Trecker lassen sich schwieriger räumen als Menschen
»Die Aufstände der Erde« versuchen in Frankreich, den Kampf um Land und Wasser mit der Klassenfrage zu verbinden
Von Julia Thöring
Auf der Fahrt an die französische Atlantikküste säumen große Weizen-, Mais- und Sonnenblumenfelder die Straßen. Mähdrescher dominieren den Horizont, ein Großteil des Getreides wird in diesen letzten Juliwochen geerntet. Die Region Nouvelle-Aquitaine im Südwesten Frankreichs hat sich in den letzten Jahren zum politischen Hotspot im Kampf gegen die Privatisierung von Wasser entwickelt.
Im Frühjahr letzten Jahres hat die Bewegung »Les Soulèvements de la Terre« (dt. Aufstände der Erde) mit 30.000 Menschen gegen den Bau sogenannter Méga-Bassines in der Gemeinde Sainte-Soline demonstriert (ak 692). 16 dieser bis zu 18 Hektar großen Wasserbecken sollen hier gebaut werden, um im Sommer die Getreidefelder künstlich zu beregnen. Der intensive Ackerbau in der Region geht mit einem immensen Wasser- und Flächenverbrauch einher. Nutzungsrechte für die staatlich subventionierten Becken müssen gekauft werden. Wer sich diesen Zugang nicht leisten kann, leidet unter dem sinkenden Grundwasserspiegel, der Flüsse und Brunnen austrocknen lässt.
Ein Jahr nach der Demonstration kommt die Bewegung Mitte Juli erneut in der Region zusammen. Im kleinen Dorf Melle, auf halber Strecke zwischen den Wasserbecken und dem Atlantik, wird für eine Woche ein sogenanntes Wasserdorf errichtet. Hauptaktionsziel in diesem Jahr ist der Hafen von La Rochelle am Atlantik als Ende der Kette der Méga-Bassines. Dort verlässt das Getreide, das von den Wasserbecken gespeist wird, als Nahrungsmittel, Biokraftstoff oder Futtermittel das Land und gelangt auf den Weltmarkt.
13 Prozent der weltweiten Getreideexporte kommen aus Frankreich, das damit der größte Getreideexporteur der EU ist. Dass Frankreich auf dem Weltmarkt mitspielen kann, liegt daran, dass die Landwirtschaft in der EU durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) stark subventioniert wird. Dadurch kann das Getreide auf dem Markt zu einem Preis angeboten werden, der häufig unter den Produktionskosten liegt. Die Preise für Weizen werden nicht auf den Höfen in der Region, sondern an der Börse in Paris festgelegt. Agrarkonzerne kaufen den Landwirt*innen das Getreide ab und halten es zurück, bis es auf dem Markt mehr Geld bringt. So werden Nahrungsmittel zur Kapitalanlage und Spekulationsobjekt großer Konzerne, die alle Stufen entlang der Wertschöpfungskette kontrollieren.
Die Frage von Hunger ist keine von Knappheit, sondern von politischer Macht. Verlierer*innen dieses Systems sind Bäuer*innen im Globalen Süden wie im Globalen Norden. Sie eint, dass sie keine oder wenig Agrarsubventionen erhalten, aber im globalen Wettbewerb gegen stark subventionierte Megakonzerne bestehen müssen. Infolgedessen gibt es sowohl in Frankreich als auch EU-weit einen massiven Rückgang (klein-)bäuerlicher Betriebe. In den letzten 15 Jahren hat laut Landwirtschaftszählung jeder fünfte landwirtschaftliche Betrieb in Frankreich aufgegeben müssen, und einem Großteil der noch bestehenden Betriebe fehlt ein*e Nachfolger*in.
Bündnisse mit Landwirt*innen
Dem Kampf um die verbleibenden bäuerlichen Existenzen haben sich auch Die Aufstände der Erde angenommen, indem sie die Fragen nach Land und Wasser in den Mittelpunkt ihrer politischen Aktionen rücken. Teil des Bündnisses ist auch die linke bäuerliche Interessenvertretung La Confederation Paysanne, kurz Conf (siehe zur Bündnisarbeit ak 703). Im vergangenen Jahr hat ein Landwirt von ihnen in einer »Entwaffnungsaktion«, wie Sabotageaktionen von der Bewegung genannt werden, medienwirksam eine Pumpe mit einem Traktor aus einem der Wasserbecken gehoben.
Auch im diesjährigen Wasserdorf sind verschiedene landwirtschaftliche Organisationen vertreten. Die Conf verkauft Würstchen, regional gebrautes Bier und Apfelsaft. Unter den Programmpunkten finden sich Panels zu den Bauernprotesten im Winter sowie ein »Farm Slow Dating«, das Bäuer*innen, die keine Hofnachfolge haben, mit jungen Menschen, die einen Betrieb gründen wollen, zusammenbringt. Anknüpfend an die Blockade des Hafens von La Rochelle gibt es eine Diskussion über Welthandel. Morgan Ody, Bäuerin und aktuelle Vorsitzende von La Via Campesina, der globalen Bewegung von Bäuer*innen und Landarbeitenden, erzählt von einem Vorschlag der Bewegung, wie eine Alternative zur Welthandelsorganisation (WTO) gestaltet werden könnte. Länder müssten wieder die Chance bekommen, ihren Markt selbst zu regulieren, nicht die WTO oder Unternehmen: »Wir sind nicht gegen Handel, aber wir wollen Handel basierend auf Solidarität und Ernährungssouveränität«.
Sich die Agrarindustrie als Gegner auszusuchen, ermöglicht Ansätze für neue Bündnisse.
Eine Bäuerin der Conf spricht am Abend vor den Aktionstagen auf der großen Bühne. Sie werde sich gemeinsam mit den Aktivist*innen in den kommenden Tagen der Agrarindustrie in den Weg stellen. Was sie auf der großen Bühne jedoch nicht sagt, ist, dass die Conf in diesem Jahr nicht mit ihren Fahnen auf den Aktionen sichtbar sein wird. Grund dafür ist die im Frühjahr 2025 stattfindende Wahl für die französische Landwirtschaftskammer. Einen Großteil der Sitze hatte die vergangenen Jahrzehnte der FNSEA, der französische Bauernverband, inne. Die Conf will versuchen, das politische Momentum der Bauernproteste für sich zu nutzen, denn viele Landwirt*innen haben den FNSEA verlassen, da dieser die ursprünglichen Forderungen der protestierenden Landwirt*innen nach besseren Erzeugerpreisen und Schutz von nationalen Märkten nicht unterstützte. Deshalb versuche man derzeit, vor allem Forderungen nach besseren Preisen und fairen Marktbedingungen in den Vordergrund zu stellen und nicht zu sehr auf »Ökothemen« zu setzen, erzählt die Bäuerin.
Denn nicht nur die Conf zielt darauf ab, die Bauernproteste für sich zu nutzen. Die rechte Coordination Rurale dominierte vielerorts die Demonstrationen. Sie hatte auch im Vorfeld des Wassercamps angekündigt, die Aktionen zu stören; passiert ist am Ende jedoch nichts. Es ist ein politischer Spagat, den die linke bäuerliche Interessenvertretung zwischen dem Bündnis mit einer radikalen antikapitalistischen Bewegung und der Politik im eigenen Berufsstand vollzieht.
Breiter Rückhalt in der Bevölkerung
Auch ohne die Fahnen der Conf war der Erfolg der Aktion in La Rochelle vor allem den Traktoren zu verdanken, die über Stunden hinweg die Einfahrt zum Hafen blockierten. Die Bereitschaft zu militanten Aktionen unter den Bäuer*innen hat eine lange Tradition. Auch während der Bauernproteste zu Beginn des Jahres kam es über Wochen zu Blockaden von Autobahnen und Logistikzentren großer Supermarktketten. Neben der Wirkmächtigkeit dieser Aktion – 20 Trecker lassen sich schwieriger räumen als Hunderte Menschen – zeigt sich darin auch der breite Rückhalt, den die Landwirt*innen in der Bevölkerung genießen. Es ist ein Unterschied, ob eine Bäuerin mit einem Trecker eine Straße lahmlegt oder vermummte Linke. Das mag unfair erscheinen und hat auch in Deutschland innerhalb der Linken für eine hitzige Diskussion über die Legitimität von Protestformen gesorgt.
Das lässt sich aber auch politisch und strategisch nutzen, wie es die Soulèvements de la Terre tun. Ihre Aktivist*innen erzählen, dass die entstehenden lokalen Gruppen, die oft eng mit den regionalen Vertretungen der Landwirt*innen zusammenarbeiten, eine bessere Verankerung in den ländlichen Regionen ermöglichen. Eine Bäuerin kennt ihre Nachbar*innen, sie weiß, mit wem sich reden lässt, wer welches Gerät besitzt. Die Französ*innen seien stolz auf ihren Klassenkampf, so heißt es immer wieder auf dem Camp. Wie das aussehen könnte, wird zumindest am Abend vor den Aktionen sichtbar. Neben der Bäuerin steht auch ein Hafenarbeiter auf der Bühne und ein Vertreter der Organisation A4, die für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für migrantische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft kämpft. Von einem Klassenkampf in der politischen Praxis sind Die Aufstände der Erde vermutlich aber ähnlich weit entfernt wie die Klimabewegung in Deutschland. Sich die Agrarindustrie als Gegner auszusuchen, ermöglicht jedoch Ansätze für neue Bündnisse.
Lehren für die deutsche Linke
Zu fragen, was die deutsche Linke von den Aufständen der Erde lernen kann, schließt die Frage nach den Unterschieden und Leerstellen ein. In Frankreich gibt es historisch eine zumindest in Teilen auf dem Land verwurzelte Linke, die dort Politik macht, soziale Infrastrukturen aufbaut, Kollektivläden verwaltet und Höfe übernimmt. Doch auch in einigen ländlichen Regionen holte die extreme Rechte bei den Parlamentswahlen im Juli 80 Prozent der Stimmen. Die gegenwärtige deutsche Linke ist größtenteils in den Großstädten verortet. Politik für ländliche (ostdeutsche) Räume ist ihre Achillesferse, die Lücke an Wissen sowie gemeinsamen Organisierungserfahrungen ist riesig. Dies lässt sich auch nicht mehr so einfach verändern – zumal die Rechte diese Lücke an sozialer Politik und öffentlicher Infrastruktur für ländliche Räume seit Langem strategisch nutzt. Der Abwehrreflex »die sind doch alle eh rechts«, wie es vermehrt aus einer städtischen Linken während der Bauernproteste in Deutschland zu hören war, befeuert diesen scheinbaren Stadt-Land-Dualismus und damit die Erzählung der Rechten hingegen weiter. Interventionen gegen die rechte Vereinnahmung der Proteste kam vor allem aus dem eigenen Berufsstand, wie von der jungen AbL (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) und der FAU (Freie Arbeiter*innen Union); von ihnen lässt sich hinsichtlich Bündnispolitiken viel lernen.
Mögliche Ansatzpunkte für politische Interventionen für den Schutz von Land und Wasser sind indes ähnlich. In Deutschland ist die Lage auf dem Bodenmarkt noch dramatischer als in Frankreich. Pacht- und Landpreise explodieren, außerlandwirtschaftliche Konzerne kaufen seit einigen Jahren vor allem ostdeutsche Ackerflächen auf. Die AbL hat schon vor 35 Jahren im Braker Hafen an der Nordsee unter dem Slogan »Hier Bauernnot, dort Hungertot« gegen Futtermittelimporte und unfaire Freihandelsabkommen demonstriert.
Gegen die Landnahme der extremen Rechten und die Auswüchse eines globalisierten Agrarkapitalismus zu kämpfen, bedeutet auch, sich den Boden, das Wasser, das Saatgut demokratisch (wieder) anzueignen und in Gemeineigentum zu sichern. Dafür braucht es Menschen, die aufs Land gehen, um Dörfer und Landschaften zu pflegen. Die als Bäuer*in und als Nachbar*in solidarische Vermarktungsstrukturen, öffentliche Daseinsfürsorge und Unterstützungsnetzwerke aufbauen, auf die in Krisen zurückgegriffen werden kann. Es ist nichts gewonnen, wenn die Wasserbecken zerstört sind, es aber kein Land und keine Leute mehr für eine bäuerliche Landwirtschaft gibt. Die Frage ist nicht mehr nur, wie unser Essen produziert wird, sondern vor allem, wem die Grundlagen dafür gehören. Der politische Kampf um Land und Wasser ist ein hoffnungsvoller Kampf, weil er die Klassenfrage nicht gegen die ökologische Frage ausspielt, sondern sie zusammenbringt.