Freiheit lädt
Seit mehr als vier Wochen protestieren die Menschen in Iran gegen patriarchale Gewalt und fordern den Sturz des Regimes
Von Amina Aziz
Azadi is loading, Freiheit lädt. Das sagt, froh über das Ende des Schuljahres, die damals 15-jährige Sarina Esmailzadeh im Juni in einem ihrer Vlogs (Video-Tagebuch), als sie die Schule verlässt. Sie kann nicht ahnen, dass ihr Bild und die fröhlichen Momente, die sie dort oft festhält, wenige Monate später in der ganzen Welt zu sehen sein werden.
In ganz Iran wird seit dem Mord an der Kurdin Jîna Amini Mitte September in Teheran durch Sicherheitskräfte gegen das Regime protestiert. Von Aminis Heimatstadt Saqqez in Ostkurdistan (im Norden Irans) breiten sich in den darauffolgenden Tagen Proteste bis in den Süden des Landes aus. Besonders dort, wo viele sogenannte ethnische Minderheiten leben, endet die Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende oft tödlich. (Seite 20) Die Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights geht – Stand 13. Oktober – von bislang 200 Toten, darunter mindestens 23 Minderjährige, aus.
Das iranische Regime versucht, die historischen Proteste zu Separatistenkämpfen dieser Minderheiten herunterzuspielen. Die Demonstrationen strafen diese Aussagen Lügen. Landesweit fordern Protestierende unter Gefahr für ihr Leben nicht Reformen, sondern einen Regimewechsel.
Viele Iraner*innen sind enttäuscht und wütend, dass sich ihre Lebensumstände nicht verbessert haben. Jîna Aminis Tod ist dieses Mal zwar der Auslöser gewesen, doch die Proteste bauen auf denen der vergangenen Jahre auf. Nach der sogenannten Grünen Bewegung 2009 wurden 2018/19 mit der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung, vor allem aufgrund der verheerenden wirtschaftlichen Lage, Rufe gegen das Staatsoberhaupt Ali Khamenei und den Rest des Regimes laut. Die Proteste wurden blutig niedergeschlagen. Nun kommen in den dezentralen Aktionen und Streiks unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und Klassen zusammen, was es für das Regime schwierig macht, sie mit voller Härte zu zerschlagen, wobei es dennoch brutal gegen Demonstrierende vorgeht.
Es sind die tragenden Säulen der Ideologie des iranischen Staates, die diese revolutionäre Bewegung herausfordert: Freiheit für queere Menschen, das Ende der Unterdrückung von Frauen, symbolisiert im Kopftuchzwang, sowie ein Leben ohne staatliche Zwänge, die willkürlich kontrolliert und bei Missachtung mit physischer Gewalt oder mit dem Tod bestraft werden. In Iran werden laut Amnesty International nach China die meisten Todesurteile vollstreckt – genaue Zahlen gibt es nicht, die Behörden halten sie geheim. Besonders sind sogenannte ethnische Minderheiten wie Kurd*innen und Balutsch*innen betroffen.
Insbesondere die feministischen Forderungen gegen die patriarchal-islamistische Unterdrückung als zentrales Motiv der Proteste sind dem Regime ein Dorn im Auge. Mädchen, Frauen und queere Menschen stellen sich mutig dem Sicherheitsapparat entgegen, auf Demos, wo sie ihre Kopftücher abnehmen, teils verbrennen, in Schulen, wo sie sich nicht mehr sagen lassen, wie sie sich zu kleiden haben. Ihr Widerstand ist trotz der für das Regime kostspieligen Internetblockade sichtbar. Laut Netblocks, einer in London ansässigen Organisation, kostet die Blockade das iranische Regime über 37 Millionen Dollar pro Tag. Bislang ist es bereit, solche Summen auszugeben. Für die Protestierenden macht es die Vernetzung sowie die Verbreitung von Videos und Infos schwieriger.
Auch Sarina Esmailzadeh hatte sich wie viele andere Mädchen und Frauen den Protesten angeschlossen. Für sie endeten sie tödlich. Am 23. September wurde sie in ihrer Heimatstadt Karaj von Sicherheitskräften so schwer mit Schlägen misshandelt, dass sie an ihren Verletzungen starb.