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Mehr als eine Gesundheitskrise

Im südlichen Afrika fordern soziale Bewegungen fairere Covid-19-Maßnahmen

Von Lenin Tinashe Chisaira

Zwei Mitarbeiter der Stadtreinigung laufen über leere Stände eines Marktes
Mitarbeiter*innen der Stadt Bulawayo in Simbabwe säubern einen Markt, der wegen der Corona-Maßnahmen geschlossen wurde. Foto: KB Mpofu/ILO /Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

Die zunehmende Häufigkeit von Dürren, Wirbelstürmen, Sturzfluten und Krankheiten wie Malaria sind im südlichen Afrika ein Gerechtigkeitsthema. Diese klimabedingten Gefahren treten in einer Region auf, die kaum Entwicklungsanstöße durch postkoloniales Wirtschaftswachstum oder Industrialisierung erfährt. Die Staaten können deshalb auch keine Klimaanpassungsprojekte, Bewässerungssysteme, Entschädigung für Verluste und Schäden oder gar Sozial-, Gesundheits- oder wirtschaftliche Infrastruktur anbieten. Der Beitrag des südlichen Afrikas zur globalen Erwärmung und zur Emission von Treibhausgasen ist äußerst gering, und doch tragen die Gesellschaften in diesen Staaten die Hauptlast einer Klimakrise, die nicht von ihnen selbst verursacht wurde. Korruption und Vereinnahmung von Industrien und Regierungen durch Eliten verstärken eine Vielzahl sozioökonomischer Probleme wie vernachlässigte öffentliche Gesundheitssysteme, wirtschaftliche Ungleichheit und unangemessene Sozialpolitik. Das sind alles Dinge, mit denen sich soziale Bewegungen im südlichen Afrika über die Klimakrise hinaus immer wieder auseinandersetzen müssen.

Die Covid-19-Pandemie dürfte den Gemeinden im südlichen Afrika schwere Schläge versetzen, vor allem wenn aufgrund des näher rückenden Winters im Juni noch weitere Infektionswellen folgen. Die öffentlichen Gesundheitssysteme, auf die sich die große Mehrheit der Menschen verlässt, sind heruntergewirtschaftet. So werden zum Beispiel die wichtigsten Krankenhäuser in der simbabwischen Hauptstadt Harare – wie das Wilkins Hospital, das Sally Mugabe Hospital – und die Gesundheitszentren der Gemeinden aufgrund der schlechten Löhne, einem Mangel an Ausrüstung und Medikamenten regelmäßig vom Personal bestreikt. Besonders deutlich zeigte sich das nach dem Tod des ersten Covid-19-Patienten in der für die Pandemie auserkorene Ersteinrichtung, dem Wilkins Hospital. Es stellte sich heraus, dass der Einrichtung Grundausstattung wie Netzstecker, Wasser und Beatmungsgeräte fehlte.

Vor diesem Hintergrund haben soziale Bewegungen in der Region eine Reaktion der Regierungen gefordert, um mit den maroden Systemen fertig zu werden, die Gesundheit, Umwelt und die sozioökonomische Situation der Menschen belasten. Umweltgruppen wie Groundwork aus Südafrika oder Advocates4Earth aus Simbabwe, Initiativen für wirtschaftliche Gerechtigkeit wie die Community Water Alliance, die Vendors Initiative for Social-Economic Transformation, das Citizens Manifesto und die Zimbabwe Coalition on Debt and Development haben die Auswirkungen der von Regierungen ausgerufenen Abriegelung auf die Menschen und die Gesellschaft intensiv verfolgt und kommentiert. Sie schauen alle mit Besorgnis auf die anhaltende Vernachlässigung der Arbeiterklasse und der ärmeren Teile der Gesellschaft. In einem Bericht der progressiven Plattform Citizens Manifesto Coalition wurde dargelegt, wie Familien, die von der Hand in den Mund leben, durch die Abriegelungspolitik im Stich gelassen werden, ohne finanzielle Zuschüsse für ihre Haushalte zu erhalten. Im Bildungssektor können sich zwar die reicheren Schichten der Gesellschaft Online-Unterricht leisten – anders sieht es für ärmere Familien aus. Gruppen wie die Amalgamated Rural Teachers of Zimbabwe fordern Maßnahmen zur Förderung der Bildung zugunsten der Armen.

In Südafrika haben sich mehrere Organisationen zur C19 People’s Coalition zusammengeschlossen. Ihre Kampagne fordert: »Bleibt zu Hause, bleibt sicher, fordert eine gerechte Antwort auf Covid-19!« Die Koalition verlangt neben anderen sozioökonomischen Rechten nach öffentlichen Zuwendungen und fordert ein Recht auf Wasser und Ernährungssicherheit. Die mit der Abriegelung verbundenen Probleme haben das ganze Maß an wirtschaftlicher Ungleichheit im südlichen Afrika offengelegt. In Harare plagt Wasserknappheit die Menschen während der Abriegelung weiterhin, was Befürchtungen hinsichtlich des Anstiegs anderer Gesundheitsprobleme in Gemeinden aufkommen lässt, die erst 2017 unter einem Ausbruch der Cholera gelitten haben. Die angebliche Lockerung der Abriegelung am 4. Mai durch Simbabwes Präsidenten Emmerson Mnangagwa entpuppte sich lediglich als eine Wiedereröffnung von Industrie und Handel, jedoch ohne Berücksichtigung der informellen Wirtschaft. Viele Familien in den Städten sind auf den informellen Sektor angewiesen, wo sie Gemüse, Gebrauchtkleidung und Haushaltswaren verkaufen.

Business as usual für den Rohstoffsektor

Die Wirtschaft der meisten südafrikanischen Länder wird in erheblichem Ausmaß durch den Bergbau gestützt. Das betrifft zum Beispiel den Kohlebergbau in Simbabwe, Südafrika und Mosambik. In den letzten Jahren wurden zudem noch bedeutende Erdgasvorkommen im Norden Mosambiks und Simbabwes entdeckt. Aus den Erklärungen des Ministeriums für Finanzen und wirtschaftliche Entwicklung geht hervor, dass der Rohstoffsektor 2015 6,2 Prozent und 2016 8,4 Prozent zum BIP Simbabwes beigetragen hat. In der Corona-Krise war dieser Sektor von der Abriegelung ausgenommen, was bedeutet, dass die Minen ihren Betrieb unter Einhaltung der Sicherheitsvorschriften fortsetzen konnten. Das bedeutete auch, dass soziale Bewegungen den Betrieb dieser Minen und ihre Auswirkungen auf die Umwelt und die Arbeitnehmerrechte nicht überwachen konnten. Es gab Berichte von Arbeitern, die ohne Persönliche Schutzausrüstung (PSA) arbeiteten. Das bedeutet, dass sie sich selbst und ihre Angehörigen nicht vor Covid-19 schützen konnten.

Generell hat sich das Arbeitsfeld sozialer Bewegungen im südlichen Afrika drastisch geändert. Die meisten Organisationen sind jetzt auf Social-Media-Updates angewiesen, sie arbeiten aus der Ferne. Diese Umstellungen hatten sie noch vor den offiziellen Maßnahmen durch Regierungen Mitte März vorgenommen. Die meisten Sitzungen und Diskussionen finden mittlerweile über Webinare und Videokonferenzen statt. Obwohl das eine willkommene Entwicklung ist, ist sie weitestgehend nicht mit dem Zugang zu technischer Infrastruktur im südlichen Afrika vereinbar. Eine überwältigende Mehrheit der Menschen hat nur begrenzten oder gar keinen Zugang zu Internet-Diensten, was zur Ausgrenzung sozialer Gruppen aus Protesten und Bewegungen, insbesondere der Arbeiter- und Bauernschichten in ländlichen Gemeinden, führt. Ein Beispiel dafür sind die Gedenkfeiern zum Tag der Arbeit am 1. Mai, die über Facebook stattfanden und an denen führende Vertreter der Arbeiterschaft Botschaften veröffentlichten. Die Kosten für die Internet-Datentarife sind jedoch meist zu hoch für eine Mehrheit der simbabwischen Arbeiter*innen.

Die Covid-19-Pandemie hat die sozialen Bewegungen im südlichen Afrika, wie auch in anderen Teilen der Welt, erneut von der Notwendigkeit überzeugt, sich für soziale, wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit einzusetzen. Ihr Kampf für eine bessere Gesundheitsversorgung, soziale Wohlfahrtssysteme und allgemeine wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit ist bitter nötig. Darüber hinaus bleibt es weiterhin wichtig, gegen die umweltverschmutzenden Tätigkeiten der Industrien wie Kohle und Gas anzugehen, die von den Lockdown-Regelungen ausgenommen sind.

Lenin Tinashe Chisaira

Lenin Tinashe Chisaira ist ein Aktivist und Umweltanwalt und lebt in Harare, Simbabwe. Er ist Leiter von Advocates4Earth, einer gemeinnützigen Organisation für Umweltgerechtigkeit im südlichen Afrika.

 

Übersetzung: Paul Dziedzic