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|ak 676 | Ökologie

Die E-Mobilität ist eine ökologische Katastrophe

Der US-Autor und Aktivist Max Wilbert über den Widerstand gegen eine geplante Lithium-Mine in Nevada und die Schattenseiten der Energiewende

Interview: Nico Graack

Eine extrem dreckige Angelegenheit ist so eine Lithium-Mine. Dagegen regt sich Widerstand. Foto: Max Wilbert

Im US-Bundesstaat Nevada plant die Firma LithiumNevada, eine Tochter der kanadischen LithiumAmericas, eine der größten Lithium-Minen der Welt. Im sogenannten »Thacker Pass« sollen 60.000 Tonnen Lithium jährlich gefördert werden; das wären 17 Prozent des aktuellen Weltverbrauchs. Die Investoren verstehen das Projekt als einen Beitrag zur Energiewende, da Lithium unter anderem in Elektroautos und Solarzellen zum Einsatz kommt. Die Pläne haben Protest hervorgerufen. Für Indigene der Region ist der »Thacker Pass« eine Erinnerungsstätte, Umweltschützer*innen befürchten die Verschmutzung des Grundwassers und haben ein Protestcamp initiiert. ak sprach mit Max Wilbert, der das Camp zusammen mit Will Falk Mitte Januar initiiert hat. Inzwischen leben zeitweise bis zu 100 Menschen in dem Camp.

Max, wie kam es zum Protestcamp gegen die geplante Lithium-Mine?

Max Wilbert: Wir sind der Meinung, dass die Erzählung von Elektroautos und Batteriespeichern für eine nachhaltige Zukunft falsch ist. Die Klimakrise ist ein sehr ernstes und drängendes Problem. Aber das darf uns nicht blind machen für Pseudolösungen. Lithium-Minen sind extrem dreckig. Grundwasserverschmutzungen und ein riesiger Wasserverbrauch sind nur einige der Probleme. Diese Mine würde 17,4 Millionen Liter am Tag verbrauchen. Das ist einer der Gründe, warum ein lokaler Landwirt gegen das Projekt klagt. Generell ist das hier eine streng konservative, weiße Region. Und trotzdem ist die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Seite. Die Menschen realisieren, dass diese Mine negative Folgen für ihre Lebensgrundlage haben wird. 

Aber nicht alle sind doch von eurem Protest begeistert.

Natürlich bekommen wir auch heftigen Gegenwind. Wir kämpfen hier gegen eine mächtige Industrie. Alleine diese Mine ist ein Multimilliarden-Dollar-Projekt. Und wir sehen, wie die größten Investoren weltweit immer stärker auf diese Industriezweige setzen. Das bedeutet mehr Lithium-Minen, mehr Landzerstörung, mehr Verschmutzung und mehr Konsumgüter. 

Könnte man nicht zynisch argumentieren: Ein bisschen totes Wüstenland im Austausch gegen einen Rohstoff, den wir auch für viele erneuerbare Energietechniken benötigen, ist ein guter Deal? 

Dieses Land ist nicht tot. Einige Leute mögen sich hier umschauen, keine Bäume sehen und denken: Ah, eine Wüste. Aber diese Region ist tatsächlich ein Hort der Biodiversität. Hier leben Beifußhühner, die de facto vom Aussterben bedroht sind. Aber das wird formal nicht anerkannt, um Minenprojekte nicht zu gefährden. Und die Mine würde Wanderrouten für Antilopen und Hirsche und Habitate für unzählige andere Spezies wie den Steinadler zerstören. 

Max Wilbert

ist Aktivist, Wildnisführer und Autor. Zuletzt erschien von ihm als Ko-Autor »Bright Green Lies: How the Environmental Movement Lost Its Way and What We Can Do About It« (Monkfish 2021). Politisch aktiv ist er in Basisbewegungen wie dem Fertile Ground Institute for Social and Ecological Justice und Deep Green Resistance. Foto: privat

Auch Indigene klagen gegen die Zulassung der Mine. Warum?

Für die Indigenen der Region ist das hier ein heiliger Ort. Er erinnert nicht nur an ein koloniales Massaker an ihren Vorfahren, sondern ist auch wichtig für viele kulturelle Bräuche. Doch laut US-Recht haben Indigene leider keine Möglichkeit, ein solches Projekt zu stoppen; sie haben nur das Recht, involviert zu werden. Und das ist hier nicht passiert. Die Zulassung wurde zu einer Zeit durchgedrückt, als die Reservate in der Gegend im Lockdown waren. Das Rechtssystem in Nevada bevorzugt Bergbau und »Entwicklung« gegenüber Umweltschutz, indigenen Menschen, lokalen Gemeinschaften und Wasser. 

Auch innerhalb der Klimabewegung ist es Common sense, die Umstellung der Energiewirtschaft auf Wind, Solar und andere Energieträger zu fordern. Für vieles davon ist Lithium notwendig – ebenso für die E-Mobilitätsindustrie, die gerade in Deutschland einen großen Teil der Klimapläne ausmacht.

Ich glaube nicht, dass die Klimakrise ein technologisches Problem ist. Gerade die E-Mobilität halte ich für eine ökologische Katastrophe. Da wird eine gigantische Industrie aufgebaut, Ressourcen in kolossalem Ausmaß und unter zerstörerischsten Bedingungen abgebaut. Und wofür? Schauen wir nach Norwegen: Das Land ist Vorreiter in der E-Mobilität. Etwa 65 Prozent der verkauften Neuwagen sind elektrisch. Zugleich sind aber Ölverbrauch und Kohlenstoffemission konstant geblieben. Es gibt Schätzungen, wonach die vollständige Elektrifizierung der Autoflotte in den USA zu einer Reduktion von Kohlenstoffemissionen um sechs Prozent führen würde. Weder in der echten Welt noch in der Theorie funktioniert also die Elektrifizierung von Kraftwagen bei der Bekämpfung der Klimakrise. Außerdem lenkt uns das ganze Gerede von der E-Mobilität vom eigentlichen Problem ab. Wer über E-Mobilität spricht, redet nicht mehr über den dringend notwendigen Rückbau der Wirtschaft. Stattdessen gibt es diese Obsession mit technologischen Lösungen, die vielleicht Emissionen minimal verringern werden, aber zugleich zig andere Probleme erzeugen.

Die geplante Mine würde 17,4 Millionen Liter Wasser am Tag verbrauchen.

Und die erneuerbare Energietechnik? 

Dasselbe gilt für erneuerbare Energieträger: Menschen, die sich für eine Energiewende einsetzen, wollen meist nur die Energiequelle unserer Gesellschaft austauschen und sonst alles so lassen, wie es ist. Wenn sie über Nachhaltigkeit reden, geht es also nicht um den Erhalt der Natur, der Ozeane, der Wälder, der Wiesen oder der Korallenriffe – es geht um den Erhalt ihres Lebensstils. Ihre Frage ist immer: Wie erhalten wir unseren Lebensstil, ohne unseren Planeten zu zerstören? Die Frage sollte aber sein: Was für einen Lebensstil brauchen wir, um das nicht zu tun? Die Realität ist: Dieser Planet hat ökologische Grenzen und die werden gerade nicht nur überschritten, sie werden gesprengt. Nehmen wir die Lieferketten von Solarzellen: Sei es bei der Eisen- und Siliziumgewinnung oder der von Aluminium oder Silber, bei der Stahlherstellung und der Batterie- und Elektrotechnik – all diese Schritte sind unglaublich zerstörerisch und kolonial. 

Lithium-Funde in Deutschland

Auch in Deutschland wird nach Lithium gesucht. Kürzlich wurden große Mengen an Lithium im Oberrheingraben bestätigt. Das Unternehmen Vulcan Energie will in dieser nach eigenen Angaben größten Lithium-Quelle Europas bis zu 40.000 Tonnen im Jahr mittels eines neueren geothermischen Verfahrens aus Thermalwasser gewinnen. Auch im norddeutschen Becken, im Erzgebirge und im Harz wurden Vorkommen gefunden. Ralf Wehrspohn von der Deutsche-Lithiuminstitut GmbH spricht von »Goldgräberstimmung in der Branche« (Tagesschau online, 18.10.21). Diese Stimmung teilen nicht alle: Im Gebiet des Oberrheingrabens hat die Stadt Bühl ein Veto gegen geplante Probebohrungen eingelegt, nachdem sie sich bereits 2018 mit anderen betroffenen Gemeinden an das Regierungspräsidium in Freiburg gewandt und Bedenken gegen die Lithiumförderung und die Intransparenz der Entscheidungsprozesse geäußert hatte. Die Argumentation für die Lithiumgewinnung ist zumeist ähnlich wie in den USA: Die Schlagworte sind »Energiewende« und »Versorgungssicherheit«. Aktuell importiert Deutschland Lithium zu nahezu 100 Prozent. Zugleich will die Ampelkoalition nach den Sondierungspapieren »Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen«. Der Lithiumbedarf wird bei Umsetzung dieses Plans und dem zeitgleichen Ausbau erneuerbarer Energieproduktion rapide ansteigen. Die EU-Kommission prognostiziert für Europa bis 2050 einen gut 60 mal höheren Bedarf als heute. So gibt es bereits auch Abbaupläne in Spanien, Portugal, England und Serbien. 

Inwiefern kolonial? 

Viele meiner Freunde leben in Ländern wie Kolumbien, den Philippinen, Indonesien oder Nepal – Länder, die im Grunde ökonomische Kolonien für die wohlhabenden Länder sind. Das sind die Menschen, die den vollen Preis zahlen für Smartphones, McDonalds-Hamburger oder ein E-Auto. Diesen Preis haben wir zu lange an andere Menschen und die Natur weitergegeben. 

Zum Schluss zurück zum Camp: Wie werdet ihr euch verhalten, sollten bald die ersten Baugeräte anrücken?

Wir wissen es nicht zu 100 Prozent, aber wir haben von Beginn an gesagt, dass wir auf direkte Aktionen vorbereitet sind, dass wir bereit sind, unsere Körper den Baggern in den Weg zu stellen.

Nico Graack

ist freier Autor und Philosoph. Er arbeitet am Institut für Philosophie, Psychoanalyse und Kulturwissenschaften in Berlin und engagiert sich in verschiedenen Klimakontexten.