Die vergessenen Massenstreiks
Zu »Riot. Strike. Riot« von Joshua Clover – eine Kritik
Von Amanda Armstrong
Im Februar dieses Jahres ist Joshua Clovers »Riot. Strike. Riot« auf Deutsch erschienen (siehe auch ak 669). Nachdem 2016 das Original in den USA herausgekommen war, kuratierte das Viewpoint Magazine seinerzeit ein Symposium zu Clovers Thesen, aus dem wir – in der Hoffnung einer produktiven Debatte – die Kritik von Amanda Armstrong übersetzt haben.
Wie stellt sich uns die Geschichte der Klassenkämpfe aus heutiger Perspektive dar? Und welche Kampfformen lassen sich für die Zukunft ausmachen? In seinem Buch »Riot. Strike. Riot – Die neue Ära der Aufstände« beschäftigt sich Joshua Clover im Kern mit diesen Fragen. Sein Buch interveniert auf provokante und zugespitzte Weise in eine Reihe von strategischen und historischen Debatten, die für radikale Politik in letzter Zeit wichtig waren. Zum Teil drehen sie sich um die Frage, ob eine Strategie der Organisierung im Produktionsbereich heute noch zur Neubelebung von revolutionärer Politik beitragen könnte. Clover hält die Organisierung von Streiks für keine sinnvolle Perspektive. Die Zeit des Streiks sei vorbei, und wir würden nun in der Zeit des Riots leben. Aber die begrifflichen Abgrenzungen und Periodisierungen, die Clover für seine Behauptungen ins Feld führt, neigen dazu, die tatsächlichen Formen des Klassenkampfs in der vermeintlichen Ära des Streiks zu verschleiern – Formen des Kampfes, die der Gegenwart vielleicht noch etwas zu bieten haben.
Das Stakkato Riot-Streik-Riot gibt in destillierter Form die historische These von Clover wieder. Zumindest in den kapitalistischen Kernländern lasse sich die Geschichte des Klassenkampfs anhand der Kampfformen in Phasen unterteilen, die den jeweiligen Akkumulationszyklen entsprechen. Laut Clover sei »das merkantilistische Zeitalter (…) mehr oder weniger deckungsgleich mit der ersten Ära des Riots«, während die darauf folgende Zeit der produktionszentrierten Akkumulation die Blütezeit des Streiks gewesen sei. In der langgezogenen Krise seit 1973 mit ihrer Hinwendung des Kapitals zu zirkulationsorientierten Akkumulationsstrategien (Finanzen und Logistik) sei heute der Riot als Triebkraft der sozialen Kämpfe zurückgekehrt. Eine mitreißende und elegante Erzählung, die das vielfältige historische Terrain zwangsläufig in schnellen Schritten durchqueren muss – eine Geschichtsschreibung in Siebenmeilenstiefeln, um einen Ausdruck zu gebrauchen, den Clover für das Vordringen des Kapitals bemüht.
Auch wenn das Buch am groben Rahmen dieser dreiteiligen Erzählung festhält, wird es zum Ende hin deutlich komplizierter. Nachdem Clover die wesentlichen Unterschiede zwischen Riot und Streik herausgearbeitet hat, betont er den grundlegenden Zusammenhang zwischen ihnen und konzentriert sich vor allem auf Übergangsperioden, in denen sich beide in den kapitalistischen Kernländern in explosiver Weise vermischten (die Maschinenstürmerei zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die rebellischen 1960er- und 1970er-Jahre, in denen das Aufflackern der von Schwarzen angeführten Riots mit einem »letzten Aufflammen« des Streiks in Bergbau- und Industriegebieten korrespondierte). Statt Streik und Riot als zwei Taktiken zu behandeln, die in starrer Opposition zueinander stehen, weist Clover darauf hin, wie sie sich »ergänzen« und »genealogisch verbinden«.
Wie aber lassen sich dann die beiden Taktiken unterscheiden? Auf keinen Fall durch den unterschiedlichen Grad des Einsatzes von »Gewalt«. Clover argumentiert sehr gut gegen vorherrschende ideologische Auffassungen von kollektiver Aktion, die Riots als Ausbrüche unreflektierter Gewalt darstellen, während sie in Streiks wenig mehr als das rechtmäßige, gewaltlose Niederlegen der Arbeit sehen. Er erinnert uns daran, dass Streiks mit dem Einsatz von Gewalt verbunden waren – von Angriffen auf Streikbrecher*innen bis hin zu bewaffneten Konfrontationen mit der Polizei – und dass sie oft die Grenzen des Gesetzes überschritten. Statt den Unterschied an der Gewalt festzumachen, unterscheidet Clover Riot und Streik an den jeweiligen Eingriffsbereichen (Zirkulation vs. Produktion), den typischen Schauplätzen (Markt, Hafen und Straße vs. Fabrikhalle und Bergwerk), den zentralen Aktivitäten (Stoppen von Lebensmittellieferungen, Plündern und Blockieren von Straßen vs. Arbeitsniederlegung und Abriegelung von Fabriken), den eigentlichen Akteuren (unorganisierte Massen von Enteigneten vs. Arbeiter*innen, die in ihrer Rolle als Arbeiter*innen auftreten) und den zentralen Zielen (Festsetzung des Preises von Marktgütern vs. Festsetzung des Preises der Arbeit).
Die schematische Abgrenzung von Riot und Streik anhand dieser verschiedenen Kategorien ist einer der entscheidenden Beiträge des Buches, aber sie ist auch mit erheblichen Problemen verbunden. Bevor wir uns mit letzteren beschäftigen, sollten wir die Intervention von Clover etwas einordnen: Warum erscheint dieses Buch gerade jetzt und warum wählt er als Form diesen dramatischen Dreischritt?
Zurück in die präfordistische Zukunft?
Ein Hinweis findet sich in einer etwas polemischeren Passage im siebten Kapitel, »Die lange Krise«. Clover bezieht sich auf die Feststellung des Jacobin-Herausgebers Bhaskar Sunkara in seinem Artikel »Precarious Thought« aus dem Jahr 2012, dass es für die Entwicklung einer sozialistischen Politik »hilfreich sein könnte, wenn wir uns vor Augen führen, inwieweit die heutige Situation einer Rückkehr des Prä-Fordismus gleichkommt«. Angesichts des Abbaus von Arbeiterrechten und zunehmender Arbeitslosigkeit und Prekarisierung in der postfordistischen Periode hält Sunkara eine Erneuerung jener präfordistischen Formen des Arbeiterkampfs für nötig, die über den Betrieb hinausgingen: »Das präfordistische Stadtzentrum des 19. Jahrhunderts, das Bündnis zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen und die meistens vergessene Bedeutung einer Arbeiterpartei als bestes Mittel, um dem Staat universelle Zugeständnisse abzuringen und ihn schließlich zusammen mit unserer Arbeitsweise zu transformieren, mögen nicht besonders lyrisch klingen, aber manchmal muss neuen Krisen mit altem Vokabular begegnet werden.«
Während Clover sein Buch mit einigen kritischen Bemerkungen zu Arbeiterparteien eröffnet, geht er auf die historische Bedeutung der ersten beiden von Sunkara genannten Kampfformen nicht ein – ein nicht zufälliges Versäumnis, da diese Formen Clovers Assoziationskette in Frage zu stellen scheinen, die für die Ära der produktionszentrierten Akkumulation die Fabrik zum privilegierten Ort des Kampfs und die dort Beschäftigten zu seinen führenden Akteur*innen macht. Obwohl Clover die Kämpfe um die Jahrhundertwende, die über den Betrieb hinausgingen, ignoriert, bedient er sich dennoch der strukturellen Logik von Sunkaras historischer Analyse und treibt sie weiter: »Wir könnten an dieser Stelle einräumen, dass Sunkara zur Hälfte recht hat. Es stimmt unweigerlich, dass wir Neues zuerst mit altem Vokabular zu verstehen versuchen. Wir befinden uns aber bereits an einem ganz anderen Punkt auf dem Akkumulationsbogen, als Sunkara annimmt. Daher müssen wir uns möglicherweise eines noch viel älteren Wörterbuchs bedienen und dies den heutigen Bedingungen anpassen. Es ist früher, als wir meinen. Was so viel heißt wie: Es ist bereits viel, viel später.«
Für Clover ist der präfordistische Industriekapitalismus mit seinen relativ hohen Profitraten, seiner expansiven Dynamik und seinem minimalen Arbeitsschutz kein Spiegelbild der Gegenwart, da diese durch wirtschaftliche Stagnation, chronische Turbulenzen und eine Hinwendung des Kapitals zu Immobilien, Finanzen und Logistik bestimmt sei. Ein besseres Spiegelbild der Gegenwart finde sich in der von Riots geprägten merkantilistischen Ära, die dem industriellen Aufbruch unmittelbar vorausging.
Clover steht mit seiner Auffassung von historischen Parallelen nicht ganz allein da. In einem Aufsatz »Historicizing the Global, Politicizing Capital: Giving the Present a Name« von 2007 stellt der Historiker Geoff Eley fest, dass vorindustrielle Klassenbeziehungen heute eine größere Bedeutung gewonnen hätten. Der Schwerpunkt der historischen Forschung zur Arbeit im Kapitalismus habe sich in den letzten Jahren verlagert – weg von Studien über relativ abgesicherte Industriearbeiter*innen hin zur Erforschung von Formen der unfreien Arbeit im 18. und frühen 19 Jahrhundert. Er vermutet, dass diese historiografische Verschiebung auf Veränderungen in der Gegenwart zurückzuführen ist, in der »die Dequalifizierung, die Zurückdrängung der Gewerkschaften, der Abbau von Sozialleistungen und die Entnationalisierung der Arbeit durch die Deindustrialisierung in den Metropolen und die transnationale kapitalistische Umstrukturierung (…) diese Behauptung (von der angeblichen Zentralität der Lohnarbeit in der Industrie und im Bergbau für die große Erzählung vom Aufstiegs des Kapitalismus) auch vom entgegengesetzten Ende der Chronologie aus in Frage gestellt haben«.
Bis zu einem gewissen Grad stimmt Eleys Versuch, das Interesse an den frühneuzeitlichen Klassenbeziehungen zu erklären, mit dem historischen Ansatz von Clover überein. Aber ebenso aufschlussreich sind die Unterschiede zwischen beiden. Wenn sich Eley von den relativ gesicherten Industriearbeiter*innen abwendet, konzentriert er sich dennoch weiterhin auf die Arbeit, insbesondere auf Formen unfreier Arbeit, durch die rassistische und/oder sexistische Unterdrückungsverhältnisse reproduziert wurden. In Clovers Bild von der merkantilistischen Ära geht es dagegen vor allem um die direkten Angriffe der Enteigneten auf die Infrastruktur der Zirkulation. In seiner Darstellung werden diejenigen, die sich an Brotunruhen und »Export-Riots« beteiligten, nicht durch die Arbeit definiert, zu der sie gezwungen waren, sondern durch ihre Probleme beim Zugang zu den Waren und durch die kollektiven Aktionen, mit denen sie die Trennung von den Reproduktionsmitteln zu überwinden versuchten.
Auch wenn Clover zu Recht unsere Aufmerksamkeit auf Kämpfe in der Zirkulationssphäre lenkt, in der Arbeit nur indirekt ein Thema war, kann uns die von Eley angeführte historische Forschung als eine Korrektur an Clovers relativer Ausblendung frühneuzeitlicher Arbeitsregime, insbesondere der Gesindedienste und der Plantagensklaverei, und den Kämpfen gegen sie dienen. Clover stellt zwar fest, dass eine genealogische Beziehung zwischen den neuerlichen, von Schwarzen angeführten Riots und den Aufständen gegen die Sklaverei besteht, aber da er auf diesen Zusammenhang erst gegen Ende des Buchs eingeht, gerät die historische Koinzidenz von Export-Riots und Aufständen gegen die Sklaverei nicht in den Blick.
Auch erfahren wir nichts über die Managementmethoden und Produktionsprozesse, die ausgehend von der Plantage die industrielle Fabrik prägen sollten. C.L.R. James schrieb 1938 in »Die schwarzen Jakobiner«, dass die Millionen von Afrikaner*innen, die gefangen genommen, in Ketten gelegt, über den Ozean verschifft und unter Androhung von Peitschenhieben auf den Zuckerplantagen zur Arbeit gezwungen wurden, »einem modernen Proletariat näher als irgendeine andere Gruppe von Arbeiter*innen zur damaligen Zeit« waren. Wenn die Versklavten rebellierten, bestanden ihre ersten Aktionen oftmals darin, die Aufseher*innen zu töten, die Infrastruktur der Plantagen niederzubrennen und sich in Gruppen zusammenzuschließen, um ihre erneute Versklavung durch die Weißen zu verhindern. Es waren Kämpfe in der Produktionssphäre und gegen die Produktion zur Zeit des Merkantilismus – Kämpfe, die sich gegen den rassistischen Kapitalismus wandten und schließlich zu grundlegenden Veränderungen im rassistischen Arbeitsregime führten.
Verdrängte Geschichten des Massenstreiks
In ähnlicher Weise wie Clover die Kämpfe in der Produktionssphäre während der merkantilistischen Ära vernachlässigt, um die Periodisierung von Riot-Streik-Riot aufrechtzuerhalten, spielt er auch die Kämpfe in der Zirkulationssphäre von den 1840er-Jahren bis in die 1960er-Jahre herunter, obwohl die Plünderung von Eisenbahnen und massenhafte Streikposten auf den Straßen der Städte zentrale oppositionelle Taktiken am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts darstellten. Im gleichen Zeitraum erschütterten Getreideunruhen das von Hungersnöten geplagte koloniale Indien, kam es wiederholt zu Plünderungen entlang der Panama-Eisenbahn und blockierten streikende Massen in Südwales Straßen und Eisenbahnlinien (um nur einige Beispiele für diese relativ allgegenwärtigen Taktiken zu nennen). Jede dieser kollektiven Aktionen griff in die Zirkulationssphäre ein, auch wenn sie eher von Streiks in der Produktionssphäre ausgingen.
Insbesondere die Geschichte der Massenstreiks bringt die begrifflichen und historiografischen Aufteilungen von Clover durcheinander. Die Streikposten der Massenstreiks zeichnen sich dadurch aus, dass streikende Arbeiter*innen und Menschen aus anderen Bereichen gemeinsam wichtige wirtschaftliche Knotenpunkte blockieren. Während des britischen Eisenbahnerstreiks im Jahr 1911 schlossen sich beispielsweise den entlang des Schienennetzes stationierten Eisenbahner*innen Proletarier*innen aus der jeweiligen Umgebung an, um Bahnübergänge, Stellwerke und Bahnhöfe zu blockieren und zu sabotieren. Als in der Stadt Llanelli in Südwales das Militär gegen solche Streikposten eingesetzt wurde, kamen zwei von ihnen durch Schüsse der Soldaten ums Leben. Kurz nach den Schüssen plünderten und verbrannten die Massen etwa hundert Eisenbahnwaggons und plünderten außerdem Lagerhäuser, die dem für den Einsatz des Militärs verantwortlichen Ortsvorsteher gehörten. Es war nicht ungewöhnlich, dass sich aus massenhaften Streikposten wie in Llanelli Riots entwickelten.
Zu ähnlichen antagonistischen Aktionen war es im Jahr zuvor in der Bergbaustadt Tonypandy gekommen und 1911 in der Hafenstadt Liverpool. Bis zum Generalstreik von 1926 sollten die Massen im Zusammenhang mit Streiks immer wieder zu solchen Aktionen übergehen. Während die Führung des gewerkschaftlichen Dachverbands TUC für den Generalstreik von 1926 einen Plan entworfen hatte, nach dem die Arbeit in vielen Branchen aufrechterhalten und die Größe der Streikposten begrenzt werden sollte, drängten radikale Kräfte an der Basis auf die Verallgemeinerung des Streiks und versuchten, durch kämpferische Massenaktionen Straßen und Straßenbahnlinien in den Großstädten lahmzulegen. Nach der Niederlage des Streiks verbot das Parlament die massenhaften Streikposten – ein gesetzliches Verbot, das bis zur Wahl einer sozialdemokratischen Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg in Kraft bleiben sollte. Nach einer Welle von Massenstreiks in den 1970er-Jahren verbot die Regierung Thatcher erneut diese Taktik, was der Polizei und den Gerichten einen größeren Spielraum bei der Unterdrückung von Streikposten gab, insbesondere wenn sich an ihnen Menschen beteiligten, die nicht zu den Streikenden gehörten.
Die Geschichte der Streikposten in den Vereinigten Staaten bietet einen interessanten Kontrast zur Entwicklung in Großbritannien, der darauf hinweist, wie sehr die Kampfformen vom Staat und der politischen Dynamik beeinflusst werden. Als nach einer Welle von wilden Streiks und kollektiven Aktionen von Arbeitslosen 1933 der National Industrial Recovery Act verabschiedet wurde, interpretierten die radikalen Kräfte in der Arbeiterklasse ihn als eine Legalisierung von Massen-Streikposten. Obwohl die polizeiliche Repression weiter anhielt, stärkte das Gesetz das Gefühl der Proletarier*innen für die Legitimität ihrer Streikposten, wie Ahmed White in seinem Aufsatz »Workers Disarmed: The Campaign Against Mass Picketing and the Dilemma of Liberal Labor Rights« von 2014 schreibt. Nur wenige Monate nach der Verabschiedung des Gesetzes entwickelte sich 1934 eine Welle von kommunalen Generalstreiks, bei denen Straßen, Schienennetze, Werften und Fabriken von Streikposten blockiert wurden.
Diese Aktionen wurden von Bündnissen zwischen organisierten Arbeitslosen und gewerkschaftlich organisierten Arbeiter*innen getragen, die gemeinsam einige der konfrontativsten und effektivsten Streiks in der Geschichte der Klassenkämpfe in den USA durchführten. In den 1930er-Jahren und bis in die Mitte der 1940er-Jahre kam es immer öfter zu derartigen Streiks mit Massenbeteiligung, aber mit dem Taft-Hartley-Gesetz wurden 1947 massenhafte Streikposten und die Blockierung nicht unmittelbar beteiligter Betriebe (»secondary picketing«) verboten, was die Formen des Klassenkampfs in den USA erheblich einschränkte. Zeitgleich konsolidierte eine konservativere Gewerkschaftsbürokratie ihre Macht, die zusammen mit dem restriktiven Arbeitsrecht relative enge Normen für Streiks einführte. Die wilden Streiks in den 1970er-Jahren stellten diese Streikregulierung zwar noch einmal in Frage, konnten aber nicht mehr das Niveau der früheren Massenstreiks erreichen.
Begriffliche Blockaden
Das fast völlige Verschwinden der Massenstreiks in Großbritannien und den Vereinigten Staaten bekräftigt die begrifflichen Gegenüberstellungen, die sich nicht nur bei Clover, sondern ganz allgemein in der erwähnten Debatte in der radikalen Linken finden. Die Massenstreiks bringen nahezu sämtliche begriffliche Entgegensetzungen durcheinander, die Clover zur Unterscheidung zwischen Riot und Streik heranzieht. Die Streikposten der Massen betrafen sowohl die Zirkulations- wie die Produktionssphäre und waren am effektivsten bei der Blockierung des Transports, der sich nicht eindeutig einer der beiden Sphären zuordnen lässt. Nicht selten entwickelten sich aus den Streikposten Sachzerstörungen und Plünderungen, während sie zugleich die Produktion lahmlegten. Und sie wurden von streikenden Arbeiter*innen, die als solche auftraten, organisiert, aber zusammen mit »unsituierten« Proletarier*innen, d.h. Menschen, die entweder arbeitslos waren oder in anderen Bereichen arbeiteten. Diese Form der Kollektivität verlieh den oft isolierten Gruppen von Arbeiter*innen Rückhalt und ermutigte zugleich Arbeitslose und Beschäftigte in strategisch weniger wichtigen Bereichen zu eigenen Aktionen.
Die Massenstreiks bringen nahezu sämtliche begriffliche Entgegensetzungen durcheinander, die Clover zur Unterscheidung zwischen Riot und Streik heranzieht.
Nur wenn diese Massenstreiks aus der historischen und begrifflichen Darstellung ausgeblendet werden, lässt sich der Streik als eine Kampfform charakterisieren, »in welcher die Arbeiter*innen in ihrer Rolle als Arbeiter*innen auftreten«, und nicht als Ereignisse, bei denen ein buntscheckiger Haufen von Proletarier*innen, Arbeiter*innen und Nicht-Arbeiter*innen handelt und als solcher auftritt. Und nur ohne die theoretische Berücksichtigung dieser Streiks lassen sich strategische Debatten der radikalen Linken derart polarisieren, wie es in Clovers Kritik an den jüngsten Beiträgen in Jacobin zu Logistik und Klassenkampf geschieht. So schreibt er in »Riot. Strike. Riot«: »In einer anderen Wortmeldung (von Charlie Post) aus der gleichen Ecke wird ›die Einführung der schlanken Produktion und des Just-in-time-Konzepts im Lagerbereich‹ als Indiz für die Transformation der Ökonomie angeführt und daraus richtig abgeleitet, dass es heute wichtig sei, ›sich auf Verteilungspunkte (zu) konzentrieren‹ und ›die Distribution zu blockieren‹. Jedoch empfiehlt der Autor zu diesem Zweck die Organisation einer ›strategisch platzierten Gruppe von Arbeiter*innen‹. (…) Man möge es Leser*innen verzeihen, die verwirrt auf die Forderung nach ›eine(r) industrielle(n) Strategie reagieren, da doch zugleich die Aushöhlung des industriellen Sektors, der historischen Basis der sozialistischen Organisierung, moniert wird. Man könnte im Gegenzug auch fragen, warum es einer ›Gruppe von Arbeiter*innen‹ dazu bedarf, ›die Distribution zu blockieren‹, wenn Logik und historische Erfahrung zugleich nahelegen, dass es sich um eine Taktik von Nichtarbeitenden handelt. Egal, wie sich das Problem auch gebärdet, von dieser Warte aus betrachtet lautet die Lösung immer: Organisierung der industriellen Arbeiter*innenschaft. Die Zeit des Streiks dauert also weiterhin an.«
Hier spitzt Clover seine logischen und historischen Thesen in extremer Weise zu. Streik und Riot werden klar voneinander abgegrenzt und jeder Taktik werden ihre jeweiligen Orte und Akteur*innen zugewiesen. Da Riots die Distribution betreffen und von enteigneten Proletarier*innen unternommen werden, könne eine revolutionäre Strategie, die auf Arbeiterstreiks in Lagerhäusern, in Häfen, auf den Straßen, bei der Bahn und an anderen Orten der Distribution setzt, nur logisch inkohärent und ohne historisches Vorbild sein. Diese Logik der getrennten Kategorien scheint hier und an anderen Stellen im Zusammenhang mit einer Überlegung zur historischen Entwicklung von Automatisierung und Arbeitslosigkeit zu stehen: Weil die Arbeiter*innen heute über eine relativ geringe strukturelle Macht verfügten, seien sie kaum in der Lage, wichtige Knotenpunkte der Verteilung durch selbstständige Streikaktionen lahmzulegen. Die These der geringen strukturellen Macht mag durchaus stimmig sein, aber fraglich sind die kategorialen Abgrenzungen und die strategischen Schlussfolgerungen von Clover. Wie die Geschichte der Massenstreiks zeigt, können Transportketten auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit durch kollektive direkte Aktionen blockiert werden, die gemeinsam von den dort Beschäftigten und unsituierten Proletarier*innen durchgeführt werden – eine Möglichkeit, die weder von Clover noch von den meisten seiner Gegner*innen in der Zeitschrift Jacobin in Betracht gezogen wird.
Während Clover die Organisierung von Arbeiter*innen, einschließlich der Organisierung in der Logistik und im Transport, als weitgehend irrelevant für die heutige revolutionäre Praxis betrachtet, halte ich sie für ein entscheidendes, wenn auch unzureichendes Element einer solchen Praxis. Angesichts der Flüssigkeit von logistischen Netzwerken und der Dynamik der Automatisierung in der Schifffahrt und anderen Transportsektoren ist es schwer vorstellbar, dass die Organisierung von Arbeiter*innen allein diese Sektoren grundlegend verändern kann, ganz zu schweigen vom Kräfteverhältnis zwischen den Klassen in den alten kapitalistischen Kernländern und an anderen Orten. Es scheint mir jedoch ein Fehler zu sein, eine solche Organisierung zu ignorieren. Denn die Arbeiter*innen in der Lagerhaltung, der Schifffahrt, dem Luft- und dem Bahntransport verfügen über ein Wissen und kollektive Fähigkeiten, die im Rahmen einer Politik der Solidarität umfassendere und explosivere Brüche in der Ordnung des Kapitals ermöglichen könnten. Es geht nicht einfach darum, dass ein einzelner Eisenbahner eine Fackel über einen Zaun zu den Menschen auf der Straße wirft, wie es in der Bay Area in einer von Riots geprägten Nacht im Dezember 2014 geschah. Vielmehr geht es um einen Kampf, der in die massenhafte Blockierung von Straßen, Flughäfen, Bahnlinien, Verteilzentren und Häfen übergeht – eine Intensivierung des Kampfs, die darauf abzielt, alles zum Stillstand zu bringen. Dazu bedürfte es der Fähigkeit zur Koordination zwischen verschiedenen Knotenpunkten in diesen Netzwerken und des kollektiven Wissens über die Funktionsweise der Transportstrukturen – ein Wissen, über das zur Zeit nur wenige radikale Linke verfügen dürften, die nicht in diesen Bereichen arbeiten, auch wenn wichtige Bemühungen in diese Richtung unternommen werden. Die Geschichte der Massenstreiks erschüttert nicht nur die begrifflichen und historiografischen Gegensätze, die Clover in »Riot. Strike. Riot« versteinert, sondern könnte auch einige Lehren dafür bieten, wie Transportarbeiter*innen und unsituierte Proletarier*innen sich koordinieren könnten, um Lieferketten lahmzulegen. Diese Geschichte zeigt auch die Grenzen auf, an die eine solche Koordinierung wahrscheinlich stoßen wird, solange es nicht zu einer deutlichen Intensivierung und Ausweitung der Kämpfe kommt. Ein solcher Aufbruch der Kämpfe, denen der Morgenstern der Kommune die Richtung weist, ist Clover und mir sicherlich in gleicher Weise ein Anliegen.
Übersetzung: Christian Frings.
Dieser Text erschien zuerst im September 2016 bei Viewpoint Magazine. Die hier fehlenden Fußnoten mit Hinweisen auf weiterführende Literatur finden sich im englischen Text.