Die linke Krise überwinden
Die Interventionistische Linke (IL) sucht einen Ausweg aus der Stagnation emanzipatorischer Politik
Wir blicken auf eine düstere Gegenwart. Die Linke ist weltweit in der Defensive. Gerade jetzt bräuchte es eine Linke, die Hoffnung und Orientierung geben kann. Es ist also höchste Zeit, unsere Strategie und Praxis auf den Prüfstand zu stellen. Was bedeuten die politischen Entwicklungen der letzten Jahre? Welche Chancen und Aufgaben für die Veränderung der Welt sehen wir? Was sind die Strategien interventionistischer Politik in der aktuellen Lage?
Es geht ums Überleben
Die Abschaffung des Kapitalismus ist eine Frage des Überlebens. Ob Krieg, Pandemie oder Klimakrise – die ökologischen, politischen und sozialen Erschütterungen sind weltweit für alle spürbar. Die Lebensgrundlagen sind bedroht. Es gibt einen Anstieg sozialer Ungleichheit, Gewalt und Abschottung. Die falsche Hoffnung auf ein Zeitalter des Friedens ist geplatzt. Kriegslogik, Militarisierung der Gesellschaft und Freund-Feind-Denken bleiben nicht auf die unmittelbaren Kriegsparteien beschränkt. Die »Zeitenwende« hat ganz Europa erfasst: In Deutschland bestimmen Aufrüstung, Waffenexporte in Krisen- und Kriegsgebiete, Nationalismus und eine militarisierte Geopolitik den öffentlichen Diskurs.
Große Teile des Kapitals können nicht mehr als Investitionen in Produktionsmittel verwertet werden, da die Möglichkeiten ausgeschöpft sind, es profitabel zu steigern. Deshalb fließt Kapital vor allem in die Privatisierung von Land oder Ressourcen, Lebensbereiche wie Wohnen, Gesundheit, Alterssicherung und digitale Kommunikation werden zu Produkten an den Finanzmärkten. Verelendung, Hunger und Fluchtbewegungen nehmen weltweit zu.
Die Anpassungsstrategien der herrschenden Klasse an die globale Vielfachkrise erscheinen chaotisch und gespalten. Auf der einen Seite steht ein grün-progressives Projekt der Modernisierung, dass die bürgerlichen Freiheiten vor sich herträgt. Dem gegenüber ist ein offen autoritärer, rechtskonservativer bis faschistischer Block, nicht zuletzt bei der Europawahl, gewachsen. So gegenläufig diese miteinander um die Hegemonie ringenden Varianten auch erscheinen mögen: Beide zementieren die gesellschaftliche Ungleichheit. Im Ergebnis schottet sich in beiden Fällen eine kleine Minderheit mit ihrem explodierenden Reichtum ab, während eine Mehrheit die Folgen der Krisen zu tragen hat. Die Träger*innen beider Hegemonieprojekte wollen die kapitalistische Produktions- und Lebensweise erhalten, ebenso die globalen imperialistischen Ausbeutungsverhältnisse.
Als Kompromiss zwischen beiden Projekten zeichnet sich dabei ein modernisierter Festungskapitalismus ab. Dieser grenzt sich aggressiv nach außen ab und greift nach innen zunehmend auf eine autoritäre Form der Politik zurück. Gleichzeitig gibt es weiterhin Zugeständnisse an eine liberale Lebensweise und die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie bestehen weitestgehend fort. Die Linke steht derweil als Zuschauer*in an der Seitenlinie, es muss aber gelingen, als starker Block in dieses Kräfteverhältnis einzugreifen.
Wir halten an der Einsicht fest, dass ein revolutionärer Bruch mit dem Kapitalismus und allen damit verbundenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen notwendig ist. »Sozialismus oder Barbarei« ist zwar eine Parole des 20. Jahrhunderts, doch mit den globalen Krisen der Gegenwart ist sie so dringlich wie nie.
Eine Einladung zur Debatte
Immer wieder taten sich in unseren Diskussionen Spannungsfelder auf: zwischen dem Gewinnen von Mehrheiten und dem Kämpfen als radikale Minderheit, zwischen Verankerung und der Notwendigkeit zur Zuspitzung, zwischen Rebellion und Transformation. Unsere Überlegungen sind vor allem ein Auftakt, ein Wunsch nach gemeinsamer Debatte. Wir möchten mit diesem Papier mit Genoss*innen, Wegbegleiter*innen, Freund*innen, Kritiker*innen ins Gespräch kommen. Wir laden euch ein, euch zu äußern, zu kommentieren, mit uns zu streiten über das, was wir aufgeschrieben haben und das, worin wir uns nicht sicher sind. Schickt uns eure Debattenbeiträge zwischen 3.000 und 10.000 Zeichen an folgende Mailadresse: kontakt@interventionistische-linke.de.
Zur Situation der gesellschaftlichen Linken
Die Kämpfe, in denen linke Bewegungen dabei sind, erscheinen sehr unterschiedlich, die Linke dadurch unübersichtlich. Sie ist in Bewegungen gegen Feminizide, rassistische Morde, die Untätigkeit angesichts der Klimakrise oder Kriege aktiv. Doch sie alle verbindet die Frage des Lebens und Überlebens. Diesen Protesten haben sich im vergangenen Jahrzehnt mehr Menschen denn je angeschlossen, Tausende wurden von ihnen geprägt.
Gleichzeitig bleiben diese Bewegungen oft punktuell, entwickeln nur kurzfristige Verschiebungen im Diskurs und können ihre konkreten Anliegen nur selten durchsetzen. Vor allem gelang es der Linken, und uns mit ihr, nicht, diese Mobilisierungserfolge in den Aufbau von Gegenmacht zu übersetzen. Die Linke hat es nicht geschafft, sich praktisch gegen die herrschenden Interessen durchzusetzen und Erfolge zu verteidigen. Schauen wir auf die Klimabewegung, so haben wir als IL im Rahmen von Ende Gelände mitgewirkt, die Ablehnung fossiler Energieträger breit zu verankern. Die Nutzung und Verwertung fossiler Energieträger auch zu stoppen, konnten wir nicht erreichen. Eine Stärke zu erreichen, in der wir solche Forderungen auch durchsetzen können, sollte Horizont unserer Politik sein.
Es reicht nicht, nur über Vergesellschaftung zu sprechen, sondern sie sollte zum Ziel in der politischen Praxis werden.
Die multiplen Schwierigkeiten der letzten Jahre, sich gegen herrschende Interessen durchzusetzen, fordert unsere Bündnispraxis heraus. Aus klassischen Gipfelbündnissen oder Bündnissen gegen Rechts, die vor allem aus Delegierten von organisierten Akteur*innen bestanden, sind Mischformen mit vielen Einzelpersonen und wenigen Organisationen geworden. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die teils ineinandergreifen und sich wechselseitig verstärken. Etablierte Akteur*innen der gesellschaftlichen Linken sind in weiten Teilen deutlich geschwächt. Stattdessen engagieren sich vereinzelte politische Subjekte, die sich eher kurzfristig engagieren statt langfristig und kollektiv.
Diese Lage trifft auf eine politische Situation, die aktuell von massiven Veränderungen und Umwälzungen geprägt ist. Mit Blick auf die Krisenreaktion der Herrschenden befindet sich die gesellschaftliche Linke vielfach in einem Dilemma inmitten dieser verheerenden politischen Landschaft. In den notwendigen Abwehrkämpfen gegen die rechte Formierung sind wir vielfach auf die Zusammenarbeit mit institutionalisierten, liberaleren Akteuren wie den Grünen angewiesen, um der weiteren Aushöhlung des Status quo überhaupt etwas entgegensetzen zu können.
Andererseits sind es eben diese Akteur*innen, die regelmäßig dem rechten Druck folgen und schwere politische Einschnitte wie GEAS umsetzen, die die politische Landschaft nach rechts verschieben. Wir beobachten eine Arbeitsteilung, in der die Rechte Stichwortgeberin ist und die Ampel mit Verweis darauf rechte Politik macht, ganz im Sinne eines Wahlplakates von Strack-Zimmermann: »Migration steuern. Sonst tun es die Falschen.« Rechte und Liberale arbeiten so zusammen, auch wenn sie sich gleichzeitig rhetorisch stark voneinander abgrenzen. Wir brauchen also ein Verständnis der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede zwischen dem vermeintlich grün-progressiven und dem reaktionären Projekt, um diese Allianz zu brechen und einen linken Block aus radikalen und moderaten Linken neu zu konstituieren.
Trotzdem geben uns die gesellschaftlichen Zustände nicht immer die Freiheit der offenen Bündniswahl. Gerade im ländlichen Raum oder im Osten der BRD stellt sich eine linke politische Landschaft stark eingeschränkt, in Teilen nur aus Parteien und ihren Substrukturen bestehend, dar. Hier gibt es kaum linke organisierte Strukturen und auch wenig Vorarbeit, die eine Verbindung mit (zivil-)gesellschaftlichen Vereinen oder Gruppe überhaupt zuließe. In Orten wie Wurzen oder Gera, aber auch Celle oder Biberach, kommen wir kaum umhin, auch mit bürgerlichen Parteistrukturen zusammenzuarbeiten. Diese Bündnisse folgen weiterhin einem strategischen Zweck, nämlich der Mobilisierungskraft vor Ort oder dem Kontaktaufbau in die Zivilgesellschaft. Diese Misslichkeit, auch auf Akteure wie die Grünen angewiesen zu sein, bleibt uns dabei ein Dorn im Auge.
Die gesellschaftliche Isolation während Corona hat in vielen zentralen Fragen eine uneinige Linke zurückgelassen. In dieser Situation der Schwäche und Differenz haben politische Strömungen an Bedeutung gewonnen, die auf einseitige Erklärungen und Handlungsvorgaben setzen, und dabei auf die Methode der Appellation zurückgreifen. Damit haben sich andere organisierte Zusammenhänge herausgebildet, die stärker auf Abgrenzung, als auf übergreifende Zusammenarbeit linker Strömungen setzen, und nur ein geringes Interesse am Aufbau breiter Bündnisse zeigen. Dabei braucht es gerade jetzt eine Linke, die sich Komplexität und Unsicherheit nicht verweigert, sondern die verschien gelagerten Haltungen und Positionen als Stärke betrachten kann.
Was nun?
Revolutionäre Prozesse lassen sich nicht am Reißbrett entwerfen. Genauso wenig fallen sie vom Himmel. Sie ergeben sich sowohl aus jahrzehntelanger, kontinuierlicher Arbeit für Veränderungen im Hier und Jetzt, als auch aus den spontanen Kämpfen sozialer Bewegungen und dem utopischen Begehren derer, die gegen das Bestehende rebellieren.
Das verlangt den geduldigen Aufbau in Bewegungen. Kämpfe entwickeln eine besondere Stärke, wenn Menschen nicht nur über gemeinsame Überzeugungen, sondern auch über geteilte materielle Interessen zusammenkommen: Bei Streiks am Arbeitsplatz, in Auseinandersetzungen um Grundbedürfnisse wie Wohnen, Gesundheit, Pflege und Energie, oder im Kampf gegen Diskriminierung, für Selbstbestimmung und rechtliche Gleichstellung. In diesen Kämpfen um soziale Gleichheit und Freiheit entsteht die Überzeugung, etwas an den eigenen Lebensumständen ändern zu können.
Gleichzeitig ist Geschichte nicht planbar und »Gelegenheiten«, d.h. Zeitfenster in denen der scheinbare Gleichlauf große Sprünge macht, erfordern von uns Spontanität und Schnelligkeit. In solchen Momenten, wie der Räumung des Hambacher Forsts, oder dem Ausbruch der Corona-Pandemie, gibt es für einen kurzen Zeitraum politisch mehr zu gewinnen, aber auch mehr zu verlieren, als erwartet.
Dieser vermeintliche Widerspruch aus Handlungsfähigkeit in Gelegenheiten und gleichzeitiger kontinuierlicher Arbeit hat sich bei uns in der Vergangenheit in Diskussionen rund um Kampagnen- vs. Basisarbeit gezeigt. Langfristige Organisierung und die Schaffung tragfähiger (Infra-)Strukturen haben für uns an Bedeutung gewonnen, da diese unabhängig von Bewegungszyklen bestehen bleiben, unsere soziale Basis erweitern und so unsere Durchsetzungsfähigkeit als Linke gestärkt wird. Um Kämpfe zusammenzuführen und zu beschleunigen, braucht es jedoch weiterhin Momente der Zuspitzung. Diese Momente können in vorbereiteten Kampagnen angelegt sein, sich aber auch in Gelegenheiten auftun, die mutige Intervention verlangen. Um dieses Spannungsfeld praktisch anzugehen, haben wir das Kriterium der kleinen Brüche für unsere politische Arbeit entwickelt. Wir wollen so die Verbindung herstellen zwischen alltäglichen Kämpfen und dem weit entfernten großen Bruch, auf den wir hinarbeiten.
Kleine Brüche sind Kämpfe, die erstens den Horizont des Möglichen verschieben, zweitens reale Verbesserungen erreichen und drittens Organisierung schaffen. Erst durch die Verbindung dieser Dimensionen wird aus einem politischen Sieg ein kleiner Bruch. Er reizt die bestehenden Spielregeln aus oder bricht diese und macht das Unvorstellbare vorstellbar, ohne aber schon die Verhältnisse völlig auf den Kopf zu stellen. Somit ist nicht jede Reform, die wir gegen den Staat durchsetzen, ein kleiner Bruch. Aber kleine Brüche sind die Grundlage eines erfolgreichen revolutionären Prozesses.
Wir sehen zahlreiche Bruchstellen in der Gesellschaft, wo bereits mit neuen Formen experimentiert wird und aus sozialen Konflikten politische Kämpfe und damit Gegebenheiten für kleine Brüche werden. Unter anderem aus dem ökonomisierten Care-Sektor und dem Transformationsdruck der Klimakrise haben sich neue, mutige Streikbewegungen entwickelt. Wir stehen mit unserer Praxis und unserer Rolle in Streikbewegungen noch am Anfang. Aber wir wollen uns mehr in die Richtung entwickeln, verschiedene Streikmomente stärker zu verbinden. Tarifstreiks lassen sich außerparlamentarisch politisieren und können in gesellschaftlichen Streiks die materielle und soziale Basis stärken und verbreitern – vom Lohnstreik zum Mietstreik zum Metropolenstreik.
Neben Streiks ist die Frage nach Vergesellschaftung eine Richtungsforderung, nach der wir unsere Praxis ausrichten. Mit einem utopischen Überschuss zeigt Vergesellschaftung, wie wir uns die Gesellschaft nach der Revolution vorstellen. Als Strategie verbessert sie die Lebensumstände und drängt Staat und Kapital zugunsten demokratischer Selbstverwaltung zurück. Umso stärker ist der Widerstand, den Staat und Kapital konkreten Vergesellschaftungsprojekten wie Deutsche Wohnen und Co. Enteignen entgegenbringen. Dies bestärkt uns darin, dass es nicht reicht, nur über Vergesellschaftung zu sprechen, sondern sie zum Ziel in der politischen Praxis zu machen.
Interventionistische Politik heißt für uns aber auch, in Situationen der Marginalisierung gesellschaftliche Normalität zu unterbrechen und sich ihr aktiv zu widersetzen. Es ist unsere Aufgabe, zu zeigen, dass es auch ganz anders sein kann. Dass Grenzzäune überwunden und Kohlebagger stillstehen können. Ziviler Ungehorsam hat sich als erfolgreiches Konzept erwiesen; mit vielen den Schritt zur Regelübertretung zu gehen. Die letzten Jahre haben uns aber auch Grenzen aufgezeigt. Aktionen haben sich ritualisiert und wurden kontrollierbarer und weniger kraftvoll. Diese Einschränkung unserer Aktionsfähigkeit wollen wir aufheben, indem wir über neue Formen des zivilen Ungehorsams sprechen. Eine solche Praxis darf nicht isoliert stattfinden. Von den Verwerfungen der Gegenwart sind immer mehr Menschen betroffen. Gemeinsam zu kämpfen ist ein Weg aus der Marginalisierung.
Anmerkung:
Der Beitrag ist eine Vorab- und Kurzversion eines Textes, den die Interventionistische Linke am 19. Juni 2024 veröffentlichen will.