Grüner Kolonialismus in Schweden
Deutsche Konzerne profitieren von Landnahme im Siedlungsgebiet der Sámi
Von Gabriel Kuhn
In einem 90-minütigen Dokumentarfilm, der 2015 auf Online-Plattformen hochgeladen wurde, erzählt Henrik Andersson über sein Leben als »Waldsámi«. Der Film trägt den Titel »Die letzte Generation«. Zu den Waldsámi gehört der größte Teil der in Schweden lebenden Sámi, der indigenen Bevölkerung Nordeuropas. Die öffentliche Wahrnehmung der Sámi wird wesentlich von den »Bergsámi« bestimmt, die mit großen Rentierherden über offene Landschaften ziehen. Es ist ein romantisches Bild, doch weniger als fünf Prozent der Sámi pflegen diesen Lebensstil. Auch die Waldsámi haben Rentierherden, halten sie jedoch auf einem überschaubaren Gebiet.
Der Film über Andersson hat auf YouTube mehr als 50.000 Aufrufe. Das macht ihn zu einer wichtigen Informationsquelle über das Leben der Sámi. Der allgemeine Wissensstand in den nordischen Ländern ist erstaunlich gering.
Die Bewegung wendet sich gegen die Abholzung der Wälder Sápmis durch das schwedische Staatsunternehmen Sveaskog. Für die deutsche Industrie ist das nicht ohne Relevanz.
Gegenwärtig steht Henrik Andersson aus anderen Gründen im Rampenlicht. Er ist eine der führenden Kräfte in der Bewegung »Skogsupproret« (wörtlich: »Der Aufstand des Waldes«), die unter dem Motto »Entkolonisiert Sápmi!« agiert. Als Sápmi wird das historische Siedlungsgebiet der Sámi bezeichnet. Die Bewegung wendet sich gegen die Abholzung der Wälder Sápmis durch das schwedische Staatsunternehmen Sveaskog. Für die deutsche Industrie ist das nicht ohne Relevanz. Deutschland ist einer der größten Importeure von schwedischem Holz.
Auch auf andere Weise nutzen deutsche Firmen die Landübernahme Sápmis. In der Nähe der Orte Árviesjávrrie und Árjepluovve (auf schwedisch Arvidsjaur bzw. Arjeplog) gibt es die größten Winter-Teststrecken für Europas Automobilhersteller. Im Winter verbinden mehrere Direktflüge Árviesjávrrie mit deutschen Städten – vor allem Stuttgart.
Kupfer, Jobs und Nachhaltigkeit
Im norwegischen Teil Sápmis unterzeichnete der deutsche Kupferproduzent Aurubis 2020 den größten Kupfervertrag in der Geschichte des Landes. Für rund eine Milliarde Euro sicherte man sich für zehn Jahre die exklusiven Rechte auf den Ertrag der Kupfermine, die 2023 in Nussir nahe Hammerfest in Betrieb genommen werden soll. Das hat eine historisch pikante Note. Das Unternehmen Aurubis ging aus der Norddeutschen Affinerie hervor, die während des Zweiten Weltkriegs Zulieferer für die deutsche Munitionsindustrie war. Nussir wiederum liegt in der Provinz Finnmark, die von der Wehrmacht am Ende des Krieges in Schutt und Asche gelegt wurde. Beinahe die gesamte Bevölkerung, rund 70.000 Menschen, davon die Mehrheit Sámi, musste die Provinz verlassen. Nur wenige hundert harrten im kargen Landesinneren aus. Nach dem Krieg wurde Finnmark von Grund auf neu aufgebaut.
Die Hauptgründe für den Widerstand gegen die Kupfermine in Nussir sind jedoch andere. Samische Organisationen sorgen sich um die Auswirkungen auf ihre Fischgründe und Rentierherden. Auf Anfrage von ak erklärte eine Sprecherin von Aurubis: »Durch den Betrieb der Mine werden in der dünn besiedelten, ehemaligen industriellen Region direkt oder indirekt rund 200 neue Arbeitsplätze entstehen. Auch die lokale Bevölkerung, die zum Teil aus Sámi besteht, unterstützt das Projekt.«
Aslak Holmberg, Vizepräsident des Samischen Rates, der samische Organisationen aus ganz Sápmi repräsentiert, zeigt sich über diese Aussage verwundert: »Sámi, die in der Gegend fischen und Rentierzucht betreiben, haben sich gegen das Projekt ausgesprochen. Möglicherweise zählen sie als Nomaden nicht zur lokalen Bevölkerung.« Holmberg bestätigt, dass die Kommunalverwaltung dem Projekt zugestimmt habe. Doch fügt er hinzu, dass Kommunalverwaltungen in den seltensten Fällen die Interessen der Sámi repräsentierten.
Die Aurubis-Sprecherin betont in ihrer Stellungnahme einen weiteren Aspekt: »Das Nussir-Projekt ist in Bezug auf Nachhaltigkeit in vielerlei Hinsicht vorbildlich: So wird die Mine die erste der Welt sein, die frei von CO2-Emisionen ist. Und durch die kurzen Transportwege von Norwegen nach Hamburg (viele Kupferkonzentrate stammen ja z.B. aus Lateinamerika) werden weitere Emissionen eingespart.«
Grüne Energien zerstören nachhaltige Lebensformen
In Sápmi spricht man vermehrt von einem »grünen Kolonialismus«. Man meint damit, dass Sápmi zu einem Experimentierfeld für »grüne Energie« werde, die gleichzeitig die traditionellen Lebensgrundlagen zerstört – und damit Lebensformen, die nachhaltiger als jede noch so grüne Energiegewinnung sind.
Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Windkraft. Die Regierungen der nordischen Länder nehmen gerne in Anspruch, führend in der Förderung der Windenergie zu sein. Windenergieanlagen werden gerne in Sápmi platziert, weit weg von der Mehrheitsbevölkerung. Die Auswirkungen auf die Rentierzucht sind enorm. Kerstin Andersson, engagiert bei Amnesty Sápmi, meint dazu: »Die Forschung zeigt, dass Rentiere Windenergieanlagen meiden. Es geht nicht nur um die Turbinen. Jede Anlage verlangt Straßen und Stromnetze. Je mehr von ihnen gebaut werden, desto mehr Weideland verschwindet.«
Samische Aktivist*innen bilden gegenwärtig Allianzen mit Klimabewegungen wie Extinction Rebellion. Das erinnert an die breite Bewegung, die in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren gegen den Bau des Staudamms am Alta-Fluss im Norden Norwegens protestierte. Vor dem Parlament in Oslo wurden samische Zelte errichtet, Aktivist*innen traten in den Hungerstreik, das Büro der Ministerpräsidentin wurde besetzt. Die norwegische Regierung setzte den Bau des Staudamms trotzdem durch, doch die Protestbewegung hat im samischen Bewusstsein tiefe Spuren hinterlassen. Sie inspiriert auch die gegenwärtige Bewegung.
Das bestätigt Henrik Andersson, als ich ihn am Osterwochenende erreiche. Die Zusammenarbeit mit nicht-samischen Aktivist*innen ändere sich: »Früher bekamen wir hie und da Unterstützung in Einzelfragen. Aber das ist uninteressant. Es geht um das gesamte Paket. Heikle Fragen wie Windkraft dürfen nicht ausgeklammert werden. Ich sage das den Leuten auch so: Entweder wir arbeiten auf ganzer Linie zusammen oder wir lassen es bleiben. Immer mehr begreifen das.«