Kein Auto mehr in Privatbesitz!
Wieso wir jetzt eine radikale Anti-Auto-Bewegung brauchen
Von Merle Groneweg und Lore Rosevski
Wald statt Asphalt«, so lautete das Motto der Besetzer*innen im Dannenröder Forst. Damit richteten sie sich nicht nur gegen den Bau der A 49 und die Rodungen entlang der Autobahnstrecke, sondern verwiesen symbolisch auf eine zentrale Forderung der Klimagerechtigkeitsbewegung: die Mobilitätswende. Mit ihrem Protest gelingt den Dannenröder Aktivist*innen die dringend notwendige Zuspitzung des Konflikts um die sozial-ökologischen Konsequenzen des motorisierten Individualverkehrs.
Aber auch Umweltverbände haben das Thema Mobilität wieder auf die Agenda gesetzt. Zudem entwickeln derzeit 40 Städte nach dem Berliner Vorbild sogenannte »Radentscheide« mit dem Ziel, die Infrastruktur fürs Radfahren sicherer und attraktiver zu machen. Schon letzten Herbst rief das neu gegründete Bündnis Sand im Getriebe zur Blockade der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main auf – mit dem Ergebnis, dass über den Zweck der Messe diskutiert wurde, die sich nun »neu ausrichten« will. Kurzum: Vom bürgerlichen bis zum linksradikalen Spektrum wächst das Interesse am Thema Mobilität und Verkehr.
Doch zugleich steigt Jahr für Jahr die Zahl der zugelassenen Pkw in Deutschland: Inzwischen sind 47,7 Millionen Autos auf den Straßen unterwegs, die dazu noch immer größer und schwerer werden, vor allem wegen der vielen SUVs. Beides führt dazu, dass alle sogenannten Effizienzgewinne wieder aufgefressen werden. Die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor steigen, sie verursachen mittlerweile ein Fünftel aller Emissionen in Deutschland. Allein der VW-Konzern ist mit seiner Autoproduktion für ein Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich.
Klimabewegung: ran ans Auto
Und im Gegensatz zu anderen Staaten ist Deutschland weit davon entfernt, ein Ende des Verbrenners zu verkünden. Für die antikapitalistische Klimagerechtigkeitsbewegung ist es an der Zeit, sich dem Thema zuzuwenden. Der Industriezweig steht symbolisch für ein profitgetriebenes Wirtschaftssystem, das einem inhärenten Wachstumszwang unterworfen ist. Welche Konsequenzen hätte ein Abbau der Automobilindustrie, die seit jeher als »Wohlstandsgarant« für Autodeutschland gilt? Was bedeutet Mobilitätsgerechtigkeit eigentlich, und wie lässt sich das ewige Gegeneinander-Ausspielen von globalen Ungerechtigkeiten und nationalen Jobverlusten lösen?
Nicht zuletzt gibt es Ängste, an der Vorherrschaft des Autos zu rütteln, weil dies leicht in einen Appell an individuelle Verhaltensänderungen mündet. Das stimmt und ist ein Problem. Zugleich bietet die Individualisierbarkeit des Themas auch Möglichkeiten für breite Bündnisse und eine Politik der ersten Person. Dabei gibt es genügend Anknüpfungspunkte, an denen die kapitalistischen, fossilen, patriarchalen Strukturen des Systems angegriffen werden können.
Es geht dabei nicht darum, allen individuellen Autofahrer*innen einen Vorwurf zu machen, sondern immer wieder auf die politisch-strukturelle Privilegierung des Autos hinzuweisen, wie sie im Dienstwagenprivileg – mittlerweile sind zwei Drittel der neu zugelassenen Autos in Deutschland Dienstwagen bzw. gewerblich genutzte Fahrzeuge –, in der Pendlerpauschale, der Kfz-Steuer, im Bundesverkehrswegeplan, in der mangelnde Parkraumbewirtschaftung und so weiter zum Ausdruck kommt.
Der Dieselskandal hat am Image der Autokonzerne gekratzt und aufgezeigt, wie eng Politik und Industrie miteinander verbandelt sind. Ein Indikator für den Imageschaden der Branche: In Umfragen zum Konjunkturpaket im Frühjahr gab es plötzlich keine gesellschaftliche Mehrheit mehr für eine Autoprämie. Für die Klimabewegung heißt das: Sie sollte selbstbewusst voranzugehen und die Konzerne noch stärker als klimaschädliche Profitmaximierer brandmarken.
Es gibt kein Grundrecht auf ein Auto.
Ebenso selbstbewusst müssen die rhetorischen Schlagworte der Gegner*innen (»Verzicht«, »Verbot«) angeeignet und die Debatte umgedreht werden: Aktuell schon verzichten viele gezwungenermaßen auf saubere Luft, sichere Radwege und einen gut ausgebauten, kostenfreien öffentlichen Nahverkehr. Anderen raubt die durch Automobilität verschärfte Klimakatastrophe ihre Lebensgrundlagen. Deshalb gibt es kein Grundrecht auf ein Auto.
Die Aufgabe der Klimagerechtigkeitsbewegung ist es also, hier für Zuspitzung zu sorgen – sowohl diskursiv als auch in Bezug auf die Aktionsformen. Insgesamt braucht es mehr Bewegung, die nicht nur eine positive Alternativbotschaft verbreitet, sondern antagonistisch agiert und die Privilegierung des Autos kritisiert. Deshalb schlagen wir – analog zu »Kohleausstieg sofort!« – ein transformatives, utopisches Ziel vor, aus dem sich weitere Etappenziele und Forderungen ableiten lassen: Kein Auto mehr im Privatbesitz!
Von der Anti-Kohle-Bewegung lernen
Der Besitz eines Autos scheint in Deutschland so alltäglich und selbstverständlich. Doch das Auto steht für eine imperiale Lebensweise, die auf der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen insbesondere in Ländern des Globalen Südens basiert. Deshalb muss sein Besitz von einer Selbstverständlichkeit zur absoluten Ausnahme werden, für die ein triftiger Grund nötig ist.
Wenn sich die Klimagerechtigkeitsbewegung intensiver der gesellschaftlichen Mobilität zuwendet, muss sie nicht bei Null anfangen, sondern kann aus den Erfahrungen der Anti-Kohle-Bewegung lernen. Dies gilt in Bezug auf Aktionsformen, Organisierung, öffentliche Kommunikation und nicht zuletzt auf einen achtsamen und sensiblen Umgang miteinander. Die Entscheidung, gezielt an die Orte der Zerstörung zu gehen, sollte auch eine radikale Verkehrsbewegung leiten.
Angesichts der Beschäftigtenzahlen im Automobilsektor werden die Erfahrungen der Anti-Kohlebewegung mit den Beschäftigten im Energiebereich und ihren Gewerkschaften besonders relevant sein. Die Kritik, sich zu wenig mit der Perspektive der Beschäftigten auseinandergesetzt und die Debatten um gerechte Transformation und Strukturwandel zu spät geführt zu haben, hat einen wunden Punkt getroffen. Eine Lehre daraus könnte sein: »Klimabewegte – rein in die Betriebe!«
Rein in die Betriebe und Gewerkschaften?
Dem stehen wir aus mehreren Gründen skeptisch gegenüber. Während wir eine nachhaltige Energieversorgung brauchen und daher die Forderung nach Vergesellschaftung der Energieunternehmen genau richtig ist, brauchen wir nicht eine vergesellschaftete Autoindustrie, sondern keine. Diese Betriebe sind zu großen Teilen nicht zukunftsfähig. Die Beschäftigten werden sich verständlicherweise nicht für die Abschaffung ihrer eigenen Arbeitsplätze einsetzen. Reformistisch gedacht gäbe es mögliche Allianzen bei der Produktion von »klima- und ressourcenfreundlichen« Autos für die share economy. Doch auch dies bedeutet für diese Industrie wesentlich weniger Arbeitsplätze.
Wenn es um die Suche nach strategischen Bündnispartner*innen geht, landen die im Automobilsektor aktiven Gewerkschaften bei uns also eher auf den hinteren Plätzen. Das heißt aber nicht, dass wir sie als unsere politischen Gegner*innen wahrnehmen. In ak 662 ärgerte sich Katharina Grabietz von der IG Metall über die scharfen Vorwürfe aus der Klimagerechtigkeitsbewegung gegenüber dem Einsatz der Gewerkschaft für eine Kaufprämie für Elektro- und Verbrenner-Autos. Es sei die Aufgabe einer Gewerkschaft, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten – wozu im Falle der Autoindustrie neben dem Klimaschutz eben auch der Erhalt von Arbeitsplätzen gehöre.
Natürlich kann man mit gewerkschaftlicher Arbeit, ihrer Organisationsmacht und Durchsetzungsstärke auch anders argumentieren. Gewerkschaften hätten, schrieben Elisa Hüller und Benjamin Körner in ak 664, mit Streiks, die über das aktuell staatlich geregelte Streikrecht hinausgehen, »das Potenzial, das kapitalistische System zu überwinden«.
Doch wer dieses Potenzial auch nur vorsichtig erwähnte, erntete Anfang Oktober auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung von IG-Metaller*innen im besten Fall ein müdes Lächeln. Die dort anwesenden linken Gewerkschafter*innen beschrieben sich mit ihren politischen Positionen als Minderheit unter den Genoss*innen. Und auch der VW-Arbeiter Lars Hirsekorn erklärte in ak 665, Klimastreiks in der Autoindustrie seien »eine Fantasie«.
Lasst uns massenhaft die Autofabriken, Autobahnen, Automessen und Autogipfel blockieren – und Mobilitätsgerechtigkeit zu einer neuen Flanke der radikalen Klimagerechtigkeitsbewegung machen!
Freilich jedoch muss gemeinsam mit den Beschäftigten frühzeitig überlegt werden, wie ein Strukturwandel aussehen kann. Dabei gilt es jedoch auch, sich ehrlich einzugestehen (und entsprechend zu kommunizieren), dass nicht alle Arbeitsplätze so oder ähnlich beibehalten werden können. Stattdessen müssen Modelle der Lohnfortzahlung entwickelt werden. Darüber hinaus gilt: Rein in die zukunftsfähigen Betriebe, diese organisieren und attraktiv machen – hier ist die Solidarisierung von Fridays for Future mit ver.di rund um die ÖPNV-Tarifverhandlungen ein gutes Vorbild.
Erfreulicherweise ist die gesellschaftliche Ausgangslage eine völlig andere als in den ersten Jahren der Anti-Kohle-Bewegung. Nicht zuletzt dank ihrer Aktionen sowie der Fridays-for-Future-Proteste verfügt die Klimagerechtigkeitsbewegung nun über einen gesellschaftlichen Rückhalt, den es so noch nie gegeben hat. Sollten wir nicht mutiger, radikaler und lauter sein? Die breite Unterstützung auch für autonome Aktionen wie im Danni lässt vermuten, dass eine radikale Verkehrsbewegung an einem anderen Punkt der Legitimation ansetzen kann, als dies noch bei Ende Gelände der Fall war.
Deshalb geht es nicht nur um eine thematische, sondern auch aktionistische Weiterentwicklung. Was bislang zu kurz kommt, ist die Zuspitzung von Konflikten. Sand im Getriebe hat mit der Blockade der IAA 2019 einen guten Anfang gemacht. In den letzten Monaten hat sich der Kampf um den Dannenröder Wald zum neuen Symbolort für radikale Widerständigkeit in der Verkehrswende entwickelt. Wir brauchen den zweiten, dritten, vierten Danni. Lasst uns massenhaft die Autofabriken, Autobahnen, Automessen und Autogipfel blockieren und besetzen – und Mobilitätsgerechtigkeit zu einer neuen Flanke der radikalen Klimagerechtigkeitsbewegung machen!