Widerstand gegen die Rohstoffausbeutung
Die Soziologin Maristella Svampa analysiert die Rolle afro-lateinamerikanischer, indigener und feministischer Gruppen in Umweltkonflikten
Von Monika Streule
Im Juli letzten Jahres erließ Mexiko ein Verbot des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat für alle staatlichen Betriebe. Der mexikanische Umweltminister Víctor Toledo, der dieses Verbot entscheidend vorangetrieben hatte, trat allerdings zwei Monate später von seinem Amt zurück. Ein Audiomitschnitt war an die Öffentlichkeit gelangt, in dem er beklagte, dass seine Initiative seitens anderer Regierungsfunktionär*innen unterminiert werde. Er vermute die Agrarindustrie dahinter. Ob das Verbot nun durchgesetzt wird, ist ungewiss.
Anfang Oktober beschloss Argentinien die weltweit erste Zulassung von gentechnisch verändertem Weizen. Eine Welle von Kritik und Protest war die Folge. So forderte ein Brief von 1.400 Wissenschafter*innen die Rücknahme dieser Entscheidung und stattdessen die Förderung von agrarökologischer Landwirtschaft – ein alternativer Ansatz, der in immer mehr argentinischen Gemeinden bereits Anwendung findet.
Diese Beispiele zeigen, dass Umweltkonflikte in Lateinamerika gegenwärtig tiefgreifender als zuvor verhandelt werden. Die argentinische Soziologin Maristella Svampa sieht diese Entwicklung nicht zuletzt als Folge einer sogenannten ökoterritorialen Wende. Damit meint sie den wachsenden Widerstand gegen das aktuelle neo-koloniale Entwicklungsmodell, den Neo-Extraktivismus, der von afro-lateinamerikanischen Organisationen, indigenen Gruppen und einer breiten feministischen Bewegung getragen werde.
In ihrem neuen Buch »Die Grenzen der Rohstoffausbeutung« analysiert die Autorin zunächst die historischen Konjunkturen der exportorientierten Rohstoffförderung seit 2003, insbesondere des Neo-Extraktivismus, mit dem die zerstörerische und aggressive Ausbeutung von Rohstoffen durch Bergbau, Fracking und Staudammprojekte sowie durch Monokulturen aus Sojabohnen oder Ölpalmen gemeint ist. Dann beschreibt sie die daraus entstehenden sozio-ökologischen Konflikte zwischen Staat und kleinbäuerlich-indigenen Gruppen sowie ökofeministische Kämpfe in den Städten. Svampa stellt dabei eine Neubewertung umkämpfter Territorien in städtischen wie ländlichen Bewegungen fest: hin zu einem »Raum des Widerstands und zunehmend auch als Ort der Resignifikation und der Entstehung neuer sozialer Beziehungen«. Sorge tragen, antipatriarchale Strukturen und Beziehungen zwischen dem Menschlichen und dem Nichtmenschlichen überdenken wird immer wichtiger im vielstimmigen Protest gegen extraktive Megaprojekte wie auch gegen die neoliberale Stadtentwicklung. Hierin erkennt sie einen Wendepunkt in den aktuellen lateinamerikanischen Debatten.
Die jüngste Zuspitzung des Neo-Extrakivismus geht mit der Ermordung von Umweltaktivist*innen einher.
Svampa nimmt auch die linke Regierung von Evo Morales in Bolivien unter die Lupe und beschreibt die Folgen der Verstaatlichung des Abbaus natürlicher Ressourcen. Sie betont dabei die demokratisierende Wirkung von Verfassungsreformen und die verbesserten sozialen Bedingungen insbesondere der indigenen Bevölkerung. Allerdings sei die anfänglich plurinationale Vision der Regierung scharf mit der Logik des extraktiven Kapitalismus und der damit verbundenen Zentralisierung der staatlichen Autorität in Konflikt geraten.
Ein noch düstereres Bild zeichnet Svampa im Abschnitt über die jüngsten Entwicklungen: Lateinamerika befinde sich in einer neuen Phase des Neo-Extraktivismus, die noch extremer und gewalttätiger um sich greife. Diese Zuspitzung gehe mit der Zunahme von staatlicher und parastaatlicher Gewalt einher, die sich in der Bedrohung von Umweltaktivist*innen bis hin zu zahlreicher Morde ausdrückt. Allein zwischen 2002 und 2013 wurden in Lateinamerika 760 Fälle dokumentiert, die meisten davon in Brasilien und Kolumbien. Ermordet werden vermehrt Indigene und Schwarze Aktivist*innen. Durch den Rechtsrutsch in Chile, Argentinien und Brasilien hat sich die Lage weiter verschärft.
Die Autorin geht überdies auf den geopolitischen Kontext der jüngsten neo-extraktivistischen Phase ein; hier geht es hauptsächlich um neue Abhängigkeiten von China. Abschließend bringt Svampa das Anthropozän ins Spiel, um das planetarische Ausmaß der sozial-ökologischen Krise zu fassen und diese zugleich mit der Kritik an aktuellen Entwicklungsmodellen zu verbinden.
Für Leser*innen aus dem deutschsprachigen Raum bietet Maristella Svampa einen wertvollen Einblick in aktuelle lateinamerikanische Debatten zu Erfahrungen mit alternativen Modellen und Widerstand gegen den Neo-Extraktivismus. Im Vordergrund stehen dabei horizontale Konzepte, die aus kritischen Analysen, Sprachen und Praxen sozialer Bewegungen in Lateinamerika entstanden sind – darunter Buen Vivir (»gutes Leben«), Naturrechte, Gemeinschaftsgüter oder die Ethik der Sorge. All diese Konzepte stellen neue Formen der Beziehung des Menschen zur Natur und zu den Mitmenschen in den Mittelpunkt. Das Buch bekräftigt damit nicht zuletzt das Gemeinsame und Solidarische als Schlüssel für mögliche Gegenvorschläge zur Wachstumsökonomie. Das Nachdenken über Differenz und die eigene Positionalität findet sich dabei jedoch nur am Rande, beides ist aber unumgänglich, damit mögliche Alternativen nicht bloß zu einem »besseren kapitalistischen Wachstumsprogramm« verkommen.
Maristella Svampa: Die Grenzen der Rohstoffausbeutung. Umweltkonflikte und ökoterritoriale Wende in Lateinamerika. Bielefeld University Press, Bielefeld 2020. 156 Seiten, 17,50 EUR, E-Book (PDF), Open Access