Bitte nicht grün umlackieren
Bei der IAA in München rangen Klimaaktivist*innen und Autohersteller um Aufmerksamkeit und den öffentlichen Raum – eine Bilanz der Protestwoche
Von Anna Dotti
Zwei Polizisten klettern auf einen Holzzaun, die Latten brechen, sie fallen zu Boden. Sie stehen wieder auf und schließen sich der Reihe der gegenüber stehenden Polizist*innen an. Zwischen dem kaputten Holzzaun und den behelmten Beamt*innen stehen zwei Bäume, darauf sitzen zwei Aktivist*innen. Unten drängen sich Demonstrant*innen in weißen Maleranzügen, sie schreien. Mit Pfefferspray und Schlagstöcken drängt die Polizei die Demonstrierenden zurück. Auch zwei Journalisten bekommen Pfeffer ab. Nach etwa einer Viertelstunde zieht sich die Polizei zurück. Die Aktivist*innen in den Bäumen arbeiten daran, ein Transparent aufzuhängen. Es wäre eigentlich kein Grund für einen gewalttätigen Polizeieinsatz.
Es ist Samstagnachmittag, und in der Münchener Innenstadt sind 4.500 Polizist*innen im Einsatz, so viele wie noch nie in den letzten 20 Jahren. Von linksradikalen Gruppen bis zu bürgerlichen Organisationen ist die Klimabewegung aus ganz Deutschland in die bayerische Hauptstadt gereist. Der Anlass dafür ist die Internationale Automobilausstellung (IAA), die zum ersten Mal in München stattfindet. Laut der Internetseite der Stadt wird jedes vierte Auto in Deutschland in der Metropolregion München gefertigt. Mit etwa 700 Herstellern ist die Automesse eine der größten weltweit, trotz der diesjährigen Absage von großen Namen wie Opel, Tesla und Toyota. So groß wie nie waren aber auch die Proteste dagegen: Für das Klima und eine radikale Verkehrswende gingen Tausende auf die Straße.
Städtische Flächen zurückerobern
»Fahrradfahren verboten«, hieß es auf den Schildern an mehreren Orten der Münchener Innenstadt, wo die Autohersteller ihre Wagen ausgestellt haben. Schöne Plätze mit historischen Gebäuden machte die Messe kurzerhand zu »Open Spaces«: Die bayerische Hauptstadt hat der Automobilindustrie zusätzliche Flächen außerhalb des Messegeländes zur Verfügung gestellt – aus Sicht der Klimademonstrierenden eine Frechheit. Die Umverteilung städtischer Flächen würde aus ihrer Sicht für einen anderen Zweck Sinn machen: für die Durchsetzung einer nicht autozentrierten Mobilität.
»Wir nehmen uns die Münchener Innenstadt zurück. Es sollen hier nicht nur SUV stehen und teure Autos«, kommentiert die aus der Seenotrettung bekannte Aktivistin Carola Rackete eine Hausbesetzung in der Innenstadt am Freitag. Die Kapitänin nahm an den Protesten des linken Bündnisses Sand im Getriebe teil, mit dem auch die Gruppierung No future IAA zusammen protestiert. Aktivist*innen der beiden Bündnisse besetzten in der Nacht von Donnerstag auf Freitag ein leerstehendes Gebäude. Als am Freitagnachmittag etwa 500 Demonstrierende dort vorbeiliefen, zündeten die Besetzer*innen grüne und pinke Rauchfackeln und erklärten das Haus für besetzt. »Block IAA« und »Open Space for future. Squat the city«, hieß es auf den aufgehängten Transparenten. Die Menge unten blieb stehen, jubelte – und erlebte dann Gewalt seitens der Polizist*innen. Nach nur einer Stunde räumte die Polizei und zeigte die Besetzer*innen wegen Hausfriedensbruchs an.
Über 50 Versammlungen hatte das Bayerische Innenministerium für das Wochenende registriert. Kleinere Proteste gab es schon vor Beginn der Messe. Am Tag der Eröffnung blockierten Aktivst*innen der Gruppe Aktion Autofrei die Autobahnen um München herum an fünf Punkten: »Smash car lobby. No IAA« klebten sie auf die Verkehrsschilder. Mit Aktionen zivilem Ungehorsams blockierten Aktivist*innen von Sand im Getriebe am Freitag auch die »Open Spaces« der Autohersteller Mercedes und Audi. Die antikapitalistische Gruppe Smash IAA stürmte den »Open Space« der Firma Bosch und blockierte ihr Werk in der Stadt, um sich solidarisch mit dem Kampf der dort Beschäftigten gegen eine mögliche bevorstehende Schließung des Produktionsstandortes zu zeigen.
»Sparen Sie sich die Anreise«
Unter dem Motto »aussteigen« zog am Samstag schließlich eine bunte Demonstration durch das Stadtzentrum. Die laut Polizeiangaben 3.500 Teilnehmer*innen waren in zwei Blöcke aufgeteilt: Zuerst die großen NGOs und Umweltorganisationen wie die Deutsche Umwelthilfe, BUND, Greenpeace und Attac, danach die Aktivist*innen des zivilen Ungehorsams. Getrennt kamen die zwei Demonstrationszüge am Nachmittag zur Endkundgebung auf der Theresienwiese an. Die Kletteraktion auf den Bäumen und die brutale Polizeiintervention hatten den Protestzug gespalten. Auf der Theresienwiese trafen die Demonstrant*innen auch auf die 16 Demozüge einer Radsternfahrt von ADFC, VDC und anderen Umweltverbänden: Mehr als 20.000 Menschen radelten laut den Veranstalter*innen aus dem Münchener Umland dorthin.
Die städtischen Behörden und die Polizei versuchten auch hier zu stören. Mehrere Routenänderungen sollten die Organisator*innen der Fahrraddemo kurzfristig arrangieren, außerdem untersagte die Versammlungsbehörde den Demonstrant*innen, auf der Autobahn zu radeln. Ein Rechtsstreit gegen das Verbot blieb erfolglos. Auch die Organisator*innen des Klimacamps mussten sich vor Gericht streiten und bekamen erst im letzten Moment die Genehmigung für ihr Camp. Trotzdem gelang es ihnen, rund Tausend Aktivist*innen zu Füßen der Statue der Bavaria auf der Theresienwiese campen zu lassen – dort, wo das Oktoberfest seit mehr als 200 Jahren stattfindet.
Gerechnet hatten die Organisator*innen allerdings mit mehr Aktivist*innen. Vielleicht wären auch mehr gekommen, wenn die Polizei im Vorfeld nicht Stimmung dagegen gemacht hätte. »Das Polizeipräsidium München ist mit den Unterstützungskräften aus ganz Deutschland sehr gut vorbereitet. München hat keinen Platz für Krawallmacher und Randalierer, also sparen Sie sich im Zweifel auch die Anreise«, sagte Polizeipräsident Thomas Hampel eine Woche vor Beginn der IAA.
Am Sonntag beschrieb ein Sprecher des Anwaltlichen Notdienstes den Polizeieinsatz als »systematische Missachtung der Freiheitsrechte«. Die Grünen stellten mehrere Anfragen zum Polizeieinsatz im Bayerischen Landtag und forderten eine umfassende Aufklärung. Vier Journalisten haben mittlerweile mit Unterstützung der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten Union der Gewerkschaft ver.di Klage gegen die Angriffe gegenüber der Presse eingereicht.
Das Bündnis indes ist zufrieden mit den Protesten. »Auch gegen massive Widerstände haben wir es geschafft, die Autoindustrie zu blockieren«, sagt die Pressesprecherin von Sand im Getriebe, Lola Löwenzahn, am Sonntag. Wegen der starken Polizeipräsenz und des Einsatzes von Pfefferspray und Knüppeln konnte jedoch ein ganzer Demonstrationszug am Freitagfrüh nicht mal 500 Meter weit aus dem Camp hinaus gelangen. Das Messegelände war zwölf Kilometer entfernt – im Herzen der IAA sind die Kritiken der Klimaaktivist*innen also nicht zu hören gewesen.
Dieselmotoren und Greenwashing
Elektroräder, Fluggeräte und öffentliche Elektroverkehrsmittel: Auf dem Flyer der IAA ist kaum ein Auto zu sehen, und wenn dann sind es Elektroautos. »IAA-Mobility« nennt sich die Messe in diesem Jahr und behauptet, eine zukunftsorientierte, digitale und klimaneutrale Mobilität zu präsentieren. Deshalb stellen zum ersten Mal auch 70 Hersteller von Fahrrädern ihre Produkte auf der IAA vor. Dazu gibt es Weltpremieren wie ein Auto von BMW, das zu 100 Prozent aus Altmaterial und nachwachsenden Rohstoffen hergestellt ist.
Jedoch werden die Autos nach wie vor größer und schneller, und mit dem Gewicht steigt auch der CO2-Ausstoß. Ein Paradebeispiel ist der Brabus G 900 Rocket von Daimler: ein Geländewagen mit etwa so viel PS wie ein Ferrari. Ihn können die Besucher*innen der IAA ebenfalls bestaunen. Auch wenn sie sich den Platz im blauen Neonlicht mittlerweile mit eiförmigen futuristischen Elektroautos teilen müssen, gibt es bei der Messe immer noch zahlreiche Verbrenner zu sehen. Im ersten Halbjahr 2021 haben die Firmen BMW, Daimler und VW knapp 28 Milliarden Euro verdient. Ein Rekord, der immer noch vom alten Produktionsmodell kommt: Unter den verkauften Autos sind laut dem Greenpeace-Experten für Verkehr, Benjamin Stephan, aktuell 95 Prozent mit Verbrennungsmotor.
Den Vorwurf des »Greenwashing«, den die Klimabewegung gegenüber der IAA erhebt, wollen die meisten Ausstellungsbesucher*innen jedoch nicht gelten lassen, jetzt wo sich die Autobranche so sensibel für Umweltthemen zeige. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte bei der offiziellen Eröffnung den neuen, auf Klimaneutralität ausgerichteten, Kurs der Autobranche.
Die IAA-Gegner*innen betonen dagegen, dass Elektroautos keine klimafreundliche Mobilitätslösung sind. Einerseits, weil Metallrohstoffe wie Lithium und Kobalt für den Bau der Batterien gebraucht werden. Die Grundstoffe werden oft unter fragwürdigen Umständen aus dem globalen Süden importiert. Außerdem sehen sie im motorisierten Individualverkehr an sich ein Problem – und fordern eine radikale Verkehrswende, keine grünere Autobranche.
Autoland Deutschland
Doch Deutschland ist nach wie vor Autoland: Rund 48 Millionen Pkw sind hierzulande zugelassen – bei einer Bevölkerung von knapp über 80 Millionen bedeutet das mehr als ein Auto pro zwei Personen. Die Einführung eines Tempolimits auf deutschen Autobahnen stößt weiterhin auf leidenschaftlichen Widerstand: Für die meisten Autobesitzer*innen ist das Autofahren mit einem Freiheitsgefühl verbunden. Die Klimabewegung dagegen will weniger Autos, und wenn dann sollten es kollektiv genutzte Elektrofahrzeuge sein.
Die Klimabewegung fordert viele Änderungen auf dem Weg zu einer kollektiven Mobilität: ein kostenloses und erweitertes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln, den Ausbau von Radwegen und Schieneninfrastruktur und die Konversion der Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Durch die Proteste haben ihre Forderungen die Aufmerksamkeit der Medien erreicht, immerhin. Von einer politischem Umsetzung sind die Forderungen im Autoland Deutschland zwei Wochen vor der »Klimawahl« allerdings noch meilenweit entfernt.