor Weihnachten lederte Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU, erneut gegen die Deutsche Umwelthilfe (DUH) los – nachdem seine Partei ein Jahr zuvor mit drei Parteitagsbeschlüssen den Verein angegriffen und unter anderem den Entzug der Gemeinnützigkeit gefordert hatte: »Kaum jemand ist sicher vor dem ideologischen Dirigismus der Umwelthilfe.« Der CDU-Generalsekretär lag damit in mehrfacher Hinsicht falsch. Dirigismus erfordert die Macht, über andere bestimmen zu können. Solche Macht hat eine zivilgesellschaftliche Organisation wie die DUH nicht. Macht und Zwang sind Mittel, mit denen der Staat seine Ziele durchsetzen kann. Parteien versuchen, Macht zu erlangen, um ihre Ideen vom Allgemeinwohl durchzusetzen. Die Zivilgesellschaft dagegen ist von Freiwilligkeit geprägt: Jeder kann einen Verein wie die Umwelthilfe verlassen. Jede kann die Arbeit der Umwelthilfe mit einer Spende unterstützen.
Zivilgesellschaftliche Organisationen sind vielleicht manchmal untereinander im Wettbewerb um Aufmerksamkeit, aber sie sind weder Gegner einer Partei noch Unterstützer einer anderen Partei. Während Parteien nach Macht streben, appellieren gemeinnützige Organisationen an Öffentlichkeit und Entscheider, sie argumentieren, aber entscheiden nicht selbst.
Der Ball liegt beim Parlament
Einen ähnlichen Fehler wie Ziemiak hatte der Bundesfinanzhof (BFH) vor knapp einem Jahr in seinem Attac-Urteil gemacht. Das Bundesgericht hat Ungleiches gleich behandelt und Regeln zur politischen Bildungsarbeit, die das Bundesverfassungsgericht für staatlich finanzierte und mit Parteien verbundene Stiftungsvereine aufgestellt hat, auf den Attac-Trägerverein angewandt, der weder mit einer Partei verbunden ist noch durch direkte staatliche Zahlungen finanziert wird. In der Folge werden die fatalen Leitsätze des Gerichts nun auf weitere Vereine angewandt. Im vergangenen Jahr sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Vereinen die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde – doch nicht alle stehen in direktem Zusammenhang mit dem Attac-Urteil.
Im übrigens immer noch offenen Fall Attac – eine erneute Verhandlung vor dem Hessischen Finanzgericht ist für den 26. Februar angesetzt – ist das Problem in erster Linie, dass der Gesetzgeber über Jahre versäumt hat, neue gemeinnützige Zwecke ins Gesetz zu schreiben. Wer sich etwa für Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit einsetzt, findet in der Abgabenordnung keine passenden gemeinnützigen Zwecke und nutzt daher oft den Zweck der (politischen) Bildung. Dem hat der BFH quasi einen Riegel vorgeschoben und dabei den Ball zurück ins Parlament gespielt. Nur, wenn das einen Zweck als förderwürdig bestimmt, könnte in diesem Rahmen steuerbegünstigt auf die Willensbildung Einfluss genommen werden.
ie Kampagnenorganisation Campact verlor mit ausdrücklichem Bezug auf das Urteil und dessen Begründung die Gemeinnützigkeit: politische Einmischung auf vielen Feldern, die nicht alle durch gemeinnützige Zwecke abgedeckt sind.
Auch bei dem Ludwigsburger soziokulturellen Zentrum DemoZ ging es um das Attac-Urteil und dessen Bildungsbegriff. Den Ehrenamtlichen aus Ludwigsburg fehle es an »geistiger Offenheit«, wenn sie etwa belehrende Vorträge über Anarchismus oder mit Vertretern der Roten Hilfe abhielten. Dass »geistige Offenheit« doch nur »parteipolitische Neutralität« meine, hat der BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff erst zum Jahresbeginn 2020 im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nachgeschoben.
Der aberkennende Gemeinnützigkeitsbescheid für die Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) vom November 2019 bezieht sich weder auf das Attac-Urteil noch darauf, dass die Arbeit der VVN von keinem gesetzlichen gemeinnützigen Zweck gedeckt wäre. Der Bescheid bezieht sich auf den bayerischen Verfassungsschutzbericht und eine kuriose Regel im Gemeinnützigkeitsrecht, die die Beweislast für Verfassungstreue umkehrt: Anders als etwa bei einem Vereinsverbot muss nicht die Exekutive beweisen, dass der Verein verfassungsfeindlich ist. Der Verein muss seine Verfassungstreue beweisen, falls der Geheimdienst das Gegenteil behauptet.
Das Gemeinnützigkeitsjahr geschlossen wurde mit der Mitteilung des deutschen Vereins der Petitionsplattform Change.org, keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen zu können. Der bisherige Bescheid ist dafür zu alt und das Finanzamt stellt keinen neuen Bescheid aus, weil es meint, der Change.org-Verein fördere Partikularinteressen statt solche des Allgemeinwohls, wenn er einzelne Petitionen unterstütze.
Damit schließt sich ein Kreis zum Attac-Urteil, demzufolge in der Bildungsarbeit eines gemeinnützigen Vereins zwar politische Forderungen erarbeitet werden könnten, der Verein damit aber nicht in den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung eingreifen dürfe.
Noch vor zwei Jahren haben sich Vereine mit Auseinandersetzungen um die Gemeinnützigkeit oft nicht an die Öffentlichkeit getraut aus Sorge, ihre Spender*innen zu verschrecken.
Eine Welle von Aberkennungen steht noch bevor
Gab es 2019 also besonders viele Probleme mit der Gemeinnützigkeit? Nein. Vermutlich gab es im vergangenen Jahr nicht mehr Probleme als vor zwei oder vor fünf Jahren – gewachsen ist die Sichtbarkeit. Noch vor zwei Jahren haben sich Vereine mit Auseinandersetzungen um die Gemeinnützigkeit oft nicht an die Öffentlichkeit getraut – aus Sorge, ihre Spenderinnen oder Fördermittelgeberinnen zu verschrecken. Zwischen gemeinnützigen Organisationen und ihrem zuständigen Finanzamt herrschte gelegentlich ein stilles Übereinkommen nach dem Motto: Don’t talk, don’t ask. Finanzbeamt*innen haben alle Augen zugedrückt und politische Kampagnen unter Bildung verstaut, weil das Anliegen offenbar dem Allgemeinwohl dient.
Das ist vorbei. Durch die große Debatte um das Attac-Urteil ist klar, dass Gemeinnützigkeitsprobleme nicht auf Betrug zurückgehen müssen. Durch das Attac-Urteil sind die Finanzämter in ihren Entscheidungen erheblich eingeschränkt. Die Lücken im Gesetz sind deutlicher geworden. Ab diesem Jahr wird die Zahl der Aberkennungen steigen. Vereine geben in der Regel alle drei Jahre eine Steuererklärung ab. Wer vor der amtlichen Veröffentlichung des Attac-Urteils seinen Status bestätigt bekommen hat, hat drei Jahre Ruhe. Doch etwa ein Drittel der Organisationen steht dieses Jahr vor der Prüfung – unter den Leitsätzen des Attac-Urteils.
Rechtssicherheit und größerer Handlungsspielraum entstehen nicht durch Wegducken oder Hoffen auf Großzügigkeit des Finanzamtes. Es braucht politische Entscheidungen, um die wichtige Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen für die Demokratie abzusichern, um ihre Logik jenseits von Machtpolitik anzuerkennen. Diese Entscheidungen kommen nur, wenn das Problem offensichtlich ist und nicht nur einzelne randständige Vereine betroffen sind. Dazu braucht es die viel beschworene Solidarität als Selbstbezichtigung: Wir sind politisch und wir haben Probleme mit diesem Gesetz.
Übrigens: Auch im vergangenen Jahr sind nicht alle Problemfälle öffentlich geworden. Niemand sieht, wenn ein Verein erst gar nicht gegründet wird, weil das Engagement am Steuerrecht scheitert. Niemand sieht die Aktivitäten, die nie stattgefunden haben, weil ein Vorstand in Sorge um die Gemeinnützigkeit ist. Und weil der Status der Gemeinnützigkeit unter das Steuergeheimnis fällt, wird von manchen Fällen nichts oder nur die Spitze sichtbar: 2019 hat auch der Verein C-Netz seine Gemeinnützigkeit verloren. Warum, das hat der Digitalpolitik-Verein nicht öffentlich gemacht. Hat das Attac-Urteil zugeschlagen? Oder meint das Finanzamt, dass der Verein offensichtlich eine politische Partei, nämlich die CDU, fördert?
Nach einer längeren Auseinandersetzung hat auch der »Verein für Medienkritik und Gegenöffentlichkeit Journalistenwatch« seine Gemeinnützigkeit verloren. Wegen des Attac-Urteils oder wegen eines Eintrags im Verfassungsschutzbericht? Das Beispiel zeigt, dass die Gemeinnützigkeit nicht persönlichen Vorlieben folgen darf, die mit eventuell vorhandener Macht durchgesetzt werden. Es braucht klare allgemeine Regeln, die auch Grenzen gut definieren. Es geht um den nötigen zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum innerhalb des Rahmens von Demokratie und Menschenrechten.
Gegen gefährliche Worte etwa gegen die Deutsche Umwelthilfe braucht es klare Worte für zivilgesellschaftliche Freiheit und eine gehörige Portion Toleranz gegenüber anderen Meinungen. Es braucht einen Streit der Ideen, nicht der Machtmittel.