Linkspartei: Wann ist es vorbei?
Der Zerfallsprozess der Partei tritt in eine neue Phase ein – was bedeutet er für die außerparlamentarische Linke?
Von Jan Ole Arps
Wie lange kann der Sterbeprozess einer Partei dauern? Wo liegt der Kipppunkt, ab dem der Zerfall unaufhaltsam ist? Wie weit nach unten kann es gehen? Diese physikalisch interessanten Fragen lotet die Linkspartei nun schon eine Weile aus. In den letzten Wochen ist ihr Todeskampf in eine neue Phase übergegangen.
Die Eckdaten sind bekannt: In der Linkspartei tobt der Konflikt zwischen dem sozialkonservativen, rechtsoffenen Lager um Sahra Wagenknecht und der »Mehrheit«, einem Zweckbündnis zwischen »Reformern« und »Bewegungslinken«, die sich vor allem darin einig sind, dass Wagenknecht nicht in Partei und Fraktion für ein Konkurrenzprojekt werben und dessen Gründung vorbereiten sollte.
Im Juni stellte der Parteivorstand dem Wagenknecht-Lager ein Ultimatum. Wenn sie den Werbezug für eine Abspaltung nicht einstelle, möge sie ihre Mandate zurückgeben. Das Papier war insofern ungewöhnlich, als es auch von Funktionären unterstützt wurde, die sich bisher dafür eingesetzt hatten, die bekannteste Linken-Politikerin in der Partei zu halten. Wenig später folgte der Vorschlag des Parteivorstandes, die parteilose Seenotretterin Carola Rackete und den Sozialmediziner Gerhard Trabert als Kandidat*innen für den Europawahlkampf aufzustellen. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Wagenknecht-Getreue klagten, sie sollten aus der Partei gedrängt werden. Die Co-Fraktionsvorsitzende und Wagenknecht-Vertraute, Amira Mohamed Ali, erklärte, sie werde bei der Fraktionsklausur Ende August nicht mehr für das Amt zur Verfügung stehen. Seitdem wird spekuliert, ob die Fraktion überhaupt bis zum Ende der Legislaturperiode durchhält. Kehren mehr als drei Mitglieder ihr den Rücken, würde sie den Fraktionsstatus verlieren.
Inzwischen bezweifelt kaum noch jemand, dass sich die Partei in absehbarer Zeit spalten wird. Offen ist vor allem der Zeitpunkt – und was für Nachfolgeprojekte dabei herauskommen. Eine mögliche Liste Wagenknecht kann sich in Umfragen über große hypothetische Zustimmung freuen. Aber gibt es ausreichend Personal, das ein neues Projekt organisatorisch stemmen und den erwartbaren Zustrom von Rechten bzw. ihren Einfluss begrenzen könnte? Unklar.
Ebenso unklar ist, wie es mit den Resten der Partei politisch weitergehen würde. Über diese Frage ist eine lebhafte Diskussion entstanden. Mario Candeias von der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlichte kürzlich 15 Thesen, in denen er eine »disruptive Neugründung« der Partei forderte, mit dem Ziel, sozialökologische, linksgewerkschaftliche, sozialistische und feministische Kräfte zu sammeln. Gleichzeitig erklärte er, eine linke Partei werde sich zunächst auf Jahre in der Defensive einstellen und nach »Inseln des Überlebens« suchen müssen. Optimismus klingt anders. Das kritisierten auch die Ex-Jacobin-Chefredakteurin Ines Schwerdtner und Michael Brie vom Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung. Die Aufgabe sei keine »Neugründung«, sondern die bestehende Partei zusammenzuhalten und eine offensive Klassenpolitik zu entwickeln, die das für eine sozialistische Politik ansprechbare Potenzial in der Gesellschaft mobilisieren könne.
Dass nun immerhin über die politischen Konturen einer Linkspartei nach Wagenknecht gesprochen wird, ist ein Fortschritt. Die Diskussion legt aber auch offen, wie tief die Widersprüche sind, die ein solches Projekt durchziehen würden. Der Abgang von Wagenknecht wäre kein Befreiungsschlag. Stattdessen erwartet die Rest-Linke eine Sinnsuche mit offenem Ausgang. Ob am Ende ein überlebensfähiges linkes Parteiprojekt übrig bleibt, kann niemand beantworten.
Auch für radikale Linke außerhalb des Parteikosmos sind das beunruhigende Entwicklungen. Die Frage, ob die Linkspartei politisch überlebt, betrifft sie ganz konkret. Es hat Einfluss darauf, welches politische Meinungsspektrum im öffentlichen Diskurs abgebildet wird und ob linke Positionen überhaupt an der gesellschaftlichen Meinungsbildung teilnehmen. Vor Gründung der Linkspartei kam Kritik am Kapitalismus dort kaum vor. Mit ihrer Infrastruktur auf lokaler und kommunaler Ebene vor allem in Ostdeutschland ist die Linkspartei zudem ein gesellschaftlicher Faktor vor Ort. Bricht diese Infrastruktur weg, haben Rechte es noch leichter sich auszubreiten, gerade außerhalb der Großstädte, wo es keine linke Subkultur und Netzwerke gibt.
Schließlich verweist die Agonie der Linkspartei auf eine ganz ähnliche Situation im außerparlamentarischen Spektrum. Viele Bewegungen der letzten Jahre sind verstummt oder ausgelaugt, neue Ansatzpunkte kaum erkennbar. Von Ratlosigkeit gelähmt, siecht die radikale Linke im Selbsterhaltungsmodus vor sich hin. Die Strategiefrage stellt sich nicht nur für die Partei, sondern, mit etwas weniger Medienrummel, auch für sie.