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|ak 668 | Feminismus

Das Recht auf Konsens

Warum es für eine diskriminierungsfreie gynäkologische Behandlung auf die Erfahrungen der Patient*innen ankommt, begründen Nina und Alina von Gynformation

Interview: Carina Book

Die Illustrationen wurden von Fiona Tretau zur Verfügung gestellt. Sie ist Friseurin, Modedesignerin, Feministin, Kostümbildnerin und Mutter. Weitere Illustrationen sind auf Instagram unter @thepropcorner zu finden.

Mit Gynformation ist ein queerfeministisches Kollektiv entstanden, das sich aus der Perspektive von Patient*innen für eine selbstbestimmte gynäkologische Behandlung einsetzt. Ihre Arbeit besteht vor allem im Aufbau einer Webseite, auf der Gynäkolog*innen, Endokrinolog*innen oder Geburtshilfen auf Basis von realen Erfahrungen empfohlen werden.

Was ist der Unterschied zwischen Gynformation und den Gelben Seiten?

Alina: Einträge bei den Gelben Seiten würden Gynäkolog*innen selbst machen. Durch die vielen Erfahrungsberichte, die bei uns eingesendet werden, wissen wir aber, dass es nicht nur auf die fachlich, medizinische Selbstbeschreibung ankommt. Zu oft erfahren wir von rassistischen, ableistischen, transfeindlichen oder sexistischen Vorfällen während gynäkologischer Behandlungen. Darum legen wir großen Wert auf die Erfahrungen der Behandelten. Wir erarbeiten derzeit auch einen Leitfaden und versuchen, Gynäkolog*innen damit die Augen zu öffnen für die vielen Erfahrungen, die uns geschildert werden.

Nina: Wir haben das Verzeichnis daher nach Personengruppen sortiert. Das heißt, wenn eine trans Person eine Empfehlung abgibt, dann wird das als Empfehlung einer trans Person für andere trans Personen angezeigt. Wir hoffen auch, dass den Gynäkolog*innen klar wird, dass es einen Unterschied gibt zwischen Barrierefreiheit und Awareness – beides ist wichtig. Orientierungshilfen für sehbehinderte Menschen oder gynäkologische Stühle, die zugänglich für Rollstuhlnutzer*innen sind, machen eine Praxis noch nicht diskriminierungsfrei. Oft werden die Patient*innen trotzdem mit Vorurteilen beladen und medizinische Leiden werden auf die Behinderung zurückgeführt.

Alina: Gerade was die Behandlung von trans Personen angeht, habe ich den Eindruck, dass seit unerträglichen Ewigkeiten richtig viel schiefläuft. Es gibt viele trans Personen, die ebenso lange dagegen ankämpfen. Wir können super viel aus diesen Kämpfen lernen. Dass es Gynformation verstehen wir als Ergänzung zu den Kämpfen, die schon geführt werden und wurden.

Alina und Nina

sind Aktivist*innen bei Gynformation und sind sich einig: Jeder Mensch verdient bei der gynäkologischen Behandlung einen respektvollen, vertraulichen, unvoreingenommenen und professionellen Umgang.

Was fordert ihr von Gynäkolog*innen?

Alina: Eigentlich Selbstverständlichkeiten: Macht genderneutrale Anamnese-Bögen. Seid nicht übergriffig in der Behandlung. Hängt keine rassistische »Deko« in eure Wartezimmer. Schreibt klar und deutlich auf eure Webseite, welche Zugänge es zur Praxis gibt. Macht keine moralisierenden Bemerkungen über Sexleben oder Körpergewicht der Patient*innen oder über die Arbeit als Sexarbeiter*in und führt medizinische Beschwerden nicht auf diese Dinge zurück. Geht nicht davon aus, dass wir in heterosexuellen Beziehungen leben. Und übrigens: Nicht nur Frauen werden schwanger. Das wissen viele Gynäkolog*innen scheinbar nicht.

Nina: Uns geht es darum, dass allen Menschen ermöglicht wird, eine diskriminierungsfreie und konsensorientierte Behandlung zu erhalten. Die Medizin, ist stark von Hierarchien, einseitigen Abhängigkeiten und Kontrolle geprägt. Es ist wichtig, dass wir unser Recht auf einen selbstbestimmten Umgang mit unseren Körpern laut artikulieren. Dafür müssen wir uns gynäkologisches Wissen wieder aneignen beziehungsweise zurückerobern. Außerdem müssen wir uns als Patient*innen mit Diskriminierungserfahrungen, die wir nicht teilen, beschäftigen. Der Feminismus muss intersektionaler und inklusiver werden. Nur dann können wir gemeinsam und solidarisch für das Recht auf Konsens für alle kämpfen.Wir meinen, dass jeder Mensch ein Recht auf eine gute medizinische Versorgung und die Informationen darüber hat, und dazu wollen wir beitragen.

Apropos Informationen: Kristina Hänel ist nun erneut verurteilt worden, weil sie Informationen über Abtreibungen auf ihrer Webseite veröffentlicht hat. Wie haltet ihr es damit?

Alina: Jede Person muss wissen dürfen, mit welcher Methode eine Behandlung durchgeführt wird und mit welchen Risiken und Kosten gerechnet werden muss. Das ist die Grundvoraussetzung, um Entscheidungen treffen zu können – und das meint ja »ProChoice«. Deswegen haben wir uns entschieden, die Informationen zu Abtreibungen online zustellen.

Nina: Sich gut informieren zu können, um Entscheidungen zu treffen ist ja in beide Richtungen wichtig. Immerhin werden schwangere Menschen immer wieder mit ableistischen Begründungen dazu gedrängt eine Abtreibung durchführen zu lassen.

Wie viele Gynäkolog*innen sind schon bei Gynformation für Abtreibungen empfohlen worden?

Nina: Nicht besonders viele leider. Das könnte daran liegen, dass viele Personen während einer Abtreibung vielleicht einfach keine gute Behandlung erhalten. Zum anderen wollen einige abtreibende Gynäkolog*innen auch nicht bei Gynformation erwähnt werden, weil sie Angst haben, dass sie oder ihre Patient*innen von Abtreibungsgegnern angegriffen werden.

Alina: Das ist das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidungen der letzten Jahre. Zunehmend werden nicht nur die Patient*innen, sondern auch die behandelnden Ärzt*innen gesellschaftlich stigmatisiert. Insgesamt sinkt die Zahl derer, die Abtreibungen überhaupt durchführen. Abtreibungen sind nicht mal fester Bestandteil der gynäkologischen Ausbildung.

Das Problem ist also nicht nur, dass Informationen über Abtreibungen fehlen?

Nina: Nein, ganz und gar nicht. Derzeit wird viel geredet über den Paragrafen 219a, der die »Werbung« für Abtreibungen verbietet. Aber wir müssen natürlich auch über den Paragrafen 218 reden: Schließlich muss ich als schwangere Person, die einen Abbruch vornehmen möchte, auch strafrechtliche Konsequenzen befürchten. Als Schwangere muss ich aber selbst entscheiden dürfen, ob ich eine Schwangerschaft austragen möchte oder nicht. Das dürfen nicht dritte entscheiden.

Wie geht es bei euch weiter?

Alina: Wir hoffen, dass sich noch viel mehr Menschen an Gynformation beteiligen und ihre Erfahrungen dort teilen. Mein Plan ist, einen großen queerfeministischen Gesundheitskongress zu organisieren, damit wir uns noch lauter Gehör verschaffen können.

Nina: Dort wäre auch Gelegenheit zu diskutieren, wie intersektional und inklusiv der Feminismus ist. Es kommt darauf an, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen und gemeinsam für reproduktive Gerechtigkeit (1) zu kämpfen. Denn die gesellschaftlichen Verhältnisse deuten nicht gerade daraufhin, dass Gynformation bald überflüssig und der Kampf für reproduktive Gerechtigkeit bald gewonnen sein wird.

Anmerkung:

1) Das Konzept »Reproduktive Gerechtigkeit« stammt aus dem Schwarzen Feminismus der 1990er Jahre in den USA. Der Kampf für reproduktive Rechte wird hierin mit dem Kampf um soziale Gerechtigkeit verbunden. Speziell geht es um das Anrecht auf eine selbstbestimmte und sichere Schwangerschaft, Geburt, Abtreibung und Elternschaft und um eine intersektionale Perspektive, die den Zugang zu Reproduktion und Familienplanung als ein Menschenrecht versteht, das vor allem für marginalisierte Gruppen noch nicht realisiert ist oder massiv beeinträchtigt wird.