Hurra, hurra der Investor ist da!
Der Chiphersteller Intel baut zwei Gigafabriken in Magdeburg – die Folgen für die Region sollten Linke unbedingt zum Thema machen
Von Christopher Grobys und Lena Müller
Mitte März gab der Chiphersteller Intel bekannt, 2023 zwei neue Megafabriken in Magdeburg bauen zu wollen. Eingeplant ist dafür eine enorme Investitionssumme von zunächst 17 Milliarden Euro, die Produktion in den beiden Halbleiter-Werken soll 2027 an den Start gehen. In der Berichterstattung war schon bald von der »Boom-Town Magdeburg« die Rede, vom ostdeutschen »Silicon Junction«, also einem neuen geografischen Knotenpunkt in der Siliziumbearbeitung und von einem »Quantensprung für die Wirtschaft« in Sachsen-Anhalt. Politik und Medien beschwören seitdem die positiven Auswirkungen für die ganze Region, für das gesamte Bundesland oder gar für ganz Europa. Kritische Stimmen zu dem Projekt gibt es bis heute nur wenige, zumeist fokussieren sich diese auf die ökologischen Gefahren der Chipherstellung. Die Stimmen der außerparlamentarischen Linken fehlen fast gänzlich im öffentlichen Diskurs über das Gigaprojekt, das in der Tat erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Region haben wird.
Dass viele Menschen im Osten der Republik Projekte wie die Intel-Fabriken freudig begrüßen und es entsprechend schwierig ist, Ansatzpunkte für eine gesellschaftliche Linke zu finden, die einen kritischen Diskurs darüber eröffnen und Handlungsstrategien gegen die kapitalistische Landnahme entwickeln könnte, hat auch mit der eigentümlichen, ostdeutschen politischen Ökonomie zu tun. Laut dem Humangeografen Dominik Intelmann ist diese seit der sogenannten Wende von einer andauernden, strukturellen Transferabhängigkeit gegenüber dem Westen und von filialökonomischen Eigentumsverhältnissen geprägt.
Ostdeutsche Filialökonomie
Intelmann spricht von mindestens vier politischen Entscheidungen, die im Zuge der Wiedervereinigung richtungsweisend für die Entwicklung der ostdeutschen Ökonomie waren und hier nur stichpunktartig genannt werden können: Der Aufwertungsschock durch die Währungsunion und die Altschuldenregelung trieben die meisten der noch bestehenden ostdeutschen Betriebe in den Bankrott. Die Rückübertragung bei offenen Eigentumsfragen und die konsequente Privatisierung des vorhandenen Produktivvermögens durch die Treuhand führten zu einer enormen Umverteilung, wodurch mehr als Dreiviertel der Vermögenswerte an westdeutsche und ausländische Kapitaleigner*innen übertragen wurden. Das Resultat dieser Politik war jedenfalls ein industrieller Kahlschlag und die Entstehung eines regionalen Kapitalismus ohne regionale Kapitalist*innen. Denn vor allem ortsexterne Kapitale nutzten von nun an das neue Terrain im Osten der Republik, um Produktionsstandorte zu erweitern und Filialen zu errichten. Billige Arbeitskräfte, Lohnsubventionen und andere staatliche Fördermittel stellten und stellen dafür willkommene Anreize dar und versprechen hohen Profit.
Die so entstandene »Filialökonomie« im Osten des Landes schuf jedoch zugleich jene bis in die Gegenwart anhaltende strukturelle Transferabhängigkeit vom Westen: Während die in den ostdeutschen Filialen realisierten Gewinne zu den Kapitaleigner*innen in die Konzernzentralen im Westen fließen, werden wiederum die im Westen generierten Steuereinnahmen (größtenteils aus Einkommenssteuern) in Form von Wirtschaftssubventionen oder Zahlungen an private Haushalte (sogenannte Sozialtransfers, z.B. Rentenzahlungen) teilweise zurück in den Osten transferiert – was zu einer Verschuldung und Abhängigkeit der dortigen Haushalte führt. Diese Transferabhängigkeit vom Westen führt wiederum zu einer zusätzlichen Verbilligung von Arbeitskraft und wegen der Lohn- und Wirtschaftssubventionen zu einer Erhöhung der Rentabilität des Produktivkapitals für Unternehmen im Osten. Die Folge ist eine Umverteilung von unten nach oben.
Neu ist das alles nicht, auch nicht für Sachsen-Anhalt. Bislang einmalig im Fall Intel ist jedoch die Höhe der Summe, die das Unternehmen in das Bundesland investieren will, und die damit verbundene Hoffnung, so ein »Leuchtturmprojekt« zu etablieren, mit einem Sogeffekt für die ganze, im Strukturwandel befindliche Region Sachsen-Anhalt. Viele hoffen als Effekt der Werkseröffnungen auf besser entlohnte Arbeitsplätze, eine sich erhöhende Konsumnachfrage, mehr Wirtschaftswachstum und steigenden Steuereinnahmen. Dies erklärt auch die Euphorie über alle politischen Lager hinweg.
Am Tropf des Westens
Folgt man den Angaben des Chip-Konzerns, so konnte sich der Standort Magdeburg gegenüber den Konkurrenten aufgrund seiner enormen Freiflächen von circa 350 Hektar, seiner Nähe zur Elbe, seines Ökostromangebots und seiner Lieferanbindung durchsetzen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass andere Faktoren, wie die Bezuschussung durch Fördermittel, das niedrige Lohnniveau und die Bodenpreise in Sachsen-Anhalt eine maßgebliche Rolle für die Entscheidung gespielt haben. Dem Unternehmen Intel erlaubt das größtmöglichen Profit mit vergleichsweise geringeren Kosten als anderswo. Sachsen-Anhalt wiederum ist trotz seiner zahlreichen »wirtschaftlichen Ressourcen« gezwungen, mit günstigen Angeboten um private oder öffentliche Investitionen zu buhlen: wegen seiner Abhängigkeit von externen Kapitalen und weil vieles von dem in der Ost-Region erwirtschafteten Geld über Steuern sowie in Form von Subventionen und Zuschüssen für die Unternehmen zurück in den Westen fließt. Das ist, wie beschrieben, der Kern der ostdeutschen Filialökonomie.
Bekanntermaßen sind es nicht die Unternehmen, die Lohnerhöhungen und die Verbesserung von Arbeitsbedingungen durchsetzen.
Intel verspricht zwar 3.000 gut bezahlte Arbeitsplätze direkt beim Konzern. Ungefähr 10.000 weitere sollen wiederum bei Subunternehmen und Zulieferern folgen. Ökonomisch ist damit die Hoffnung verbunden, dass durch die gut bezahlten Intel-Jobs ein positiver Lohndruck auf die gesamte Region entsteht, der die anderen Unternehmen zwingt, ebenfalls höhere Löhne zu zahlen. Eine gewisse Sogwirkung ist durchaus möglich. Für kleinere Unternehmen, die dem Lohndruck nicht standhalten können, birgt dies allerdings auch die Gefahr, von Intel verdrängt zu werden. Ein automatischer und flächendeckender Anstieg des allgemeinen Lohnniveaus ist durch die Ansiedlung zudem keineswegs gesichert. Denn bekanntermaßen sind es nicht die Unternehmen, die Lohnerhöhungen und die Verbesserung von Arbeitsbedingungen durchsetzen, beides ist vielmehr immer das Ergebnis der Kämpfe von Lohnabhängigen und Gewerkschaften. Die fragmentierte Tariflandschaft in Sachsen-Anhalt und die geringe Organisationsmacht der Gewerkschaften lassen hier wenig Hoffnung auf flächendeckende Verbesserungen zu. Darüber hinaus sagen die Arbeitsbedingungen und Löhne bei Intel erst einmal wenig über ebendiese bei den Zuliefererbetrieben aus, denn Letztere befinden sich in einem Machtgefälle zum Großunternehmen – sie sind abhängig, da sie innerhalb der Wertschöpfungskette austauschbar und darum noch stärker bemüht sind, die Lohnkosten ihres Personals niedrig zu halten.
Der Bau der Intel-Werke dürfte zudem nicht nur Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben; vielmehr ist absehbar, dass mit der Ansiedlung eine Aufwertung der Boden- und Wohnflächen der Region einhergehen wird. Gentrifizierung und damit verbundene Mieterhöhungen wären die Folgen, was beim Ausbleiben eines allgemeinen Lohnniveauanstiegs und ohne Anpassung von Sozialhilfen zur Verdrängung von Teilen der Bevölkerung führen und die soziale Ungleichheit in der Region noch verschärfen würde.
Über die Folgen der Intel-Ansiedlung für Umweltschutz und Klimagerechtigkeit wurde zu Recht viel berichtet. Erst kürzlich wurde etwa bekannt, dass Intel Wasser aus der Elbe für die extrem ressourcenintensive Produktion von Halbleitern nutzen möchte. Neben den ökologischen Konsequenzen wurde von Kritiker*innen auch auf das intransparente Zustandekommen dieser Entscheidung verwiesen. Mit den oben skizzierten sozialen Folgen des Investorenprojektes beschäftigen sich Linke in der Region bis dato indes kaum.
Gründung eines Intel-Rats
Stattdessen sollte eine außerparlamentarische Linke solche Prozedere der Ansiedlung kritisch begleiten, auf Schieflagen hinweisen, Bündnisse schmieden, Hebel erkennen und benutzen. Denn Angriffspunkte gibt es viele: die reale Gefahr von Arbeitsplatzverlusten durch Verdrängung, die Steuerpolitik des Konzerns, die enorme regionale Gestaltungsmacht eines einzelnen Unternehmens, die strukturellen ökonomischen Abhängigkeiten der ostdeutschen Ökonomie von einzelnen Großkonzernen, steigende Mieten und soziale Spaltung, aber natürlich auch die Klimafolgen oder die generelle Stadtentwicklung und ihre Infrastruktur.
Fakt ist, die Region wird sich verändern. Und Fakt ist auch, dass sich die soziale Situation im Osten nicht verbessern wird, wenn es dort eine stärker ausgeprägte Kapitalist*innenklasse gäbe oder wenn noch mehr Investor*innen Filialen eröffnen. Deshalb muss es aus einer linken Perspektive auch darum gehen, Demokratisierungsprozesse voranzutreiben und zu etablieren, die Einfluss auf Verteilungspolitiken haben. Eine Möglichkeit dafür könnte die Gründung eines Intel-Rates sein, der die Interessen der lokalen Bevölkerung vertritt – insbesondere jener, deren Stimmen in der Regel kaum gehört werden. Die Intel-Ansiedlung sollte für die außerparlamentarische Linke einen Anlass darstellen, den Aufbau und die spezifischen Macht- und Eigentumsverhältnisse der ostdeutschen Filialökonomie wieder öffentlichkeitswirksam zu thematisieren und Perspektiven zu entwickeln, um ebendiese zu transformieren. Das ist und bleibt eine Kernaufgabe der für die gesellschaftliche Linke im Osten.