Cinéma Klassenkampf
Wenn man wissen will, was in einem Betrieb los ist, muss man die Arbeiter*innen fragen, sagt Johanna Schellhagen vom Filmkollektiv labournet.tv
Interview: Jan Ole Arps
Labournet.tv ist ein Kollektiv aus drei Frauen, die Kämpfe am Arbeitsplatz filmen. Auf der Website sammelt labournet.tv seit zehn Jahren außerdem Filme aus der Arbeiterbewegung. So ist bis heute ein Online-Archiv mit über 850 Filmen aus mehr als 60 Ländern entstanden. Ende letzten Jahres lief die bisherige Finanzierung des Projekts aus, nun versucht labournet.tv, mit Hilfe von Fördermitgliedern weiterzumachen.
Wächst das Interesse der Linken an der Arbeitswelt?
Johanna Schellhagen: Das Interesse bleibt oft etwas abstrakt. Ich war vor kurzem bei einer Demonstration von Daimler-Beschäftigten in Berlin-Marienfelde, wo 2.000 Stellen gekürzt werden sollen, da waren nicht viele Leute aus linken Gruppen.
Ist das anders, wenn in einem Betrieb gestreikt wird, der nicht gerade Verbrennermotoren produziert?
Nein. Bei der Charité gibt es zum Beispiel die ausgelagerte CFM, das sind Leute, die für Niedriglöhne nicht-pflegerische Tätigkeiten verrichten – in einem landeseigenen Betrieb. Dort kämpfen die Leute seit Jahren darum, dass der Senat den eigenen Koalitionsvertrag einhält: Bezahlung nach TVÖD. Eigentlich der Skandal schlechthin, trotzdem sehe ich nicht viel Interesse bei linken Gruppen in Berlin. Ich denke, der Ausgangspunkt für gesellschaftliche Veränderungen sind mobilisierte Belegschaften, und wir wollen deren Kämpfe unterstützen, egal, wo sie arbeiten.
In euren Filmen stehen die Stimmen von Arbeiter*innen im Mittelpunkt.
Ja, das ist die Idee. Wir wollen ihre Perspektive zeigen, wir interessieren uns dafür, was sie zu sagen haben. Wenn man wissen will, was in einem Betrieb los ist, in dem gekämpft wird, muss man die Arbeiter*innen fragen, nicht die Gewerkschaftssektretär*innen oder Kund*innen.
Das Interesse der Linken an der Arbeiterklasse bleibt oft etwas abstrakt.
Johanna Schellhagen
Wie erfahrt ihr von einem Streik?
Wir haben Kontakte zu Belegschaften und Gruppen, die sich für Arbeitskämpfe interessieren. Wenn wir von einem Streik hören, versuchen wir, dorthin zu gehen. Wir sind dann meist die einzigen, die die Arbeiter*innen selbst interviewen, das finde ich so bizarr.
Gibt es Faktoren, die es begünstigen, dass Arbeitskämpfe eine auf den eigenen Betrieb begrenzte Perspektive übersteigen?
Ich denke, das passiert, wenn man anfängt, die eigene kollektive Macht zu spüren. Zum Beispiel beim Kampfzyklus der Logistikarbeiter*innen in Italien, zu dem wir auch einen Film gemacht haben: Da wurden auch politische Fragen diskutiert, es ging um Feminismus, Arbeiter*innen haben mit linken Gruppen demonstriert und Häuser besetzt. Bei einem vereinzelten Aufbegehren in einem Betrieb kann man nicht erwarten, dass dort große gesellschaftliche Fragen diskutiert werden. Da geht es erstmal um das Naheliegende.
Euer Film über die norditalienischen Logistikkämpfe ist sehr beeindruckend. Wie kam es dazu?
Wir haben im Frühjahr 2014 an einem Treffen von Basisgewerkschafter*innen in Berlin Genossen aus Bologna kennengelernt. Einer sagte, ich schlafe vor den Toren des Molkereiunternehmens, das bestreikt wurde, im Auto, wir werden jede Woche von der Polizei zusammengeschlagen. Das alles war so interessant, dass wir dorthin gefahren sind. Es war total viel los, es gab jeden Tag Streiks und Blockaden. Wir sind mitten in eine krasse Bewegung geraten, von der man in Deutschland nichts mitgekriegt hatte.
Wie bist du dazu gekommen, Filme über betriebliche Kämpfe zu machen?
Ich komme aus einer Familie, in der es Armutserfahrung gibt. Ich bin mit einem undefinierten Klassenbewusstsein aufgewachsen. Das hat niemand so genannt, aber es war sehr prägend für mich. Als ich dann begonnen habe, mich politisch zu interessieren, habe ich einen Film über Coca-Cola-Gewerkschafter in Kolumbien gemacht. Ein Arbeiter war Verhandlungsführer für einen Tarifvertrag, und als es darum ging, den unter Dach und Fach zu bringen, kamen Paramilitärs auf Motorrädern und haben ihn erschossen, das Gewerkschaftshaus angezündet und die ganze Gewerkschaft aus der Region vertrieben. Und das alles in völliger Straflosigkeit. Diese Zusammenarbeit von staatlichen Institutionen, Paramilitärs und Coca Cola gegen organisierte Arbeiter war für mich ein Augenöffner. Ich habe seitdem öfters beobachtet, dass Arbeiter*innen, die sich zu erfolgreich organisieren, einem Block aus Exekutive, Justiz und Unternehmerschaft plus Bürgertum und Medien gegenüberstehen.
Neben den Filmen, die ihr selbst macht, dokumentiert ihr eine Menge, zum Beispiel mehrere tolle kurze Filme, in denen chinesische Arbeiter*innen von ihren Kämpfen berichten. Wie kommt ihr an die Filme?
Manchmal durch Empfehlungen, oder wir recherchieren bei Youtube. Inzwischen kennen wir auch viele Filmemacher*innen, die uns ihre Filme schicken. Der Film, den du ansprichst, ist von einem chinesischen Filmemacher, der selbst aus einer Wanderarbeiterfamilie kommt.
Gibt es viele Kollektive, die eine ähnliche Arbeit machen wie ihr?
Nicht viele, aber es gibt sie: reelnews in Britannien, diakoptes in Griechenland, laborbeat in den USA und Mosireen in Ägypten. Das sind Videokollektive, die schwerpunktmäßig Kämpfe am Arbeitsplatz dokumentieren.
Vor zwei Jahren habt ihr euren ersten Kinofilm gemacht, »Luft zum Atmen«, über die ehemalige Betriebsgruppe GOG bei Opel in Bochum. Wie finanziert ihr das alles?
Größere Filme finanzieren wir vor allem über Anträge. Für die laufenden Kosten sind wir bis Anfang 2020 von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt gefördert worden. Nun finanzieren 120 Fördermitglieder unsere Arbeit, das sind aber noch nicht genug. Für unseren neuen Film über den Klimawandel starten wir Ende Januar ein Crowdfunding.