Climate Engineering als Trostpflaster
Auch wir, die wir eine gesellschaftliche Revolutionierung wollen, müssen über technische Klimaschutzmaßnahmen nachdenken
Von Annette Schlemm
Derzeitig sitzen wir in einer verhängnisvollen Falle. In der wachstums- und profitorientierten kapitalistischen Gesellschaft versuchen Menschen, Probleme mit denselben Mitteln zu lösen, die das Problem herbeigeführt haben: mit mehr Technik, mehr Wachstum und auch damit, dass an der Lösung wieder verdient werden soll. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen scheint es nur eine Alternative zum gefährlichen Klima-Umbruch zu geben: Climate Engineering (CE).
Erst vor kurzem kam ich während einer Demo mit einem Bekannten ins Gespräch, mit dem ich schon vor 15 Jahren in einer Klimaschutzgruppe in Jena aktiv war. Für ihn war klar: Da die Reduktion der Treibhausgasemissionen zu lange verzögert worden ist, sei es jetzt zu spät, um auf Climate Engineering verzichten zu können. Einerseits ist in der Natur keine Reserve mehr da, um die nicht verhinderbaren Emissionen weiterhin dem Wirken der Natur anzuvertrauen. Andererseits befindet sich inzwischen eine Menge des langlebigen Kohlendioxids in der Luft, das in den letzten beiden Jahrzehnten zu viel emittiert worden ist. Davon muss ein großer Teil zurückgeholt werden bzw. müssen seine Auswirkungen anders kompensiert werden, um unter 1,5 oder 2 Grad global-durchschnittlicher Erwärmung zu bleiben.
Wir befinden uns innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der »Illusion der Alternativen« – wir haben scheinbar nur eine »Wahl zwischen zwei Alternativen, die aber deswegen illusorisch ist, weil weder die eine noch die andere Alternative zutrifft«. Eine wirkliche Auflösung der Situation, ein Herausspringen aus dieser Illusion, ist nur möglich, wenn wir die Rahmenbedingungen aufsprengen. Wenn wir kein Climate Engineering wollen, müssen wir eine neue Gesellschaft wollen. Natürlich ist genau diese Forderung der Angstgegner derer, die am Climate Engineering festhalten, gerade um Systemwechselforderungen abzuwehren. Für sie bietet Climate Engineering »das verlockende Versprechen einer Lösung für den Klimawandel, die es uns ermöglichen würde, unsere ressourcenverschlingende Lebensweise auf unbestimmte Zeit fortzusetzen«.
In Wirklichkeit geht es um folgende Alternative: Verharren in den kapitalistischen Strukturbedingungen, die uns auf technizistische Lösungen festlegen, Machtungleichgewichte und neue Ungerechtigkeiten mit sich bringen – oder Entwicklung einer neuen Gesellschaftsform, in der alle Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen können, ohne die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören. Diesmal bleibt keine Zeit, auf die Zukunft zu hoffen, wie es frühere Befreiungsbewegungen unter dem Motto »Die Enkel fechten’s besser aus« konnten.
Zum Buch
Seit einigen Jahren sind Technologien, die die Folgen des anthropogenen Klimawandels rückgängig machen sollen, in den Klimaschutzplänen des Weltklimarats eingeplant. Es geht längst nicht mehr nur um eine Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen und eine Anpassung an die inzwischen unvermeidbar gewordenen Folgen des Klima-Umbruchs: Um das Schlimmste zu verhindern, werden Projekte für einen »Plan B« entwickelt, mit denen entweder die Sonne zwecks Abkühlung der Erde »abgeschattet«, oder aber das bereits emittierte Kohlendioxid wieder aus der Luft herausgeholt werden soll. Climate Engineering, also das Herumbasteln am Klima, ist nach offiziellen Verlautbarungen inzwischen unverzichtbar geworden. Annette Schlemm geht es in ihrem Buch »Climate Engineering. Wie wir uns technisch zu Tode siegen, statt die Gesellschaft zu revolutionieren« um eine gesellschaftspolitische Einschätzung dieser Vorhaben – und das führt gerade aus der Perspektive globaler Gerechtigkeit zu starken Zweifeln an deren Sinnhaftigkeit.
Allerdings müssen wir realistisch sein: Dass die nötige Revolution in der nächsten Zeit erfolgen wird – dafür spricht sehr wenig. Was machen wir bis dahin? Wir müssen trotz alledem daran arbeiten, die Treibhausgasemissionen zu senken, zu senken und noch zigmal zu senken. Dafür habe ich mir seit 30 Jahren den Mund ziemlich umsonst fusselig geredet und die Finger wund geschrieben. Auch der Hype um Fridays for Future hat da nichts Maßgebliches bewirkt, weil die systemisch-strukturellen Verhältnisse noch nicht aufgebrochen werden konnten, auch wenn noch so viele Plakate mit der Losung »System Change not Climate Change« hochgehalten wurden. Auch bei uns hängen die meisten Menschen am Konsumkapitalismus, dessen Credo lautet: »Niemals die Ursache bekämpfen, wenn man eine Industrie schaffen kann, die die Symptome behandelt.«
Erstmal der Null nähern
Deshalb schlägt den Klimakleber*innen so viel Wut aus der Gesellschaft entgegen. Auch die allermeisten von uns haben trotz aller möglichen Selbstbeschränkungen immer noch einen bis zu vierfach höheren CO2-Ausstoß, als global-durchschnittlich zulässig wäre. Auch in der Bevölkerung und wohl sogar in der Klimabewegung kann die technikzentristische Sicht, die unsere Wirtschafts- und Lebensweise unberührt zu lassen scheint, attraktiv werden.
Wenn man sich Medienberichte über Climate-Engineering-Themen anschaut, wird durchaus der Eindruck erweckt, dass damit ja nun Entwicklungen in Gang gekommen wären, die alles wieder ins Lot brächten. Man zeigt den Kindlein ein Licht, damit sie keine Angst bekommen … Und das funktioniert gut. Climate Engineering wirkt als Trostpflaster und wird als Rettungsanker dringlichst ersehnt.
Wir werden in der Zukunft verzweifelte Versuche des Hochskalierens dieser Methoden erleben, wie es sich z.B. bei der Wiederbelebung der eigentlich schon abgeschriebenen Carbon-and-Capture-Techniken (CCS) zeigt, und dies bei ohnehin wachsenden geopolitischen Spannungen. In der Öffentlichkeit und den Klimabewegungen wird dies neue »Fronten« zwischen pauschaler Verweigerung, Nachgiebigkeit mangels Alternativen und Befürwortern aufmachen.
Die Welt ist so widersprüchlich, wir kommen nicht mit einfachen Antworten durch.
Festzuhalten ist dabei zumindest an der Priorisierung der Minderung der Treibhausgasemissionen, denn »zunächst muss man sich der Null nähern, bevor man negativ werden kann«. Dass mittlerweile über den Plan B ernsthaft gesprochen werden muss, verweist umso mehr auf die Dringlichkeit der Minderung der Emissionen!
Die Verzögerung der tatsächlich notwendigen revolutionären Veränderungen in der Produktions- und Lebensweise führt dazu, dass auch wir, die wir eine gesellschaftliche Revolutionierung wollen, über Climate Engineering nachdenken müssen. Die Welt ist so widersprüchlich, wir kommen nicht mit einfachen Antworten durch. Wenn wir das Ansteigen der global-durchschnittlichen Temperaturen zu den gefährlichen Kipppunkten im Klimasystem verhindern wollen, müssen wohl zumindest einige Carbon-Dioxid-Removal-Maßnahmen in Angriff genommen werden. Ich erinnere noch einmal daran, dass es nicht die eine Climate-Engineering-Technologie gibt, sondern dass sie im Einzelnen konkret zu bewerten sind.
Deshalb kann man sicher verantworten, »Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, im Einklang mit dem Schutz der Biodiversität die Klimaschutzwirkung von terrestrischen oder marinen Ökosystemen zu erhalten und möglichst zu verstärken«, zu befürworten. Solche Maßnahmen werden auch Maßnahmen des Natürlichen Klimaschutzes genannt. »Diese Maßnahmen tragen sowohl zum Biodiversitätserhalt als auch zum Klimaschutz bei. Wird dabei die Fähigkeit der Ökosysteme gesteigert, CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen und langfristig als Kohlenstoff zu speichern, können Negativemissionen erzielt werden.« Solche »natürlichen« Maßnahmen, die die Aufnahmefähigkeit der CO2-Senken erhöhen, sind schon bei den Bemühungen zur »Minderung« des Klimawandels mitgemeint.
Die Unterscheidung zwischen solchen Minderungsbemühungen und dem »echten« Climate Engineering wird üblicherweise dort gezogen, wo die Intervention natürliche Zustände maßgeblich verändert. So gehören Maßnahmen zur Steigerung der CO2-Aufnahmefähigkeit durch (Wieder-)Aufforstung, eine verbesserte Speicherfähigkeit in Böden und die beschleunigte Verwitterung einerseits zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen, andererseits sind sie CE-Maßnahmen. Auch CCS reduziert CO2 in der Atmosphäre; wenn es jedoch in großem Maße in die geologischen Reservoirs eingreift, ist es eindeutig Climate Engineering. (…)
Auch zwischen Anpassungsmaßnahmen und Climate Engineering gibt es Überschneidungen. Als Beitrag zur Anpassung werden Interventionen gezählt, wenn sie die Verletzlichkeit von natürlichen und menschlichen Systemen gegenüber dem Klimawandel verringern. Das Weißen von Oberflächen gehört hierzu, während dessen Anwendung in großem Maßstab (etwa in Wüsten und auf Gletschern) zum Climate Engineering gehört. Letztlich gehört alles, was an der Abschattung der Sonnenstrahlung und der Reduktion des CO2-Gehalts der Luft kritisch und gefährlich ist, zu Climate Engineering, was aber nicht umgekehrt gilt. Denn nicht alles, was als Climate Engineering gilt, muss als kritisch und gefährlich eingeschätzt werden. Trotzdem muss auch bei den »naturnahen« Techniken darauf geachtet werden, dass es »nicht nach hinten losgeht«. Auch bei scheinbar »natürlichen« Lösungen wie einer vorgeschlagenen Eukalyptus-Bepflanzung der Sahara kann es daneben gehen.
Natürliche Senken auf dem Land und in den Ozeanen stärken
Die »naturnahen« Formen des Climate Engineering sollten uns daran erinnern, dass es zuerst darum gehen muss, die natürlich vorhandenen Wirkmöglichkeiten der natürlichen Senken auf dem Land und in den Ozeanen zu stärken. Dafür müssen zuerst die massiven Rodungsmaßnahmen gestoppt werden, und die Landwirtschaft muss nach ökologisch-regenerativen Maßnahmen umgestaltet werden. Feuchtgebiete, vor allem an den Küsten, müssen erhalten werden, Moore möglichst wieder renaturiert werden usw. Dagegen spricht nur dann etwas, wenn die Selbstbestimmungsrechte von Menschen, die in diesen Gebieten leben, mit Füßen getreten werden bzw. Land, das dringend für die Nahrungsmittelproduktion gebraucht wird, dafür umgewidmet wird. Allerdings ist es erschreckend, dass der Trend gegenwärtig beschleunigt in die falsche Richtung läuft; der schwindende Amazonaswald ist nur das offensichtlichste Zeichen dafür.
Bei anderen Climate-Engineering-Techniken als den »naturnahen« sind die Kosten enorm, die letztlich die Gesellschaft und nicht die Profiteure tragen werden. Die Forschung der letzten beiden Jahrzehnte hat eher darauf aufmerksam gemacht, was noch alles zu beachten sei, was noch alles schiefgehen könne, als den Eindruck vermitteln zu können, wir würden schnell lernen, dies in den Griff zu bekommen.
Außer der gesellschaftlichen Revolution haben wir in Bezug auf Climate Engineering noch Handlungsfelder, in denen wir aktiv werden sollten. Es sollte ein Moratorium für bestimmte Anwendungen geben, und bei Feldversuchen sollte eine öffentliche Debatte und Entscheidung maßgebend sein. Wir brauchen internationale Vereinbarungen. Der Einsatz von Climate-Engineering-Maßnahmen muss so gering wie möglich gehalten werden, um die Risiken möglichst klein zu halten. Das bedeutet, ihren Einsatz nur für nicht reduzierbare Emissionen, z.B. aus der Landwirtschaft, vorzusehen. Außerdem dürfen nur naturnahe Techniken in einem verträglichen Ausmaß, d.h. mit der Nahrungsmittelproduktion und der Biodiversität verträglich, eingesetzt werden, vor allem jene, die als »regenerativ« gelten.
Climate Engineering darf nicht zum Feld für neue Profitmacherei werden, eventuelle Gewinne müssen in Ökologie und Soziales reinvestiert werden, z.B. muss ein Kostenausgleich für sozial Schwache bei einer allgemeinen Reduzierung des Luxuskonsums durchgesetzt werden. Das bedeutet auch, die wichtigsten Kehrtwenden, die im neuen Bericht an den Club of Rome gefordert wurden (Armut und Ungleichheit beseitigen), umzusetzen. Wenn dies geschieht, haben wir im Prinzip die Systemveränderung gleich mit in der Tasche. Dann kann unter neuen Bedingungen gemeinsam neu überlegt und entschieden werden, welche humanen und ökologisch verantwortbaren gesellschaftlichen Naturverhältnisse entwickelt werden sollen.
Dieser Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch »Climate Engineering. Wie wir uns technisch zu Tode siegen, anstatt die Gesellschaft zu revolutionieren« von Annette Schlemm, das dieser Tage im Mandelbaum-Verlag erschienen ist (322 Seiten, 20 EUR). Die Fußnoten wurden gestrichen. Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung.