Die Maschinerie der Gewalt stoppen
In Iran haben die Hinrichtungen von Demonstranten begonnen – um sie zu verhindern, ist ein internationaler Aufschrei nötig
Von Mina Khani
Sag, dass es nicht wahr ist. Sag, dass es wieder Fake News sind.« Diese Nachricht schrieb die politische Aktivistin Daniela Sepehri in einer Chatgruppe, in der ich gemeinsam mit ihr und Mariam Claren politische Patenschaften für Gefangene aus der iranischen Revolution an deutsche Abgeordnete vermittle. Das war am frühen Morgen des 7. Januar, als Mohammad Mehdi Karami (22) und Seyed Mohammad Hosseini (39) hingerichtet wurden. Mariam Claren selbst ist ebenfalls Aktivistin und dazu die Tochter einer linken politischen Gefangenen in Iran namens Nahid Taghavi. Ich antwortete: »Leider sind es keine Fake News. Sie wurden hingerichtet.«
Mariam und Daniela schliefen, als die ersten Meldungen darüber, dass Mohammad Mehdi Karami und Seyed Mohammad Hosseini am frühen Morgen hingerichtet werden sollten, eintrafen. Es war gegen halb zwei Uhr in der Nacht. Ich sprach lange mit der Bundestagsabgeordneten Ye-One Rie (SPD), der politischen Patin des berühmten gefangenen iranischen Rappers Toomaj. Wir taten, was wir tun konnten. Ich konnte nicht schlafen, und als sich die Nachricht der Hinrichtung verbreitete, war keine Person, die ich in Deutschland kenne, wach. Ich habe die Nachricht gelesen, dann ist mir das Telefon aus der Hand gefallen. Ich habe lange gezittert. Irgendwann bin ich aufgestanden und habe auf Twitter geschrieben: »Sie haben sie ermordet.«
Das ist nur ein Bruchteil von dem, was die iranische Bevölkerung angesichts der vielen Todesurteile gerade durchmacht. Der iranische Staat hat seit Beginn der revolutionären Bewegung nach dem Mord an Jîna Mahsa Amini mehr als 18.000 Protestierende festgenommen und mehr als 500 Menschen ermordet.
Geleakte Aufnahmen von den Hinrichtungsvorbereitungen
In geleakten Audioaufnahmen von nervösen Diskussionen im sogenannten Koalitionsrat der revolutionären Kräfte des iranischen Staates, die die Hackergruppe Black Rewards Anfang Dezember veröffentlichte, wurde deutlich, wie sehr sich die Mullahs angesichts der Proteste sorgen. Aber auf den Aufnahmen ist auch zu hören, dass ungeniert darüber gesprochen wurde, wie man die nun anstehenden Hinrichtungen öffentlich begründen sollte. Reza Davari, der Chefredakteur einer Nachrichtenagentur der Revolutionsgarden namens Mashregh News und Sekretär des Koalitionsrates, berichtet in der Runde: »Vor ungefähr 20 Tagen hat der Staatsanwalt von Teheran ein Interview gegeben, in dem er ankündigte, dass 15 Gefangene in Teheran mit dem Vorwurf ›Krieg gegen Gott‹ angeklagt werden. Danach wurde mit dem Justizministerium telefoniert und darüber gesprochen, dass man jetzt über die Anklagen diskutieren muss, so dass man die Politik des Staates gegenüber diesen ›Krawallen‹ erläutern kann.«
Die im Dezember veröffentlichten Audiotapes geben die Diskussion einer Sitzung wieder, die offenbar im November stattfand. Sie belegen, dass der iranische Staat wieder einmal staatliche Morde organisiert. Dass in dieser Sitzung gerade ein Redakteur von Mashregh News darüber berichtet, wie diese Morde vonstattengehen sollten, ist für die Mehrheit der iranischen Bevölkerung keine Überraschung. Es gehört zum Allgemeinwissen in Iran: Die Staatsmedien sind die langen Hände der militärischen Macht des Staates. Die einen morden, die anderen präsentieren diese Morde oder vertuschen sie. Reza Davari berichtet weiter: »Agha (»Herr«, so nennen die Offiziellen in Iran Khamenei, den religiösen Führer des Staates; M.K.) meint, dass diese Hinrichtungen eher nach dem Prinzip der Vergeltung (Qisas) und weniger mit der Anklage ›Krieg gegen Gott‹ (Moharebeh) begründet werden sollten.«
Der Staat hat nur wenige Wochen nach dieser Sitzung begonnen, die ersten Demonstranten hinzurichten. Zuerst, am 8. und 12. Dezember, Mohsen Shekari (23) und Majid Reza Rahnavard (21), nun Mohammad Mehdi Karami und Seyed Mohammad Hosseini. Vier junge Männer, von denen inzwischen Videos in den sozialen Medien kursieren, in denen sie lachen, feiern, scherzen und so weiter.
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Majid Reza Rahnavard, der zweite hingerichtete Demonstrant der Revolution, sagte im letzten Interview vor seiner Hinrichtung, er wolle nicht, dass man wegen ihm trauere oder bete, man solle glücklich sein und erfreuliche Musik hören. Von Mohsen Shekari ist noch kurz vor seinem Tod die Aussage überliefert: »Sie wollen mich mit diesem Todesurteil nur einschüchtern, sie werden mich nicht hinrichten.« Der 22-jährige Mohammad Mehdi Karami sagte seinem Vater vor seiner Hinrichtung: »Sie haben mein Todesurteil bestätigt. Sag es Mutter nicht, sie wird es nicht aushalten.« In einem von der Seite 1500Tasvir veröffentlichten Mitschnitt eines Telefongesprächs, berichtete Karimis Vater kurz vor der Vollstreckung: »Ich habe ihn gefragt, ob er jemanden getötet hat. Er sagte: Nein, Vater, ich habe es nicht getan. Sie wollen es mir anhängen.« Noch während er erzählt, dass man seinen Sohn unschuldig umbringen will, beginnt Karimis Vater zu weinen.
Mohsen Shekari und Majid Reza Rahnavard waren mit der Anklage »Krieg gegen Gott« zum Tode verurteilt worden; Mohammad Mehdi Karami und Mohammad Hosseini wegen Mordes. Nach dem Prinzip der »Vergeltung«, wie Khamenei es befohlen hat, erfordert ein Mord den Tod durch Hinrichtung. Hosseini hatte noch nicht mal Eltern, die seinen Fall verfolgen konnten; Karami war im Hungerstreik, als er hingerichtet wurde. Nach seiner Hinrichtung wurden in den sozialen Medien Videos von Mohammad Mehdi Karami veröffentlicht, in denen zu sehen ist, wie er mit seinen Angehörigen kurdische Tänze tanzt. Mohammad Mehdi Karami war Kurde, und noch nicht mal das wussten wir über ihn. Die sogenannten Prozesse haben nicht länger als einige Wochen gedauert. Es war eine politische Entscheidung, sie so schnell wie möglich hinzurichten.
Wer heute wegschaut, weil es mit der Revolution in Iran etwas länger dauert, verpasst einen historischen Moment.
»Nein, Nein, Nein! Was bringt es denn dann, Patenschaften zu organisieren? Sie haben sie einfach ermordet. Ich kann nicht mehr!« Nachrichten aus unserer Chatgruppe am 7. Januar. Wir versuchen, uns gegenseitig zu beruhigen und zur Vernunft zu bringen: »Wir wussten doch von Anfang an, dass die Patenschaften keine Wunder bewirken können, und wir haben es trotzdem gemacht, damit es Konsequenzen hat, wenn sie es tun, und damit man nicht weggucken kann, damit man es, mindestens in einigen Fällen, verhindern kann.«
Helge Limburg (Grüne) und Nadja Stahmer (SPD), die Bundestagsabgeordneten, die politische Patenschaften für Karami und Hosseini übernommen hatten, melden sich, während sich die Nachricht von den Hinrichtungen in Iran verbreitet. Endlich haben viele Iraner*innen nicht mehr das Gefühl, dass der Staat im Schatten morden kann, ohne dass die Weltöffentlichkeit etwas davon mitbekommt. Aber in den sozialen Medien werden auch viele Fragen gestellt: Wann will die Europäische Union endlich reagieren? Wann wird der erste Botschafter nach Iran zurückgeschickt? Was muss denn noch passieren, damit man uns hört? Warum halten die deutsche und europäische Politik immer noch an den Atomverhandlungen fest?
Kein Zurück in die Normalität des Staates
Schon am Tag nach der Hinrichtung von Karami und Hosseini kursiert abends die Meldung in den Farsi-sprachigen sozialen Medien, dass der Staat auch Mohammad Ghoabdlou (23) und Mohammad Broughani (19), die, genau wie Karami und Hosseini, im Gefängnis Rajai Shar in der Stadt Karaj in Isolationshaft festgehalten werden, hinrichten will. Es werden Aufrufe verfasst, dass man zum Gefängnis kommen soll, um die Hinrichtungen zu stoppen. Und tatsächlich versammeln sich Menschen vor dem Gefängnis und rufen Parolen wie: »Wenn du hinrichtest, gibt es Aufstand!« Die Eltern von Mohammad Ghobadlou haben sich ebenfalls auf den Weg zum Gefängnis gemacht. Die Mutter steht vor der Menschenmenge und ruft: »Der Mann wurde in Robatkarim getötet, sie haben meinen Sohn in Parand festgenommen, und jetzt wollen sie ihm einen Mord anhängen!« Der Mann, von dem Ghobadlous Mutter spricht, war ein Basij-Milizionär. Für seinen Tod will der Staat Ghobadlou verantwortlich machen.
Der iranische Staat hat als Reaktion auf die anhaltenden Proteste wieder einmal seine Maschinerie der Gewalt in Gang gesetzt. Mit ihrer Anwesenheit auf den Straßen vor den Gefängnissen versuchen die Menschen, diese Maschinerie zu stoppen. Auch wenn der Staat auf sie schießt, auch wenn sie selbst dabei festgenommen werden könnten. Immer noch gilt für viele in Iran und in der iranischen Diaspora: Es gibt kein Zurück in die Normalität des Staates. Allerdings sieht man auch, dass die Weltöffentlichkeit nicht mehr ganz so genau hinschaut. Noch vor wenigen Monaten hat sie die Stimme der Iraner*innen verstärkt, hat geholfen, ihre Wahrheit zu etablieren: »Wir wollen keinen Staat, der Kinder ermordet«, »Nieder mit der Diktatur«, »Frau, Leben, Freiheit«.
Wer heute wegschaut, weil es mit der Revolution in Iran etwas länger dauert, als man es sich erhofft hatte, verpasst einen historischen Moment. Für Iraner*innen gilt seit Wochen: Es ist ein Marathon, wir müssen aushalten, und wir müssen uns in der Bewegung weiterentwickeln. Vielleicht ist es Zeit, die Weltöffentlichkeit daran zu erinnern, was Rudi Dutschke während der 1968er-Bewegung in Westdeutschland gesagt hat: »Revolution ist nicht ein kurzer Akt, wo mal irgendwas geschieht, und dann ist alles anders. Revolution ist ein langer, komplizierter Prozess, wo der Mensch anders werden muss.«