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|ak 710 | Diskussion

»Klima-Kommunismus muss Mainstream werden«

Der Autor und Radiojournalist Miltiadis Oulios über die Klassenfrage und die Idee der Gleichheit in Zeiten der Erderwärmung

Interview: Guido Speckmann

Grafik: Fleur Nehls

Klimapolitik und Kommunismus – angesichts des Wahlsieges von Donald Trump und des ohnehin bereits vorhandenen fossilen Backlashs (ak 699) haben es diese beiden Worte allein schon schwer. Aber sie zusammenzudenken, scheint von einem gehörigen utopischen Überschuss in düsteren Zeiten zu zeugen. Miltiadis Oulios hat es dennoch versucht.

Miltiadis, du hast dir ein ehrgeiziges Programm vorgenommen: Bis 2030 soll der Klima-Kommunismus zur konsensfähigen Mainstream-Position werden. Das klingt in meinen Ohren ziemlich ehrgeizig.

Miltiadis Oulios: Das heißt zunächst nicht, dass der Klima-Kommunismus dann schon durchgesetzt ist. Es gibt verschiedene Szenarien. Einerseits kann die Klimakrise weiter eskalieren und noch mehr Opfer fordern, dann steigt der Handlungsdruck. Andererseits können klima-kommunistische Positionen im Mainstream ankommen. Das ist die Voraussetzung, um sie durchsetzen zu können. Dass vermeintlich utopische Forderungen Mainstream werden können, sehen wir am Ausstieg aus der Kohleverstromung. Vor zehn Jahren fast undenkbar, ist er heute offizielle Politik.

Was genau verstehst du unter Klima-Kommunismus?

Damit meine ich, die Klassenfrage in den Mittelpunkt der Klimapolitik zu stellen. Immer wieder zeigen Studien, dass die Wohlhabenden und Reichen zigmal mehr Treibhausgase ausstoßen als du und ich – und noch viel mehr als Menschen, denen es materiell noch schlechter geht. Das spricht sich langsam herum, und es wird immer klarer, dass sich die Reichen einschränken müssen, wenn wir nicht wollen, dass der Klimawandel noch mehr Opfer fordert. Diese Erkenntnis muss sich in den nächsten fünf Jahren durchsetzen. Alles, was bis 2030 an Klimaschutz versäumt wird, müssen wir nach 2030 umso rigoroser nachholen.

Miltiadis Oulios

lebt in Düsseldorf und arbeitet als Radio-Reporter für den WDR zu Klima- und Migrationsthemen. Im Suhrkamp-Verlag veröffentlichte er 2015 »Blackbox Abschiebung. Geschichte, Theorie und Praxis der deutschen Migrationspolitik«. Zuletzt erschien von ihm im Unrast-Verlag das Buch »Klima-Kommunismus. Gleichheit im Zeitalter der Erderwärmung« (208 Seiten, 16 EUR). Foto: privat

Du schreibst, dass die Idee des Klima-Kommunismus auch darauf beruht, dass jeder Mensch dasselbe Recht hat, das verbleibende Restbudget an Klimagasen zu verbrauchen. Es gebe keine Leistung, aus der das Recht zur Gefährdung anderer erwachse.

Das Interessante ist, dass es ja diese Berechnungen bereits gibt, für einzelne Nationen und für einzelne Menschen in verschiedenen Ländern. Wie viel des verbleibenden CO2-Budgets darf ein Land wie Kenia verbrauchen, wie viel die USA oder Deutschland, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen? Und wie viel steht einem einzelnen Menschen zu, egal in welchem Land er oder sie lebt? Dahinter steht die Vorstellung, dass jeder Mensch gleich viel wert ist. Das widerspricht aber der Funktionsweise des Kapitalismus, der den Menschen faktisch unterschiedliche Werte beimisst. Zwar schließt es der liberale Konsens aus, weißen Mitteleuropäer*innen qua Geburt das Recht zuzusprechen, die Erdatmosphäre in viel größerem Umfang als kostenlose Müllkippe für ihre Treibhausgase zu nutzen als Schwarzen Menschen in Afrika. De facto wird aber genau so gehandelt. Und deshalb müssen wir uns fragen, wie wir in Europa, in Nordamerika auf durchschnittlich 1,5 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr kommen. Das ist, je nach Lebensstil nur ein Fünftel oder sogar nur ein Zehntel dessen, was heute in unserem Land emittiert wird.


Damit die Energiewende gelingt, muss auch der Verbrauch reduziert werden.

Eine ziemliche drastische Reduktion…

Allerdings! Aber ohne Alternative, wenn wir wirklich die Erderwärmung stoppen wollen. Der Ausbau von erneuerbaren Energien kann dazu führen, dass weniger klimaschädliches Öl, Kohle und Gas verfeuert werden, aber das allein wird nicht reichen. Damit die Energiewende gelingt, muss auch der Verbrauch reduziert werden. Zudem ist es kaum möglich, in so kurzer Zeit die Erneuerbaren so weit auszubauen, wie es nötig wäre. Daraus folgt: Ohne eine massive Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen, die mit unserem energieintensiven Lebensstil zu tun haben, kein Klimaschutz – erst dann können erneuerbare fossile Energien ersetzen. 

Wie konkret soll diese Reduktion erreicht werden?

In Deutschland sollte jede Person nur noch eine Flugreise pro Jahr machen dürfen. Wer mehr fliegen möchte, muss das Recht dazu von einer Person erwerben, die auf ihren Flug verzichtet. Das würde dann auch endlich dazu führen, dass diejenigen belohnt werden, die die Atmosphäre weniger belasten. Und zwar in Cash! Pro Haushalt dürfte auch nur noch ein Auto angemeldet werden. Dafür erhält aber jede*r einen Mobilgutschein, der für Fahrradkauf oder -reparatur, für den ÖPNV oder Carsharing genutzt werden kann. Wir könnten zum Beispiel eine Fleischkarte einführen, die es jeder und jedem erlaubt, 500 Gramm Fleisch pro Woche zu kaufen. Wie bei den Flugreisen wäre es möglich, dass Vegetarier*innen ihr Recht auf Fleischkonsum verkaufen können. Jede*r könnte auch ein Fashion-Kontingent erhalten, mit dem pro Jahr nur 26 Kleidungsstücke gekauft werden dürften.

Vielen werden deine Vorschläge viel zu weit gehen und von Öko-Diktatur sprechen.

Wem das schon als zu radikal anmutet, der hat immer noch nicht begriffen, was die Klimakrise eigentlich bedeutet. Jene, die den Öko-Diktatur-Vorwurf erheben, das sind überwiegend die mit mehreren Autos und Flugreisen nach Bali, Mallorca und New York. Sie sollten sich mal folgende Frage stellen: Wollen sie eines Tages ihren Kindern sagen müssen, ihr werdet nicht so lange und unbekümmert leben können wie ich, weil mir mein Auto und meine Urlaube wichtiger waren als ihr?

Pro Haushalt dürfte nur noch ein Auto angemeldet werden. Dafür erhalten aber alle einen Mobilgutschein.

Das klingt überzeugend, aber auch moralisierend.

Moralisieren möchte ich nicht. Denn das würde bedeuten, es den Einzelnen und ihrer individuellen Entscheidung zu überlassen und nur ans Gewissen der Leute zu appellieren. Das halte ich für aussichtslos. Deswegen müssen wir diese Dinge politisch regeln. Ich möchte entlang der Klassendimension zeigen, dass die weniger Reichen von klima-kommunistischen Maßnahmen profitieren, dass sie gewissermaßen in ihrem Klasseninteresse liegen.

Wie profitieren sie denn davon?

Wenn wir zum Beispiel autofreie Haushalte dafür belohnen würden, dass sie ohne Auto auskommen, dann würden davon eher Menschen aus der Arbeiter*innenklasse profitieren. Die mit dem Bus und der U-Bahn zur Arbeit fahren und sich jetzt zu Recht ärgern, dass das Deutschlandticket teurer wird. Ein Mobilitätsbudget für autofreie Haushalte ließe sich im Übrigen schon auf kommunaler Ebene realisieren. Das wäre sinnvoller als wieder eine Kaufprämie für Elektroautos einzuführen, wie es die SPD vorhat. Denn davon profitieren Besserverdienende, die sich überhaupt ein teures Elektroauto leisten können.

Auch unter Klimaaktivist*innen wird deiner Meinung nach zu wenig über Gerechtigkeitsfragen geredet, geschweige denn für den Klima-Kommunismus die Trommel gerührt. Warum?

Ich glaube, das liegt daran, dass man sich zu sehr auf den Ausstieg aus den fossilen Energien konzentriert hat. Das ist zunächst einmal richtig und notwendig. Aber der zweite Schritt ist, über den Konsum und die Verteilungsfrage nachzudenken. Dann hat man auch eine Antwort auf die Frage der Konservativen »Woher kommt denn die Energie nach dem Kohleausstieg?« Sie lautet: Wir brauchen sie nicht, denn weniger Konsum bedeutet weniger Energieverbrauch.

Einerseits nachvollziehbar, andererseits ist der Ausstieg aus den fossilen Investitionen ja noch längst nicht vollzogen. Daher sehe ich deinen Ansatz, den Klima-Kommunismus als Konsum-Kommunismus zu beschreiben, etwas kritisch. Spielt die Produktionssphäre für dich keine Rolle? Oder anders gefragt: Müsste es nicht auch um eine Vergesellschaftung der fossilen Industrie gehen, wie das beispielsweise die Initiative RWE & Co Enteignen vorhat?

Auch ein enteigneter Energiekonzern entbindet uns ja nicht von der Frage, wie viel Energie wollen wir wofür nutzen. Und wie regulieren wir die Möglichkeiten, sich klimaschädlich zu verhalten?

Aber ist ein vergesellschafteter Energiekonzern nicht eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung, weil ohne die Verfügungsgewalt des Kapitals der Abbau fossiler zugunsten erneuerbarer Energien leichter möglich ist?

Könnte sein, aber möglicherweise ist die Vergesellschaftung gar keine notwendige Bedingung. Weil politischer Druck auch privatkapitalistisch organisierte Energieunternehmen – wenn auch widerwillig – dazu bringen kann, weniger in fossile und mehr in erneuerbare Energien zu investieren. Der Prozess ist ja schon im Gange.

Sofort einleuchtend finde ich dein Argument in Bezug auf die Fast Fashion-Industrie. Dieser Zweig ist an sich klimaschädlich – egal ob privatkapitalistisch oder vergesellschaftet. 

Genau, da macht Vergesellschaftung höchstens Sinn, um das ganze Business-Modell stillzulegen.

Siehst du in den Klimabewegungen Ansatzpunkte, die in die richtige Richtung gehen?

Ja, die sehe ich. Sowohl bei Fridays for Future als auch bei Ende Gelände oder der Letzten Generation. Alle haben die Klassenfrage zunehmend auf dem Schirm und haben bereits Aktionen mit dem Fokus auf Reiche gemacht.

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.

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