»Wir verurteilen Putins imperialen Krieg gegen die Ukraine«
Erklärung der Online-Plattform LeftEast vom 25. Februar 2022
Von LeftEast
Wir, die Mitglieder des LeftEast-Kollektivs, sind entsetzt über die gewaltsame militärische Aggression, die in der Ukraine zum Krieg eskaliert ist. Sie droht, unsere Region in ein Blutvergießen zu stürzen, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen ist. Wir verurteilen die verbrecherische Invasion des Kremls unmissverständlich und fordern den Rückzug der russischen Truppen an die internationale Grenze. Auch wenn wir die Verantwortung der USA, der Nato und ihrer Verbündeten für das Entstehen dieses Krieges nicht vergessen: Der eindeutige Aggressor in der aktuellen Situation ist die russische politische und wirtschaftliche Elite. Unsere Bemühungen sollten darauf gerichtet sein, Russlands unentschuldbare imperialistische Invasion in der Ukraine aufzudecken, zu der die aggressive Expansion der Nato und das ukrainische Post-Maidan-Regime ebenfalls den Weg geebnet haben.
Im revolutionären Geist und in Solidarität mit den Völkern der Ukraine, Russlands und der Region sagen wir heute »Nein!« zu Moskau und »Nein!« zur falschen Wahl zwischen Moskau und der Nato in der Zukunft. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und die Rückkehr an den Verhandlungstisch. Die Interessen des globalen Kapitals und seiner Militärmaschinerie sind nicht einen weiteren Tropfen Blut wert. Frieden, Land und Brot!
Wir wenden uns gegen den oligarchischen Kapitalismus, den autoritären Neoliberalismus und den von globalen Antikommunist*innen geförderten regionalen Antikommunismus ab, die uns an diesen Punkt gebracht haben. Wie Putin selbst in seiner »Geschichtsrede« am 21. Februar drohte: »Sie wollen die Entkommunisierung? Sehr gut, das passt uns sehr gut. Aber warum auf halbem Weg stehen bleiben? Wir sind bereit zu zeigen, was eine echte Entkommunisierung für die Ukraine bedeuten würde.«
Der heutige Angriff des Kremls steht für diese vollständige »Entkommunisierung«. Einige wenige rechte Politiker*innen werden sicherlich davon profitieren. Für die meisten von uns bringen extremer Nationalismus und rechtsextreme Ideologien nichts außer Leid und eine Spirale des Hasses. Wirtschaftlich gesehen hat uns dieser sogennante Antikommunismus den oligarchischen Kapitalismus – und die Armut – gebracht, die wir in Russland, der Ukraine und ganz Osteuropa sehen. Politisch hat er uns Regierungen beschert, die kaum vorgeben, ihre Bevölkerung zu vertreten.
Wir erklären mit Nachdruck:
1. Wir machen den Kreml für diese Kriegshandlung verantwortlich! Der russische Staat ist im Namen einer absolut reaktionären imperialen Nostalgie und in ausdrücklicher Ablehnung der internationalistischen Solidarität, die von den vergangenen und gegenwärtigen revolutionären Bewegungen in Osteuropa vorgelebt wird, in die Ukraine eingefallen. Putins »Großrussland«-Nationalismus ist ein krimineller und zum Scheitern verurteilter Versuch, eine internationale Position zu festigen, indem er die reiche kulturelle Vielfalt Osteuropas leugnet. Wir stehen mit allen ethnischen Gruppen der Region zusammen und halten an der Vision der friedlichen Solidarität durch den Kampf für eine bessere Welt für alle fest.
2. Obwohl wir den Kreml für den Initiator dieses Krieges und den heutigen Hauptaggressor halten, sind wir uns der Verantwortung bewusst, die die Vereinigten Staaten, viele ihrer Verbündeten und das transnationale Kapital für die katastrophale Lage tragen. Ihre Weigerung, mit Russland über dessen Bedenken gegen die Nato-Erweiterung zu verhandeln, hat die Flammen des Krieges angefacht, auch wenn viele, darunter die ukrainische Regierung, zur Deeskalation aufgerufen haben. Im Gefolge der Pandemie hofften die wirtschaftlichen und politischen Eliten in den USA und anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten, die Menschen von ihrer schwindenden demokratischen Legitimität und der wirtschaftlichen Hegemonie der euroatlantischen »Integration« abzulenken. Sie drängten darauf, die Kapitalakkumulation anzukurbeln, was alles auf Kosten der Menschen in Osteuropa ging. Der kriegslüsterne Antagonist und heutige Imperialist Putin nutzt nun die katastrophale, postsozialistische und pandemiebedingte Krise der sozialen Reproduktion sowohl in Russland als auch in der Ukraine, um nationalistische Stimmungen zu schüren und von alten ethnonationalistischen Konflikten zu profitieren und diese (wieder) zu produzieren. Die ausbeuterische und expansionistische euroatlantische »Integration« ist inzwischen zum Casus Belli eines autoritären Regimes geworden: In der Ukraine ist es zu einem ausgewachsenen Krieg gekommen.
3. Wir lehnen den regionalen Antikommunismus ab, den ironischerweise gerade Putin mit seinem Versprechen der »Entkommunisierung« verkörpert – trotz aller Solidarität, die er von Teilen der Linken erhält, und trotz der liberalen Projektionen von Putin als »Kommunist«, während seine Regierung gleichzeitig die linke russische Opposition sowie antifaschistische, anarchistische und Antikriegsbewegungen marginalisiert und brutal unterdrückt. Genauso und vor allem lehnen wir die antisozialen, auf oligarchischem Kapitalismus basierenden Regime ab. Sie nähren den Nationalismus und rechtsextreme Ideologien in Russland, der Ukraine und den opportunistischen Kleinstregimen in Osteuropa, sie kombinieren eine militaristische rechte Rhetorik damit, Profit aus dem Unglück anderer zu schlagen.
4. Wir lehnen die sogenannten »Entkommunisierungsgesetze und -reformen« der letzten Jahre sowohl in Russland als auch in der Ukraine ab. Beide »feindlichen Blöcke«, Russland und die USA/Nato, sind imperialistische und kapitalistische Kräfte, die den Weg des autoritären antikommunistischen Neoliberalismus beschritten haben. Dieser Weg, den auch die Ukraine beschreitet, wird deutlich in all den neoliberalen Arbeitsgesetzen, Land»reformen«, die den Zugang zu Land einschränken sollen, der Enteignung von Kleinbäuer*innen und den wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen der letzten Jahre, die die Menschen extremer Ausbeutung und hohen Armutsrisiken preisgegeben haben. Das hat zu einer beispiellosen sozioökonomischen Krise sowohl in Russland als auch in der Ukraine geführt, aber nicht nur dort – denn sie hat regionale und globale Auswirkungen.
5. Entgegen der Glorifizierung der ukrainischen Regierung als absolut demokratischer Träger der Freiheit stellen wir das ukrainische Post-Maidan-Regime in Frage: seine Unterdrückung der Linken und der Opposition, das Verbot wichtiger Oppositionsparteien und die Blockade populärer Oppositionsmedien; die diskriminierende Sprachenpolitik und der fehlende Wille, die politische, ethnische und kulturelle Vielfalt der Ukraine anzuerkennen, sowie die Sabotage der Minsker Vereinbarungen in den letzten sieben Jahren. Auch die extremen »Entkommunisierungs«-Reformen der Ukraine machen deutlich, dass wir uns nicht einfach eine Rückkehr zur unhaltbaren Situation von gestern wünschen können.
6. Wir lehnen das Lagerdenken ab, das sein Heil entweder in einer rassistischen und militaristischen euro-atlantischen Einheit oder einem revanchistischen Eurasismus sucht, statt echte Kämpfe für radikalen sozialen Wandel, Demokratie, Arbeiter*innenmacht, Inklusion und Befreiung zu unterstützen.
7. Angesichts dieser reaktionären Ideologien, die nichts als Blut, Armut und Spaltung verheißen, halten wir das Erbe der revolutionären Bewegungen Osteuropas hoch, in deren (vielen) Tradition(en) wir den Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus und Militarismus und das Versprechen religiöser, ethnischer und geschlechtlicher Gleichheit verfolgen. Dieser Kampf in Solidarität mit allen Arbeiter*innen und Unterdrückten in unserer Region ist die einzige Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ethnische Ukrainer*innen und Russ*innen sowie für die historisch unterdrückten Gruppen der Region – Romnja*, Jüd*innen und Juden, Tatar*innen und migrantischen Communities, Frauen und sexuelle Minderheiten. In diesem Sinne verkünden wir unsere Solidarität mit den politischen Gefangenen in der Ukraine und in Russland und unsere Unterstützung für die Bewegung für radikale antikapitalistische Demokratie und ihre Kräfte in beiden Ländern.
Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand, Antikriegsbemühungen, die die wirtschaftliche und politische Elite, nicht aber die Arbeiter*innen und die Bevölkerung der jeweiligen Länder betreffen, sowie Verhandlungen, die eine Bestandsaufnahme der vergangenen Fehler im Friedensprozess und in der Sozial- und Wirtschaftspolitik vornehmen, die unsere Region in den Krieg geführt haben. Wir sind solidarisch mit den antikapitalistischen und Antikriegsbewegungen in der Ukraine und in Russland. Wir machen uns keine Illusionen über die Versprechen der liberalen Demokratie. Kein Krieg außer Klassenkampf!
Wir bitte die Genoss*innen in den Ländern, die noch nicht vom Krieg betroffen sind, darum, ihre Regierungen aufzufordern, eine vollständige und menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine und allen anderen Konfliktgebieten zu gewährleisten, einen schnellen Kurs zum Frieden zu fordern und ihre Solidarität mit denjenigen zu bekunden, deren Leben von Aggression und Hurra-Patriotismus betroffen sind. Es ist die Geschichte des linken Internationalismus und Pazifismus, die uns leitet.
Das Statement des Redaktionskollektivs von LeftEast erschien am 25. Februar unter dem Titel »LeftEast Condemns Putin’s Imperial War Against Ukraine«. Übersetzung: ak